Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 11. Die Reichstage zu Augsburg 1510 und Trier/Köln 1512 bearbeitet von Reinhard Seyboth

[1.] Besorgnis des Ks. wegen einer möglichen Unterstützung Karls von Egmont durch den Kg. von Frankreich; [2.] Plan des Ks., den Kg. von Frankreich mit Hilfe des jungen Hg. von Mailand und der Eidgenossen unter Druck zu setzen und zum Abschluß des Vertrags über eine Heirat (seiner Tochter Renata mit Ehg. Karl) zu veranlassen; [3.] Warnung vor voreiligen Handlungen gegen den frz. Kg.; [4.] Negative Auswirkungen eines Bündnisses zwischen diesem und den Eidgenossen für den Ks.; [5.] Vorteil des jüngsten Sieges von Frankreich gegen Venedig, Verstärkung des frz. Mißtrauens gegen den Ks. im Fall einer Unterstützung des jungen Hg. von Mailand; [6.] Warnung vor einer Provokation des Kg. von Frankreich, empfohlene Niederschlagung des geldrischen Aufstands, positive Auswirkungen des daraus resultierenden Zeitgewinns; [7.] Empfehlung der ksl. Räte zur Durchführung eines Reichstags, vergebene Chance aufgrund der Nichtberücksichtigung dieses Rates durch den Ks.; [8.] Rat zu rascher Erlangung einer großen Hilfe durch einen Reichstag und zu entsprechenden Verhandlungen mit den ksl. Verbündeten; [9.] Problematik und Risiken der konkurrierenden klevischen und sächsischen Ansprüche auf das territoriale Erbe Hg. Wilhelms von Jülich-Berg; [10.] Empfehlung zur Erörterung dieses Themas auf dem kommenden Reichstag und zu vorherigen gütlichen Sondierungen bei Kf. Friedrich von Sachsen und Hg. Johann III. von Kleve.

Innsbruck, 22. Februar 1512

Innsbruck, TLA Maximiliana I 44/20 II. Teil, fol. 49-53, Orig. Pap. m. S. und eigenhändigen Unterschriften ( p.m.p.).

[1.] Haben gemeinsam mit Dr. Khuen von Belasi das (nicht vorliegende) Schreiben des Ks. aus Nürnberg vom 12. Februar eingehend erörtert. Befinden anfenglichen in dem ersten artikl, daz ksl. Mt. besorgt, der Kg. zu Frankreich tue Karln von Egmont, so sich nent Hg. zu Geldern, hilf und furschub, daz er den Nidernlanden sovil nachtails zufuege, dann solhs sunst in seinem vermugen nit sey.

[2.] Wir haben auch verstanden, wie eur ksl. Mt. vermainet, demselben Kg. zu Frankreich durch den jungen H. zu Mayland [Massimiliano Sforza] und die Sweytzer ain gegenfeuer zu machen, damit gemelter von Frankreich dest ee in ain vertrag der heyrat1 und anderer sachen halben gieng, wie dann eur ksl. Mt. solhs schreiben nach der leng inhalt.

[3.] Nu zweyfelt uns nit, eur ksl. Mt. habe aus dem schreiben, so der von Gurg und wir eur ksl. Mt. yetz kürzlichen zu handen Jacoben Banisius getan [liegt nicht vor], verstanden, wie und welcher gestalt wir den Rigault und Andreas de Burgo abgefertigt haben, was sy mit dem Kg. zu Frankreich handln sollen, und versehen uns wol, dieweyl sy baid dem handl genaigt und der Kg. von Frankreich, von Ples [= Blois] gen Leon zu ziehen, auf den paynen sein soll, daz sy gar in kurz bey demselben Kg. von Frankreich sein werden. Und, als wir dafür achten, so wirdet er sich endlich entsliessen und ercleren, was sein will oder gemuet gegen eur ksl. Mt. ist. Solt er sich nun für eur ksl. Mt. erclern und eur ksl. Mt. die pratig mit dem jungen H. von Mayland durch die Aydgnossen beschehen lassen, ist zu besorgen, solhs möcht eur ksl. Mt., dieweyl eur Mt. mit dem Babst, Aragon und England noch kainen rechten grund hat und sich villeicht die sachen noch also zutragen möchten, daz eur Mt. bey niemand anderm dann dem Kg. zu Frankreich fruntschaft suchen möcht, zu grossem nachtail komen.

[4.] Zum andern so hat eur ksl. Mt. ungezweyfelt gut wissen, daz sich der tag zu Zürch an dem nechstvergangen montag [16.2.12] angefangen. Dahin eur ksl. Mt. und die Franzosen ir treffenlich potschaft geschikt. Und sein die gemainen red, daz sich der Kg. zu Frankreich und die Aydgnossen auf diesem tag vertragen werden, wiewol man dasselb noch zu der zeit nit grundlich wissen mag.2 Solt aber solher vertrag zwischen Frankreich und den Aydgnossen beschehen, so wurd ungezweyflt der dermassen gestelt und ain solh pundnus oder vertrag daran hangen, daz die Aydgnossen nachmals sich weyter nit understuenden, den jungen H. von Mayland einzusetzen, und wurde nichtdestmynder solh furnemen eur ksl. Mt. zu grossem und merklichem nachtail komen.

[5.] Zum dritten so hat eur ksl. Mt. aus den vergangen schreiben, die wir eur Mt. in disen tagen getan, verstanden das glück und den sig, so die Franzosen wider die Venediger yetz gehebt, und daz sy auch den Andreas Gritti, gemelter Venediger haubtman, vast mit allem irem kriegsfolk in Pressa [= Brescia] also behauert [= festgehalten] haben, daz nach aller gelegenhait nit wol zu gedenkn ist, daz dieselben Venediger davonkomen. Wo nu die Franzosen daselbs zu Pressa, als sich genzlichen zu versehen ist, auch gesitzten, so wern die Venediger in solhem abfal, daz zuversichtlich wer, daz sy von allem dem, so sy haben, vertriben möchten werden. Aber dieweil der Kg. zu Frankreich eur ksl. Mt. bisher der neuen liga halben in grosser verdechtlichait gehebt, ist zu bedenken, wo der anslag mit dem jungen H. von Mayland angefangen, solhs würd eur ksl. Mt. noch grosser verdechtlichayt und suspicion bringen und eur Mt., wo dieselbe gegen den Venedigern icht weyter furnemen solt, nachtail gepern.

[6.] Aus den und andern ursachen, so wir bewegen, bedeucht uns in alweg gut sein, daz eur ksl. Mt. den Kg. zu Frankreich diser zeit nit erzürnet, auch daz furnemen mit dem jungen H. von Mayland yetzmals anstellet und daz eur ksl. Mt. frau Margrethen etc., desgleichen den treffenlichistn von Niderlanden mit ernst und allem fleyss schreiben liess, daz sy den krieg in Geldern nach irem höchsten vermugen underhielten und sich ernstlich in die gegenwer schickten, daz man sich auch der meuterei halben aygentlich erkundet, und wo man die befund, daz dann gemelte frau Margreth mit irem regiment oder andern vertrauten und taugenlichen personen dieselb meuterei furkeme und nach irem höchsten vermugen abstellet, auch den gemainen mann mit den pesten fuegen underhielten. So das also ain zeit beschehe, zweyfelt uns nit, eur ksl. Mt. würde in kürz und in dem nechsten monat vernemen, wie sich all sachen anschicken wollten, nemblich:

Wie sich der Babst, Kg. zu Aragon und ander ir mitverwonten der neuen liga gegen dem Kg. von Frankreich halten, ob sy mit ernstlicher tat gegen im furnemen oder ob sy vertrag mit im besliessen wolten.

Zum andern würd eur Mt. mitler zeit versteen und bericht, ob die Venediger den frid, so der Babst und Kg. von Aragon beslossen haben, annemen oder nit oder was sy furter handln wellen.

Zum dritten wirdet eur Mt. vernemen, wie sich der Kg. von Frankreich erkennt und gegen eur ksl. Mt. erclert.

Desgleichen zum vierten, was derselb Kg. von Frankreich auf den sig, so sein kriegsfolk yetz gegen den Venedigern gehebt, furnemen und handlen will.

Zum fünften wirdet eur ksl. Mt. in solher zeit bericht, ob der Kg. zu Frankreich und die Aydgnossen auf dem yetzgehalden tag zu Zürch endlich vertragen oder wie die sachen zwischen in auf solhem tag verabschidt werden und wie sich dieselben Aydgnossen gegen eur ksl. Mt. furter halten wellen, dann ungezweifelt ist sich zu versehen, wo die genannten Aydgnossen mit dem Kg. zu Frankreich nit frid oder vertrag machen, so werden sy eur ksl. Mt. weyter anlangen und ersuchen.

Zum sechsten so mag eur ksl. Mt. sehen, wie sich der Babst und Kg. zu Aragon gegen eur ksl. Mt. halten wellen und was sich eur Mt. bey inen vertrosten mag.

[7.] Und nachdem ich, Pauls von Liechtenstain, zu mermalen in meinen geschriften eur ksl. Mt. angezaigt, desgleichen ich, Zyprian von Serntein, auch etlichermassen getan hab, daz eur Mt. den reichstag furderlichen ausschreiben, die Kff., Ff. und ander stend des Reichs versamlen und ain treffenlich hilf bey denselben, auch eur Mt. erblanden bewerben und sich sunst in allen andern sachen auch darnach richten und schicken solle, damit eur Mt., wo eur Mt. nit ain frid het, zu der gegenwer gefast wer und dem langwirigen herrigen krieg under ainmal ain erlich endschaft gebe, dieweil doch der teglich und beherrig krieg eur Mt. beswerlichen und nit gelegen sein will, wie dann daz in unsern vorigen schreiben nach der leng und mit mererm grund angezaigt und diser zeit weyter zu erzelen unnot ist. Und in sonderhait mag eur ksl. Mt. ermessen, wo eur ksl. Mt. auf die manigfaltigen unsere schreiben gefolgt, den reichstag gehalden und ungezweyflt ain treffenlich hilf, die sy eur Mt. mit kainem fug abslagen mugen, erlangt, so het eur ksl. Mt. auf den yetzigen der Franzosen sig wider die Venediger in der eyl etwas fruchtpers furnemen, stuend auch wol darauf, daz in solhem leichtlichen und mit klainer mue alles das erlangen het mügen, daz eur ksl. Mt. inhalt des vertrags, zu Cameregg aufgericht, zugehert. So aber das unzher von eur Mt. nit beschehen, so kumbt eur Mt. des, besonder, wo der frid von den Venedigern nit bewilligt werden soll, zu grossem nachtail.

[8.] Und wir kunden in uns selbs noch nit anders bewegen, dann will eur Mt. ain volk, als daz die nodturft erfordert, zusamenbringen, so mus dasselb mit hilf der Kff., Ff. und ander stend des Reichs, auch den erblichen eur Mt. landen beschehen. Nu haben aber dieselben eur Mt. erblichen land bisher vil mitleyden getragen und mer dann die stend des Reichs getan. Des sy sich hoch beswern, und wol zu gedenken ist, wo eur Mt. vom Reich kain ernstliche hilf erlangt, daz die erbland auch weyter nit zu bewegen werden. Darumb bedeucht uns in alweg not und gut, daz eur Mt. die malstat des reichstags benennet, die Kff., Ff. und ander stend zusamen erforderet und auf daz furderlichist umb ain ansechliche hilf mit inen handlen liess, die sy, auch eur ksl. Mt., dieweil Got der almechtig die Venediger yetz also gestraft, mit kainem fug, wie vorstet, abslagen. Desgleichen möcht eur Mt. bey den bundsverwanten mitler zeit auch umb ain hilf handln. Daz auch solhs auf das furderlichist, so immer muglichen ist, beschehe, dann solt eur Mt. lang daryn verziehen und die zeit mit dem hin und wider raysen also verliern, ist zu besorgen, solhe ansleg werden alle vergebenlich und kund nit allain nachmals den Venedigern nit so leichtlichen widerstand beschehen, sonder were auch zu besorgen, daz sy in mitler zeit nit feyern und den krieg auf die erbland, dieweil dieselben untsher vast gehelligt sein, wenden wurden. Zu was nachtail und verhindrung das eur Mt. kem, hat eur Mt. gut zu ermessen.

[9.] Verrer als uns eur Mt. in demselben brief anzaigt, wie der Brombach von des jungen Hg. von Cleve wegen an eur Mt. hof sey und gedachtem Hg. von Cleve weylend Hg. Wilhalms von Gülch Ft., land und leut zu verleyhen begert, daz auch daneben frau Margaritha eur ksl. Mt. geschriben, was die pratik desselben von Cleve seyen mugen, und wie demnach eur ksl. Mt. über die ansprach, so die Hgg. zu Sachsen zu den vorgemelten landen haben, zu handln beswerlichen sey, als dann das in eur Mt. schreiben clerlichen begriffen ist, haben wir die sachen auch bewegen und kunden wol bewegen, dieweil der von Cleve in der possession ist,3 daz er sich der on recht oder guetlich handung nit begeben. Und ob er deshalb im rechten gleichwol verlustig wurd, so achten wir doch, er werde sich dannoch der land nit also entslagen, sonder bey dem von Geldern und andern, wo er kan oder mag, ruggen und hilf suchen. Und ist sich deshalben wol zu vermueten, wo mit der tat gegen im gehandelt solte werden, daz dadurch die sach zu grosser aufruer und krieg komen und gedeyhen wurde.

[10.] Dieweil nu daz Ft. Gülch nit ain clain gelid des Reichs ist, so erfordert die nodturft, daz eur Mt. treffenlich darein sehe und dermassen daryn handl, damit niemand pillicherweyse zu beclagen habe. Und bedeucht uns, daz solhs nit pas beschehen möcht, dann so eur Mt. mit den stenden des Reichs daryn handlet. Es ist auch unsers versteens der handl wol so gros und stet sovil darauf, daz daraus erwachsen möcht, daz umb der sachen willen allain ain reichstag ausgeschriben oder doch ain gute anzal von des Reichs stenden zusamen erfordert solten werden. Aber dieweil eur Mt. on das ainen reichstag hielt, so möcht eur Mt. auf demselben reichstag treffenlich davon reden und ratslagen und yetz in mitler zeit mit Hg. Fridrichen von Sachsen, so derselb yetz bey eur Mt. ist, durch mitlpersonen handlen lass, sich zu erlernen, ob er und die andern Ff. von Sachsen sich in guetlich handlung begeben oder, wo zwischen den parteyen kain guetigkait verfangen werden möcht oder der von Cleve sich an den Hg. von Geldern sliege, daz eur ksl. Mt. mit denen von Sachsen yetz ain verstentnus machet, mit was macht und auf wie lange zeit sy eur Mt. wider denselben von Cleve und Geldern verhelfn wolten. Desgleichen lies eur Mt. mit dem von Cleve auch handln und die guetigkait zwischen ir zu versuchen oder sich doch, wes gemuets derselb von Cleve were, zu erlernen. In solher zeit wurde der reichstag [stattfinden]. So möcht eur Mt. mit den Ff. und andern stenden aber destpas und grundlicher daryn furnemen oder entscheid geben. Daz auch eur Mt. den von Clef durch solhs mit den pesten fuegen aufhalten liess, damit er sich mitler zeit zu dem Hg. von Geldern oder andern nit verphlichtet oder verpunde. Das alles well eur ksl. Mt. von uns gnediglich vermerken und uns alzeit bevolhen haben. Geben zu Ynnsprugg am 22. tag des monats Februarii Ao. etc. duodecimo.

Anmerkungen

1
 Gemeint ist die geplante Eheschließung zwischen Ks. Maximilians Enkel Karl und der 1510 geborenen Tochter Kg. Ludwigs XII. von Frankreich, Renata.
2
 Auf der Züricher Tagsatzung am 16. Februar kam es noch nicht zu Vertragsverhandlungen mit den frz. Gesandten, da diese nicht erschienen waren, sondern um eine Verschiebung des Treffens gebeten hatten. Dieses fand dann im Rahmen der Tagsatzung in Luzern am 8. März statt. Vgl. Segesser, Abschiede, Nr. 430g, 432e.
3
  Hg. Johann III. von Kleve hatte bereits kurz nach dem Tod seines am 6. September 1511 verstorbenen Schwiegervaters Hg. Wilhelm von Jülich-Berg unter Berufung auf seine Ehe mit dessen Erbtochter Maria die Hgtt. Jülich und Berg in Besitz genommen.