Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Textvorlage: Nürnberg A, unfol. [für SR]; Nürnberg, fol. 66–68 [für RR].

Differenzen wegen der Beratung einer Stellungnahme des SR zum konkreten Verhandlungsverfahren: Modus der Ausschussbildung beim 1. HA (Religionsvergleich) möglichst unter Wahrung von Sitz und Stimme der Reichsstädte trotz der Abwesenheit katholischer Gesandter und der unzureichenden Vertretung der rheinischen Bank. Noch keine Festlegung zum Verhandlungsmodus der übrigen HAA. RR: Billigung der Duplik zur Verhandlungsaufnahme. Koadjutorfehde in Livland: Eingabe Mecklenburgs.

(Vormittag, 8 Uhr) Städterat (Regensburg, Augsburg, Nürnberg, Ulm, Rothenburg). Nachfrage unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 21. 11., was die Gesandten informell bei den höheren Ständen zum weiteren Verhandlungsverfahren in Erfahrung gebracht haben.

Umfrage. Regensburg: Entschuldigen die Abwesenheit des Straßburger Gesandten, der wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen kann. Haben ansonsten nichts erfaren, dann dz die obern stennde yetzt beyeinnander unnd von einem ausschuß reden unnd hanndlen sollten.

Augsburg, Nürnberg, Ulm: Bedauern die Abwesenheit des Straßburger Gesandten, da sonst niemand von der rheinischen Bank am RT vertreten ist. Dann do man yetzt bei den obern stenden zu einem ausschuß handln, zweiffelte man nitt, do sich die hohern stende desselben vergleichen, dz sies den erbarn steten auch antzeigen wurden. Darumb hoch von noten, dz der erbarn stet gesanndten auch darauf bedacht weren und sich einer antwurt verglichen. Do man aber yetzt in abwesen deß straßburgischen zu einer vorbereitung greiffen unnd ine hernach desselben berichten, sollt es inen auch nitt gar zuwider sein.

Nochmaliges Votum Augsburgs: Da die höheren Stände erklärt haben, die Verhandlungen trotz der Differenzen um die Freistellung aufzunehmen, hat SR neben dem Modus zur Beratung des 1. HA (Religionsvergleich) auch das Verfahren zu den übrigen HAA der Proposition zu klären. Doch haben Straßburg, Regensburg und Rothenburg zuletzt geäußert, sie seien dafür noch nicht instruiert, wobei Regensburg die Weisung bald beibringen könne. Nun wollten sie inen, den andern steten, im vetrauen nitt pergen, dz sie sovil vertreulichs berichts empfangen, dz es bei den hohern stenden die meynung habe, dz man mit dem ausschuß furfaren werde. a–Unnd wurden von den augspurgischen confessions verwandten unnd der andern alten catholischen religion stenden zwo part gemacht werden, deren sich yede insonderheit von den iren der stym unnd eins ausschuß vergleichen–a. Unnd von den erbarn steten nitt mer dann zwo personen, von yeder religion eine, dartzu genommen werden wurde. Do es nun disen weg erraichen, wurde enderung im concept1 geschehen mussen. Unnd do nitt leut genug, wie zubesorgen, zum ausschuß verhannden, werde ein tag umb den andern gehandlt, unnd eben die personen zum ausschuß [auch] zum artickel der turcken hilff verordent werden2. Do aber personen genug verhannden, werde man teglichs in religions sachen und auch im artickel der turcken hilff furfaren. Deshalb sollen zunächst die Regensburger Verordneten erklären, ob sie Weisung zu den HAA außerhalb des Religionsvergleichs haben.

Rothenburg: Ist seines Mitgesandten, der verritten, altzeit gewertig, und dz er allein, sovil die religion antreff, von seinen hern bevelch, sich von den augspurgischen confessions verwandten nitt abzesondern. Unnd dz ime anderer puncten halben allein nitt wol geburn wolt, sich eintzelassen.

Regensburg: Erachten für unabdingbar, dass zumindest eine Stadt der rheinischen Bank vertreten ist. Da zudem Rothenburg zu den HAA außerhalb der Religion keine Vollmacht hat und man ohnehin nicht sicher weiß, wie die höheren Stände vorgehen wollen, sollte die Beratung aufgeschoben werden, biß erfarung geschehe, wz heut von den obern stennden gewiß gehandlt werden mochte.

Augsburg, Nürnberg, Ulm: Haben sich wegen des Aufschubs und darüber, dass die Regensburger Verordneten sich zu den HAA außerhalb der Religion nitt erclern wollen, zum hochsten beschwert; mit erinnerung, dz solches iren hievorigen gegebnen voten unnd dem furtrag, so die erbarn stet im Reichs rath thun lassen, nemlich dz sie ires theils leiden mochten, dz neben dem gemeinem ausschuß in der religion auch in sonderbaren und ordinari rethen mit den andern artickln furgeschritten werden mochte3, ganntz zuwider. Derwegen sie nitt gern wolten, dz den erbarn steten hiedurch, do man stillsteen unnd eerst uff die hohern rethe sehen sollt, etwz verwarlost unnd versaumbt wurde. Dann man den erbarn steten, wie sie wussten, wen sich die chur- und f. rethe miteinnander verglichen, nit vil zeit lies. Damit nun die erbarn stet in disem hanndl, daran inen mercklich unnd vil gelegen, nit ubereilt, achteten sie darfur, dz die handlung keins wegs eintzestellen, sondern sie sich hierynnen mit irem bedencken auch gefast machten. Dann do sich die hohern stend erclern wurden, in den andern artickln auch zuverfaren, mussten sich ye die stet mit inen vergleichen; wo aber nitt, dorfften sich die erbarn stet imselben auch nit erclern, sondern liessens beim andern artickl der religion, dz derselb durch ein gemeinen ausschuß vermog des passauischen vertrags tractirt werden solte, pleiben. Do man nun hierauf nit hanndln und die sachen einstellen, so wollten sie hiemit von wegen irer herrn und obern protestiert und betzeugt haben, do den erbarn steten ainicher nachteil, schaden oder praeiuditium daraus ervolgen sollt, dz sie, die 3 stet, daran kein schuld tragen und derselben enntprochen4 sein wolten. Dann dieweil die stet in Reichs rethen irer stim und session halben außgeschlossen und allein bißhero mit etlich wenig stymmen in ausschussen zugelassen, mochten sie, weil auch kein stat von der alten religion vorhanden, gar umb ire stymen komen und hiedurch gentzlich außgeschlossen werden.

Regensburg und Rothenburg: Beharren trotz dieser Einwände darauf, die sachen einztestellen.

Rothenburg schränkt ein: Wz sich anndere erbare stet vergleichen, dz denselben zu nutz unnd wolfart raichen, dz es ime von seiner herrn wegen auch nitt zuwider sein sollten. Doch versehe er sich, die sach mocht noch wol ein weil eingestelt werden.

Regensburg: Kennen die Zusage des SR im RR. Dz aber etliche von den erbarn steten dahin dringen, sich der 3 artickl halben zuercleren, dz konnten sie nit thun, weil sie die erst stym nitt hetten. Derhalben sie hinwider gleichsfalß protestirt unnd betzeugt haben wolten, dz der mangl an inen gleichsfals nit sein solt; mit vermeldung, dz sie auch nitt gern etwz handln wolten, dz den erbarn steten zu nachteil raichen mochte. Und wissten sich, weil niemands von der reinischen panck vor der handt, in handlung nitt eintzelassen, sondern liessen es nochmalen bei irem hievorigen antzeigen pleiben.

Augsburg, Nürnberg, Ulm: Beharren ebenfalls auf ihrem Votum.

Augsburg: Betonen nochmals, dz diese handlung allein den proceß antreff; unnd do die augspurgischen confessions verwanndten in sondern rethen den ausschuß handln wollten5, dz man sich daruff einer meinung verglich. b–Dann sie, die augspurgischen, nitt erachten konnten, dz die jungst gestelt bedencken deß anhangs halben den erbarn steten allerseits gut unnd nutz sein mochte6, weren auch stracks einer andern meynung; mit ertzelung allerlei ursachen, unnd wes sie von irn herrn und obern in bevelch hetten unnd wie dieselben den passauischen vertrag deß gemeinen ausschuß halben verstanden7, alß dz man ein ausschuß machen wurde, wie von alter herkomen8. Weil sie aber yetzt die sachen von den hohern stenden dahin verstunden, dz man zwo partheien von beden religionen ordnen unnd haben wurde, unnd dz sich ein yede parthei der personen halben vergleiche9, wurden sie derwegen verursacht, ir bedencken des hievor gestelten concepts halben im anhang zu enndern unnd etwas von irer habenden instruction crafft ires general bevelchs, sich von den augspurgischen confessions verwandten im selbigen fall nitt abtzesondern, abtzeweichen. Dan do man bei vorigen bedencken pleibt, funde man den mangl der personen, dz keiner von der alten religion vor der hand. Und wurden die stet also ein stym weniger haben oder vileicht, weil der mangl der andern stym halben an inen, gar außgeschlossen werden. Unnd do schon dasselb nit beschehen, so wurde inen doch solches zu einem praeiuditio gereichen, also dz hinfuro nitt mer dann ein stym von der erbarn stet wegen zugelassen werden wurde, do sie doch hievor 2 unnd etwa 4, wie auff dem colloquio zu Wormbs beschehen10, hetten haben mogen–b.

Regensburg und Rothenburg: Beharren auf dem Verhandlungsaufschub und wollen zum Augsburger Votum Weisung anfordern.

(Nachmittag, 1 Uhr) Städterat. Vor der vom Reichserbmarschall für 2 Uhr einberufenen Sitzung des RR kommt SR nochmals zusammen und vereinbart in Anknüpfung an die Beratung am Vormittag eine einhellige Stellungnahme, falls KR und FR einen Beschluss zur Verordnung des Religionsausschusses und zur Parallelberatung der übrigen HAA vorbringen: Die Reichsstädte haben dies ebenfalls beraten und liessen inen irs theils gefallen, dz erstlich der artickl der religion durch einen gemeinen ausschuß vermog des passauischen vertrags in beratschlagung getzogen werden solte. Unnd nachdem sie denselben passauischen vertrag fur hannd genomen und darauß nitt anders befinden konnen, dann dz schiedliche, verstendige personen zu solchem ausschuß verordent werden solten11, hetten sie weiter fur ein notturfft bedacht, dz ein absonderung von beder religion stenden geschehen und dz alßdan yeder theil die sachen ferrer in beratschlagung getzogen, wz fur stende zu solchem ausschuß getzogen und gepraucht. Do nun solches beschehen, mochte von denselbigen angetzeigt werden, wz fur personen zu solchem ausschuß zubenennen sein mochten, damit ferrer in beratschlagungen furgeschritten. c–Unnd wiewol auch die erbarn stet daneben bedacht, dz andere artickl auch furgenommen werden solten, so hetten sie doch noch zur zeit nitt darfur geacht, dz man einen oder mer zu dem mal specificiern wurde, welcher furgenomen werden sollt. Beten derhalben ein klein bedacht, sich hieruff miteinnander zuunderreden etc.–c Falls KR und FR die weiteren HAA nicht ansprechen, wird SR den letzten Absatz nicht referieren12.

/66/ (Nachmittag, 2 Uhr) /66–68/ Reichsrat. [Entsprechend Protokoll des KR, 264–267.]

Anmerkungen

a–
 Unnd ... vergleichen] Augsburg (fol. 27) differenzierter: Haben vertraulich erfahren, dass einige höhere CA-Stände den passauischen vertrag deß ausschuß der religion halben nit dahin versteen oder deuten wöllen, das derselb, wie im Reich herkhommen, furgenommen, sonnder das die stennde beder religionen, so durch ire gesanndten alhie, sich thailen, zwo parth machen unnd sich alsdann jeder thail der antzal der personen vergleichen solten, die alsdann davon zureden heten, was unnd welche personen dartzu zuverordnen.
1
 Resolution des SR zur Verhandlungsaufnahme: Nr. 450 mit Anm. b.
2
 Gemeint: Täglich alternierende Beratung entweder im Religionsausschuss oder in den Kurien (Türkenhilfe).
3
 Vgl. Kurmainz, pag. 157–159 [Nr. 20].
4
 = von einer Klage freigesprochen, eines Vorwurfs entledigt sein ( Grimm III, 502).
5
 Gemeint: Verhandlungen der CA-Stände zur Besetzung des Religionsausschusses.
b–
 Dann ... mogen] Augsburg (fol. 27’) deutlicher: Können nit finden, das den erbarn stetten räthlich sein solte, auff ainem ausschuß, wie der von alter herkhomen, auch ir instruction vermöcht, zutringen, sonnder das diser ausschuß, dessen sich, wie oblaut, etwan die höhern stennde vergleichen, mehr fur die stett sein möcht. Dann ob schon der stimmen durch die höhern stennde mehr, aber den erbarn stetten alain zwo, wie von alter her, zugelassen, so were es doch nit ain außschuß, wie im Reich herkhommen, und wurde derwegen den erbarn steten khain nachtail gebern oder praejuditial sein mögen. Unnd dhweil es dann, wie gemelt, etwa den weg erraichen möge /28/ und man befunnde, das im colloquio zu Wormbs [1540/41] auf der augspurgischen confessions stennde seiten 11 stimen verordent unnd darunder den stetten 4 zugelassen worden, so sehe sie fur gut an, das etwan ad partem bey den höhern stennden zuerhaltung der erbarn stett stim unnd session gehandlt unnd muglicher vleiß furgewenndt werden möcht, ob es auf ain merere antzal zupringen etc. Unnd das umb sovil desto mehr, weil sie, wie auch anndere, die fursorg tragen, da der ausschuß, wie von alter herkhomen, gemacht, darinn dann von den stetten nit mehr dann zwo personen, jeder religion aine, zugelassen, unnd aber noch khain statt der alten religion durch abgesanndte alhie, so zu den höhern der alten religions stennd zuordnen wer, unnd derwegen ain ungleichait am stymen gebern, das etwan darauß volgen möcht, das die annder person bey den confessions stennden auch nit zugelassen unnd also die erbarn stett inn disem außschuß gar ausgeschlossen werden möchten etc.
6
 Erneut Bezugnahme auf den Anhang zur Resolution des SR [Nr. 450, Anm. b].
7
 Passauer Vertrag, § 7: Paritätisch mit schiedlichen, verstendigen personen besetzter Ausschuss ( Aulinger/Eltz/Machoczek, RTA JR XX, Nr. 3 S. 127).
8
 Konstituierung des Ausschusses durch die und mit Mitgliedern der RT-Kurien.
9
 Vgl. Anm. a.
10
 Den 11 protestantischen Delegationen beim Kolloquium in Worms 1540/41 gehörten mit Straßburg, Augsburg, Ulm und Nürnberg 4 Reichsstädte (dazu die Städte Bremen, Magdeburg und Hamburg als gemeinsame Delegation) an ( zur Mühlen, Reformation, 37. Namentliche Teilnehmerverzeichnisse: Ganzer/zur Mühlen, ADRG II, Nr. 19 S. 58–61, hier 60; Nr. 196 S. 499–501, hier 500).
11
 Vgl. oben, Anm. 7.
c–
 Unnd ... etc.] Augsburg (fol. 29) abweichend: Falls KR und FR sich zum Verfahren bei den übrigen HAA äußern und für die Voranstellung der Türkenhilfe plädieren, soll SR vortragen: Neben der Beratung des Religionsvergleichs im Ausschuss parallele Verhandlungen in den Kurien zunächst zum HA der Türkenhilfe, weil dieser durch den Kg. anfanngs unnd zum furderlichsten zuerledigen begert wurde unnd dann derselb die errettung deß christlichen pluts /29’/ betref, auch khain bitt oder lenngern stillstannd wol erleiden wolt.
12
  KR und FR legten in der folgenden Sitzung des RR lediglich das Konz. für die Duplik an die kgl. Kommissare zur bedingten Verhandlungsaufnahme vor, die noch keine Einzelheiten zum Verhandlungsmodus enthielt [Nr. 426]. Deshalb wurde der Beschluss des SR insgesamt nicht referiert.