Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb
Die Klärung der Absichten Karls V. im Hinblick auf den Reichstag stellte für Ferdinand I. einen wichtigen Aspekt dar, um seine eigene Position bei der Reichsversammlung zu definieren. Zwar erfolgte der nominelle Rücktritt Karls vom Kaisertum erst im März 1558, faktisch oblag Ferdinand die Regierungsverantwortung bereits im Laufe des Jahres 1556. Mit der zunächst vorübergehenden Übergabe der Administration des Reichs im Abschiedsmandat Karls V. vom 7. 9. 15561 verfügte er über dessen uneingeschränkte Vollmacht für die Reichsregierung und damit für die eigenverantwortliche Durchführung des Reichstags. Dagegen war in der Vorbereitungsphase seit Jahresbeginn noch nicht klar, ob und inwieweit Karl sich dafür engagieren, Verantwortung übernehmen und daran partizipieren wollte.
Zwar erwiesen sich die Ende 1555 kursierenden Gerüchte, der Kaiser wolle auf die Reise nach Spanien verzichten und persönlich am Reichstag teilnehmen, als „substanzlos“2, gleichwohl ging Ferdinand noch davon aus, dass er ihn im kaiserlichen Auftrag leiten sollte3. Noch am 6. 3. 1556 bat er Karl um Auskunft, ob dieser den Reichstag „(wie es dann das aller pesst unnd nutzigst wäre) aigner person besuechen oder, wo solches eurer L. unnd ksl. Mt. gelegenhait nit wäre, unns den in irem namen unnd an irer stat zuhallten auferlegen wellen.“ Von einer eigenverantwortlichen Leitung war nicht die Rede, vielmehr erbat Ferdinand die Abordnung kaiserlicher Kommissare nach Regensburg, falls Karl nicht kommen würde4. Der Kaiser machte aber unmissverständlich klar, dass er „unser offenbaren leibs ungelegenhait halben“ nicht kommen werde und Ferdinand den Reichstag wie 1555 in alleiniger Verantwortung führen möge. Die in Aussicht gestellten kaiserlichen Kommissare sollten ihm „räthlich unnd beystendig“ sein5. Wenig später widerrief Karl V. selbst diese limitierte Form der Teilnahme: Er lehnte die Abordnung der Kommissare wegen der problematischen Religionsdebatten ab und bekräftigte nochmals die uneingeschränkte Verhandlungsvollmacht des Königs, ohne dafür eine gegenüber 1555 erneuerte Instruktion auszustellen6. Damit oblag die Durchführung des gesamten Reichstags allein Ferdinand, obwohl die Regierung Karls V. formaliter zumindest bis zur Übergabe der Reichsadministration mit dem Abschiedsmandat vom 7. 9. 1556 andauerte7. Das Engagement des Kaisers für den Reichstag beschränkte sich auf zwei Mahnschreiben an die Kurfürsten und ausgewählte Fürsten, mit denen er den König im Bemühen um deren persönliche Anreise nach Regensburg unterstützte.
Die eigenen thematischen Vorbereitungen verknüpfte Ferdinand anfangs mit den Reichstagswerbungen zu Jahresbeginn 15568, die er bei den geistlichen Kurfürsten und einigen katholischen Fürsten ergänzte, indem er seine Gesandten Erasmus Heidenreich (Werbung bei Salzburg und Bayern)9 und J. U. Zasius (Werbung bei den geistlichen Kurfürsten)10 zusätzlich anwies, theologische Vorarbeiten für die Verhandlungen zum Religionsvergleich einzufordern und eine Tagung von katholischen Theologen vor dem Reichstag im Hinblick auf diesbezügliche Absprachen der CA-Stände bei einer in Naumburg geplanten Konferenz11 anzuregen. Damian Pflug sollte die Bischöfe von Naumburg und Merseburg daneben um ihr persönliches Kommen nach Prag bitten, um mit dem König die Religionsverhandlungen vorzubereiten12. Von den theologischen Fakultäten der Universitäten Wien und Freiburg im Breisgau sowie von Georg Witzel und Friedrich Staphylus erbat Ferdinand Gutachten für die Wege und Möglichkeiten der Religionsvergleichung. Beide sollten sich zudem zur Anreise nach Regensburg bereithalten13. Ebenfalls im Januar 1556 berief der König Petrus Canisius wegen der theologischen Vorarbeiten nach Wien14.
Die Initiative des Königs fand bei den geistlichen Kurfürsten eine nur sehr zurückhaltende Resonanz15: Die angeregte Theologenkonferenz vor dem Reichstag wurde aus terminlichen Gründen abgelehnt, möglich schien lediglich eine von Köln und Trier empfohlene Zusammenkunft der geistlichen Kurfürsten oder ihrer Theologen. Im Hinblick auf die Religionsvergleichung kritisierte Adolf von Köln die zu weitreichenden Zugeständnisse im Religionsfrieden, Daniel von Mainz berief sich auf dazu noch andauernde interne Beratungen. Da nachfolgend weder die avisierte Tagung der Kurfürsten noch ihrer Theologen16 zustande kam, waren die Bemühungen Ferdinands um die Einbeziehung der rheinischen Metropoliten in die theologischen Vorbereitungen gescheitert17. Auch Erzbischof Michael von Salzburg sah für die Theologenkonferenz vor dem Reichstag keine Möglichkeit mehr und verschob die Gespräche direkt nach Regensburg. Eine auf Österreich, Salzburg und Bayern eingeschränkte Tagung kommentierte er nicht. Herzog Albrecht von Bayern hingegen unterstützte diese kleinere Lösung ausdrücklich. Die Schuld für das Scheitern einer umfassenderen Zusammenkunft wies er dem geringen Eifer auf katholischer Seite zu, bei der es, um „die warhait zesagen, an dem gaistlichen stanndt selbß mer dan jemandts annderm“ mangle18. Die Bischöfe von Naumburg und Merseburg sahen aufgrund der derzeitigen Umstände im Reich keine Möglichkeit für Erfolg versprechende Religionsverhandlungen. Ausdrücklich warnten sie vor einem Kolloquium, da die CA-Stände aufgrund des Vorteils, den ihnen der Religionsfrieden verschaffe, nicht nachgeben und „inn ein horn blasen, die catholischen aber etzliche grosse herrn under ihnen haben, die ihnen verdächtig.“ Beide waren aber bereit, zum König nach Prag zu kommen19.
Von den theologischen Gutachten, die Ferdinand angefordert hatte, sind nur die Stellungnahmen Witzels und Staphylus’ überliefert. Georg Witzel legte sein Gutachten „Diaphora rei ecclesiastecae. Unnderschid zwischen den unainigen partheyen der strittigen religions sachen diser bösen zeit“20 noch vor dem Reichstag vor, während die „Consultatio Staphyli de mandato Ferdinandi Caesaris an concordia possit iniri cum Protestantibus“21 erst im Dezember 1556 entstand und damit nur formal zur Reichstagsvorbereitung des Königs gehört, sich inhaltlich aber bereits mit der Planung eines Religionskolloquiums beschäftigt.
Die Maßnahmen zu Beginn des Jahres 1556 ergänzte Ferdinand mit den Bemühungen an der Kurie um die Abordnung eines Legaten nach Regensburg22. Sodann setzte er seine Religionsvorbereitungen Mitte Oktober 1556 mit der Aufforderung an Staphylus und Witzel, die Bischöfe von Naumburg und Merseburg sowie den Augsburger Prediger Dr. Simon Scheibenhardt fort, wegen der Hauptverhandlungen zur Religionsvergleichung, die in der geänderten Konzeption Ferdinands unmittelbar beim Reichstag geführt werden sollten, bis 28. 11. 1556 nach Regensburg zu kommen23. Während Witzel und Staphylus daraufhin bis Mitte Dezember erschienen und Bischof Michael Helding von Merseburg am 21. 12. ankam24, ließ sich Bischof Julius Pflug von Naumburg auch nach einer weiteren Aufforderung des Königs25 krankheitsbedingt weiterhin von Bischof Helding vertreten26. Scheibenhardt war seit Mitte Januar 1557 an den internen Religionsberatungen auf königlicher Seite beteiligt27. Gleiches gilt für Petrus Canisius, der im Februar 1556 in Wien an der dortigen Reichstagsvorbereitung mitwirkte28, dann aber gemäß dem Auftrag des Papstes Kardinal Otto von Augsburg als dessen Berater zum Reichstag begleitete. Er reiste mit dem Kardinal bis Anfang Dezember 1556 nach Regensburg an, fungierte dort jedoch entsprechend einer neuerlichen Bitte Ferdinands vorrangig als dessen theologischer Beistand29 und daneben bis zu seiner Abreise Mitte März 1557 als Prediger am Regensburger Dom30.
Vorbereitende Maßnahmen des Königs für die anderen Themen neben der Religionsfrage, insbesondere das Türkenproblem, gibt die überlieferte Korrespondenz nicht zu erkennen. Freilich spielte die Türkenhilfe bei den Werbungen Ferdinands seit Anfang 1556 insofern eine zentrale Rolle, als er sie dabei als zusätzlichen Hauptartikel ankündigte. Ebenso stand die Türkenabwehr als Argument für die Verzögerung der Anreise des Königs und damit des Reichstags insgesamt im Mittelpunkt. Auch in der Proposition, zu deren Genese abgesehen von Teilen des Konzepts31 keine Unterlagen aufgefunden werden konnten, legte Ferdinand die kritische Entwicklung in Ungarn und Siebenbürgen ausführlich dar32, während er seine Kommissare in ihrer Instruktion lediglich auf diese umfassende Argumentation verwies.
Die Instruktion Ferdinands I. (Wien, 3. 7. 1556)33 behandelt als Kernpunkt der königlichen Vorbereitung alle erwarteten Themen des Reichstags. Sie ist ausgestellt für Graf Georg von Helfenstein, Erbtruchsess Wilhelm d. J. von Waldburg, Landvogt Georg Illsung und Dr. Johann Ulrich Zasius als Reichstagskommissare in Vertretung des Königs und zugleich als Repräsentanten des Hauses Österreich. Die Instruktion gibt eingangs die bevorzugte Beratung der Türkenhilfe vor und beruft sich ansonsten auf die Argumentation in der Proposition, um die dortige Steuerforderung durchzusetzen. Ergänzt werden der Zusatzantrag für die Steuerausfälle der Reichsmatrikel und die Bitte um eine beharrliche Unterstützung. Beide Punkte wurden später in der Triplik zur Türkenhilfe34 an die Stände gebracht. Bezüglich der übrigen Hauptartikel verweist die Instruktion zum Vollzug der Exekutionsordnung auf die Ansätze im Österreichischen Kreis und auf die Verabschiedung der Reichsmünzordnung 1551, bei der Ferdinand seine Bereitschaft signalisierte, die von den rheinischen Kurfürsten bedingten Ausnahmen von System der Doppelwährung35 zu akzeptieren.
Größere Diskrepanzen zur Proposition bestanden im Umgang mit der Religionsfrage36: War Ferdinand in der Proposition an den Reichsabschied 1555 gebunden, der die Führung der Hauptverhandlungen zur Religionsvergleichung bereits in Regensburg vorsah, so konnte er diese Vorgabe in der Instruktion variieren: Zum einen, indem er den Schwerpunkt des Reichstags auf die Türkenhilfe legte, und, damit verbunden, zum anderen, indem er seine Position in der Religionsfrage, wie sie in den Vorbereitungsmaßnahmen zu Jahresbeginn 1556 zum Ausdruck kommt, revidierte. Dazu bewogen den König neben den negativen Einschätzungen der geistlichen Kurfürsten und Fürsten für die Chancen einer Behebung der Glaubensspaltung wohl vorrangig die Empfehlungen Kurfürst Augusts von Sachsen bei der Absprache in Leitmeritz, die Religionsvergleichung beim Reichstag nicht in den Vordergrund zu stellen, um die primär notwendige Türkenhilfe nicht zu gefährden37. In der Instruktion begründete Ferdinand seine veränderte Strategie mit dem Argument, dass in Regensburg zur Religionsvergleichung „nit woll etwas fruchtpars gehanndlt werden muge“, da die geistlichen Stände sich aufgrund der bekannten Haltung des Papstes kaum darauf einlassen würden38 und einige CA-Stände verlauten ließen, man möge diese Verhandlungen besser aufschieben39. Deshalb sollten seine Kommissare unter Hinweis auf die Absenz der Kurfürsten und eines Großteils der Fürsten dafür plädieren, die Religionsfrage an eine künftige Reichsversammlung zu prorogieren. Nur falls die Reichsstände auf dem Vollzug des Passauer Vertrags und des Reichsabschieds 1555 beharrten, sollten sie deren Vorschläge für Wege zur Vergleichung anhören.
Die Kommissare mussten Ferdinand darauf hinweisen, dass er im Hinblick auf die Haltung der CA-Stände einer Fehleinschätzung unterlag, da diese sehr wohl auf Religionsberatungen drängen würden. Deshalb werde ihnen die Instruktion „nicht ad satisfactionem dienlich sein“: Votierten sie für die Prorogation, „so wüsten wir und sehen es vor unsern augen, wz unlust, widerwillen und höchstes mißvertrauen dardurch auff euer Mt. von und bey allen confessionistischen erwachsen wurde, und also nitt allain die türggenhilff gar gesperrt oder doch verlengert, sonnder auch bald ain endschafft an dem reichstag gemacht werden möcht mitt dem, dz die confessionistischen stracks auffzusitzen und darvon zureitten sich understeen wurden.“ Da sich die Kommissare nochmals nachdrücklich gegen eine von ihnen ausgehende Aufgabe der Vergleichsverhandlungen aussprachen, auf eine Modifizierung ihrer Instruktion drängten40 und darauf beharrten, dass mit einem Votum Österreichs für die Prorogation dem König „neue verdächtlicheit, unwillen unnd andere beschwerliche weitterung mehr zueflüessen wurd“41, erteilte Ferdinand in den folgenden Weisungen seine Zustimmung zur Änderung der Instruktion in diesem Punkt und folglich der gesamten Konzeption für die Religionsverhandlungen42. Damit verband er die oben erwähnten Maßnahmen zu deren Durchführung unmittelbar beim Reichstag.