Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Die Einberufung des Reichstags 1556/57 beruhte reichsrechtlich nicht auf dem allgemein üblichen Verfahren, bei dem das Reichsoberhaupt die Veranstaltung mit Konsens der Kurfürsten beschloss und mittels eines allgemeinen Ausschreibens öffentlich kundtat, sondern die Reichsversammlung bezog ihre Legitimation aus dem Reichsabschied 1555, der mit der Vertagung zweier Hauptartikel die Thematik sowie Ort und Termin vorgab. Damit erübrigte sich ein Ausschreiben, da dessen Funktion – die Bekanntgabe der Verhandlungsinhalte sowie die örtliche und zeitliche Festlegung – der Reichsabschied 1555 übernahm.

Den Ausgangspunkt der Prorogation bildeten die 1555 nicht erledigten Verhandlungen zur Beilegung der Glaubensspaltung. Deshalb haben sich die Gesandten der Kurfürsten und die anderen Reichsstände mit dem König „verainigt und endtschlossen, dises articls erledigung auf khünftige reichßversamblung zu verschieben“1. Zwar musste Ferdinand I. im Reichsabschied eingestehen, dass „edlicher [...] churfursten verordnete räte in ainen khunftigen reichßtag mit bestimbung gewisser zeit und malstatt von iren L. nit abgefertigt und derhalben mangl ireß gwaltß und bevelchs darein nit willigen khonnen“, doch stützte er sich statt dessen auf die Stellungnahmen der Kurfürsten zu seinen im August 1555 an sie abgeordneten Gesandtschaften wegen der Gesamtvertagung des Reichstags, die er so interpretierte, „daß wir uns nit versechen, daß ir ainem die bestimbung und ansetzung gewisser zeitt und malstatt zu solchem reichßtag zuwider sein lassen werde.“ Unter Berufung darauf setzte der König namens des Kaisers und kraft des Reichsabschieds den neuen Reichstag für 1. 3. 1556 in Regensburg verbindlich „on ainich verner ersuechen und außschreiben“ an. Als Themen wurden festgelegt der Religionsvergleich, der Vollzug der Reichsmünzordnung „und was sonst mittlerweil für mehr obligen und sachen fürfallen werden“, die Beratungen des Kaisers und der Reichsstände erforderten2.

Damit war der neue Reichstag ohne Ausschreiben legitimiert, indem er als Fortsetzung der Verhandlungen von 1555 anberaumt und auch verstanden wurde: Der kursächsische Gesandte Lindemann konstatierte in der Versammlung der CA-Stände, dass „dieser reichstag ein appendix unnd execution der vorigen, zu Augspurg gehaltenen versamblung ist“3. Zugleich entband die Einberufung mittels der Vertagung den König von den ansonsten erforderlichen Bemühungen, den Konsens der Kurfürsten für das Ausschreiben zu erlangen. Der Konsens war allerdings ebenso für den Vertagungsbeschluss in Augsburg unumgänglich. Auf die dabei aufgetretenen Probleme deuten der im Abschied erwähnte Widerstand von kurfürstlichen Gesandten und die vage Formulierung bezüglich der Antworten ihrer Herren hin. Aufgrund ihrer Bedeutung für die Konstituierung des Reichstags 1556/57 sollen diese Verhandlungen kurz dargelegt werden.

Nachdem der König am 21. 9. 1555 die Vertagung der genannten Punkte und die Vereinbarung eines Reichstags gefordert hatte, befasste sich der Kurfürstenrat am 22. 9. mit dem Antrag. Die Deputierten Kurtriers und Kursachsens hatten aufgrund der positiven Antworten ihrer Herren auf die Werbung des Königs im August 1555 keine Einwände; Kurköln schloss sich dem an. Kurbrandenburg sah die Festlegung des Reichstags zwar als Verstoß gegen die Wahlkapitulationen von Kaiser und König, wollte sie unter Vorbehalt der kurfürstlichen Rechte aber nicht behindern. Die Kurpfälzer Gesandten dagegen lehnten die Bewilligung mit dem Argument fehlender Weisung strikt ab. Als Beschluss wurde das vermittelnde Kurmainzer Votum übernommen: Der Reichsabschied sollte eine künftige Reichsversammlung nur als „generalmeldung“ ohne Konkretisierung erwähnen, ansonsten bestand man auf dem hergebrachten Einberufungsverfahren. Da in den offiziellen Verhandlungen keine Einigung möglich war, lud Ferdinand die kurfürstlichen Gesandten zu einer Privatunterredung, in der man sich am 23. 9. 1555 auf oben zitierte Formulierung im Reichsabschied einigte. Indem der König sich darin auf seine Interpretation der vorausgehenden Aussagen der Kurfürsten zu den Werbungen stützte, konnte er deren Gesandte aus der Verantwortung für die Bewilligung des neuen Reichstags nehmen4.

Ein Blick auf die Antworten der Kurfürsten zur Prorogationswerbung Ferdinands im August 1555, die den Abbruch des Reichstags noch vor dem Abschluss des Religionsfriedens und die Vertagung aller Verhandlungen bis 1. 3. 1556 nach Regensburg5 vorsah, zeigt, warum die diesbezügliche Passage im Reichsabschied (§ 141) so vage formuliert wurde: Positiv äußerten sich Kurmainz, Kurtrier und Kurköln, Kurbrandenburg riet indifferent zur Fortsetzung der Augsburger Beratungen6. Kursachsen lehnte den Aufschub vor dem Abschluss des Religions- und Landfriedens und damit den sofortigen Abbruch des Reichstags ganz entschieden ab, räumte im Anschluss an eine Verabschiedung des Religionsfriedens die Vertagung der übrigen Verhandlungspunkte und damit die Ansetzung eines neuen Reichstags aber ein. Kurfürst Friedrich von der Pfalz dagegen wies den Prorogationsplan grundsätzlich zurück. Damit konnte der König lediglich vom mehrheitlichen kurfürstlichen Konsens für die Festlegung des Reichstags im Reichsabschied ausgehen, da zumindest die Ablehnung durch Kurpfalz feststand, die in der erwähnten Schlussdebatte die Gesandten im Hinblick auch auf die Teilvertagung bekräftigten7.

Trotz der angreifbaren reichsrechtlichen Basis blieb es bei der Einberufung des Reichstags 1556/57 im Vollzug des Reichsabschieds 1555. In Regensburg bemängelte lediglich Kurpfalz das Einberufungsverfahren8, ansonsten gab es weder vor noch beim Reichstag Einwände gegen die Festlegung der Themenstellung und die Terminierung für 1. 3. 1556. Den knappen Zeitraum hatte Ferdinand gewählt, um sich neben den vertagten Themen Religionsvergleich und Reichsmünzordnung wegen der für 1556 erwarteten türkischen Offensive in Ungarn die Option für die rechtzeitige Forderung einer Reichshilfe offenzuhalten9. Offiziell gab er die Türkenhilfe den Ständen nur wenig später in der ersten Reichstagswerbung als Hauptartikel der künftigen Reichsversammlung bekannt.

Anmerkungen

1
 RAb 1555, § 140 ( Aulinger/Eltz/Machoczek, RTA JR XX, Nr. 390 S. 3148).
2
 RAb 1555, § 141 (ebd., Nr. 390 S. 3148 f.). Vertagung der Münzverhandlungen an einen künftigen RT, jedoch ohne dessen Festlegung, auch in § 137 (ebd., 3147 f.).
3
 Sitzung am 22. 8. 1556: Kurpfalz C, fol. 142 [Nr. 353].
4
 Vgl. das KR-Protokoll 1555 ( Aulinger/Eltz/Machoczek, RTA JR XX, Nr. 144, fol. 863–868, S. 1265–1269); FR-Protokoll zu den Schlussverhandlungen, die im KR-Protokoll fehlen (ebd., Nr. 145, fol. 536–546’, S. 1526–1534 passim, bes. 1534). Abschlussvereinbarung der kfl. Gesandten mit dem Kg.: Protokoll Hornungs ( Lutz/Kohler, Reichstagsprotokoll, 156). Vgl. Laubach, Ferdinand I., 133 f.; Westphal, Kampf, 28 f.
5
 Instruktion Kg. Ferdinands für die Gesandten vom 31. 7. 1555: Aulinger/Eltz/Machoczek, RTA JR XX, Nr. 202 S. 1971–1975. Überlegungen zu den Motiven des Prorogationsplans: Ebd., Einleitung, 82 f.; Wolf, Religionsfriede, 139–146; Lutz, Christianitas, 371–374, 423–425; Laubach, Ferdinand I., 97–103; Gotthard, Religionsfrieden, 56–60 (nur taktisches Manöver Ferdinands).
6
 Vgl. die Akten zur Prorogationsgesandtschaft: Aulinger/Eltz/Machoczek, RTA JR XX, Nrr. 203–212 S. 1976–2024; hier: Nr. 211 S. 2018–2021, bes. Nrr. 208–210 S. 2001–2018 (Antworten Kurpfalz, Kursachsen, Kurbrandenburg). Die Antworten Kurtriers und Kurkölns sind nicht überliefert. Auf die positive Reaktion deuten die Aussagen der Verordneten im KR am 22. 9. 1555 hin (ebd., Nr. 144, fol. 864’ f., S. 1266 f.).
7
 Ebd., Nr. 144, fol. 865’ f., S. 1267.
8
 Kritik nicht auf offizieller Ebene in den Kurien, sondern am 4. 9. 1556 in der Versammlung der CA-Stände (Kurpfalz C, fol. 143’ [Nr. 354]).
9
 Die Türkenhilfe als Begründung für die baldige Festsetzung des neuen RT ohne Vollmacht des Ks. im Schreiben Ferdinands an Karl V. vom 24. 9. 1555 ( Lanz III, 683 f.). Vgl. Laubach, Ferdinand I., 134, 141; Lutz, Christianitas, 435 f. (auch verfassungsrechtlicher Hintergrund der Vertagung).