Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Wendung der direkt von der Türkengefahr betroffenen Lande an den böhmischen Landtag. Historische Beispiele für die Konsequenzen versäumter Hilfeleistungen gegen die Türken. Christliche Verpflichtung zum Türkenkampf. Bitte um eine stattliche und beharrliche, rechtzeitige Hilfe für einen Kriegszug und zur dauerhaften Grenzsicherung.

Den Reichsständen vorgebracht am 21. 1. 15571. Von diesen kopiert am 22. 1.

HHStA Wien, MEA RTA 43/II, fol. 270–280’ (Kop. Aufschr.: Der cron Beheim werbung, den 21. Januarii den Reichs stennden furpracht. Dorsv. wie Aufschr. Zusätzlich: 1557. Praesentatum Aschaffenburg, 29. Januarii anno 57.2 ) = Textvorlage. HStA München, KÄA 3177, fol. 432–449’ (Kop. Aufschr.: Lectum Ratisponae, 22. Januarii anno 57. Dorsv.: Der behemischen gesandten und irer mitverwanten anbringen ann die stende des Reichs, die thurchenhilff belangendt; mit vorgeender credentz. Praesentatum 22. [!] Januarii anno 57.) = [B]. HStA Stuttgart, A 262 Bü. 50, fol. 169–186 (Kop.) = [C]. HStA Dresden, Loc. 10192/6, fol. 152–167’ (Kop.). GStA PK Berlin, I. HA Rep. 10 Nr. X Fasz. F, fol. 63–81’ (Kop.). HStA Düsseldorf, JB II 2297, fol. 67–79’ (Kop.).

/270 f./ [Kredenzschreiben.] An die Reichsstände auf dem RT: Sie, die Stände des Kgr. Böhmen mit den inkorporierten Landen Mähren, Schlesien und Lausitz, ordnen wegen der Türkengefahr eine Gesandtschaft an den RT ab und benennen dafür: H. Joachim von Neuhaus, kgl. Kämmerer und oberster böhmischer Kanzler, Peter Bechino von Latzan auf Pitzschin3 , Hauptmann der Stadt Prag, Dr. Andreas Hertwig, genannt Tielmann, und Paul Schipanksy zu Traschitz4 , vom Kg. ernannter Richter zu Prag. Die Gesandten werden bevollmächtigt, die Werbung vorzutragen und zu übergeben. [o. O., o. D.] Unterzeichnet von den Ständen des Kgr. Böhmen mit den Gesandten der Mgft. Mähren, der Fstt. Ober- und Niederschlesien sowie der Mgftt. Ober- und Niederlausitz.

/271–272/ [Werbung.] Aufgrund der stetig anwachsenden Bedrohung durch das weitere Vorrücken des türkischen Erbfeinds haben die ungarischen Stände, die dem Kg. noch unterstehen, die ungarischen Bergstädte, die Stadt Tiern5  und die fünf niederösterreichischen Lande Gesandte6  an den jetzigen Landtag in Prag abgeordnet, um von den böhmischen Ständen und den inkorporierten Landen eine stattliche und beharrliche Hilfe zu erbitten. Zwar hat der Landtag daraufhin eine Steuer bewilligt, die aber ohne eine zusätzliche, weitaus größere Hilfe bei Weitem nicht ausreicht. Deshalb hat der böhmische Landtag beschlossen7 , den Beistand der Reichsstände mit der Gesandtschaft an den RT zu erbitten.

/272’–275/ Die Erfahrung zeigt, dass ‚verwahrloste‘ Grenzfestungen wie etwa Griechisch Weißenburg8  den Schlüssel für den freien Zugang des Türken nach Ungarn gebildet haben, wo er grausam wütete, Menschen entführte, Frauen und Kinder bestialisch schändete, Knaben, die auf den Namen Jesu getauft waren, zur Annahme des teuflischen Glaubens Mohammeds zwang und zum Kampf gegen Christen erzog. Ein anderes Beispiel für die Stärkung des Türken durch eigene Versäumnisse ist Rhodos, das von den Türken aufgrund der ausbleibenden Hilfe, die von den christlichen Rittern vielfach erbeten worden war, erobert wurde [1522]. Ebenso ist die Niederlage Kg. Ludwigs und der damit verbundene Verlust des größten Teils Ungarns [1526] darauf zurückzuführen, dass keine rechtzeitige Unterstützung erfolgte. Derzeit sind die Grenzorte in Ungarn zu schwach befestigt, um den türkischen Angriffen standhalten zu können. Werden sie aufgrund der ausbleibenden oder zu spät geleisteten stattlichen und beharrlichen Hilfe erobert, hat der Türke freien Zugang nach Österreich, Böhmen, Mähren, Schlesien und in die Lausitz.

/275–276’/ Deshalb ist angesichts der Bedrohung kein weiterer Verzug statthaft, sondern es ist unabdingbar, dem Feind sofort ohne weiteres Zögern mit aller Kraft entschlossen entgegenzutreten. Der Beistand der Reichsstände für die bedrängten Lande als Mitglieder desselben Leibes Christi, die nicht in die ewige Verdammnis gezwungen werden dürfen, ist ebenso christliche Verpflichtung wie die Erhaltung der christlichen Religion als Krieg gegen jene, welche diese Religion ausrotten, den Glauben auslöschen und den Bedrängten das Vaterland rauben wollen.

/277–279/ Der Kg. und die böhmischen Lande sind trotz allen Einsatzes zur Abwehr des übermächtigen Feindes zu schwach. Da sie ihm allein den Durchzug in das Reich nicht verwehren können, wenden sie sich an die Reichsstände mit der Bitte, eine stattliche und beharrliche Hilfe zu gewähren und möglichst ohne Verzug zu leisten, um einer türkischen Offensive im Sommer zuvorzukommen. Dabei ist es mit einer einjährigen Hilfe nicht getan, da der Türke nach dem Abzug des Heeres sofort wieder angreifen würde, sondern die Grenzen müssen dauerhaft gesichert werden. Ein Beispiel ist das Vorgehen des ungarischen Kgs. Matthias [Corvinus], der sein Kriegsvolk, genannt das „schwarze Heer“, unablässig Winter und Sommer im Feld hielt, damit den Feind gänzlich aus Ungarn verdrängen, mehrere Siege erringen und türkische Gebiete erobern konnte9.

/279 f./ Die Vorfahren der Reichsstände haben Jerusalem und das Heilige Land trotz der weiten Entfernung und der hohen Kosten von den Sarazenen befreit. Um wie viel mehr sollten jetzt die Mitglieder der Christenheit vor dem grausamen Tyrannen gerettet werden.

/279’ f./ Deshalb richtet man die Bitte an die Reichsstände, den bedrängten Christen ihre stattliche und beharrliche Hilfe so zeitig zu leisten, dass man zunächst dem für das Frühjahr erwarteten Kriegszug voraussichtlich unter der Führung des Sultans entschlossen entgegentreten und anschließend die besonders gefährdeten Grenzabschnitte mit der beharrlichen Hilfe für einige Jahre schützen kann. Gott wird dies reichlich belohnen. Das Kgr. Böhmen und die inkorporierten Lande Mähren, Schlesien und Lausitz wollen ihr Möglichstes dazu beisteuern. [o. D. und ohne Unterzeichnung.]

Anmerkungen

1
  Kurmainz, pag. 619–621 [Nr. 72].
2
 = Vorlage zusammen mit dem Bericht der Mainzer Gesandten vom 22. 1. 1557 (HHStA Wien, MEA RTA 43/II, fol. 256–259’. Or.).
3
 Peter Bechynĕ von Lažan auf Píčina und Buštĕhrad ( Landtagsverhandlungen II, 713, 815).
4
 Pavel Žipansky von Dražice ( Landtagsverhandlungen II, 706, 831).
5
 = Tyrnau, heute Trnava (Slowakei).
6
 Gesandtschaft des Wiener Ausschusslandtags (Januar-März 1556; vgl. Anm.17 bei Nr. 483) an den böhmischen Landtag mit der Aufgabe (Instruktion vom 11. 3. 1556), die böhmischen Stände unter Hinweis auf ihre eigene gefährdete Situation zur Leistung einer größeren Türkenhilfe zu veranlassen. Vgl.  Loserth, Beziehungen, 7 f. sowie Beilage Nr. 4 S. 31 (Vollmacht); Nrr. 8, 9 S. 32–40 (Berichte des Gesandten Erasmus von Windischgrätz an die Landesverordneten der Steiermark). Antwort der böhmischen Stände zur Werbung der niederösterreichischen Gesandten (Prag, 16. 5. 1556): Verweis auf die Steuerbewilligung für den Kg. (ebd., Beilage Nr. 10 S. 40 f.).
7
 Vgl. zum böhmischen Generallandtag in Prag (April/Mai 1556): Anm.9 bei Nr. 1 (bes. zur Steuerbewilligung). Beschluss der Gesandtschaft an den RT: Replik der Stände ( Landtagsverhandlungen II, Nr. 246, hier S. 695. Abschied (ebd., Nr. 247, hier S. 705). Vgl. auch Loserth, Beziehungen, 8–11, hier 10.
8
 = Belgrad (türkische Eroberung 1521).
9
 Von Kg. Matthias Corvinus gebildetes, gut ausgerüstetes ständiges Söldnerheer von zunächst 10 000 Mann, das auf bis zu 25 000 Mann vergrößert wurde. Das Heer wurde nach dem Tod des Kgs. als „schwarze Armee“, „schwarze Garde“ oder „schwarze Schaar“ (compagnia nigra) bezeichnet. Vgl. Hoensch, Corvinus, 184 f.; Rázso, Feldzüge, 7 f.