Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Neben der Reichstagsvorbereitung im Zusammenwirken mit katholischen Ständen war Ferdinand bestrebt, sich in den zentralen Themen vorrangig mit Kurfürst August von Sachsen als einem der Wortführer auf protestantischer Seite und einflussreichstem Landesherren im norddeutschen Raum zu verständigen. Er stützte sich auf die angedeutete Bereitschaft des Kurfürsten bei der Werbung im Januar 1556 zu einer Zusammenkunft und auf die Empfehlung seines Gesandten Pflug, diese vor allem wegen der Türkenhilfe zu initiieren43.

Der König schickte Pflug deshalb im April 1556 nochmals mit dem Auftrag nach Dresden, Kurfürst August für 28. 4. nach Prag oder Leitmeritz einzuladen, um dort über allgemeine Belange Sachsens und Böhmens sowie des Reichs zu sprechen. Anschließend sollte Pflug Kurfürst Joachim von Brandenburg ebenfalls dorthin bitten44. Kurfürst August willigte in die Zusammenkunft in Leitmeritz ein, ließ aber anklingen, er würde ein Treffen ohne Kurfürst Joachim bevorzugen45. Da dieser sein Mitwirken wegen der kurzfristigen Anfrage und einer Erkrankung seiner Gattin ohnehin absagte und dafür versprach, den Reichstag möglichst persönlich zu besuchen oder seine Gesandten umfassend zu bevollmächtigen46, blieb es bei der auf den König und Kurfürst August beschränkten Unterredung.

Die Geheimbesprechung in Leitmeritz am 4. 5. 155647 erbrachte zu den von Ferdinand vorgelegten Fragen in den hier relevanten Punkten folgendes Ergebnis: In der Religionsfrage sah Kurfürst August „wenig hofnung“ für eine Vergleichung, vielmehr sei von diesen Verhandlungen erfahrungsgemäß weitere Verbitterung zu erwarten. Er riet Ferdinand deshalb, nicht energisch darauf zu drängen und keine inhaltlichen Vergleichsvorgaben zu machen, da sich dies, wie der Kurfürst wiederholt betonte, negativ auf die Türkenhilfe auswirken würde. Daneben verwies er auf das Gerücht, der Papst wolle den Kaiser zur Rücknahme des Religionsfriedens bewegen, und er gab zu bedenken, dass ein zu starkes Engagement Ferdinands für die Religionsvergleichung ebenfalls als Infragestellung des Religionsfriedens interpretiert werden und damit wiederum die Türkenhilfe gefährden könnte. Nachdem eine Prorogation der Religionsfrage wegen der Vorgabe im Reichsabschied 1555 nicht möglich schien, empfahl er dem König, sich mit vorbereitenden Maßnahmen für spätere Vergleichsverhandlungen zu begnügen. Ferdinand dementierte bei seinem königlichen Wort jegliche Absicht des Kaisers oder seiner Person, den Religionsfrieden aufzuheben, und versicherte persönlich, dieser werde „treulich in esse gehalten werden, es ervolgte die vergleichung oder nicht.“ Ansonsten wollte er der Empfehlung Augusts entsprechend den Religionsvergleich in einer Form vorbringen, die weitere ‚Verbitterung‘ ausschloss.

Zur Frage des Königs, wie die Stände „am fuglichsten“ zu einer stattlichen Türkenhilfe zu bewegen seien, bestätigte August das geschilderte Bedrohungsszenario und hielt deshalb die Beteiligung der Reichsstände an der Abwehr „nicht allein fur billich, sondern auch gantz nothwendig“. Er empfahl Ferdinand, in der Proposition die Situation an der Grenze, aber auch die eigenen Abwehrpläne darzulegen, und sagte seine Unterstützung ausdrücklich zu. Konkret riet er, die Hilfe ‚stattlich und beharrlich‘ anzustellen, dafür möglichst gut gerüstete deutsche Reiter zu bestallen und auswärtige Potentaten in den Türkenkampf einzubeziehen.

Dem Drängen auf die persönliche Teilnahme am Reichstag, die „vil guts schaffen und ausrichten“ könne, gab August nicht nach: Er berief sich auf seine unabdingbare Präsenz in Sachsen sowie die zu erwartende Absenz der anderen weltlichen Kurfürsten und eines Großteils der Fürsten beim Reichstag, wo seine alleinige Anwesenheit wenig nutzen würde. Seine spätere Anreise stellte er lediglich vage mit der Bedingung in Aussicht, dass die Mitwirkung anderer Kurfürsten und Fürsten gesichert sei und er nicht durch anderweitige Umstände daran verhindert werde. Daneben gab er seinerseits Ferdinand zu bedenken, ob dessen Anwesenheit in den Erblanden wegen der Türkengefahr nicht hilfreicher sei als die Präsenz am Reichstag.

Die Geheimabsprache48 in Leitmeritz erwies sich für beide Teilnehmer als „beachtlicher Erfolg“49: Ferdinand konnte beim Reichstag auf die kursächsische Unterstützung der Türkenhilfe zählen, und er erhielt wichtige Aufschlüsse im Hinblick auf die Religionsfrage, die mit zur Änderung seiner Strategie beitrugen, wie sie in seiner Instruktion50 mit dem weitgehenden Verzicht auf Religionsverhandlungen zum Ausdruck kommt, um eine vom Konfessionsstreit unbeeinträchtigte Verabschiedung der Türkenhilfe zu gewährleisten. Kurfürst August war erfolgreich in seiner Hauptintention, der Sicherung des Religionsfriedens, dessen Verbindlichkeit Ferdinand bei seiner königlichen Ehre bekräftigte. Die in Leitmeritz bestärkte sächsisch-habsburgische Kooperation prägte den Verlauf des Reichstags 1556/57 ebenso wie die Gestaltung der künftigen „konsensualen Reichspolitik“51 auf der Grundlage des Augsburger Friedenswerks in den folgenden Jahren ganz entscheidend.

Anmerkungen

43
 Bericht Pflugs an Ferdinand I. vom 3. 1. 1556. Vgl. Kap. 2.2, Anm.21.
44
 Instruktion Ferdinands I. für Pflug (Wien, 3. 4., Neuausstellung Prag, 14. 4. 1556): HHStA Wien, RK RTA 36, fol. 223–224. Or. Vollmacht des Kgs. für Pflug an beide Kff. (Wien, 3. 4., Neuausstellung Prag, 14. 4. 1556): Ebd., fol. 250. Konz. Hd. Kirchschlager. Vgl. zur Einberufung der Zusammenkunft: Bundschuh, Religionsgespräch, 111 f.; Laubach, Ferdinand I., 147.
45
 So die Interpretation Pflugs im Bericht an Ferdinand I. (Dresden, 17. 4. 1556): HHStA Wien, RK RTA 36, fol. 272–274’. Or. Dagegen unterrichtete Kf. August im Schreiben vom 25. 4. 1556 (o. O.) Kf. Joachim über seine Antwort an Pflug sowie den inzwischen auf 3. 5. geänderten Termin und bat ihn, ebenfalls nach Leitmeritz zu kommen (GStA PK Berlin, I. HA Rep. 41 Nr. 172, unfol. Or.).
46
 Antwort Kf. Joachims zur Werbung Pflugs (Cölln/Spree, 27. 4. 1556): HHStA Wien, RK RTA 36, fol. 299–302’. Or. Aufgrund der Absage wandte sich Kg. Ferdinand nach der Rückkehr aus Leitmeritz nochmals an ihn und erbat ein Gutachten für die Wege zur Herstellung der Glaubenseinheit. Auch forderte er neuerlich die RT-Teilnahme des Kf. (Prag, 7. 5. 1556: Ebd., fol. 296–298. Konz. Hd. Kirchschlager). Joachim verweigerte in der Antwort eine alleinige Stellungnahme [ohne Rücksprache mit anderen CA-Ständen] zur Religionsfrage, er sagte den RT-Besuch aber nunmehr weitgehend unkonditioniert zu (an Ferdinand I.; Cölln/Spree, 20. 5. 1556: Ebd., fol. 304–306’. Or.). Vgl. Bundschuh, Religionsgespräch, 115 f.; Laubach, Ferdinand I., 150.
47
 Der Gesamtverlauf ist in einer protokollartigen Aufzeichnung aus kursächsischer Überlieferung gut dokumentiert: HStA Dresden, Loc. 8790/4, fol. 4–35. Kop. Druck im Auszug mit Schwerpunkt auf der Religionsfrage: Wolf, Geschichte, Anhang Nr. 4/I S. 220–226. Auswertungen: Ebd., 14; Bundschuh, Religionsgespräch, 112–114; Laubach, Ferdinand I., 147–150. Knapper: Westphal, Kampf, 43, Anm. 1, 44, Anm. 1. Zum Ergebnis: Lutz, Christianitas, 468 f.; Luttenberger, Kurfürsten, 268 f., Anm. 53 (gegen die Überbewertung bei Kurze, Kurfürst, 24 f.); Kohler, Ferdinand I., 253; Ott, Präzedenz, 343 f. Die hauptsächliche Darstellung ebd., 291–296, befasst sich mit der in Leitmeritz in die Wege geleiteten Erneuerung der Erbeinung zwischen Böhmen und Sachsen (Ratifizierung erst am 13. 4. 1557 in Prag).
48
 Die Gesprächsinhalte blieben dennoch nicht unbekannt: Hg. Christoph von Württemberg informierte Kf. Ottheinrich von der Pfalz am 29. 6. 1556 (Vaihingen), Kf. August habe dem Kg. dabei empfohlen, die Religionsfrage beim RT stillschweigend zu umgehen, da andernfalls besonders von den oberländischen CA-Ständen, also von Ottheinrich und ihm, Christoph, heftigere Beschwerden als 1555 zu erwarten seien ( Ernst IV, Nr. 94 S. 105. Vgl. Westphal, Kampf, 36, Anm. 1; Bundschuh, Religionsgespräch, 114 f.). Der pommerische RT-Gesandte Laurentius Otto wurde bei seinem Aufenthalt in Dresden Ende Juni vom kursächsischen Rat Hans von Ponickau vertraulich über die Zusammenkunft informiert (Schreiben Ottos an Hofrat Bartholomäus Suave; Dresden, 30. 6. 1556: AP Stettin, AKS I/163, pag. 259–276, hier 262–268. Or.). Am 24. 8. 1556 berichtete der sächsische Gesandte Schneidewein aus Regensburg an die Hgg. von den inzwischen auch dort verbreiteten Aussagen zum Treffen und zur Übereinkunft von Kg. und Kf., die Religionsvergleichung beim RT nicht zu forcieren (HStA Weimar, Reg. E Nr. 180, fol. 110–115’, hier 115 f. Or.).
49
  Laubach, Ferdinand I., 150. Vgl. dessen Resümee ebd., 149 f., gegen Bundschuh, Religionsgespräch, 114, und Kurze, Kurfürst, 24 f.
50
 Vgl. Kap. 3.1.1.
51
 So Lanzinner, Reich als Handlungsfeld, 54, im Hinblick auf die Bedeutung Kf. Augusts für die Reichspolitik nach 1555.