Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 10. Der Reichstag zu Worms 1509 bearbeitet von Dietmar Heil
Die zweifellos aufsehenerregendste Entscheidung des Reichstages war die erstmals vollständige Verweigerung einer Reichshilfe für den Kaiser. Auf die militärischen Geschehnisse des Sommers 1509 in Oberitalien hatte diese Entscheidung jedoch kaum Auswirkungen. Maximilian hatte, wie gezeigt, bereits alternative Ressourcen erschlossen. Selbst im Falle eines Hilfsbeschlusses wäre das Reichskontingent wohl zu spät auf dem Kriegsschauplatz eingetroffen und auch zu klein gewesen, um zu verhindern, dass die kaiserlichen Truppen bereits wenige Wochen nach Beginn des Feldzugs in die Defensive gerieten und von allen vorübergehenden Zugewinnen nur Verona behauptet werden konnte. Gravierender waren die reichspolitischen Konsequenzen. Maximilian selbst versuchte noch in einer vom 14. Juni datierenden Resolution (Nr. 482/III) die ständischen Argumente zu widerlegen. Sie traf jedoch erst nach Ende des Reichstages, am 21. Juni, in Worms ein. Die Stände und auch die kaiserlichen Kommissare mit Ausnahme der am Reichskammergericht verbliebenen Nassau und Storch waren bereits abgereist. Von Worms aus wurde die Erklärung wenigstens den wichtigsten auf dem Reichstag anwesenden oder vertretenen Reichsfürsten nachgeschickt (Nr. 486). Ohnehin zeigt eine Analyse des Stücks, dass es von vornherein nicht als Reichstagsschriftgut, sondern als – von Halbwahrheiten und Verdrehungen keineswegs freie – Rechtfertigung der kaiserlichen Politik und Diskreditierung der ständischen Opposition gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit148 angelegt war. Bereits vom 26. Juni datiert deshalb die dann ab Juli im Reich verbreitete Druckfassung. Damit verbunden war eine Änderung der kaiserlichen Informationspolitik. Hatte der Kaiser bislang den Papst als Initiator der antivenezianischen Liga hingestellt, schrieb er das Verdienst für deren Gründung nunmehr sich selbst zu (Nr. 482, Pkt. 7) und konstruierte damit eine gesteigerte Verpflichtung zum Vollzug des Bündnisvertrags. Die habsburgische Propaganda149 wie auch der Kaiser selbst bei den Verhandlungen mit den Verbündeten definierte dabei als Kriegsziel nicht weniger als die Vernichtung Venedigs. Auch die anfänglich verfolgte Linie, die übrigen europäischen Mächte und vermutlich auch die Anfang Juni in Sterzing versammelten Tiroler Stände über die Verweigerung des Reichstages im Unklaren zu belassen150, wurde mit dem gedruckten Ausschreiben aufgegeben. Wichtiger erschien es der Reichsregierung, Druck auf die einzelnen, der Eigendynamik der Reichsversammlung wieder entzogenen Stände auszuüben. Ähnliche Misserfolge sollten für die Zukunft möglichst ausgeschlossen bleiben. Doch hatte sich ohnehin zumindest bei einem Teil der nach Ende des Reichstages wieder jeweils alleine mit dem Kaiser konfrontierten Ständen, vor allem natürlich den Reichsstädten, bereits erkennbares Unbehagen über die brüske Zurückweisung der kaiserlichen Hilfsforderung und ihre möglichen Konsequenzen für das Verhältnis zum Reichsoberhaupt eingestellt.151 Noch vor Eintreffen des kaiserlichen Ausschreibens vom 14. Juni hatte etwa Nürnberg seinen Residenten am Kaiserhof angewiesen, etwaige Schuldzuweisungen an die Stadt hinsichtlich der Hilfsverweigerung zu dementieren, und zwei von Maximilian für den Venezianerkrieg angeforderte Büchsenmeister auf den Weg geschickt. Im August berieten die Schwäbischen Bundesstädte, ob sie, wie bereits einige Reichsfürsten und offenbar auch die Stadt Augsburg, eine freiwillige Kriegshilfe leisten sollten (Nrr. 474, Pkt. 4; 487; 496–499). Der Kaiser griff die verbreitete Verunsicherung geschickt auf. Mit Ausschreiben vom 31. August ersuchte er eine Reihe von Ständen um Gewährung einer Kriegsanleihe.152 Sogar der kaiserferne Joachim von Brandenburg stellte für die Entlastung von der Verantwortung für die Desavouierung des Reichsoberhaupts durch den Reichstag die Zahlung der geforderten 2000 Gulden in Aussicht (Nr. 501).153
Die vom Kaiser veranlasste und vom Reichstag ratifizierte Verlegung des Reichskammergerichts von Regensburg nach Worms (Nr. 303, § 8) stellte in dessen Entwicklung eine tiefere Zäsur dar, als bislang vermutet. Der Umzug nach Worms markierte nach wechselhaften Anfängen und zeitweiliger Stagnation die Sicherung des Neubeginns von 1507 und leitete zugleich eine immerhin zehnjährige, beinahe ununterbrochene Kontinuität ein, in der sich diese Institution trotz aller im Einzelnen fortbestehenden Mängel entscheidend stabilisieren konnte. Mit dazu beigetragen hat wohl der mit dem Umzug verbundene personelle Wechsel auf allen Ebenen. Mit dem Aufenthalt in Regensburg endete auch die unruhige Amtszeit Bischof Wiguläus’ von Passau als Kammerrichter. Auf dem Wormser Reichstag übernahm Graf Adolf von Nassau als Nachfolger des interimistisch amtierenden Grafen Adam von Beichlingen bis zu seinem Tod im Juli 1511 das Kammerrichteramt (Nr. 303, § 2). Ihm folgte Graf Sigmund von Fraunberg zum Haag (1512–1518) nach, bezeichnenderweise ebenfalls einer der kaiserlichen Reichstagskommissare von 1509. Auch im Kreis der Assessoren gab es einige Neubesetzungen: Augustin Lösch (Bayerischer Kreis) und Anton von Emershofen (Kurbrandenburg), gegen dessen Abberufung durch Kurfürst Joachim der Kammerrichter bis dahin Widerstand geleistet hatte, schieden im Zusammenhang mit dem Umzug des Gerichts aus (Nrr. 112, Pkt. 2; 293, Pkt. 3; 505, Anm. 1). Sebastian Schilling (Schwäbischer Kreis) war bereits im März ausgetreten. Bei der offiziellen Wiedereröffnung des Gerichts im September (Nrr. 303, § 9; 304; 503) kündigten Dietrich von Lautern (Kurtrier), Georg Besserer (Kursachsen) und Arnold von Rymerstock (Kurköln) ihr Dienstverhältnis auf (Nr. 293, Pkt. 3). Für die fälligen Neubesetzungen war während des Wormser Reichstages Vorsorge getroffen worden (Nr. 303, §§ 4–7). Ebenso waren für 1509 mehr als in den Jahren zuvor neue Zulassungen von Prokuratoren und Advokaten zu verzeichnen.154 Die Kanzleischreiber wurden anlässlich des Umzugs am 23. April entlassen und nur zum Teil in Worms wieder eingestellt.155 Insgesamt kam der personelle Wechsel ungeachtet aller fortbestehenden strukturellen Defizite und Missstände dem Gerichtsbetrieb augenscheinlich zugute.156 Nicht zuletzt wurde die weitere Finanzierung des Gerichts durch einen neuen, in den folgenden Jahren jeweils neu aufgelegten Anschlag wenigstens notdürftig gesichert. Da die jährlichen Einnahmen aus dem Kammerzieler nur eine Quote von durchschnittlich ca. 60 Prozent gegenüber dem nominalen Ertrag von 11 556 Gulden erreichten157, blieb das Gericht existentiell auf das ihm 1507 zugebilligte158, allerdings unsichere Aufkommen an Kanzleigebühren und fiskalischen Gefällen angewiesen.
Der von den Deputierten in Worms beschlossene Reichsmünztag159 trat tatsächlich pünktlich zum vorgesehenen Termin Anfang September in Frankfurt zusammen, war allerdings nur schwach besucht (Nrr. 523, Pkt. 20; 524, Pkt. 1). So blieben Kursachsen und Kurbrandenburg fern. Analog zum Reichstag fanden die eigentlichen Sachverhandlungen in einer Art interkurialem Ausschuss statt (Nr. 517, Pkt. 1). Eine maßgebliche Rolle in Frankfurt spielte der Kurtrierer Rat Jakob von Mertloch (Nrr. 517, Pkt. 2; 518, Pkt. 2). Der Ausschuss führte mit ernüchternden, vermutlich aber wenig überraschenden Ergebnissen eine Probation der im Reich gängigen Goldmünzen durch (Nr. 520). Nach zehntägigen Beratungen verabschiedete der Münztag eine Reihe von zukunftsweisenden Beschlüssen (Nr. 523), deren Genese durch die wenigen vorliegenden Gesandtenberichte leider nur unzureichend erhellt wird. Unstrittig war es offensichtlich, die Guldennorm des kurrheinischen Münzvertrags von 1490160 beizubehalten. Die Goldgulden sollten überdies, wie schon 1495 vorgesehen161, eine einheitliche Vorderseite erhalten. Aufgrund der festgestellten Vielzahl unterwertiger Prägungen sah sich der Münztag außerdem zur Erstellung einer ausführlichen Probationsordnung und zur Festlegung von Strafen gegen falschmünzende Stände und deren Personal veranlasst. Außerdem sollte ein Ausfuhrverbot für Edelmetalle verhängt werden. Als institutionelle Basis für das Reichsmünzwesen waren sechs Reichskreise vorgesehen, deren Zusammensetzung unter Einbeziehung der kurfürstlichen Territorien und Österreichs an die Augsburger Regimentsordnung von 1500 angelehnt war. Die von den kaiserlichen Vertretern Graf Adolf von Nassau und Johann Storch versuchte Einigung über die Silbermünzen gelang hingegen nicht (Nrr. 519, 522). Überhaupt blieb der Frankfurter Münzordnung trotz unbestreitbarer Fortschritte gegenüber der Ordnung von 1498162 zunächst jegliche Wirkung versagt. Die münzpolitischen Differenzen zwischen den Territorien waren so einfach nicht zu überbrücken. Sowohl die Ratifizierung der Münzordnung durch den Kaiser als auch ihre Annahme durch die Münzstände unterblieben deshalb. In den ständischen Münzordnungen und -verträgen der folgenden Jahre wurde sie übergangen. Zwar berief Maximilian noch den vorgesehenen Münztag nach Augsburg ein, doch wurden dort weitere Beratungen lediglich auf den nächsten Reichstag verschoben.163 In Trier und Köln 1512 verzichtete man dann jedoch aufgrund der Überlastung des Reichstages mit anderen Themen auf Beratungen zum Münzwesen. Trotz des tragfähigen Entwurfs von 1509 gelang in der Regierungszeit Maximilians I. keine Entscheidung mehr zur Lösung der Missstände beim Münzwesen.164 Die Stände waren weiterhin auf zwangsläufig unzureichende territoriale Ordnungen oder regionale Vertragssysteme angewiesen. Kurz nach dem Münztag setzten etwa die rheinischen Kurfürsten die in Worms eingeleiteten Bemühungen um eine Erweiterung ihrer Münzeinung fort. Zuerst trat im Oktober 1509 Hessen bei (Nrr. 535f.). Nur bei den Fachleuten blieb die Frankfurter Ordnung präsent. Noch auf dem Wormser Reichstag von 1545 wurde sie als Beratungsgrundlage herangezogen.165
Die Bilanz des Wormser Reichstages von 1509 ist somit insgesamt bescheiden. Nur für die Geschichte des Reichskammergerichts kommt ihm einige Bedeutung zu. Die vollständige Verweigerung der geforderten Reichshilfe war gewiss spektakulär, Maximilian I. hatte dieses Ergebnis jedoch maßgeblich mitverschuldet. Dem politischen Gewicht Friedrichs des Weisen und seiner überlegenen Reichstagsregie hatten der abwesende Kaiser und seine ohnmächtig agierenden Kommissare wenig entgegenzusetzen. Doch hätte auch die Bewilligung einer Reichshilfe den letztlichen Misserfolg des Italienfeldzugs von 1509 nicht verhindern können. Ausschlaggebend waren militärische Fehlentscheidungen und die Zurückhaltung der Verbündeten, die ihre Kriegsziele realisiert hatten, bevor Maximilian überhaupt den Kriegsschauplatz erreichte. Im Nachhinein betrachtet bestand der entscheidende Fehler des Kaisers doch darin, das überaus entgegenkommende Friedensangebot Venedigs im Juni 1509 ignoriert166 und den absehbaren Bruch des Bündnisses mit Frankreich in ungewohnter Paktloyalität noch bis Juni 1512 hinausgezögert zu haben.