Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 10. Der Reichstag zu Worms 1509 bearbeitet von Dietmar Heil

[1.] Votum des Frankfurter Kapiteltages gegen einen militärischen Konflikt und für einen friedlichen Ausgleich mit Polen; [2.] Kritik an der Abreise des Hochmeisters aus Preußen.

Berlin, GStA, OBA 19259, fol. 1–4’, 5–6’ (Kop., Dorsalverm.: Des teuchsen [!]meisters geschigkten zu Worms anbringen.).

[1.] Der Hochmeister hat ihn, Stockheim, zuerst durch den Komtur zu Koblenz, Ludwig von Seinsheim, und später [im August 1508] in Marburg über die von Polen ausgehende Gefahr für den Orden informiert und für den Kriegsfall seine Unterstützung zur Verteidigung Preußens erbeten. Vor kurzem hat er durch den Spittler von Königsberg, Georg Truchseß, außerdem um die Bereitstellung von 50 Kriegsknechten als Besatzung der Ordensschlösser und -städte, um seine persönliche Beteiligung bei der Abwehr eines polnischen Angriffes auf Preußen und um Angaben über die militärische Stärke der deutschen Ordensgebiete gebeten.2

Über diese wichtige Angelegenheit hat er am 6. Mai (suntag cantate)auf einem Kapiteltag in Frankfurt mit seinen Gebietigern beraten: Im Falle eines Krieges mit Polen steht aus folgenden Gründen der Verlust der Ordenslande und der Untergang des Ordens zu befürchten: 1. Der polnische Kg. ist mächtig. Auch würde Kg. [Wladislaw] von Ungarn-Böhmen seinen Bruder sicherlich nicht im Stich lassen. 2. Dem preußischen Ordensland fehlt es demgegenüber an Geld, Kriegsausrüstung, Proviant und Leuten. 3. Der polnische Kg. verhandelt über einen Ausgleich mit Moskau und versucht, es zum Angriff auf Livland zu bewegen, sodass der Ordensmeister [Wolter von Plettenberg] Preußen im Kriegsfall nicht unterstützen könnte. 4. Die Gesandten des Deutschmeisters haben dem Hochmeister kürzlich in Marburg die durch lange Kriege verursachte Erschöpfung der deutschen Ordensgebiete dargelegt. Seit vielen Jahren werden diese durch Kss., Kgg. und Reich zunehmend für Heerzüge, Reichsanschläge und die Teilnahme an Reichstagen in Anspruch genommen. Dazu kommen Beeinträchtigungen durch andere Ff. Die Ordenshäuser sind verarmt. Die Hilfe der deutschen Ordensländer wird also im Konfliktfall wenig nützen. 5. Die von [Georg] Truchseß mitgeteilten Stellungnahmen der [um Beistand gebetenen] Ff. lassen ebenfalls keine Hilfe erwarten.36. Die erbetene Abordnung von 50 Knechten zur Besetzung von Städten und Schlössern in Preußen wäre dem Orden dort voraussichtlich sowohl militärisch als auch diplomatisch gegenüber Polen eher nachteilig als nützlich.

Die [in Frankfurt] versammelten Landkomture haben deshalb folgende Antwort an den Hochmeister beschlossen: Dieser soll dem Papst, dem Kaiser, den Kff., Ff., Gff. und anderen Reichsständen die schwierige und mit Hinblick auf Polen ungeachtet aller Verhandlungsangebote unverändert bedrohliche Situation des Deutschen Ordens schildern. Der Orden sei eine Stiftung des deutschen Adels und diene zu dessen Versorgung. Die Adressaten sollten bedenken, welche Bedeutung ihm dadurch für die deutsche Nation und den Adel zukomme. Der Orden sei zu einem rechtlichen Austrag vor Papst, Ks., Kff., Ff., Gff. und Reichsständen bereit. Diese sollten deshalb nicht zulassen, dass er durch Polen ausgelöscht werde, sondern sich des Konflikts annehmen, die Voraussetzungen für einen einvernehmlichen Ausgleich herstellen und bis zu dessen Abschluss einen Waffenstillstand vermitteln. Sollten die genannten Ansprechpartner dafür nicht zu gewinnen sein – oder sollte Polen Verhandlungen verweigern –, müsste militärische Unterstützung beantragt werden. Aller Voraussicht nach würde auch diese verweigert. Keinesfalls sollte sich der Orden dessen ungeachtet in einen Krieg einlassen, sondern sich alternativ um den Abschluss eines annehmbaren Vertrages bemühen. Für den Fall, dass auch dieser Schritt misslingt und das Ordensgebiet angegriffen wird, sagen der Deutschmeister und die Gebietiger eine Geldhilfe von 12 000 fl. zu. [Weitere Angelegenheiten des Ordens].

[2.] Der Hochmeister hat dem Deutschmeister durch Ludwig von Seinsheim und später in Marburg seine Gründe für seine Abreise aus Preußen dargelegt. Sie, Deutschmeister, Landkomture und Ratsgebietiger, können seinen Entschluss nachvollziehen, sind aber dennoch nicht damit einverstanden: Es stehen wichtige Entscheidungen an, die das Zusammentreten eines Großkapitels erforderlich machen. Der Ks. sowie Kff., Ff., Gff. und die Reichsritterschaft haben von einer Reise eines der Ordensmeister4nach Preußen abgeraten, wo sich der polnische Kg. seiner Person bemächtigen könnte. Sollten sich die drei Ordenshäupter dort treffen, wäre zu befürchten, dass der polnische Kg. sie dazu zwingen könnte, beim Papst die Konfirmation des [Thorner] Friedens zu erwirken, gegen welchen Schritt sich die Vertreter des deutschen Ordensgebiets bislang ausgesprochen haben. Es wurde deshalb erwogen, das Großkapitel in Greifswald oder Stettin abzuhalten. Dennoch wurde bei den Beratungen die Abreise des Hochmeisters aus Preußen keinesfalls für gut befunden. Denn seine Abwesenheit ist der Grund für die wiederholte Verschiebung des Großkapitels. Auch würde seine Anwesenheit den Menschen dort Trost spenden. Der Hochmeister hat vor einiger Zeit auch die Koadjutorie des Erzstifts Magdeburg angenommen. Falls sich diese Neuerung für den Orden als nachteilig erweisen sollte, können sie sich nur damit rechtfertigen, dass sie vorab nicht informiert wurden.5[Weitere Ordensangelegenheiten].

Anmerkungen

1
 Der Vortrag der beiden Gesandten erfolgte nach dem 25.5., dem Datum der Ankunft HM Friedrichs in Worms [Nr. 477, S. 701, Anm. 11].
2
 Vgl. Nr. 132, S. 271, Anm. 1.
3
 Laut Bericht Georgs von Eltz an die preußischen Regenten hatte etwa Kf. Joachim von Brandenburg den Gesandten Georg Truchseß mit der vagen Antwort beschieden, er gedenke, den Hochmeister mit trostlicher hulf und beystant nit zu verlasen. Auch Hg. [Bogislaw] von Pommern habe eine gnedige und trostlich antwortgegeben (undat. Kop., [nach dem 22.1.1509]; GStA Berlin, OBA 19256, unfol.). Hg. Wilhelm von Bayern hatte sich gegenüber Truchseß mit der Abwesenheit seiner Räte entschuldigt (Antwortschreiben HM Friedrichs an Hg. Wilhelm, Kop. [Rochlitz], mentag in ostern[9.4.]1509; GStA Berlin, Ordensfoliant Nr. 26, pag. 175–176; Matison, Politik, S. 434 Anm. 2). Laut einem am 12.6. vor den preußischen Regenten gehaltenen Vortrag seines Gesandten Hans von Schönberg hatte der Hochmeister sämtliche Kff. und Ff. des Reiches durch Gesandte aufsuchen und um Hilfe bitten lassen. Es sei ihm geraten worden, am ksl. Tag in Worms teilzunehmen (act. dinstags nach corporis Christi; GStA Berlin, Ordensfoliant Nr. 28, pag. 22–24, hier 22).
4
 = Hochmeister Friedrich von Sachsen, der Ordensmeister in Livland, Wolter von Plettenberg, und der Deutschmeister Hartmann von Stockheim.
5
 HM Friedrich war am 2.12.1504 zum Koadjutor gewählt worden. Am 11.4.1505 nahm er die Wahl unter dem Vorbehalt an, dass der Papst ihm die Ausübung beider Ämter genehmigen würde und für den Orden daraus keine Nachteile entstehen dürften. Das Mergentheimer Kapitel hatte im Februar 1505 vor den mit diesem Novum verbundenen negativen Konsequenzen gewarnt. Am 16.9.1506 bestätigte Papst Julius die Wahl. Vgl. Matison, Politik, S. 345–349; Rogge, Ernst, S. 95.