Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Textvorlage: Kurpfalz C, fol. 175–180.

Ablehnung eines sofortigen Kolloquiums noch beim RT. Stellungnahme zu den Bedingungen der geistlichen Stände für das Kolloquium: Billigung der Unverbindlichkeit des Kolloquiums ohne Beschlusskompetenz und der anschließenden Beratung durch Kg. und Reichsstände. Ablehnung des Konzilsvorbehalts und der Amtsklausel. Beim Kolloquium Vorlage der CA als Verhandlungsgrundlage.

/175/ (Vormittag) Versammlung der CA-Stände (Kurpfalz, Kursachsen, Kurbrandenburg, Pfalz-Zweibrücken, Brandenburg-Küstrin, Brandenburg-Ansbach, Württemberg, Hessen, Pommern, Wetterauer Gff., Städte Straßburg und Regensburg).

Kurpfalz proponiert und votiert: /175 f./ Man hat gestern im Religionsausschuss die Bedingungen der Gegenseite für das Religionskolloquium vernommen1 . Deshalb nunmehr Absprache über das Votum der CA-Stände in der morgigen Sitzung des Ausschusses. Nachdem man zuvor intern beschlossen hat, für ein Kolloquium nach dem Vorbild früherer Religionsgespräche zu votieren, ist zu beraten: Benennung und Aufgabenstellung der Präsidenten, Festlegung der Anzahl und Benennung der übrigen Teilnehmer, also der Kolloquenten, Auditoren und Notare. Kurpfalz wünscht zunächst Beratung zur Form des Kolloquiums. /175’/ Und nachdem sie hievor gehort2, das Pfaltz nichts liebers, dann das ein frei, christlich, unverbunden colloquium, das frei libere von den sachen mocht geredt, die colloquenten und andere personen durch die aid und glubd, damit sie iren herrschafften verbunden, nit verhindert, ire meinung one alle scheuch mit offnem, freien hertzen an tag zubringen, angestellett, welchs durch die freistellung bescheen kondte, wo dieselbig erlanngt. Weil aber fur gut angesehen, gemelte freistellung weder im ausschuß noch kunftig colloquio nit anzuregen oder zuurgirn, sonder in einer sondern schriefft dieselbig beim konig zusuchen, wie bescheen3, so were doch Pfaltz noch der meinung, die freistellung, wo muglich, zuerledigen oder das sie aus dem abschiedt widerumb gethan wurde. Unnd aber die geistlichen funff vorbehalt oder qualitates angezogen4: Achten sie, wo ein frei, unvergrifflich colloquium angestelt, were den ersten zwaien puncten oder vorbehalt schon abgeholffen. Dan so wenig den geistlichen gelegen, sich dem colloquio zu submittirn, also wenig auch diesen stenden will gebueren, sich dem concilio zu submittirn. /176/ Den dritten vorbehalt belangendt: Weren etliche subtile worter mit undergeloffen, nemlich das durch das colloquium das concilium nit begeben oder ausgeschlossen, und das volgents alle acta, verglichen und unverglichen puncten, ad concilium generale solten gebracht werden. Were irs ermessens inen abzulainen: Das man sich zuerinnern, warumb die augspurgischen confessions verwandten sich in ire concilia nit begeben noch dieselben besuchen mochten. Man liesse dieselben also beruehen und west sich in kein disputation derwegen mit inen einzulassen. Den 4. puncten, das es irem tragenden ambt und digniteten unverletzlich sein soll: Were abzulegen, das inen kein eintrag an iren einkhomen, auch ambten und digniteten, sovern sie dieselben recht gebrauchten, bescheen. Sollt es aber die meinung haben, das sie khein reformation gedulden und leiden mogen, so were das concil eben so wenig fruchtbar als das colloquium, dan sie sich daselbst auch nit wurden reformiren lassen. Und were ein offenbar anzeigung, das inen kein ernst, zu vergleichung Gottes wort zukhomen, sonder allein ir lehre und wesen zuverthedingen unnd zuerhalten. /176’/ Den 5. puncten: Were man mit inen einig. Derwegen ir guterachten, sich mit inen in khein disputation einzulassen, sonder anzuzaigen, die form zuhalten, wie sie auf hievorigen colloquiis gebraucht; und das man der anzall der personen sich mit inen vergliche. Vergleichungsmodus auf dem Kolloquium: Vorlage der CA und der Schmalkaldischen Artikel von 15375  mit dem Erbieten, falls die Gegenseite daran einichen mangl oder mißverstandt, das inen von unsern theologis ex sacra scriptura und derselben gemeß guter bericht gethon werden solt. Die Fruchtlosigkeit der bisherigen Kolloquien lag nicht an deren Präsidenten, Kolloquenten und Auditoren, sondern daran, dass von Ks. und Reichsständen kein consultation darauf furgenomen. Dieweil aber nuhn alle acta, was im colloquio gehandlet, kgl. Mt. und gemeinen stenden solten referirt und anbracht werden, were verhoffentlich, dieselben wurden zu baiderseits nach vollendtem colloquio die consultation /177/ furnemen und nit, wie vor alwegen bescheen, ad concilia schieben, auch also den sachen geholffen werden. So were den colloquenten einzubinden, nit lange ausfuerung und sermones zugebrauchen, und das effectus, auch finis colloquii dahin gestelt, das Gottes wort und desselben ehr gesucht und befurdert.

Umfrage. Kursachsen: Der Vorschlag des Kgs., das Kolloquium jetzt unmittelbar beim RT zu veranstalten, ist gar nit annemblich, und irs erachtens den geistlichen eben so wenig als diesen stenden. Das auch nit so gar eben auf die form der vorigen gehaltnen colloquia zutringen, dan dieselbigen nit gleich gehalten worden. Item das wortlein „frei“ hab in sich submissionem und gehore ad concilium; welches denen stenden zuwider. Colloquium aber hab kein submissionem: Sollen allein die presidenten unnd colloquenten frei gestelt werden. Derwegen sie nit fur rathsam angesehen, die freistellung anzuregen. Wollens doch auch nit hindern. /177’/ Item das colloquium unverpundtlich, unvergriflich soll gehalten werden, seie diesen stenden so woll als den geistlichen vorzubehalten und von noten. Gleichwoll vermercket man, sie das concilium gleich dem colloquio undermengen und das ditz colloquium allein ein preparatio zu einem concilio sein soll. Welches nit zu gestatten, [weil] damit sie einfueren, das verglichne und unverglichne sachen solten dem babst und concilio underworffen werden, darin habe zudefinirn6. Gleicher gestalt fueren sie mit dem vorbehalt, das es den geistlichen stenden an iren digniteten und ambten unverletzlich sein soll etc., dieses mit ein, das sie ir religion wollen salvam haben und nichts abweichen noch sich der sacra scriptura gemeß erzaigen oder weisen lassen. Darumb woll acht zuhaben, das nit zugelassen, etwas hineinzusetzen, so diesen stennden zuentgegen. Und achten, inen anzuzaigen, das ein colloquium unvergriflich und unverbundtlich durch etliche gotsforchtige, frome, schidliche und gelerte, in schriefft erfarner theologen in gleicher anzall, so aus der heiligen prophetischen schriefft, was derselben gemeß und nit zuwider were, colloquirten, /178/ so der religion kein decision noch determination sein solt, anzustellen. Dieselben colloquenten nachmals die acta und was allenthalben underredt und gehandlet, kgl. Mt., churfursten, fursten und gemeinen stennden des Heiligen Reichs getreulichen referiren und einbringen sollen, und alsdan beder religions stenndt dieser colloquenten bedencken, underredung und vergleichung halb unverbunden sein und inen frei stehn soll, demselbigen zu- oder abfall zuthun, anzunemen oder nit, sonder volgents verner berattschlagt werden, was beder, der verglichnen unnd unverglichnen articul halben, zuthun und wie soliche spaltige religion zu einem einhelligen, christlichen verstandt zubringen. Doch das in alweg der aufgericht religion friede bei crefften pleibe und gelassen werde. Vergleichungsmodus beim Kolloquium: Dass der Gegenseite die CA, inmassen sie anno 30 exhibirt, furgelegt und der schmalkaldischen7, auch anderer puncten geschwiegen werde, sonder anzuzeigen, da etwas verrer vonnoten, soll weittere erclerung gethan werden. In solicher erclerung khunten volgents die andern articull, so von noten, alle darmit [vorgelegt werden]. /178’/ Wie aber die forma anzustellen: Were irs erachtens den theologis khein maß zugeben, dan offtmals die notturfft erforderte, die sachen nach lengs auszufueren. Gleichwoll mochte gesetzt werden, das soliche ding schiedlich und mit der kurdz [!] gehanndlet und furgetragen wurden. Effect antreffend: Da soll allein Gottes ehr unnd nutz der kirchen angesehen werden.

Kurbrandenburg: Jetzt nur Beratung des morgigen Votums im Religionsausschuss. Wiewoll die gaistlichen das colloquium bewilligen, so ist doch zubesorgen, sie under dem 4. articul8 etwas tacite suchten. Derwegen erachten rathsam, morgen das jhenig, wie Sachsen angeregt, furzuwenden.

Pfalz-Zweibrücken: Wie Kurpfalz und Kursachsen.

Brandenburg-Küstrin: Ebenso.

/179/ Brandenburg-Ansbach: Wo das colloquium unvergrifflich, seie es auch den geistlichen an irem ambt und standt unverweislich. Item das es dem concilio one preiudicio seie, wirt durch den letzern anhang der geistlichen vorbehalt9 abgeschnitten, das die acta und was gehandlet, wider an alle stendt soll gebracht werden. Liesse ime derwegen gefallen, das man morgen sich mit dem widerteil dieser puncten verglichen.

Württemberg: Konigs furschlag in der resolution keins wegs zubewilligen10. Item kein articul one den andern soll erledigt werden, auch freistellung zuerlangen. Was der geistlichen funf weg oder vorbehelt belangendt, achten sie unvonnoten, mit inen zudisputiern. Solt inen nit gestat werden, vom concilio oder irer dignitet und ambt etwas zusetzen, sonder allein, das augspurgisch confession /179’/ furgelegt werde mit erbieten, daruber red und anntwurt zu geben.

Hessen: Wie Brandenburg-Ansbach.

Pommern: Anschluss an die übrigen CA-Stände.

Wetterauer Gff.: Wie Kurbrandenburg und Hessen. Zur Form des Kolloquiums wie Kurpfalz, Kursachsen und Württemberg.

Stadt Straßburg: Wie Kurbrandenburg und Kursachsen.

Stadt Regensburg: Ebenso.

Kurpfalz resümiert: Weitgehende Übereinkunft darin, die Freistellung im Ausschuss und im Zusammenhang mit dem Kolloquium nicht zu fordern, sondern sich nur vorzubehalten, das khein articul one den andern zubeschliessen. Bezüglich der Bedingungen der geistlichen Stände für das Kolloquium besteht im ersten und letzten Punkt11  ohnehin Einvernehmen; die andern fielen fur sich selbst. Wo sie aber darauf verharren wolten, kondt inen angezeigt werden, das man zugedencken, sie darunder etwas anders vermainten. /180/ Der theologen halben lassen sie inen gefallen, denselben kein maß gegeben, wiewol sie es in bevelch. Were doch anmanung zutun, sich freundlich und kurtzer reden zuverhalten.

Anmerkungen

1
  Kurmainz A, fol. 114–120’, hier bes. 114 f. [Nr. 327].
2
 Vgl. dazu die Beratung der CA-Stände am 13. 12. 1556: Kurpfalz C, fol. 167’–169 [Nr. 366].
3
 Nr. 503.
4
 Vgl. Anm. 1.
5
 Druck: Bekenntnisschriften, 31–137 (CA); 405–468 (Schmalkaldische Artikel).
6
 Vgl. Bericht der kursächsischen Gesandten an Kf. August vom 24. 1. 1557: Konzilsvorbehalt hat beim Kolloquium 1541 dazu geführt, das man die acta, auch die verglichene artickel im Reich ferner nicht zu eyniger vergleichung und annehmen bringen mogen, sondern alle handlung auf den babst widerumb gestalt, so daruber im concilio erkennen solt [vgl. Anm.15 bei Nr. 322]. Interpretiert man die jetzigen Voten namentlich von Bayern, Salzburg und Augsburg, so fordern sie erneut, das die endtliche cognitio auf der ordinaria potestati des bapsts steen und das colloquium alleine ein praeparation sein solt; also wan sie dardurch kein vorteil erlangten, das sie totam actionem alwegen per praesumptam ordinariam potestatem widerumb anhangen mechten (HStA Dresden, Loc. 10192/6, fol. 136–145’, hier 139’. Or.; präs. Dresden, 29. 1.).
7
 = die Schmalkaldischen Artikel von 1537 ( Bekenntnisschriften, 405–468).
8
 = ihrer am 14. 1. genannten Bedingungen für das Kolloquium (gemeint ist wohl die Amtsklausel).
9
 Erneute Bezugnahme auf die Bedingungen und Vorbehalte der geistlichen Stände für das Kolloquium.
10
  Hg. Christoph hatte Massenbach und Eislinger zuvor (Kirchheim, 10. 12. 1556) angewiesen, für einen Beginn des Kolloquiums möglichst noch während des RT zu votieren, damit die geistlichen spiren und sehen mögen, das alle befurderung desselben bei uns, und wir solhes gar nit zu protrahieren begern ( Ernst IV, Nr. 150 S. 221 f., Anm. 2). In der Weisung vom 4. 1. 1557 (Stuttgart) lehnte er die in der Replik des Kgs. [Nr. 428] implizierte Beratung durch den RT ab: Würde darauf von den CA-Ständen /361/ also pure unnd indistricte ynganngen werden, des will inn vil weg nicht allein propter causam ipsam principalem, sonnder auch kunfftige praeiudicia darmit zuverhüeten, ganntz bedencklich sein: Der kgl. Vorschlag könnte dahingehend interpretiert werden, dass nach der Festlegung der Vergleichswege im Religionsausschuss die Hauptverhandlung anschließend vor die Reichsstände gebracht und damit auch dem Kg. eingeräumt würde, /361’/ darinnen ferner vergleichung zu suchen. Es sei klar, dass die CA-Stände mit diesem Modus wegen der Mehrheitsverhältnisse in den Kurien und aufgrund der Konfession des Kgs. causae nostrae gravissimum praeiudicium zu erwarten hätten. Vorschlag für die Beantwortung der kgl. Replik: Da weder privatim im Religionsausschuss noch publice inn gemeiner Reichs consultation eine Vergleichung möglich ist, wenn nicht zuvor beide Teile mit ihren ausführlichen fundamentis unnd gründen gehört, bericht und gegenbericht geben unnd genohmen werden, soll dies auf einem Kolloquium erfolgen, sei es noch auf diesem RT oder später (HStA Stuttgart, A 262 Bü. 51, fol. 360–368’, hier 361–365. Or.; präs. 7. 1. Regest: Ernst IV, Nr. 203 S. 244–246). Vgl. Anm.3 bei Nr. 369.
11
 Unverbindlichkeit der Verhandlungen des Kolloquiums sowie Vorlage der Kolloquiumsakten vor Kg. und Reichsständen zur weiteren Beratung der Vergleichung.