Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb
Den in der ersten Werbung mitgeteilten Aufschub des Reichstags von 1. 3. auf 1. 4. 1556 musste König Ferdinand wenig später revidieren und zunächst bis zu einem nicht näher bestimmten Termin prolongieren: In einem Sammelschreiben vom 8. 3. 1556 (Wien) an die Kurfürsten38 sowie zahlreiche geistliche und weltliche Fürsten39 gab er bekannt, dass sich nach der Ständeversammlung in Ungarn der Ausschusslandtag in Österreich länger als geplant hinzöge und deshalb der böhmische Landtag40 wider Erwarten noch nicht habe zusammentreten können. Außerdem erfordere die Entwicklung in Ungarn die Anordnung unaufschiebbarer Abwehrmaßnahmen gegen die Türken. Da demnach seine geplante Anreise nach Regensburg zum 1. 4. 1556 nicht möglich war, empfahl der König den Kurfürsten und Fürsten, ihren Reichstagsbesuch aus Kostengründen ebenfalls aufzuschieben und erst nach einer weiteren Benachrichtigung aufzubrechen. Einen Eröffnungstermin nannte er nicht.
Wegen des Ausbleibens des Königs wurde bei den seit Anfang März in Regensburg am Vergleichstag im Markgrafenkrieg mitwirkenden Gesandten das Gerücht kolportiert, der Reichstag insgesamt werde längerfristig prorogiert41. Vielleicht auch deshalb wandte sich Ferdinand in einem weiteren Sammelschreiben vom 10. 4. 1556 (Wien) nochmals an Kurfürsten und Fürsten42, in dem er einen längeren Aufschub des Reichstags ausschloss, da die wachsende, auch das Reich betreffende Türkengefahr die baldige Verabschiedung von Gegenmaßnahmen dringend erfordere. Er kündigte nunmehr seine Ankunft und die Verhandlungseröffnung für 1. 6. 1556 an und forderte das pünktliche und persönliche Erscheinen zu diesem Termin, um vorrangig zum Widerstand gegen die Türken zu beraten. Ferdinand wurde in seinem Bemühen wie im Januar 1556 nochmals von Kaiser Karl V. unterstützt, der, veranlasst von der Bitte seines Bruders43, bei den Kurfürsten und Fürsten von Brüssel aus am 28. 4. 1556 ebenfalls explizit unter Verweis auf die Angriffspläne der Türken die persönliche Reichstagsteilnahme ab 1. 6. anmahnte. Das kaiserliche Schreiben ging wie jenes des Königs vom 10. 4. neben den Kurfürsten ebenfalls an die Fürsten, die am 8. 3. 1556 über die Verzögerung des Reichstags informiert worden waren44.
Auf diese gemeinsame Aktion des nominellen und des faktischen Reichsoberhaupts hin kamen zwar keine Kurfürsten und Fürsten persönlich nach Regensburg, doch ordnete eine Reihe von Reichsständen Gesandte zum Termin 1. 6. 1556 ab45. Da die Anreise des Königs sich aber weiter verzögerte, beauftragte er seine Vertreter am Reichstag, den anwesenden Ständedeputierten die Ursachen seines Ausbleibens darzulegen und sein Kommen in Aussicht zu stellen, sobald es ohne Gefahr für die Erblande möglich sei. Einen genaueren Termin nannte Ferdinand nicht. Der Vortrag der königlichen Weisung am 10. 6. 155646 veranlasste neben diversen Gerüchten um religionspolitische Hintergründe des wiederholten Aufschubs47, dass Gesandte wegen des unsicheren Eröffnungstermins um ihre Abberufung baten oder von ihren Herrschaften aus Kostengründen abgezogen wurden48. Daneben wurde über den voraussichtlichen Beginn des Reichstags49 ebenso spekuliert wie über die Frage, ob er überhaupt zusammentreten oder nochmals längerfristig vertagt werden würde50. Der hennebergische Verordnete Kistner berichtete am 6. 7. 1556, es seien nur noch wenige Gesandte anwesend, um die Verhandlungsaufnahme abzuwarten. „Und seyn deßen so gewyß als der stund des todts. Niemand saget oder schreybet etwas davon“51. Der stets gut informierte Zasius glaubte zu wissen, dass wegen des Fortgangs des Reichstags beim König selbst „alles inn ungewüßheit gestanden“ und er deshalb seinen Geheimen Rat um Gutachten gebeten habe, ob „mit dem reichstag ytzo stracks zu procedirn oder aber denselben uf etliche monat zu prorogiern.“ Ferdinand werde zudem verunsichert von der Absicht der CA-Stände, gleich zu Beginn „in etlichen hohen, wichtigen und ghar prejuditial puncten zu moviren und furzubringen.“ Dennoch deute vieles darauf hin, dass er persönlich kommen und den Reichstag wohl nicht vertagen werde52.
Zasius hatte insofern recht, als der König wegen der Türkengefahr zwar noch nicht selbst anreisen konnte, aber die Verhandlungsaufnahme nicht länger hinausschieben wollte, vorrangig um der Abreise von weiteren Gesandten zuvorzukommen und die Geduld der in Regensburg verbliebenen Deputierten nicht weiter zu strapazieren. Er versuchte deshalb, Herzog Albrecht von Bayern als Prinzipalkommissar zu gewinnen, der in seiner Vertretung den Reichstag eröffnen und sodann die Verhandlungen für ihn führen sollte. Es waren allerdings zwei Gesandtschaften nach München erforderlich, um den Herzog von diesem Plan zu überzeugen, da Albrecht die Leitung insbesondere wegen der konfliktträchtigen Religionsfrage mit dem erwarteten Junktim der CA-Stände zur Türkenhilfe nicht übernehmen wollte und Ferdinand daher einen späteren Eröffnungstermin im Herbst nach dem vermutlichen Abzug der Türken empfahl. Er räumte die Übernahme des Kommissariats zunächst nur mündlich ein, falls er Regensburg nach der Eröffnung wieder verlassen dürfe53. Der König wandte sich deswegen nochmals gesandtschaftlich54 und in einem persönlichen Schreiben55 an Albrecht, in dem er die angeregte Prorogation ablehnte, um eine Reichshilfe zumindest gegen den für das Frühjahr 1557 erwarteten Türkenzug zu sichern. Die Problematik der Religionsverhandlungen relativierte Ferdinand, weil man mit dem Augsburger Friedenswerk „des ymerwerennden fridens gegenainannder versichert“ sei und namentlich die CA-Stände „von wegen vergleichung der strittigen religion nit seer anhallten“ würden. Da die Eröffnung „ansehenlich unnd stattlich“ zu gestalten sei, könnten sie die eigenen Verordneten, die dafür „etwas zu wenig sein möchten“, nicht übernehmen. Der Herzog sollte deshalb den Reichstag eröffnen, anschließend noch wenige Tage bleiben, um die Beratungsaufnahme abzuwarten, und den königlichen Kommissaren einige seiner Räte als Substituten zuordnen, jedoch zur Entgegennahme von reichsständischen Resolutionen selbst zurückkehren.
Herzog Albrecht erklärte sich schließlich widerwillig bereit56, den Reichstag am 13. 7. zu eröffnen und noch zwei bis drei Tage abzuwarten. Eine weiter andauernde Übernahme des Kommissariats lehnte er nochmals ab57, er versprach aber, bei der Eröffnung und anschließend im Fürstenrat für die bevorzugte Beratung der Türkenhilfe einzutreten. Das primäre Ziel Ferdinands, die unverzügliche Eröffnung des Reichstags, war mit dem bayerischen Kommissariat gesichert. Indes sagte Albrecht in Regensburg gegenüber den Vertretern des Königs vor seiner Abreise am 15. 7. darüber hinausgehend doch zu, er werde neben der Verordnung seiner substituierten Kommissare auch persönlich zurückkehren, falls die Verhandlungssituation es erfordere58. Damit entsprach er nunmehr gegen seine vorherige Weigerung der ersten Bitte Ferdinands, das Kommissariat längerfristig weiterzuführen.
Ferdinand richtete am 6. 7. 1556 (Wien) neuerlich ein Schreiben an die bedeutenderen Reichsstände, in dem er seine am 10. 4. angekündigte Ankunft zum 1. 6. wegen der Organisation der Abwehrmaßnahmen gegen die türkische Offensive und die Rebellen in Ungarn nochmals widerrief und das bayerische Reichstagskommissariat mit der Eröffnung der Verhandlungen durch Herzog Albrecht in wenigen Tagen und deren Fortführung bis zu seiner Ankunft bekannt gab59. Die bis dahin nicht verglichenen Punkte wollte der König sodann selbst „abhanndlen unnd beschliessen helffen“. Er verband damit die Aufforderung an die Reichsstände, sich entweder unverzüglich persönlich nach Regensburg zu begeben oder Gesandte abzufertigen, die mit umfassender Vollmacht ohne Hintersichbringen die 1555 prorogierten Artikel und besonders die Türkenhilfe förderlich beraten sollten.
Das neuerliche Ladungsschreiben des Königs erging zu spät, um die reichsständische Repräsentation bei der Eröffnung am 13. 7. 1556 zu erhöhen60. Er wollte mit der Erforderung zum Reichstag eher den zügigen Fortgang der Verhandlungen im Anschluss an die Eröffnung sicherstellen, um zur Türkenhilfe bald greifbare Ergebnisse zu erzielen. Die langwierigen Verzögerungen bis Ende November waren in diesem Stadium noch nicht abzusehen.