Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 11. Die Reichstage zu Augsburg 1510 und Trier/Köln 1512 bearbeitet von Reinhard Seyboth
Nr. 231 Ratschlag EB Jakobs von Trier und ksl. Räte zum Konflikt zwischen Bf. Hugo von Konstanz und Abt Markus von Reichenau
[1.] Auftrag des Ks. an EB Jakob von Trier und ksl. Räte zur Erstellung eines Ratschlags, um den Konflikt zwischen Bf. Hugo von Konstanz und Abt Markus von Reichenau zu lösen; [2.] Problematische Auswirkungen der Zuständigkeit des Heiligen Stuhls für das Kloster Reichenau in geistlichen Dingen; [3.] Lösungsvorschläge vor dem Hintergrund einer drohenden Hinwendung der Rst. Konstanz zu den Eidgenossen.
[Augsburg], 12. März 1510
Innsbruck, TLA, Parteibriefe 2586, fol. 7a-10a, Orig. Pap.
[1.] Als uwer ksl. Mt. mir, Jacoben, EB zu Trier etc., zusambt iren zugeordenten reten, die irronge, so sich zuschen [= zwischen] dem Bf. von Costents [Hugo von Hohenlandenberg] an eynem und dem erwelten abt in der Reichenauwe [Markus von Knöringen] andern teiln halten, an derselben uwer ksl. Mt. statt zu verhoren, beyde teile vor uns zu erfordern und von der clagender partey, dergleichen von dem andern teiln die antwort in schryften zu empfahen und die parteyen sunst gegeneynander müntlich ader in reden wyter nit zu verhoren, sunder, so die sachen in schryften ubergeben, eynen raitschlag daruber zu machen und zu fassen und denselben uwer ksl. Mt. furzuprengen, durch eyne commission bevolhen hait, darauf geben derselben uwer ksl. Mt. wir underteniglich zu vernemen, das wir in craft solicher commission die schryften von beyden teiln empfangen, dieselbigen mit vleis uberlesen, uns daruf underredt und nachgeschrieben meynonge und raitschlage uwer ksl. Mt. anzuzeigen entschlossen haben:
[2.] Nachdem das vurgenannt goitzhuys Richenauwe in der geistlicheid an mittel dem Hl. Stule zu Rome underworfen und der erwelter abt daselbs den kriege und rechtfertigonge wider den Bf. zu Costents angefangen hait, daselbs dann die sache noch ungeendet hanget, dahyn sich der Bf. zu remittiern und zu pleiben begeret, das dan soliche rechtfertigonge zu Rome usgetragen und geendet werden moege. Doch dweile das gedachte gotzhuys Reichenauwe in der weltlicheid uwer ksl. Mt. und dem hl. Reiche, auch huys Osterreich als castenvoigt und herre sunder mittel underworfen ist, so erwegen wir guter, underteniger meynonge, woe die sachen dermaiß in anegefangener rechtfertigonge zu Rome pleiben und daselbs geendet werden sulten, besorgen wir, das der erwelte abt die mit den gotzhuys- und nit synen eygenen gutern verteidingen und die sachen us viel gegrundten ursachen, die woil anezuzeigen weren, verlieren [wird]. Das dann dem gotzhuys, das gar verdorben ist, zu mehrem verderblichen schaden kommen und langen wurde.
[3.] Und soliches zu furkommen, dweile euer ksl. Mt., dem hl. Reiche und huys Osterreich an diesem handel viel gelegen wyl syn, des dieselben euer ksl. Mt. vor uns gut wissens tregt, woe dan der Bf. von Costents mitsampt syme capitel dahyn zu vermoegen weren, das slosse, stette und alles das, so er am Bodensehe hait, darzu die Reichenauwe in uwer ksl. Mt. und des huys Osterreichs schirme, vereynunge und büntnis verpflichtet und getan würden, als hoffenlich ist, und darzu der Bf. eyne bevestigonge uf der Reichenauwe machet und buwet und uwer ksl. Mt. dieselbige als castenvogt und herre alweg nach noitturft besetzen moecht, das dan uwer ksl. Mt. unsers bedunkens woil annemlich und zu bedenken syn wyl, us ursachen, so uwer ksl. Mt. gut wissens tregt, wie es umb die von Costents eyn gestalt hait und zu besorgen ist, dweile man inen alzeit gelt vur dasjene, so sie uwer ksl. Mt. und dem hl. Reiche schuldig syn, geben und bezalen muß, dieselbige ire eyde und pflicht mit gelde zu underhalten, was grunds daruf zu setzen sy. So nu die Reichenauwe dermaiß bevestigt, darzu der Bf., Merspurg und anders, so am Bodensehe lygt, in uwer ksl. Mt., des Reichs und huys Osterreiche schirme, vereynongen, büntnis und des Reichs anschlegen weren, achten wir, das die von Costents eher damit zu behalten [sind], das sie nit zu den Eydgnossen fallen, dan mit den andern vur anegezeigten wegen, us der ursachen, das sie des landes hie dieseits Bodensehe in kainen weg geraten moegen.
Darumb erwegen wir auch, das uwer ksl. Mt. wole wege moege finden, den erwelten abt und syne conventbruder zu stillen mit pfarren und provisionen, so sie noch haben, und gemelten Bf. und capitel zu yrer Mt., dem hl. Reiche und huys Osterreich, wie vor anegezeigte, zu ziehen und zu verfassen, damit die marken gegen den Eydgnossen und Switzer dermaß mit noitturft versehen [werden], das uf der von Costents teglich trauge [= Bedrohung] vurtracht [= Vorsorge getroffen] und versehen werde. Dan zu besorgen, das Costents die lengde als wenig als Basel zu behalten, es ist dan mit markten und festinonge dermaiß versorgt und bevestigt, deren sie nit entraten konnen, ire naronge, als nemlich am undern und obern sehe, teglichs zu haben.
Dis alles geben derselben uwer ksl. Mt. wir als die gehorsame uf ire bevelhe underteniglich zu vernemen, die diese handlong wyter dan wir woil zu bedenken weiß. Actum am 12. tag Marcii Ao. etc. decimo.
Nr. 232 Vertrag Ks. Maximilians mit Bf. Hugo von Konstanz über die Abtei Reichenau
Augsburg, 20. Juni 1510
Orig. Perg. m. S. ( p.r.p.s.; a.m.d.i.p.; Gegenzeichnung: Serntein): Karlsruhe, GLA, Abt. D Nr. 1132.
Kop.: Wien, HHStA, AUR 1510 VI 20.
[1.] Ks. Maximilian bekundet, daß er in Würdigung der treuen Dienste, die Bf. Hugo von Konstanz und das dortige Domkapitel ihm und früheren Ehgg. von Österreich geleistet haben und wohl noch leisten werden, sowie in Anbetracht der gutnachbarschaftlichen Beziehungen beider Seiten folgenden Vertrag mit dem Bf. geschlossen hat:
[2.] Stimmt angesichts der Differenzen zwischen ihm als Kastenvogt der Abtei Reichenau und Bf. Hugo von Konstanz zu, daß dieser in den kommenden zehn Jahren die Abtei Reichenau mit sämtlichen Zugehörungen völlig ungehindert innehaben und gebrauchen, zudem dort einen ihm unterstehenden Konvent unterhalten darf. Ksl. Kommissare werden bei der Übergabe der Abtei an den Bf. deren Zustand protokollieren. Die beiden Konventmitglieder (N.) von Knöringen und (N.) Reisacher werden auf Kosten der Abtei angemessen versorgt, müssen aber dafür auf alle weiteren Ansprüche verzichten. Über ihre unverglichenen Differenzen mit Bf. Hugo wird ein ksl. Schiedsspruch entscheiden, dem der Bf. Folge zu leisten hat.
[3.] Im Gegenzug hat sich Bf. Hugo zusammen mit dem Konstanzer Domkapitel und der Abtei Reichenau mit ihren sämtlichen Besitzungen, die sie in der Rst. Konstanz, auf der Insel Reichenau und diesseits von Rhein und Bodensee haben oder noch erlangen werden, in den unbefristeten Schutz und Schirm des Ks. und seiner Erben als regierenden Ehgg. von Österreich sowie Inhaber der Gft. Tirol und der vorderösterreichischen Länder begeben. Sie müssen für immer auf den Ks. und dessen Erben ihr Aufsehen haben und dürfen keinen anderen Schutz und Schirm und kein Burgrecht annehmen, das diesem Schutz zuwiderläuft. Sollte irgendjemand den Ks. oder seine Erben in der Gft. Tirol oder in Vorderösterreich gewaltsam attackieren, müssen die Genannten und ihre Verwandten auf Ersuchen sofort zuziehen und nacheilen, als seien sie selbst betroffen. Dabei zurückgewonnenes Gut fällt an seine früheren Besitzer. Erwächst aus dem Konflikt ein täglicher Krieg, müssen die Genannten auf eigene Kosten fünfzig Fußknechte drei Monate lang als Zusatz stellen. Werden diese länger benötigt, übernimmt der Ks. ihren Unterhalt. Feinde des Ks. dürfen nirgendwo beherbergt werden, sondern sind zu bestrafen.
[4.] Bf., Domkapitel und Abtei haben in allen ihren Städten, Schlössern und Ortschaften diesseits von Rhein und Bodensee dem Ks. und seinen Erben auf deren Kosten jederzeit und in allen Angelegenheiten unbeschränkten Zugang zu gewähren.
[5.] Der Ks. hat den Papst, jeden anderen röm. Ks. und Kg. sowie den Schwäbischen Bund ausgenommen, während Bf. und Domkapitel ebenfalls den Papst, ferner das Reich sowie ihre gegenwärtige Vereinigung mit den Eidgenossen ausgenommen haben.
[6.] Der Ks. und seine Erben werden für alle Zeiten als Schirmherren Bf. Hugos, des Domkapitels und der Abtei Reichenau sowie aller ihrer Besitzungen in der Rst. Konstanz, auf der Insel Reichenau und diesseits von Rhein und Bodensee fungieren, ihnen drei Monate lange mit fünfzig Berittenen beistehen, ihnen gleichfalls Öffnung von Schlössern und Städten gewähren, sie im Gebrauch ihrer sämtlichen Freiheiten, Rechte und alten Gewohnheiten handhaben, ihrer in weltlichen Angelegenheiten vor dem Innsbrucker Regiment oder, falls dieses nicht tätig ist, vor dem Ks. und dessen Räten mächtig sein und sie grundsätzlich vor jeglicher Gewaltanwendung schützen. Hierüber soll ein entsprechender Schirmbrief erstellt werden.
[7.] Bei auftretenden Differenzen zwischen beiden Parteien soll der Beklagte dem Kläger binnen Monatsfrist drei unparteiische, redliche Männer benennen, unter denen der Kläger einen auswählt. Vor diesem soll die Angelegenheit innerhalb von sechs Monaten entschieden werden. Für geistliche oder Lehenssachen ist hingegen das weltliche Gericht zuständig. Was das geistliche Gericht in Konstanz betrifft, soll gemäß dem entsprechenden Vertrag zwischen den Ftt. des Ks. und dem Hst. Konstanz verfahren werden. Bei Differenzen von Untertanen beider Parteien ist das Gericht des Beklagten zuständig. Bei Appellationen sind die entsprechenden Freiheiten beider Seiten zu beachten.
[8.] Bei all dem sollen dem Ks. als regierendem Ehg. von Österreich und seinen Erben die Öffnung in der Abtei Reichenau, ebenso dem Reich und den Bff. von Konstanz ihre Gerechtigkeit und ihr Interesse gemäß altem Herkommen vorbehalten sein.
[9.] Wenn der Ks. und seine Erben gemäß ihrer Befugnis innerhalb von sechs Jahren nach Ablauf der genannten zehn Jahre die Abtei Reichenau wieder zu ihren und des Reiches Händen bringen wollen, sollen Bf. Hugo und seine Nachfolger dies gestatten. In diesem Fall soll der vereinbarte unbefristete Schirm gänzlich hinfällig sein. Nach Empfang ihres Interesses und Erstattung ihrer nachgewiesenen Kosten und Schäden sollen sie die Abtei ohne weiteres abtreten und sie dem Benediktinerorden übergeben, bei dem sie künftig bleiben soll, unbeschadet der Obrigkeit, der Kastenvogtei, der Öffnung und des Interesses des Hauses Österreich und des Bf. von Konstanz.
[10.] Jeder Abt oder Prior der Abtei Reichenau soll künftig seine Konfirmation vom Bf. von Konstanz empfangen und diesem, wie andere nicht exemte Prälaten des Benediktinerordens auch, in geistlichen Belangen unterworfen sein. Zudem sollen allen Konstanzer Bff. sämtliche Jurisdiktion und andere bfl. Obrigkeiten vorbehalten sein, doch darf in den sechzehn Jahren ohne Zustimmung des Ks. und seiner Erben das geistliche Gericht nicht von Konstanz auf die Reichenau verlegt werden.
[11.] Innerhalb dieses Zeitraums sind die Konstanzer Bff. verpflichtet, dem Ks. oder dem Innsbrucker Regiment auf Verlangen über alle Verhältnisse in der Abtei Reichenau zu berichten.
[12.] Bringen der Ks. oder seine Erben nach Ablauf der sechzehn Jahre die Abtei Reichenau nicht wieder zu ihren und des Reiches Händen, so sind der Bf. und seine Nachkommen nicht mehr zu deren Abtretung verpflichtet, sondern können völlig ungehindert darüber verfügen. In diesem Fall bleibt der Schirm unbefristet in Kraft.
[13.] Zur gütlichen Beilegung der gegenwärtigen Differenzen zwischen Bf. Hugo und der Rst. Konstanz wird der Ks. seine Räte nach Konstanz schicken. Was in diesen oder künftigen Konflikten durch ihn oder seine Erben als Obleute gütlich, rechtlich oder gemäß der Billigkeit entschieden wird, hat der Bf. zu akzeptieren. Darüber hinaus wird der Ks. versuchen, die Rst. Konstanz unter seinen unbefristeten oder zumindest eine gute Weile währenden Schutz und Schirm zu bringen. Er ist zuversichtlich, daß dies gelingen wird.1
[14.] So schnell wie möglich, spätestens aber bis zum 24. August ( St. Bartholomäustag) sollen die Parteien alle zu diesem Vertrag gehörenden Verschreibungen ausfertigen und dann in Innsbruck die Vertragsexemplare austauschen.
[15.] Der Ks. hat sich mit Zustimmung Bf. Hugos vorbehalten, daß das Innsbrucker Regiment bei den Artikeln Schirm [13.], Hilfszusatz [6.] und rechtlicher Austrag [7.] nach Bedarf und mit Billigung beider Parteien Änderungen, Kürzungen und Hinzufügungen vornehmen darf. Hierfür erhält das Regiment Vollmacht.