Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Inhaftierung des Ebf. sowie des Koadjutors von Riga durch den Landmeister des Deutschen Ordens in Livland. Landfriedensbruch und Gefährdung der Türkensteuer. Forderung einer Intervention des Reichs gegen den Landmeister als Reichsstand.

Im RR mündlich vorgetragen, anschließend schriftlich vorgelegt1 und von den Reichsständen kopiert am 18. 8. 1556.

HHStA Wien, RK RTA 36, fol. 463–464’ (Kop. Aufschr.: Lectum 18. Augusti anno 56. Dorsv. Hd. Zasius: Der kfl. brandenburgischen räth anbringen an gemaine stend.) = Textvorlage. GStA PK Berlin, I. HA Rep. 10 Nr. Y Fasz. A, fol. 2 f. (Konz.) = B. HStA München, KÄA 3177, fol. 458 f. (Kop. Aufschr.: Lectum Ratisponae, 18. Augusti anno 56.) = [C]. HStA Stuttgart, A 262 Bü. 47, fol. 116–118’ (Kop.). HStA Düsseldorf, JB II 2297, fol. 93 f. (Kop.). HStA Dresden, Loc. 10192/4, fol. 100–101’ (Kop.).

/463/ An die Reichsstände: Kf. Joachim II. möchte verhindern, dass durch innere Konflikte im Reich die Maßnahmen gegen die Türken beeinträchtigt werden. Er hat deshalb ihnen, seinen Gesandten zum RT, aufgetragen, Folgendes vorzubringen:

Der Landmeister des Deutschen Ordens in Livland2  hat den Ebf. von Riga3 , den Vetter des Kf., ohne jede Ursache angegriffen und zusammen mit Hg. Christoph von Mecklenburg4  gefangen genommen; auch inn vorhaben sein soll, sein thettlich vornemen noch weitter zu streckhen5. Wann dann solches nit allain deß Hl. Reichs landfriden zum hochsten zuwider, sonnder auch bei vilen leüthen daß ansehen gewinneth, alß were ettwas annders dohinder, unnd derwegen der gesuchten turggen hilff nit wenig hinderung eingefüert werden will, so ist irer kfl. Gn. freundtliche bitt unnd gnedigs gesinnen, die stend und pottschafften wolten mit dem maister inn Liefland (weill ir kfl. Gn. nit anders wissten, dann daß derselbig auch ain stand deß Reichs seie6) die fürderliche beschaffunng thun, das er von seinem thättlichen vorhaben abstee unnd derer ortthe denn gemainen friden weitter nit betrüebe, auch die wider deß Heilligen Reichs landfriden gefanngene herrn wider ledig gebe. Dann do dasselbe verpleiben unnd nit geschehen solltte, a–haben euer Gnn. und Gunsten–a leichtlich zuerachten, daß sonnderlichen die stende, so denen orten /463’/ ettwaß angesessen, zu der türggen hilff schwerlich zubewegen sein werden; b–zu dem dz allerhand sorggliche weitterungen darauß entsteen khondten–b. Kf. zweifelt nicht, dass die Reichsstände sich der Gefahr entsprechend verhalten und damit den allgemeinen Frieden befördern werden.

Unterzeichnet von Gf. Wilhelm von Honstein, H. zu Vierraden, und Dr. Andreas Zoch, Kurbrandenburger Gesandte beim RT.

Anmerkungen

1
  Kurmainz, pag. 36–39 (mündlicher Vortrag), pag. 50 (schriftliche Vorlage) [Nr. 6]. Die Aufzeichnung des mündlichen Vortrags im Mainzer Protokoll entspricht weitgehend wörtlich der kopierten schriftlichen Fassung. Die Eingabe wurde wohl veranlasst von der Bitte Hg. Johann Albrechts von Mecklenburg (überbracht von Kanzler Johann Hoffmann im Juni 1556), Kf. Joachim möge die Koadjutorsache auf dem RT unterstützen (vgl. Hartmann, Herzog I, Nrr. 1851 f. S. 307 f.).
2
 Heinrich von Galen (gest. 1557), Landmeister des Deutschen Ordens in Livland seit 1551 ( NDB  VI, 41).
3
  Mgf. Wilhelm von Brandenburg (1498–1563), Ebf. von Riga seit 1539, aus der mgfl. Linie Ansbach-Kulmbach stammend, Bruder Hg. Albrechts von Preußen ( ADB  XLIII, 177–180).
4
  Hg. Christoph von Mecklenburg (1537–1592), 1554 Administrator des Hst. Ratzeburg, seit 1555 Koadjutor im Erzstift Riga ( NDB  III, 247; Bergengrün, Herzog).
5
 Bezugnahme auf den letzten Ausbruch des Konflikts zwischen dem Deutschen Orden und dem Erzstift Riga um die Vorherrschaft in Livland in der sogenannten Koadjutorfehde 1555–1557: Die von Hg. Johann Albrecht von Mecklenburg für seinen Bruder Christoph angestrebte und von Hg. Albrecht von Preußen im Zusammenwirken mit Polen-Litauen für eigene Zwecke instrumentalisierte Koadjutur im Erzstift Riga musste nach der Wahl gemäß dem Rezess von Wolmar 1546 (vgl. Anm.6 bei Nr. 513) vom livländischen Landtag im März 1556 von allen dortigen Ständen anerkannt werden. Da die Bestätigung nur mit Bedingungen erfolgte, die Ebf. Wilhelm von Riga, die mecklenburgischen Räte des Koadjutors und Kg. Sigismund II. August von Polen ablehnten (vgl. Anm.11 bei Nr. 515), erklärte Landmeister von Galen den Krieg. Sein Koadjutor Wilhelm von Fürstenberg eroberte das Erzstift Riga und ließ Ebf. Wilhelm sowie Koadjutor Christoph absetzen und verhaften. Vgl. zur Koadjutorfehde die zeitgenössische Chronik: Bunge, Chronicon, 116–121; zahlreiche Korrespondenzen im Zusammenhang damit: Frantzen, Urkunden, ab Nr. 267 S. 667–706; Hartmann, Herzog I, passim. Ausführlichere Schilderungen: Schirrmacher I, 283–325; Bergengrün, Herzog, 20–94; Seraphim, Geschichte, 211–222; Napiersky, Erzbischof, XXXIV-XLIV. Neuere Darstellungen (Auswahl): Gundermann, Grundzüge, 43–45; Kirchner, Rise, 35–39, 126–129, 202–206; Hartmann, Quellen, 275–290. Umfassende Darlegung der Politik Preußens, Dänemarks und Polens in der Fehde: Rasmussen, Krise, 28–89. Zu Einzelheiten vgl. die Hinweise bei den folgenden Aktenstücken.
6
 Die Zugehörigkeit des Deutschen Ordens in Livland zum Reich konstatiert  Hausmann, Verhältnis: Der Landmeister war Vasall des Ks., hatte Titel und Rechte eines Reichsfürsten, Sitz und Stimme auf dem RT und unterstand dem RKG als Appellationsinstanz. Vgl. dagegen Hellmann, Altlivland: Aufgrund des mittelalterlichen Lehensstatus (päpstliche Lehen), der bis ins 16. Jahrhundert unverändert blieb, seien weder der Orden in Livland noch die dortigen Bstt. Teil des Reichs gewesen. Dem folgt Tarvel, Lage: Explizit das Erzbistum Riga war ebenso wie der Deutsche Orden in Livland „formell dem Papst unterstellt und hatte nie dem Heiligen Römischen Reich zugehört.“ Allerdings entstand seit dem Mittelalter „eine vage Verbindung zwischen Livland und dem Reich“ (108): Die Livländer selbst betrachteten sich als Reichsangehörige und erkannten die Reichsinstanzen an, andere auswärtige Potentaten stellten die Oberhoheit des Ks. in Livland noch 1570 nicht infrage (zur Entwicklung der staatsrechtlichen Lage von 1559–1629: Ebd., 109–116). Zu den intensiven Bemühungen der livländischen Landmeister um die Reichsfürstenwürde im 16. Jahrhundert und deren Manifestierung durch die Teilnahme an RTT vgl. Demel, Rekuperationsbemühungen, 195–200. Lanzinner, Friedenssicherung, 409: Die staatsrechtliche Bindung vor allem der anderen livländischen Stände neben dem Deutschen Orden an das Reich war nur sehr locker, da sie sich nicht an RTT beteiligten und nicht in der Reichsmatrikel aufgelistet waren.
a–
 haben … Gunsten] In B Einfügung am Rand und korr. aus: ist.
b–
 zu dem … khondten] In B Einfügung am Rand.