Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 9. Der Reichstag zu Konstanz 1507 bearbeitet von Dietmar Heil

[1.] Empfang der venezianischen Gesandten am kgl. Hof; [2.] Äußerungen Kg. Maximilians über das Vorgehen Frankreichs in Italien und die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen.

Straßburg, 22. März 1507.

Venedig, BM, Cod. marc. ital. VII/989 (= 9581), fol. 3’-4’ (ital. Kop.; Postverm.: Per Joanem Vesicam, cursorem.) = Textvorlage A. Venedig, BFQS, Cl. IV, Cod. V (= 769), fol. 74’-75’ (ital. Kop.; Postverm. wie A) = B.1

Referiert bei: Brunetti, Vigilia, S. 9.

[1.] Sie sind am 19. März hier in Straßburg eingetroffen.2 Der röm. Kg. schickte ihnen zum Empfang zwei Meilen vor der Stadt seinen Hofmeister (maestro de caxa)3 und den Bailli von Burgund4 mit einigen Berittenen entgegen. Der Kg., der zur Falkenjagd auswärts weilte, hatte ihnen erlaubt, sich zu ihm zu begeben. Sie trafen ihn vor den Toren der Stadt an; der Kg. forderte sie auf, ihre Quartiere zu beziehen, und beschied sie zur Audienz, die gestern in Gegenwart vieler Herren stattfand. Nach den üblichen Grußworten in Namen der Signorie übergab Querini sein Kredenzschreiben und hielt eine lateinische Rede. In seiner durch Dr. Hayden (Aidem) vorgetragenen Antwort bekundete der Kg. seine Geneigtheit gegenüber Venedig.

[2.] Nach dem Essen zog sich der Kg. mit ihnen beiden, Serntein und dem kgl. Marschall Gf. [Wolfgang] von Fürstenberg in ein Zimmer zurück, wo er lange über vielerlei Dinge sprach, wovon sie das wichtigste wiedergeben: Nachdem er über die Ankunft des frz. Kg. in Mailand samt seinem zum Einsatz gegen Genua vorgesehenen Heer, darunter 4000 Schweizern, informiert worden sei, habe er seine ursprüngliche Absicht, sich in die Niederlande zu begeben, geändert und den RT nach Konstanz einberufen – in dem Wissen, daß die Absicht des frz. Kg. zur Unterwerfung Genuas bei jedermann höchstes Mißfallen hervorrufen werde, zumal die Stadt immer reichsunmittelbar gewesen sei. Sie habe ihm während seines Aufenthalts dort den Gehorsamseid geleistet und die Stadtschlüssel übergeben.5 Er hoffe, daß der RT gute Entschlüsse fassen werde. Einstweilen habe er den frz. Kg. schriftlich davor gewarnt, sich in Reichsangelegenheiten einzumischen, was großes Mißfallen erregen würde. Gleichwohl befürchte er, daß die Franzosen binnen eines Monats die uneingeschränkten Herren der Stadt sein würden. Dies sei eine schlimme Sache, da Frankreich als letztes Ziel dann nur noch die Unterwerfung Venedigs bleibe, um die Alleinherrschaft über ganz Italien zu erringen, was, wenn nicht bald, dann doch im Laufe der Zeit geschehen werde. Die Deutschen, obwohl sehr mächtig, ließen in ihrer Kleinmütigkeit die Franzosen gewähren, zum Unglück Italiens und zur Schande des Reiches. Deshalb habe er Venedig wiederholt aufgefordert, das Bündnis mit ihm zur Vertreibung der Franzosen nicht länger hinauszuschieben; wenn sie darauf eingingen, käme er sofort mit großer Macht nach Italien, unter Hintanstellung seiner übrigen Angelegenheiten. Andernfalls könne es leicht geschehen, daß er den vom frz. Kg. mit vielen Versprechungen angebotenen Frieden akzeptiere. Wenn er dieses Jahr nicht nach Italien käme, würde nie wieder ein Deutscher zum Kaiser gekrönt werden, da alles den Franzosen gehören würde. Wenn die Signorie bedenke, was er bislang gesagt und angekündigt habe, werde sie feststellen, daß es die Wahrheit gewesen sei. Er sei davon überzeugt, daß er sich auch jetzt nicht täusche, wenn nicht geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen würden.

Der Kg. ersuchte Pasqualigo eindringlich, der Signorie nach seiner Rückkehr diesen Sachverhalt detailliert zu erläutern. Die weiteren Äußerungen des Kg. sollen hier der Kürze halber nicht wiedergegeben werden.

Sie antworteten im Sinne der Signorie. Pasqualigo dankte mit den für einen Gesandten üblichen liebenswürdigen Worten und Gesten und bat um seine Verabschiedung. Er wird morgen oder übermorgen [23./24.3.] aufbrechen.

Anmerkungen

1
 Eine weitere, wohl auf das 18. Jahrhundert zu datierende Abschrift der Gesandtenberichte Querinis wird in der Bibliothek des Museo Civico Correr di Venezia (Sign.: Cicogna, Nr. 2581 (= 1975), fol. 1–233) aufbewahrt (Brunetti, Vigilia, S. 2 Anm. 1; Kristeller, Iter VI, S. 267). Der Band stand für die Einarbeitung in die vorliegende Edition nicht zur Verfügung. Borino (Codices XII, S. 1–3) weist außerdem eine auf das 18./19. Jh. zu datierende Abschrift in der Vatikanischen Bibliothek (Cod. Vat. Lat. 10701) nach.
2
 Nachdem ein erster Senatsbeschluß vom 23.10.1506 nicht umgesetzt worden war, erfolgte die Ernennung Querinis zum venezianischen Residenten am Hof Kg. Maximilians nach erneutem Beschluß vom 29.1.1507 (Brunetti, Vigilia, S. 7; Erdmannsdörffer, Depeschen, S. 58) am 25.2. (Kommission des Dogen Leonardo Loredan, lat. Kop.; AS Venedig, Collegio, secreta, commissioni 1500–1513, fol. 68’-69). Mit Schreiben vom 26.2. teilte Querini mit, daß er sich weisungsgemäß rechtzeitig zum voraussichtlichen Beginn des Konstanzer RT am 7.3. am kgl. Hof einfinden werde (ital. Kop. Bozen; BM Venedig, Cod. marc. ital. VII/989 (= 9581), fol. 2; BFQS Venedig, Cl. IV, Cod. V (= 769), fol. 73). Der bevorstehende RT hatte die Signorie zur Abfertigung ihres außerordentlichen Gesandten veranlaßt (Brunetti, Vigilia, S. 7f.). Zu den Berichten Pasqualigos vom 28.2. (über die Abreise der röm. Kgin. nach Konstanz) und 8.3. (über die Belehnung Bf. Wilhelms von Straßburg) vgl. Sanuto, Diarii VII, Sp. 32, 36f.
3
 Gemeint ist der kgl. Oberhofmeister Gf. Eitelfriedrich von Zollern.
4
 Gemeint ist vermutlich der Großbailli des Hennegau, Guillaume de Croy, der sich im März 1507 als Vertreter der niederländischen Statthalterregierung am kgl. Hof in Straßburg aufhielt.
5
 Vgl. Nr. 19, Anm. 2.