Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb
Der Reichsabschied 1555 legte mit der Prorogation der Religionsverhandlungen fest, dass beim künftigen Reichstag die Kurfürsten und Fürsten „in aignen personen erscheinen und ausserhalb khündtlicher leibßschwacheit und unvermöglichkeit, auch andern eehaften ursachen nit außbleiben sollen“130. Auf dem Hintergrund dieser Vorgabe sowie der wiederholten Werbungen König Ferdinands um den Reichstagsbesuch131 erscheint der Anwesenheitsstand der höheren Reichsstände, wie ihn die Subskription des Reichsabschieds ausweist, im Vergleich mit anderen Reichstagen eher niedrig: Kein Mitglied des Kurkollegs kam nach Regensburg, von den geistlichen Fürsten waren mit dem Erzbischof von Salzburg, dem Deutschmeister sowie den Bischöfen von Bamberg, Würzburg, Eichstätt, Augsburg, Regensburg und Merseburg immerhin acht persönlich anwesend, während von den weltlichen Fürsten mit Albrecht von Bayern, Wolfgang von Zweibrücken, Erich von Braunschweig, Christoph von Württemberg, Philibert von Baden, Ludwig Heinrich von Leuchtenberg und Burggraf Heinrich von Meißen nur sieben anreisten.
Doch gibt selbst diese geringe Quote noch ein geschöntes Bild wieder, wenn man berücksichtigt, dass Pfalzgraf Wolfgang erst im März 1557 wegen einer Privatsache nach Regensburg kam und Erich von Braunschweig nur vom 28. 11. bis 12. 12. 1556 sowie Christoph von Württemberg vom 14. bis 25. 1. 1557 anwesend waren132, Letzterer zunächst primär wegen der Teilnahme an der Vermählung Markgraf Philiberts von Baden mit Mechthild von Bayern133. Der Herzog war am 8. 1. 1557 in Stuttgart aufgebrochen und über Göppingen, Heidenheim, Donauwörth und Neuburg134 nach Regensburg angereist, das er am 14. 1. mit einem Begleittross von ca. 150 Pferden erreichte135 . Auch Bischof Georg von Bamberg hielt sich nur ganz kurzfristig vom 30. 12. 1556 bis 2. 1. 1557 am Reichstag auf, um seine Regalien zu empfangen136. Bischof Melchior von Würzburg kam ebenfalls am 30. 12., blieb aber ebenso länger in Regensburg wie die am 28. 11., 15. 12. und 21. 12. erschienenen Bischöfe von Augsburg, Eichstätt und Merseburg. Herzog Albrecht von Bayern eröffnete in seiner Funktion als königlicher Kommissar den Reichstag am 13. 7. und war im weiteren Verlauf mit Markgraf Philibert von Baden nur sporadisch präsent137.
Der Großteil der Fürsten blieb dem Reichstag demnach trotz der wiederholten Bitten Ferdinands fern. Ihre Entschuldigungen138 beriefen sich auf die unabdingbare Anwesenheit in ihren Territorien oder Kreisen wegen akuter Gefährdungen des Landfriedens139 oder wegen befürchteter Neuerungen im Religionsstatus140, auf gesundheitliche Probleme141, die hohen Kosten der Reichstagsteilsnahme im Hinblick auf die Verarmung des Territoriums142, anderweitige dringende Verrichtungen und allgemeine ‚ehafte‘ Ursachen143 oder auf eine Kombination der genannten Argumente.
Bei den gesandtschaftlich vertretenen Reichsständen ist zu differenzieren zwischen Teilnehmern am Vergleichstag im Markgrafenkrieg, die teilweise, aber nicht durchgehend auch für den Reichstag bevollmächtigt waren, und den Deputierten nur für den Reichstag, die wegen dessen Aufschubs erst später kommen mussten, während der Vergleichstag unverändert am 1. 3. 1556 begann. Entsprechend waren die daran als Vermittler, Betroffene oder Beistände teilnehmenden Stände als erste in Regensburg repräsentiert, freilich in einer gegenüber dem Reichstag eingeschränkten Besetzung: Die reichsständischen Vermittler Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Kurpfalz, Salzburg, Konstanz, Bayern, Jülich, Reichsprälaten (vertreten durch den Abt von St. Emmeram), Wetterauer Grafen, Städte Straßburg und Regensburg sowie die königlichen Kommissare kamen zwischen 28. 2. und 14. 4. 1556 an144, Würzburg, Bamberg und Nürnberg als Mitglieder der Fränkischen Einung waren bis 2. 3. präsent, Brandenburg-Ansbach schickte seinen ersten Gesandten als Beistand für Markgraf Albrecht Alkibiades bis 20. 4. 1556145. Die ersten Abordnungen nur zum Reichstag erfolgten im Zusammenhang mit der Ankündigung des neuen Eröffnungstermins 1. 6. 1556 durch König Ferdinand: Im Zeitraum vom 1. 6. bis 12. 6. kamen die Gesandten der Bischöfe von Speyer und Straßburg, der Äbte von Fulda und Hersfeld sowie von Pfalz-Zweibrücken, Braunschweig (Erich), Württemberg, Sachsen, Hessen und Henneberg146. Die Kurbrandenburger Verordneten erschienen am 2. 7., also noch vor der neuerlich verzögerten Reichstagseröffnung am 13. 7. Daran nahmen neben Albrecht von Bayern, Philibert von Baden und dem Bischof von Regensburg die überwiegend noch immer unvollständig besetzten Gesandtschaften von fünf Kurfürsten (ohne Kursachsen), sieben geistlichen Fürsten, sechs weltlichen Fürsten, zwei Grafenkollegien und vier Reichsstädten teil147. Die Delegation Kursachsens traf nach einer individuellen Aufforderung König Ferdinands an Kurfürst August148 erst ab 12. 8. ein. Auch weitere Mitglieder des Fürstenrats schickten ihre Deputierten erst im Verlauf des Herbst 1556. Ungewöhnlich spät erfolgte der Reichstagsbesuch vieler Reichsstädte: Am Städterat waren bis Oktober nur Straßburg, Augsburg, Nürnberg und Regensburg beteiligt, bevor zunächst Ulm hinzukam. Der Großteil der Reichsstädte, darunter Kommunen wie Köln, Frankfurt oder Speyer, ordnete die Gesandten erst bis Anfang Januar 1557 zum Termin des für 1. 1. ausgeschriebenen Städtetags ab149, während sie die vorherigen Reichstagsverhandlungen trotz eines Mahnschreibens des Städterats vom 30. 9. 1556150 weitgehend ignorierten151.
Der Vertretungsstand insgesamt, wie ihn die Subskription des Reichsabschieds wiedergibt, erreichte 1556/57 im Vergleich mit den vorausgehenden Reichstagen des 16. Jahrhunderts152 bei allen reichsständischen Gruppierungen durchschnittliche Werte, wenn man die zahlreichen Mehrfachbevollmächtigungen mit einbezieht, wobei die geistlichen und weltlichen Fürsten etwa gleich stark repräsentiert waren. Etwas aus dem Rahmen fallen die niedrigen Quoten der Reichsgrafen (50%) und der eigenständig vertretenen Reichsstädte (40%). Von den wichtigeren Ständen fehlte auf der geistlichen Fürstenbank das Erzstift Magdeburg. Zwei seit 11. 6. 1556 in Regensburg anwesende Gesandte nahmen lediglich am Vergleichstag im Markgrafenkrieg als Beistände auf markgräflicher Seite teil, akkreditierten sich aber nicht für den Reichstag153. Auf der weltlichen Fürstenbank fehlte das Herzogtum Holstein, das wegen der strittigen Session im Fürstenrat auf die Teilnahme verzichtete154.
Bedingten die Aufschübe des Reichstags zunächst die dargestellten zeitlich gestaffelten Ankünfte, so veranlassten die folgenden Verhandlungsverzögerungen bis Ende November155, dass viele der im Sommer 1556 erschienenen Deputierten Regensburg zeitweilig verließen oder von ihren Herrschaften vorübergehend abgezogen wurden, um Kosten zu sparen156. Noch im Juni beriefen die Bischöfe von Würzburg und Bamberg ihre Delegationen bis auf jeweils einen Verordneten ab. Ebenso reisten die Gesandten des Bischofs von Straßburg und Pfalz-Zweibrückens ab157. Die kursächsische Delegation war infolge der Rückreise einzelner Deputierter bis Dezember fast durchgehend unvollständig besetzt: Könneritz war von Ende September bis Ende Oktober abwesend, Lindemann in der zweiten Oktoberhälfte158, anschließend hielt sich Kram von Anfang November bis Mitte Dezember in Sachsen auf159.
Selbst die königlichen Kommissare nutzten die Verhandlungsunterbrechung für Privatverrichtungen. Wilhelm von Waldburg und Zasius unterrichteten den König am 19. 7. darüber, dass aufgrund der eingestellten Beratungen fast alle Gesandten Regensburg verlassen hätten: Einige seien heimgereist, andere hätten „spatzier ritt fürgnomben, ains thaylls geen Saltzburg und weitter inn dasselbe gebürg hinein unnd zum thayl ann anndere ortt etc.“ Unter Berufung darauf reiste am 17. 7. Georg von Helfenstein vorübergehend ab, ebenso wollte Zasius in Augsburg eine dem König bekannte „verrichtung inn eyl und engg vollenden“160. Da danach auch der allein zurückgebliebene Truchsess von Waldburg Regensburg am 28. 7. verließ, war bis zu seiner Rückkehr am 7. 8.161 kein Vertreter des Königs am Reichstag präsent. Bei der von Zasius angesprochenen ‚Verrichtung‘ handelte es sich um seine Hochzeit mit Maria Uttinger, die er am 2./3. 8. 1556 in Augsburg feierte. Anwesend waren unter anderem Herzog Albrecht von Bayern und Markgraf Philibert von Baden sowie die Reichstagskommissare von Waldburg und von Helfenstein162. Letzterer kehrte am 18. 8. nach Regensburg zurück163. Wenngleich das königliche Kommissariat nur etwa eine Woche unbesetzt blieb, veranlasste dieser Umstand heftige Kritik der am Reichstag verbliebenen Gesandten. Jakob Plattenhardt, Verordneter der fränkischen Grafen, warf ihnen vor, sie seien „securi, ziehent spaciren und machent hochzitt, lassent uns oscitantes alhie sitzen“164. Die Herzöge von Sachsen kritisierten die Abreise der Kommissare ohne jeden Bescheid an die Ständedeputierten nur „nach irer gelegenheit unnd in aigenen privat sachen“ und folgerten daraus, die Türkennot in Ungarn könne nicht so groß sein, wie sie in der Proposition dargestellt worden war165.
Obwohl der Reichsabschied 1555 im Hinblick auf die Beratungen zum Religionsvergleich die Zuziehung von Theologen vorsah166, erschien zunächst lediglich Erhard Schnepf für die Herzöge von Sachsen167. Er verließ den Reichstag, bevor die Religionsverhandlungen aufgenommen wurden. Für Kurpfalz kam der bis dahin auf Abruf bereitstehende Dr. Johann Faber, Superintendent in Burglengenfeld, Anfang Dezember, um im Religionsausschuss mitzuwirken168. Er war in der ersten Ausschusssitzung am 9. 12. 1556 anwesend, nahm im weiteren Verlauf aber nur sporadisch daran teil, ohne zu votieren169. Für Kurmainz erschien am 20. 1. 1557 der Theologe Lic. Georg Böhm, um die Gesandten zu unterstützen170. Kurfürst Joachim von Brandenburg hielt die Zuordnung von Theologen für die Beratungen nur der Wege zum Religionsvergleich nicht für erforderlich171, während Kurfürst August von Sachsen sie in seiner Konzeption, Religionsverhandlungen möglichst zu umgehen, gezielt unterließ172.
Im Gegensatz zu anderen Reichstagen sind 1556/57 kaum ausländische Gesandtschaften als Randteilnehmer oder Beobachter nachzuweisen. Gesichert ist die Anwesenheit des venezianischen Gesandten am Hof Ferdinands I., Paolo Tiepolo, der im September 1556 nach Regensburg kam und dort bis zum Ende des Reichstags blieb173.
Der Verzicht der Kurie in Rom auf die Sendung eines Legaten oder die Bestellung eines Nuntius wurde bereits erwähnt174. England175 war ebenso wenig vertreten wie Frankreich, das sich im Vorfeld um den Zugang bemüht hatte176, dann aber gegen die Erwartung auch König Ferdinands keine Gesandten schickte177. Vonseiten König Philipps II. von Spanien hielt sich lediglich der Söldnerführer Alvaro de MenDOZA im Dezember 1556 in Regensburg auf, um von König Ferdinand die Erlaubnis für Truppenwerbungen zu erbitten178. Eine spanische Gesandtschaft erschien nicht. Die von König Sigismund II. August von Polen geplante Abordnung des Kaspar von Lehndorff, Hauptmann zu Preußisch-Eylau, nach Regensburg im Zusammenhang mit der Krise in Livland unterblieb ebenfalls179. Daneben wird in der älteren Literatur anhand einer aus dem Nachlass des Sigmund von Herberstein stammenden Instruktion Zar Iwans IV. die Anwesenheit einer moskowitischen Gesandtschaft im Januar oder Februar 1557 konstatiert. Die nicht datierte Instruktion deutet inhaltlich auf das Jahr 1556 als Ausstellungsdatum hin und bietet im Wesentlichen die Unterstützung im Türkenkampf, den Versuch einer Union der griechischen und lateinischen Kirche sowie die Anbahnung einer engeren Verbindung des Zaren zum Reich an, für die ein ständiger Gesandter am kaiserlichen bzw. königlichen Hof oder sonst im Reich installiert werden sollte. Zu diesem Zweck erfolgte mit der Instruktion die Abordnung zweier Fürsten180. Ob die Instruktion, die Authentizität der Quelle vorausgesetzt, vollzogen, die Legation also durchgeführt wurde, scheint zumindest zweifelhaft. Jedenfalls fällt auf, dass sie weder in der umfangreichen Reichstagskorrespondenz noch in anderweitigen Akten der Reichsversammlung 1556/57 Erwähnung findet.