Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 11. Die Reichstage zu Augsburg 1510 und Trier/Köln 1512 bearbeitet von Reinhard Seyboth

[1.] Wunsch des Ks. nach Bildung eines ständischen Ausschusses zur Reichshilfe; [2.] Aggressive Politik Venedigs; [3.] Die Liga von Cambrai als Schutzbündnis gegen Venedig; [4.] Freudiger Empfang des Ks. bei seiner Ankunft in Italien; [5.] Seine dortigen Erfolge; [6.] Finanzielle Unterstützung durch den Papst; [7.] Aktivitäten Kg. Ferdinands von Aragón, seine Rolle als mutmaßlicher ksl. Parteigänger; [8.] Bemühungen des Ks. um ein Bündnis mit dem Kg. von Ungarn gegen Venedig; [9.] Erfolgreicher Einsatz der Venezianer beim Papst für die Aufhebung des Interdikts; [10.] Absichten Frankreichs in Italien im Zusammenwirken mit dem Papst; [11.] Fragwürdige Haltung der Eidgenossen; [12.] Aktionen und Pläne des Ks. in Italien; [13.] Ersuchen um engagierte militärische Unterstützung der ksl. Italienpolitik durch das Reich; [14.] Auftrag an die ksl. Räte und die Ausschußmitglieder zu weiteren Beratungen; [15.] Erlaubnis zur Übermittlung des Gesagten an die Ständeversammlung.

[Augsburg, ca. 15. März 1510]1

Stuttgart, HStA, A 262 Bd. 8, fol. 314a-317b, Konz. (mit einigen kleineren Korrekturen).

Ksl. Mt. muntlich furhalten, dem usschutzs geschehen

[1.] Erstlich haben ksl. Mt. muntlich Kff., Ff. und den verordneten, uf ier Mt. begern zugeschickten von der stende wegen, zu erkennen geben, ier Mt. hab begert, ier etlich zuzeschicken, mit denselben etwas wyter von der hilf und handel zu reden, dan vormals muntlich und schriftlich von ier Mt. wegen Kff., Ff. und den gesanten botschaften were furgehalten worden.

[2.] Daruf ier Mt. das herkomen der Venediger, wie sie sich alle zyt mit der herschung understanden haben zu wachsen und ergrössern, den Römern zu verglihen und dem Babst, ier Mt., dem hl. Rich, dem hus Österrich, dem Kg. von Frankrich an dem land zu Mayland und dem Kg. von Aragon, so zu Napolts gehörig, vil einzogen, abstuliert und usurpiert als die fryen fischer, darzu ier Mt. zweimal verhinderet an dem romzug und an ier erblichen lande an viel orten entsetzt, schaden mit schimpf und spot ier Mt. zugefiegt.

[3.] Darumb die Bäpstlich Hlkt., als man die nenet, ier Mt., die Kgg. zu Frankenrich und Aragonien ain pund furgenomen, eingangen und ufgericht haben,2 wiewol ier Mt. darin sorgfältig gewesen. Und ist solichs geschehen darumb, das den Venediger ier gewalt enzogen und das, so von inen on recht mit gewalt den pundsverwanten abstuliert und usurpiert, wider abgewonen und recuperiert werden. Wiewol dan, wie vorgemeldet, ier Mt. sorg und zwifel uf dise handlung gesetzt, so hab doch ksl. Mt. nach gelegenhait und das dise sachen nit wytlöfig und verzug haben, mögen lyden, die puntnus angenomen und inhalt derselben angezogen nach allen irm vermögen, wie dan das usschriben in das Rich darzu erkennen geben haben, der hoffnung, das solichs ier Mt. und dem Rich zu gutem und nutzs erschiessen solt.

[4.] Das gluck hab ier Mt. also bedacht, so die in Ytaliam komen, mit ganzen hohen fröwden enpfangen und also von dem folk ain frowlocken gesenhen, als ob etwas von himmel herab sich gefiegt hette.

[5.] Ir Mt. ist och zu rechter zyt anzogen und komen, dan wo das nit geschenhen, hetten die Francosen, nachdem sy sie mit der schlacht eroberet, dise stet Bern [= Verona], Vincentzs, Padua an sich bracht, wie irs willens möcht gewesen. Aber von des lust und willens, so die stett zu ksl. Mt. gehabt und tragen, die fur ander begert, haben sie sich zu ier Mt. geschlagen. In dem und anderm, wiewol der Kg. von Frankrich ksl. Mt. hilf getun möcht lut und inhalt der verainung und tractats, doch etwas derselben och underlausen sein.

[6.] Der Bapst hat, nachdem und er das, so der kirchen zugehörig, eroberet, ksl. Mt. mit ainem geltlin hilf getun etc.

[7.] So hat der Kg. von Aragon user sinem fryen gedanken, durch wes underrichtung, wiewol es ain erlich furniemen, wider die onglöbigen kriegt, user wes anzögen. Er hat aber och geschutzt, nachdem er das, so zu Neapels gehörig, eroberet hat, ob er damit dem Francosen zu willen werd, nachdem er ainen eelichen gemachel von Frankrich hat.3 Diewyl er aber davon nit kind genomen, ist mit dem, so ksl. Mt. kinder, der er furmund ist, also stark und gefasset, das er dhein sorg uf den Francosen setzen bedarf. Achtet ksl. Mt. den genanten, ierer party sein.

[8.] Ksl. Mt. hat och gehandelt und lausen handln mit dem Kg. von Ungern, nachdem die Venediger in Krabata vil inhaben, der kron zu Ungern zugehörig, villicht in Dalmatia, ob der nit möcht in die puntnus zugen werden, das sein wider von Venedigern zu erobern. Aber der Kg. von Ungern, nachdem der zu Behaim zu schaffen gehabt, ain bedacht genomen hat uf ain ragus [= ungarischer Reichstag], so uf Jeorii [23.4.10] zu Ungern sol gehalten werden. Wartet derselben antwort [vgl. Nr. 27].

[9.] Der Bapst, wiewol er vilfaltig angesucht ist worden, die Venediger zu absolvirn vom ban und das interdictum ufzuheben und relaxirn, hat er verzogen durch vil anhalten, so ksl. Mt. getun hat. Aber durch nutz und gunst ist er beredet durch die cardinäl, die in dry teil geteilt. Sint etliche der Francosen, etliche der Spaniol und der mertail der Ytalian. Dieselben in darzu bewegt user vorerzelten ursachen, das die absolution und ufhebung des interdictum geschenhen sint,4 dan im, dem Bapst, haben die Venediger das merer zugestellt von Anchona, davon er iarlich 40 000 ducaten mag haben, darzu ain merklich salzpfanen. So haben sie den potestat zu Farer [ = Ferrara, Hg. Alfonso I. d’Este], so feind ecclesie, abgetun, nichts mer daselbs zu schaffen, und dem von Farer Bellonesum [= Belluno], so wol 30 000 ducaten iärlich ertragen, wider zugestellt.

[10.] Es möcht och sein, das der Bapst user forcht des Kg. von Frankrich, das der über hand in Ytalia solt haben, in möcht under sich bringen und, nachdem der Bapst iarlichs 300 000 ducaten ufzuheben hat, die der Kg. seins gefallens zu im bringen möcht, den stul zu Rom zu danken ainen Bapst machen. Dan daby wol zu gedenken ist, wo ksl. Mt. nichts handelt, das der Kg. von Frankrich in Ytalia wirdet furgeen mit den Venedigern, die zu im zu bringen und also ganz Ytaliam under sich bringen, und ist zu besorgen, nachmals das Kst. an sich zu ziecken und also Bapst und Ks. machen, dan er jarlich unz in 24 000 stark zu roß und fuß als ordinarium diener vermag und hab, aber ksl. Mt. villicht 1000. So niempt Frankrich an land, leuten, gelt und ander zuwachsen zusetzlich, und stirbt der Kg. nit, dan, ob der yetzig mit tod abgeet, ist glich ain ander vorhanden. Darab die Francosen nit wieniger fröd und willes zu im dan dem begraben tragen, dan es ain folk, so hochfertig vil reden und brachts ist, cleins globens, tracht mit gwalt fur und fur. Des der Bapst nit so vil acht, dan er kein kind hat, aber ksl. Mt. vil kinder hat und der nation lob, er und wolfart gern senhen wolt und nit also durch die Francosen begert nidergedruckt werden oder dann mit der zyt underworfen sein.

[11.] So hat unser Hl. Vater by den Aidgnossen gehandelt, die im sollen anhangen. Das ain ungehorsam folk und ierer rechte herschaft, als da ist das hus Österrich, abgefallen und ksl. Mt. und dem hl. Rich ongehorsam als ierm oberesten H., wie am tag ligt. Suchen zu underhaltung iers aigen willens und niemen an den Bapst, dan sie senhen, das sy ksl. Mt. in ierm furniemen nit brucht. Hat der Kg. von Frankrich neben ksl. Mt. inen vil kronen geben, der in yetzo nichts nachfragt. So gedenken och die Aydgnossen, das Venedig ain comon in Ytalia, sie ains und baidersyts mechtig in tutschen landen sint, ob die Venediger vertriben oder gedrukt werden, das es villicht nachmals an inen sein möcht.

[12.] Hat ksl. Mt. daruf geschlossen, das diser handel wol zu bedenken und mit dapferer hilf einsenhen geschenhen sol, damit gantz Ytalia nit von Frankrich gezwungen, nachmals wyter griff. So hab der Bapst, wie obgelut, die Venediger absolvirt, mit inen vertragen, alles wider den tractat lut der artikel desselben, so ier Mt. ubergeben hat. So hab ier Mt. one ainich hilf dan der synen disen krieg gefiert und Bern underhalten, von zehentuset untzs in die zehentuset man damit besetzt uf iern costen, dan Bern vermag fur sich selbs ob 10 000 strytbarer man, die ytzo nit alle ierer Mt. party mit dem willen sint, sonder zwai oder mer quartier uf ander party gedenken. So hat der Kg. von Frankrich ier Mt. furgesetzt und deshalb die schlusel zu der porten zu Bern. Hab im och ier Mt. hie ditzshalb der Ötzsch ain schloß und stetlin verpfenden miessen der notdurft nach umb gelt. Wiewol nun ier Mt. den Bapst als abfällig dem vertrag und tractat, achtet des der Kg. von Frankrich nit. Ksl. Mt. hofft och lichtlich, den Bapst wieder uf ier partey zu bringen, villicht ander in Ytalia, wo man den ernst werde senhen.

[13.] Darumb sollen die Tutschen die grösse ditzs handels und alle gelegenheit wol bedenken und, so sie wollen, mögen sie diser zyt, das verlorn und abstuliert ist, widerbringen, künftig sorg verhieten, inen selbs und dem Rich wol hilf tun und der gestalt, das kunftiglich der last uf ander in Ytalia gelegt und von den Tutschen genomen wirdet. Dan Tutschland und das Rich vermag wol zehenmal hunderttuset zu fuß geschickter man in feld und fünfzigtuset zu roß. Damit mag man wol das verlorn widerbringen und dem schweren einfall widerstand tun. Dan das ist gewyß, das der Kg. von Frankrich am eingang des monats Aprily nästkompt in Ytaliam mit grosser macht ziechen und wider die Venediger handln wil. So der Ytalia überkompt, was wyter darus werde, ist wol zu bedenken.

[14.] Ditzs alles hat ier Mt. dem usschuß wollen zu erkennen geben, den handel zu erwegen. So hab ier Mt. iern räten, dem Bf. von Gurg, dem von Zollern und H. Paulsen von Liechtenstein, bevolhen, mit inen diser sachen halb zu causirn, disputirn und den zu erwegen. Wolle ier Mt. hinufgeen. So man der notturftig, möge das an ier Mt. gelangt werden.

[15.] Die Kff., Ff. und verordneten haben anzögt, nit bewelh zu haben, wyter dan ier Mt. zu hörn und furter dasselbig an gemain stende langen zu lausen. Sovil nun ier Mt. geliebt wolle sein, nachdem der handel groß, dapfer und schwere ist, sovil welle man des behaltens anbringen. Das hat ier Mt. verwilliget, an die Kff. und Ff. in aigner person zu bringen, das zu bedenken, in gehaim behalten und furter mit ier Mt. räten uf ier begern, sofern dan das den stenden gefellig, zu handlen.

Anmerkungen

1
 Die Aufzeichnung entstand zweifellos im Rahmen der Gespräche der Ausschußmitglieder mit dem Ks. und dessen Räten Mitte März 1510. Vgl. Nr. 94 [18.].
2
 Die Liga von Cambrai vom 10. Dezember 1508.
3
  Kg. Ferdinand II. von Aragón war seit 1506 in zweiter Ehe mit Gf.in Germaine de Foix, einer Nichte Kg. Ludwigs XII. von Frankreich, verheiratet.
4
 Die Aufhebung des Kirchenbanns gegen Venedig durch Papst Julius II. erfolgte am 24. Februar 1510 nach tagelangen Verhandlungen mit venezianischen Abgesandten. Vgl. Pastor, Geschichte der Päpste, S. 770f.