Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb
Den Ausgangspunkt der protestantischen Vorbereitungen bildete die innere Krise aufgrund der theologischen Lehrdifferenzen81, deren Beilegung grundsätzlich und aktuell im Hinblick auf das geschlossene Auftreten beim Reichstag anzustreben war. Die Bemühungen darum wurden seit Herbst 1555 initiiert von Herzog Christoph von Württemberg82: Er verfocht seinen Plan einer persönlichen Zusammenkunft der Fürsten, als deren Aufgabe er die Sicherung der dogmatischen Einheit sah, trotz der Einwände seiner eigenen Räte83 und Landgraf Philipps von Hessen, der einen Theologenkonvent bevorzugte84, mit großem Engagement85 und konnte dafür Anfang 1556 auch Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz86 gewinnen, scheiterte aber trotz der Unterstützung durch die Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken87 und Ottheinrich von Neuburg88 an der Zurückweisung des Fürstentags und des parallel konzedierten Theologenkonvents durch den Kurfürst und die Herzöge von Sachsen. Letztere reagierten im Januar 1556 auf der Grundlage eines Gutachtens ihrer Theologen, das jegliches Abweichen vom flacianischen Standpunkt ablehnte, abschlägig89: Eine Theologensynode sei vor dem Reichstag terminlich nicht mehr möglich, ein Fürstentag würde auf der Gegenseite Verdacht erregen. Ähnlich bevorzugte Kurfürst August von Sachsen90 gegenüber der Fürstentagung, die den Eindruck eines antikatholischen Bündnisses evozieren könnte91, Absprachen der Gesandten oder Theologen erst in Regensburg92.
Christoph von Württemberg modifizierte deshalb im Februar 1556 seine Strategie und versuchte, die Tagung auf die süddeutschen CA-Stände zu beschränken93. Doch scheiterte aufgrund der Erkrankung Kurfürst Friedrichs II. von der Pfalz und sodann wegen der Verrichtungen Ottheinrichs nach dem Kurantritt auch dieser Versuch. Es ergab sich lediglich eine Zusammenkunft des Herzogs mit Ottheinrich während dessen Reise nach Heidelberg, bei der eine Revision des Religionsfriedens angesprochen wurde94. Die Anregung Philipps von Hessen, Kurfürst August nochmals wegen der Tagung zu kontaktieren, griff Herzog Christoph nicht mehr auf, da er diesen und andere CA-Stände „mer alls ein mall“ darum gebeten habe. Er lehnte eine weitere Gesandtschaft ab und befahl die Sache Gott95.
Nachdem die Fürstentagung und der Theologenkonvent nicht zustande kamen, schien eine anderweitige Form der Verständigung, zumindest beschränkt auf das Auftreten beim Reichstag, erforderlich. Die Initiative dafür ergriffen die Herzöge von Sachsen mit der Anregung, die Gesandten und Theologen bis spätestens 1. 6. nach Regensburg abzuordnen, um die bisher unterbliebenen Gespräche über die Religionsfrage dort zu führen und sich auf eine einhellige Position auf der Grundlage der CA zu verständigen96. Die Antworten bestätigten im Allgemeinen die Notwendigkeit der Unterredung, sie nahmen die konkrete Anregung aber nicht durchgehend an: Während Württemberg, Pfalz-Zweibrücken, Baden, Brandenburg-Ansbach und Henneberg die termingerechte Abordnung ihrer Gesandten ankündigten97, konnte der Kurfürst von Sachsen seine Deputierten bis dahin nicht schicken98. Ottheinrich von der Pfalz wollte diese Gespräche nicht in Regensburg führen, sondern bei einem nach Coburg angesetzten Vergleichstag im Katzenelnbogener Erbfolgestreit, zu dem die maßgeblichen Kurfürsten und Fürsten persönlich erwartet wurden99.
Während die Coburger Tagung nicht zustande kam, beschränkten sich die in Regensburg seit Anfang Juni geführten Gespräche auf Einzelunterredungen der bereits anwesenden Gesandten Württembergs, der Herzöge von Sachsen, Pfalz-Zweibrückens, Hessens und Brandenburg-Ansbachs100, in die später ankommende Delegierte einbezogen wurden. Eine gemeinsame Absprache vor dem Beginn der Hauptverhandlungen kam nicht zustande, da wichtige CA-Stände, namentlich Kursachsen, noch nicht vertreten waren101. Die erste Versammlung der CA-Stände konnte somit im Anschluss an die Ankunft der kursächsischen Gesandten erst am 22. 8. 1556 zusammentreten102.
Aufgrund der wiederholten Verhandlungsaufschübe nach der Reichstagseröffnung am 13. 7. 1556 konnten auch anderweitige vorbereitende Maßnahmen fortgesetzt werden. Wichtig war dabei zunächst die intensivierte Kooperation Ottheinrichs von der Pfalz und Christophs von Württemberg, wie sie besonders im Austausch der Reichstagsinstruktionen zum Ausdruck kommt. Ottheinrich versuchte dabei, den Herzog vor allem für seine Strategie in der Freistellungsfrage103 zu gewinnen, also für deren sofortige Forderung unter Verweigerung der anderweitigen Reichstagsverhandlungen vor einer Klärung104.
Das Engagement für die Freistellung weitete Kurfürst Ottheinrich zugleich aus auf alle wichtigeren CA-Stände, indem er sie Ende Juli 1556 schriftlich aufforderte, sich seiner Konzeption anzuschließen105: Es sei für sie als „principal stugk“ unabdingbar, „das man sich auf disem reichstag in kein andere handlung einlasse, es sey dann zuvor aller gleichmessigen erbarkait nach die freystellung in religion sachen erörtert und erlangt: Also das ainem jeden, er sey gaistlich oder weltlich, frey erlaubt sein und bevorsteen soll, aintweders zu der augspurgischen confession oder aber zum babstumb zetreten, das auch derhalb kainer seiner beneficien, dignitet, regiments oder einkomens entsetzt oder beraubt werden sollt etc.“ Die Freistellung sei zu erreichen, wenn die CA-Stände „fur ainen man zesamen steen“ und unablässig darauf beharrten. Ottheinrich bat, dieses Ziel auf dem Reichstag zu unterstützen und die Gesandten entsprechend anzuweisen.
Inwieweit folgten die CA-Stände diesem strikten Junktim von Freistellung und Verhandlungsverweigerung als Grundvorgabe für ihre Position beim Reichstag106? Zustimmend äußerten sich Graf Wilhelm von Henneberg107 und mit Abstrichen die Herzöge von Sachsen108. Sie hielten die Forderung für durchsetzbar, falls alle CA-Stände sie unterstützten, gaben aber gegen das Junktim mit der Türkenhilfe zu bedenken, es könne die Gegenseite von jeglichem Zugeständnis abhalten. Johann Albrecht von Mecklenburg betonte seine Vorgabe für die Gesandten, auf der CA zu beharren und „vor allen dingen, auch ehe einige turgken hilf bewilligt, uff die freistellung der religion sachen mit zudringen“109. Zu den Befürwortern gehörte daneben Herzog Christoph von Württemberg, wie seine Instruktion zum Geistlichen Vorbehalt zeigt. Er wies seine Gesandten an, mit den Kurpfälzer Delegierten die gleichzeitige Vorlage der Freistellung im Kurfürsten- und Fürstenrat zu koordinieren, allein aber nicht initiativ zu werden110. Ausweichend antwortete Markgraf Johann von Küstrin111. Kurfürst Joachim von Brandenburg kritisierte das mangelnde Engagement anderer CA-Stände gegen den Geistlichen Vorbehalt beim Reichstag 1555 und sagte nur vage zu, seine Gesandten zur Unterstützung der Freistellung anzuweisen112. Wichtiger als diese Stimmen war die Stellungnahme Kursachsens: Kurfürst August betonte seinen Einsatz gegen den Geistlichen Vorbehalt beim Reichstag 1555, der aber nicht habe verhindert werden können, um den für die CA-Stände vorteilhaften Religionsfrieden insgesamt zu erreichen. Dennoch habe er seine Gesandten jetzt beauftragt, sich anderen CA-Ständen im Versuch anzuschließen, die Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts durchzusetzen113. Jedoch lehnte er ausdrücklich ab, wegen der Freistellung den Religionsfrieden infrage zu stellen oder die für das Reich unabdingbare Türkenhilfe zu verweigern114. Landgraf Philipp von Hessen, der das kursächsische Dogma der Wahrung des Religionsfriedens auch auf Kosten des Geistlichen Vorbehalts inzwischen vorbehaltlos übernommen hatte, antwortete in Absprache mit Kurfürst August115 im gleichen Sinn und fügte an, Kaiser oder König würden ein etwaiges Zugeständnis später als abgepresst nicht anerkennen und vielleicht wie 1546 zu einem Krieg gegen die CA-Stände veranlasst werden, wenn man den Religionsfrieden in Zweifel ziehe116.
Die Herzöge von Sachsen unterstützten Kurfürst Ottheinrich über die erwähnte positive Reaktion hinaus mit einer eigenen Initiative, bei der sie die wichtigen CA-Stände ihrerseits nochmals baten, sich der Freistellungsforderung, die man aus Gewissensgründen nicht aufgeben dürfe, anzuschließen117. Wie zu erwarten, blieben die Positionen unverändert: Die norddeutschen Stände beriefen sich auf ihre Antwort an Kurfürst Ottheinrich118, wobei August von Sachsen wiederholt die Priorität der Wahrung des Religionsfriedens sowie der Sicherung der Türkenhilfe betonte119 und Joachim von Brandenburg ebenfalls ein Vorgehen „mit solcher guetten bescheidenheit“ anmahnte, das den Religionsfrieden nicht gefährde120. Die süddeutschen Stände erhielten das Schreiben erst Ende Januar 1557 und verwiesen auf ihr Verhalten bei den inzwischen fortgeschrittenen Reichstagsverhandlungen121.
Die Freistellung war ebenso ein Thema bei der gemeinsamen Reichstagsvorbereitung von Kursachsen und Kurbrandenburg, die Kurfürst August anberaumte, um Kurfürst Joachim auf der Basis seiner Abmachungen mit König Ferdinand in Leitmeritz122 möglichst für seine Strategie zu gewinnen123. Bei den am 21. 7. 1556 in Dresden geführten Gesprächen124 kam man überein, Verhandlungen zum Religionsvergleich beim Reichstag möglichst zu umgehen, da sie die Türkenhilfe behindern könnten, und strikt auf dem Religionsfrieden zu beharren. Als Vorbedingung für die Unterstützung des Königs gegen die Türken in Form einer Geldhilfe deklarierte man die Sicherung des Friedens im Reich. Beim anschließenden Austausch der Reichstagsinstruktionen stellte man weitgehende Übereinstimmung fest125. Allerdings wollte Kurfürst Joachim anders als August eine Debatte zum Geistlichen Vorbehalt nicht grundsätzlich umgehen. Diese und wenige andere Differenzen wurden in einer Unterredung Kurfürst Augusts mit Kurprinz Johann Georg am 25. 8. 1556 beigelegt126. Man einigte sich, eine Infragestellung des Religionsfriedens im Junktim mit der Bewilligung der Türkensteuer zu verhindern. Sonderverhandlungen der CA-Stände sollten nur insoweit statthaft sein, als man sich weiterhin an den Kurien beteiligte, also keine konfessionelle Teilung des Reichstags zuließ. Zur Freistellung wollte man sich einer Kurpfälzer Initiative nur anschließen, falls sie weder den Religionsfrieden zerrütten noch die Türkenhilfe hintertreiben würde. Damit war auch in dieser Frage das Einvernehmen beider Kurfürsten hergestellt.
Daneben gelang es Kursachsen, eine Übereinkunft mit den Herzögen von Pommern zu erzielen: Ende Juli 1556 stellten die pommerischen Gesandten Otto und Wolde auf ihrer Anreise nach Regensburg bei Gesprächen in Dresden zu den zentralen Punkten Religion und Türkensteuer fest, dass die kursächsischen Vorstellungen weitgehend ihrer Instruktion entsprachen127. Später wandten sich die pommerischen Herzöge wegen der Freistellungsinitiative des Pfälzer Kurfürsten nochmals an Kurfürst August, um mit ihm dazu und zu den weiteren Artikeln des Reichstags zu einer „vorgleichung“ zu kommen. Die dafür formulierte Instruktion128 belegt zur Freistellung die Übernahme des kursächsischen Standpunkts, während die Herzöge die Religionsvergleichung anders als Kurfürst August noch beim Reichstag mit der sofortigen Durchführung eines Kolloquiums angehen wollten.
Die Grundintention der führenden CA-Stände im Hinblick auf den Reichstag mit dem Schwerpunkt auf der Religionsfrage kommt in diesen ständeübergreifenden Debatten klar zum Ausdruck. Die umfassendere Vorbereitung auch der anderen Themenbereiche wird demgegenüber in den Quellen nicht oder nur am Rande thematisiert und ist deshalb nur anhand der Vorgaben in den Instruktionen für die Reichstagsgesandten nachzuvollziehen.