Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 11. Die Reichstage zu Augsburg 1510 und Trier/Köln 1512 bearbeitet von Reinhard Seyboth

ohne Ort, [Ende Januar 1510]

Druck: Glagau, Landtagsakten, Nr. 22.

Dankt ihm für die Entsendung seiner Räte und seinen (nicht vorliegenden) Ratschlag.1 Wäre bereit gewesen, diesen anzunehmen, konnte es aber nicht tun, da man ihr nicht mehr als den Zugang zu ihrem Sohn Philipp habe bewilligen wollen. Die Mitglieder des hessischen Regiments haben großen Haß auf sie und die Ihren. Wenn sie könnten, würden sie ihrem Sohn zweifellos Schaden zufügen. Aus Gewissensgründen und aufgrund ihrer Verpflichtung, das Testament ihres verstorbenen Gemahls zu erfüllen, kann sie nicht anders handeln.2 Lieber will sie in ein Kloster gehen als ihre Treue aufgeben. Der Verzicht auf die Vormundschaft bräche ihr das Herz. Fühlt sich verpflichtet, Schaden von ihrem Sohn fernzuhalten, und hofft, daß Hg. Heinrich diese Einstellung nicht mißfällt. Würde sie eine Person zum Ks. schicken, dürfte diese anschließend nicht wieder zurück ins Land. Zudem dürfen nur zwei Leute öffentlich bei ihr sein. Wenn sie diese entsendet, hat sie niemand mehr. Will deshalb wie Esther ihr Leben wagen und den Ks. persönlich aufsuchen.3 Hofft, daß Hg. Heinrich damit einverstanden ist, nachdem sie ihn zuvor nicht um Rat hat fragen können. Das Eintreffen seiner Antwort würde zu lange dauern, denn dem Vernehmen nach wird der Ks. nicht allzu lange (auf dem Augsburger Reichstag) bleiben. Auch befürchtet sie, daß die Gegenpartei früher (beim Ks.) eintreffen könnte. Bittet ihn, wie ein treuer Bruder zu seiner Schwester zu stehen. Falls es ihm möglich ist, möge er zudem gleichfalls auf den Reichstag kommen und ihr mit seinem Rat beistehen. Erbittet dies, kann es aber nicht von ihm verlangen, nachdem er schon zweimal nicht zu ihr gekommen ist. Wenn es ihm nicht möglich ist zu erscheinen, soll er ihren Bruder Hg. Albrecht schicken. Bittet, sie keinesfalls im Stich lassen.4

Anmerkungen

1
 Die Räte Hg. Heinrichs hatten am Kasseler Schiedstag vom 15.-22. Januar 1510 teilgenommen, auf dem sächsische Räte versucht hatten, einen Ausgleich zwischen der Landf.in und dem hessischen Regiment herbeizuführen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand die Vormundschaft über Annas unmündigen Sohn Philipp, die sie für sich beanspruchte, was die Regenten jedoch strikt ablehnten. Daraufhin brach Anna die Verhandlungen ab. Vgl. das Protokoll des Schiedstages bei Glagau, Landtagsakten, Nr. 19.
2
 In diesem Testament vom 29. Januar 1508 hatte Landgf. Wilhelm d. M. seine Gemahlin Anna, EB Hermann von Köln sowie vier seiner Räte zu Testamentsvollstreckern und Vormündern seiner beiden Kinder Elisabeth und Philipp bestimmt. Teildruck: Glagau, Landtagsakten, Nr. 1 S. 2-13, hier S. 4. – Zu den Auseinandersetzungen um das Testament zwischen Landgf.in Anna einerseits, dem hessischen Regiment und den sächsischen Hgg. andererseits vor Beginn des Augsburger Reichstags vgl. ausführlich Glagau, Vorkämpferin, S. 16-63 und Scheepers, Regentin per Staatsstreich?, S. 85-106, außerdem Puppel, Die Regentin, S. 161-171; Dies., Der junge Philipp, S. 52-54; Neu, Erschaffung, S. 101-104, 111-113; Ludolphy, Friedrich der Weise, S. 256-258.
3
 Bezugnahme auf das alttestamentarische Buch Esther (Kap. 7 und 8), in dem geschildert wird, wie Esther, die jüdische Gemahlin des Perserkönigs Xerxes (reg. 485-465 v. Chr.) sich mutig für ihre verfolgten Glaubensgenossen einsetzte. Mit diesem Vergleich signalisierte Landgf.in Anna, daß auch sie selbstlos zum Wohl des hessischen Volkes handeln wolle. Vgl. Puppel, Regentin, S. 170f.
4
 Zu diesem Schreiben vgl. Scheepers, Regentin per Staatsstreich?, S. 104f.