Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb
Außerordentliche Visitation im Vollzug des RAb 1555. Entbindung des Personals vom Eid an das RKG während der Visitation. Beschleunigung des Geschäftsgangs. Überlastung des RKG. Befristete Anstellung außerordentlicher Assessoren. Klärung der Gravamina des RKG auf dem RT. Besoldungserhöhung für Assessoren. Translozierung des RKG. Erhöhung der Appellationssumme. Zusatz zum Eid des Personals. Memoriale des RT 1555 und Stellungnahme des RKG. Ergänzung der Vorgaben für Landfriedensprozesse. Strafe bei Widerrufung einer Revision. Finanzierung des RKG. Gravamina gegen das RKG. Supplikationen und Abrechnungen. Regelmäßige Rechnungsberichte der Legstätten.
Datum: Speyer, 21. 5. 1556. Beim RT im RR verlesen am 16. 2. 15571 als Grundlage der folgenden Beratungen zur Reichsjustiz [4. HA]2. Von den Reichsständen kopiert am 17. 2.
HHStA Wien, RK RKG-Visitationsakten 320, unfol. (Or. mit Spuren von 9 aufgedr. Siegeln, die fehlen. Dorsv.: Relation des camergerichts visitation halben, anno 56 geschehen. Vermerk: [präs.] 11. Junii 1556. Bruxelles.) = [Textvorlage]. HHStA Wien, MEA RKG 8 Fasz. 3, unfol. (Konz. Überschr.: Concept der relation, wie dieselbig der ksl. Mt. vonn wegen in anno 56 gehaltner visitation uberschickt wordenn. Anno 1556.) = [B]. HStA Düsseldorf, JB II 2295, fol. 276–288’ (Kop. Aufschr.: Lectum Ratisponae, 17. Februarii anno 57.) = [C]. HASt Köln, K+R 122, fol. 294–309 (Kop.). GStA PK Berlin, I. HA Rep. 18 Nr. 35 Fasz. 2, unfol. (spätere Kop.). HStA Weimar, Reg. E Nr. 233, fol. 13–27’ (Kop.). Druck: Harpprecht VI, 414–428; Goldast, Collectio II, 361–365 (lat.).
An den Ks.: Die Vornahme der Visitation 1556 erfolgte gemäß RKGO 15553 zum 1. 5. 1556, wobei der ordentlichen Kommission im Vollzug des RAb 1555 weitere außerordentliche Mitglieder zugeordnet wurden4 .
[1] Der Salzburger Visitationsrat Dr. Melchior Heinzel wurde von der Kommission ausgeschlossen, da er noch nicht vom Eid an das RKG gelöst war.
[2] Der ordnungsgemäß zur persönlichen Teilnahme verpflichtete Ebf. von Bremen erschien nicht, sondern bat den Kf. von Mainz, einen in der Nähe ansässigen F. an seiner Stelle zu berufen. Kf. Daniel konnte dem nicht nachkommen, da die RKGO dies nicht vorsieht. Deshalb Vornahme der Visitation5 ohne Beteiligung des Ebf.
[3] Entbindung des RKG-Personals vom Eid an das RKG während der Durchführung der Visitation: Kammerrichter und Beisitzer stimmten dem trotz anfänglicher Einwände laut ihrer schriftlichen Erklärung6 zu, submittierten sich damit der Visitation und leisteten einen neuen, verbesserten Eid für die Zeit der Visitation: Submittierung ungeachtet des Eides, den sie gegenüber dem RKG geleistet haben.
[4] Vom RKG der Visitationskommission übergebene ‚Mängel‘ bezüglich der
[5] Die RKGO verweist das RKG in Zweifelsfällen, welche die Ordnung nicht regelt, darauf, sich nach ‚gemeinen Rechten‘ zu verhalten9 . Die Visitationskommission bestätigte dies und wies das RKG an, sich gegebenenfalls an den Kf. von Mainz, den Ks. und die Reichsstände zu wenden und um deren Deklaration zu bitten.
[6] Keine Einwände der Visitationskommission gegen die Qualifikation des RKG-Personals.
[7] Die Kommission hat keine Einwände gegen den vom Ks. neu eingesetzten RKG-Richter10 und erwartet, dass er sein Amt mit zunehmender Erfahrung ordnungsgemäß ausübt. Sie geht aber davon aus, dass er aufgrund seines Standes nicht lange am RKG bleiben wird, und empfiehlt deshalb die baldige Neubesetzung mit einem angesehenen, erfahrenen und geeigneten Kandidaten, der das Amt längerfristig versehen und den das RKG-Personal gebührend anerkennen wird.
[8] Daneben wird dem Ks. angeraten, einen Ersatz für den ausscheidenden [Präsidenten] Frh. [Johann Jakob] von Königsegg11 zu verordnen.
[9] Derzeit sind am RKG ca. 5000 eigenständige Verfahren rechtshängig. Für deren Erledigung reicht die Zahl der gemäß RKGO vorgesehenen Assessoren12 nicht aus, selbst wenn alle Stellen besetzt wären, was jedoch nicht der Fall ist. Vielmehr waren und sind viele Assessorenstellen vakant. Bemühungen des RKG-Richters und der Assessoren, die längere Zeit vakanten Stellen laut Vorgabe der RKGO „ex officio“ zu besetzen13 , blieben erfolglos. Die erhebliche Fluktuation bei den Assessorenstellen bedingt lange Verfahrensverzögerungen, da viele Fälle unerledigt von einem Assessoren an den nächsten, teils einen dritten weitergereicht werden. Dazu beinhaltet der Visitationsabschied Vorgaben, die dies unterbinden sollen14 . Dennoch ist für die Erledigung der zahlreichen anhängigen Verfahren die Anstellung von acht außerordentlichen Assessoren für etwa sechs Jahre dringend anzuraten, damit drei Definitivräte eingerichtet werden können. Außerdem sollte der derzeitige RT veranlassen, dass freie Assessorenstellen künftig von den abordnenden Reichsständen und –kreisen zügiger als bisher besetzt und dafür qualifizierte Personen geschickt werden, die im Gegensatz zur derzeitigen Praxis nicht kurzfristig wieder abberufen, sondern länger, zumindest sechs Jahre, am RKG belassen werden. Bleiben dennoch Stellen vakant, sollen die Visitationskommissionen ermächtigt werden, Assessoren zu berufen. Daneben sollte der RT über eine Änderung der RKGO 15 dahingehend beraten, dass die weltlichen Kff. nicht nur ritterbürtige, sondern auch bürgerliche graduierte Rechtsgelehrte als Assessoren präsentieren dürfen.
[10] Das geringe Ansehen des RKG, die schlechte Luft in Speyer16 und die geringe Besoldung verleiden zum einen vielen Assessoren eine längerfristige Tätigkeit, zum anderen schrecken sie geeignete Personen von der Annahme einer Assessorenstelle ab, wie dies die von Kammerrichter und Beisitzern übergebenen Gravamina zeigen17 . Die Visitationskommission empfiehlt die Beratung dieser Gravamina auf dem RT und befürwortet die geforderte Erhöhung der Besoldung sowie die erweiterte Kostenerstattung, um die Assessoren länger an das RKG zu binden.
[11] Aus dem gleichen Grund befürworten sie die von den Assessoren angeregte Translokation des RKG von Speyer an einen anderen Ort, vorzugsweise nach Worms. Auch dazu sollte der RT beraten.
[12] Die Überlastung des RKG mit einer Vielzahl unerledigter Verfahren rührt auch daher, dass viele Parteien veranlasst werden, aufgrund des geringen Mindeststreitwerts von 50 fl. in der RKGO 18 unnötige Appellationen einzubringen. Diese geringfügigen Appellationen behindern die Erledigung wichtiger Fälle auch hoher Stände. Deshalb regt die Visitationskommission an, auf dem RT eine Appellationssumme von zumindest 300 fl. festzulegen19 und zu veranlassen, dass die Hof- und Untergerichte der Reichsstände mit qualifiziertem Personal besetzt werden, um die Erledigung von Verfahren mit einem Streitwert unter 300 fl. an diesen Gerichten ohne Appellation an das RKG zu gewährleisten.
[13] Der Eid des RKG-Personals enthält über die Fassung in der RKGO 20 hinaus einen Zusatz, der es anweist, eigene Verstöße gegen die Reichsjustiz zu unterlassen und alle Zuwiderhandlungen von anderer Seite zu ahnden. Die Kommission empfiehlt die Aufnahme dieses Zusatzes in die RKGO.
[14] Die Visitationskommission übergab gemäß RAb 1555 das Memoriale des RT 155521 dem RKG und nahm dazu die Stellungnahme von RKG-Richter und Assessoren entgegen22 . Sie schickt die Stellungnahme dem Ks. und empfiehlt die Vorlage beim RT.
[15] Landfriedenssachen am RKG: Ein Prozess wegen Beschädigung und Entsetzung soll nach dem Tod des Beklagten gemäß RKGO auch auf dessen Erben übergehen23 . Die Visitationskommission regt den Zusatz an, dass dies ebenso für Klagen in Landfriedenssachen auf Geldstrafen gilt. Auch dazu möge der RT entscheiden.
[16] Revision und Syndikatsklage sind in der RKGO geregelt24 . Für diese Visitation waren zwei Revisionen ausgeschrieben, die kurz vor ihrer Durchführung von den Parteien widerrufen wurden. Wegen der dem RKG bereits entstandenen Unkosten für die Vorbereitung belegte die Visitationskommission beide Parteien mit einer Geldstrafe von 400 fl. Sie empfiehlt, grundsätzlich eine Geldstrafe für kurzfristig widerrufene Revisionen in der RKGO festzulegen, um die Reputation des RKG zu wahren25.
[17] Daneben sollte der RT darüber beraten, wie die Finanzierung des RKG künftig möglichst ohne Belastung der Reichsstände zu gewährleisten ist.
[18] Das RKG wurde im Streit des Johann Holte gegen Hg. Wilhelm von Jülich durch ein kgl. Reskript an die Visitationskommission verwiesen. Da deren Mitglieder dafür nicht bevollmächtigt waren, wiesen sie das RKG ihrerseits an den nächsten RT 26.
[19] Der Visitation wurden von Reichsständen und Privatpersonen Gravamina bezüglich des RKG zugestellt27 , die weder vom RKG noch von der Visitationskommission in der Kürze der Zeit erledigt werden konnten. Deshalb wurden sie dem RKG mit dem Auftrag übergeben, sie zusammen mit seiner Stellungnahme28 der Mainzer Kanzlei zu schicken, damit der Kf. von Mainz sie dem künftigen RT in Regensburg zur Klärung vorbringt.
[20] Die Supplikationen des Frh. Johann Jakob von Königsegg um eine Gratifikation sowie der berittenen RKG-Boten um Besoldungserhöhung wurden an den RT verwiesen29.
[21] Die Rechnungslegung des Reichsfiskals für den Zeitraum 1. 5. 1551 bis 8. 5. 1556 wird dem Ks. als Anlage überschickt30.
[22] Ausstände ehemaliger Pfennigmeister, Bezahlung rückständigen Soldes. Laut Rechnungslegung des RKG-Pfennigmeisters für den Zeitraum 1551 bis 1. 5. 1556 sind derzeit 12 269 fl. im Vorrat.
[23] Laut beiliegenden Abrechnungen31 schuldet die Witwe des verstorbenen Pfennigmeisters Leonhard Meyer-Ulrich dem RKG noch 1087 fl. 48 kr., die dieser von Reichsständen eingenommen, aber nicht an das Gericht weitergereicht hat. Deshalb wurde dem Fiskal befohlen, gegen die Witwe zu prozessieren 32.
[24] Die Bitte des RKG-Pfennigmeisters33 um eine Gratifikation wurde gebilligt: Zahlung von 60 fl.
[25] Die Legstätten Nürnberg, Augsburg und Frankfurt überschicken die Geldeingänge dem RKG-Pfennigmeister verzögert und weisen bei Zahlungseingängen nicht exakt aus, wer wie viel Geld für welches Ziel erlegt hat. Dies bedingt irrtümliche fiskalische Prozesse, die nachträglich wieder eingestellt werden müssen. Deshalb Empfehlung der Visitationskommission, dass der künftige RT monatliche Rechnungsberichte der Legstätten mit genauen Angaben zu den Einzahlungen an den Fiskal veranlasst. Daneben behalten die Legstätten als Entschädigung für die Einnahme und Verwaltung des Kammerzielers beträchtliche Summen für sich ein (zuletzt Nürnberg 250 fl.). Empfehlung, dass der RT auch hierzu eine verbindliche Regelung trifft. Außerdem rät die Visitationskommission, sich künftig auf zwei Legstätten, nämlich Frankfurt und Speyer, zu beschränken.
Donnerstag nach Sonntag Exaudi [21. 5.] 1556. Unterzeichnet von den ksl. Kommissaren und den Visitatoren der Reichsstände.