Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 11. Die Reichstage zu Augsburg 1510 und Trier/Köln 1512 bearbeitet von Reinhard Seyboth

Köln, 15. September 1512

Marburg, StA, Best. 2 Nr. 121, o. Fol., Kop. (Überschrift: Vertrag zwischen dem regiment von Hessen anstat Landgf. Philipsens und Landgf. Wilhelmen anders teils; mit stichwortartigen Marginalien, die den Inhalt der einzelnen Absätze kennzeichnen).

Teildruck bzw. Regest: Glagau, Landtagsakten, Nr. 59.

Regest: Demandt, Regesten, Nr. 2089.

Ks. Maximilian bekundet, daß zwischen Landgf. Wilhelm (d. Ä.) von Hessen und seiner Gemahlin Anna einerseits und dem für den noch unmündigen Landgf. Philipp amtierenden hessischen Regiment andererseits etliche Differenzen entstanden sind. Dorumb wir sie als röm. Ks. und irer oberster naturlicher und rechter H. zu verhuetung weiters unwillens, kryg und entporung, so dorus entstanden sein muchten, fur uns erfordert und solcher irrung und spenn noch zeitigem rate und erkundigung, deshalb gehabt, entscheiden haben und tun das hiemit us oberkeit in craft diss briefs, wie hernachfolgt:

Anfenglich, als noch abgange weylent Landgf. Wilhelms von Hessen des mittlern die lantschaft des Ft. Hessen erbhuldigung, lehen- und ander pflicht getan in der gestalt, das eine lantschaft Landgf. Philipsen, obgemeltes Landgf. Wilhelmen verlassen soen, und seinen leibslehenerben und ab derselben ane leibslehenerben abginge, alsdan Landgf. Wilhelmen [d. Ä.], ab der in leben were, ader seinen erblichen leibslehenerben, wo er der auch verlassen hette, gehorsam und gewertig zu sein etc., bey denselben erbhuldigungen, lehen- und andern pflichten soll es blieben, auch furter dermassen und nicht anders gehalten werden. Doch sollen dieselben erbhuldigungen, lehen- und ander pflicht, so bescheen sein und hinfur bescheen werden, hirinnen sonderlich declarirt sein, das solche Landgf. Wilhelm und seinen leibslehenserben vor und noch in alle wege zu allen iren gerechtigkeiten mit begriffen und teilhaftig machen und sein sollen, dergestalt, wo der almechtig Gott Landgf. Wilhelm sein gesuntheit widerumb verlihen, also das er zu regirung vermoglichen und geschigkt sein und, wy sich gebürt, restituyrt ader das ime von Gott ehliche, man[liche] leibslehenserben verlihen würde, so sollen die gemelten erbhuldigungen, lehen- und ander pflicht, wie vorgemelt ist, dem obgedachten Landgf. Wilhelmen unabbrüchig sein, sunder ime und seinen ehlichen, manlichen leibslehenserben, ob er dy, wie obsteet, uberkeme, alles das folgen und werden, dorzu sie gerechtigkeit haben, unangesehen, ob Landgf. Philips derselben zeit in leben sein ader leibslehenserben haben wurde ader nicht. Wyr wollen auch als röm. Ks. uber solchen artikel ein gnugsam declaracion, disem artikel glichmesig, tun [Nr. 1245]. Desglichen sollen sich die gegenwertigen und künftigen regenten in namen der stende der lantschaft des Ft. Hessen uf gnugsam mandat und bevehl, so dieselben stende bemelten regenten derhalben geben sollen, gnugsamlich verschreiben, verpflichten und in namen der lantschaft schweren, das angezeigter artikel dermassen und nicht anders gehalten werden soll. Wir wollen uns auch für uns und unser nochkomen verschreiben, gedachten Landgf. Wilhelmen bey dem hieoben angezeugten entscheit zu hanthaben, zu schützen und zu schirmen. Dorzu, so Landgf. Philips zu seinen mündigen jaren komet und die regirung selbs annemen wirdet, das alsdan dy regenten ime des regiments, sovil sie des zu seiner gerechtigkeit vorsein, nicht abtreten, er hab sich dan zuvor gnugsamlich verschrieben und verpflicht, obangezeugtem artikel zu geleben und nochzukomen. Und sollen deshalben allen mogelichen fleys ankeren, domit dem also folge beschee, wie obstehet.

Der Ks. beruft für die Dauer der Erkrankung Landgf. Wilhelms die Hgg. von Sachsen zu Kuratoren. Sie sollen dafür sorgen, daß das von ihnen und den hessischen Landständen bestellte Regiment die Bestimmungen dieses Spruchs vollzieht.

Landgf. Wilhelm soll sich mit seiner Gemahlin (Anna) und seinen Kindern nach Hessen begeben und zusammen mit dem Hofgesinde in Kassel, Marburg oder an dem Ort, an dem sich angesichts sterbender oder anderer Läufe die beiden Fürstenhöfe und das Regiment aufhalten können, eine ftl. Wohnung beziehen, durch das Regiment angemessen unterhalten und mit entsprechenden Räumlichkeiten in den Schlössern ausgestattet werden. Will einer der Ff. von Zeit zu Zeit besonderes Essen haben, auf die Jagd gehen oder sich in Lusthäusern aufhalten, soll ihm dies im Rahmen des Möglichen gestattet werden.

Landgf. Wilhelm und seiner Gemahlin soll keinerlei Gewalt widerfahren, vielmehr sollen sie bei diesem Vertrag gehandhabt werden.

Der Ks. wird Landgf. Wilhelm unverzüglich eine tüchtige, verständige, adelige und in Hessen geborene Person als Hofmeister beigeben, die ihn in Anbetracht seiner Krankheit eingehend beaufsichtigen und das Regiment hierüber auf dem Laufenden halten soll. Im Bedarfsfall hat das Regiment ihn mit Ärzten und allem Notwendigen zu versorgen. Bei Tod oder freiwilligem Ausscheiden des Hofmeisters ist eine andere geeignete Person auszuwählen und dem Ks. anzuzeigen.

Der Hofstaat Landgf. Wilhelms soll folgendermaßen zusammengesetzt sein: acht Reitpferde, ein Hofmeister, ein Schenk, zwei Truchsessen, ein Vorschneider, zwei Edelleute, vier Edelknaben, zwei Ärzte und ein Feldtrompeter, jeweils mit einer Anzahlen Pferden und Dienern, dazu Wagenpferde und ein Wagen, der auch der Landgf.in für Ausflüge zu Verfügung steht, ein weiterer Wagen sowie sechs Offiziere einschließlich eines Kammerknechts und eines Kaplans mit sechs Pferden. Für sämtliche Pferde ist ein Marstaller zu bestellen.

Der Hofstaat der Landgf.in soll bestehen aus ihr selbst und ihrer Tochter (Elisabeth), einem Hofmeister, einer Hofmeisterin, sechs Edeljungfrauen, zwei Kammermädchen, einer Kammerfrau, einem Kaplan, zwei Edelknaben, einem Torhüter, einem Vorschneider, einem Schenk, einem Truchseß, einem Schneider, einem Mundkoch und einem Kammerknecht.

Diejenigen der genannten Personen, die dem Adel entstammen oder Großoffiziere sind, sollen in Hessen geboren sein. Nur zwei Adelige und die einfachen Dienstknechte dürfen aus anderen Ländern kommen. Landgf. Wilhelm nicht genehme oder ungeeignete Personen sind mit Billigung des Regiments auszutauschen. Wer zehn Jahre gedient hat, darf nicht entlassen werden, sondern ist, wenn er es wünscht, gnädig abzufertigen.

Das Regiment hat den Landgf., seine Gemahlin, seine Tochter (Elisabeth) und deren gesamten jeweiligen Hofstaat mit Kleidung, Sold und allem sonst Notwendigen zu versorgen, jedem an Fronfasten 200 rh. fl. Opfergeld zu geben und darüber hinaus alles zu tun, was erforderlich ist.

Dem Landgf. und seiner Gemahlin sind die Ausübung der Jagd und andere ftl. Lustbarkeiten zu gestatten.

Das Gebäude in Melsungen ist baulich so weit herzurichten, dass die Landgf.in sich dort angemessen aufhalten kann.

Die Schulden Landgf. Wilhelms und die während seines Aufenthalts außer Landes aufgelaufenen Zehrungskosten sind dem Ks. detailliert mitzuteilen und danach vom Regiment ohne Schaden für den Landgf. zu bezahlen. Dies hat unter Aufsicht ksl. Kommissare zu geschehen.

Die Schlösser und Städte Spangenberg und Melsungen sollen mit ihren Renten und Zugehörungen wie andere Schlösser und Städte in Hessen für den Unterhalt Landgf. Wilhelms, seiner Gemahlin und seiner Kinder herangezogen werden.

Falls Landgf. Wilhelm vor seiner Gemahlin stirbt, soll ihr gemäß ihrer Verschreibung die Stadt Melsungen als Wittum übergeben werden. Das dortige Schloß ist als ihr Wohnsitz in gutem baulichen Zustand zu halten.

Landgf. Wilhelms unverheiratete Tochter (Elisabeth) ist mit ftl. Kleidern, Kleinodien und Aussteuer zu versehen, wie es einer geborenen F.in von Hessen vertragsgemäß zusteht.

Was die geistlichen Töchter Landgf. Wilhelms (Mechthild und Anna) betrifft, wird der Ks. seine in Sachen Zehrung verordneten Räte anweisen, sich zu erkundigen, ob das den Klöstern gegebene Geld wirklich zugunsten dieser Töchter verwendet wird, und danach weiter tätig werden.

Landgf. Wilhelm soll innerhalb eines Monats darlegen, was er seit seinem Weggang aus Hessen an wen verschrieben hat. Wenn die entsprechenden Personen bekannt sind, wird der Ks. durch seine Kommissare prüfen, was jeder rechtmäßig innehat und wie mit den Verschreibungen weiter zu verfahren ist.

In Sachen Wittum und Morgengabe der Landgf.in und der von ihr monierten Mängel ihres Witwensitzes Melsungen wird der Ks. den Bf. von Würzburg und Gf. Michael von Wertheim zu Kommissaren berufen. Diese sollen die Landgf.in und das Regiment anhören, das Wittum in Augenschein nehmen und versuchen, einen gütlichen Ausgleich herbeizuführen. Gelingt dies nicht, sollen sie auf dem künftigen Wormser Reichstag (1513) ihre Bemühungen schildern und ihren Ratschlag unterbreiten. Der Ks. wird dann einen abschließenden Bescheid erteilten, der zu akzeptieren ist.

Item das auch Landgf. Wilhelm zu seinen gelegen zeiten in reten sein moge und doch kein procurey annemen, sein meynung gehort und was in rat vor gut funden, soll furgenomen werden.

Auf Verlangen der Landgf.in soll ihr das Regiment zum Ausgleich ihrer Aufwendungen für die Erziehung und den Unterhalt ihrer Tochter (Elisabeth) eine Ehrung in Höhe von 800 rh. fl. zahlen und diesen Betrag den ksl. Kommissaren übergeben. Diese sollen dafür Kleinodien kaufen und sie der Tochter anläßlich ihres Beilagers aushändigen.

Das Regiment soll (Gf.in Katharina) von Beichlingen ihr Heiratgut und ihre abfertigung gemäß den Verschreibungen und Verträgen der Ff. von Hessen geben.

Die unverheiratete Tochter (Elisabeth) soll bis zu ihrer Heirat durch das Regiment mit Kleidern, Kleinodien und anderweitig Notwendigem versehen werden.

Wenn der Landgf. und seine Gemahlin auf die Jagd oder sonst zu ihrem Vergnügen ausreiten, soll das Regiment ihnen nach Gutdünken und Erfordernis Leute aus dem Hofgesinde Landgf. Philipps beigeben.

Das Regiment soll dem Landgf. und seiner Gemahlin silbernes Tafelbesteck zur Verfügung stellen, das einem F. angemessen ist. Beim Tod des Landgf. soll es der Landgf.in zum lebenslangen Gebrauch überlassen werden, nach ihrem Tod aber wieder an Hessen zurückfallen.

Damit beim Vollzug dieses Spruchs kein Zwiespalt entsteht, beauftragt der Ks. die in Sachen Schuldzahlung berufenen Kommissare mit der Umsetzung der Bestimmungen.

Konflikte zwischen den Hofgesinden Landgf. Philipps, Landgf. Wilhelms und des hessischen Regiments sind durch die Hofmeister beider Ff. beizulegen, die Verantwortlichen sind zu bestrafen. Geschieht dies nicht, soll das Regiment entsprechend tätig werden.

Hiermit sollen sämtliche Differenzen zwischen den Parteien, ihren adeligen Verwandten und allen anderen beigelegt sein, keiner soll mehr gegen den anderen gewaltsam vorgehen. Gefangene sind gegen Urfehde freizulassen, weggenommener Besitz ist zurückzugeben und dieser Spruch strikt einzuhalten. Wenn wegen irgendeiner Bestimmung dieses Spruchs Meinungsverschiedenheiten entstehen, die die Kuratoren nicht beilegen können, so sind sie dem Ks. vorzutragen, der dann darüber befinden wird. Seine Entscheidung ist zu akzeptieren.1

Anmerkungen

1
 Zum Kölner Schiedsspruch vgl. Armbrust, Anna von Braunschweig, S. 32f.