Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Kurfürstentag zu Regensburg 1575 bearbeitet von Christiane Neerfeld

Erinnerung an ihre zuletzt auf dem RT 1566 vorgebrachte Supplikation um Freistellung der Stiftsämter und Kapitel. Aufgrund des Stillstands in den Religionsverhandlungen erneutes Vorbringen ihrer Anliegen notwendig: Geltende Vorschriften behindern den Eintritt protestantischer Kandidaten in die geistlichen Stifte. Negative Folgen: Gefährdung des Grafenstands durch Zersplitterung des Familienbesitzes, Schäden für das Reich und den inneren Frieden. Ausschluss der Protestanten von den Pfründen widerspricht dem Religionsfrieden und der Gleichbehandlung der Konfessionen in allen anderen Reichsangelegenheiten. Freistellung in den Stiften ist weder eine Gefahr für den Katholizismus, da wie beim RKG beide Konfessionen zugelassen werden sollen, noch für die geistlichen Güter, die nicht erblich gemacht werden sollen. Vorschläge zur Vermeidung von Missbrauch. Bitte um Milderung der Vorschriften für protestantische Kandidaten: Abschaffung der Eide, die mit ihrem Gewissen unvereinbar sind; Beschränkung auf Gehorsam in politischen Angelegenheiten. Bedeutung der Freistellung in den Stiften für den Reichsfrieden und für den Erhalt der Grafengeschlechter.

Den weltlichen Kff. am 15.10.1575 übergeben1. Dem Ks. übergeben zwischen dem 18. und dem 22.10.15752.

HStA München, K. blau 110/5, fol. 97–105' (Kop.) = Textvorlage. Ebd., fol. 223–228' (Kop.Aufschr.: Copia supplicationis, so graven unnd herrn der freystellung halb ufm waaltag anno 75 ubergeben.) = B. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 10198/8, fol. 401–413 (inhaltlich identische, aber fehlerhafte Kop., hier als Supplikation an Ks. Maximilian II.; Dorsv.: Copia der wetterauischen und anderer graven itzo zu Regenßpurg der ksl.Mt. ubergebner supplication.)= C. LHA Koblenz, Bestand 1C, Nr. 16330, pag. 157–170 (lat.Kop., gerichtet an die Kff.). Druck: Supplicationes (1576), 36–50; Erstenberger , De Avtonomia I (1586), fol. 74–83'. Referiert bei Häberlin , Reichs-Geschichte IX, 349–360; Moritz , Wahl, 180 f.

/97/ Durchleuchtigste hochgeborne churfursten, gnedigste herrn. Ewer kfl.Gnn. haben sich gnedigst zuerinnern, mit was vielfeltigem ernst unnd eifer, auch auß was ansehenlichen, dapffern unnd erheblichen ursachen eine christliche freistellung inn der religion, bevorab auf den hohen thumbstifften unnd collegien, bei vorigen regirenden keisern, auch der itzigen ksl.Mt., unnserm allergnedigsten herrn, auff ettlichen gehaltenen reichsversamblungen und noch letzlich anno 66 zu Augspurg laut hiebei verwarter supplication3 gesucht unnd gebetten worden.

Nun hetten wir ja verhoffet, es solte diese[r] hochnottwendige unnd wichtige articul, an welchem dem Heiligen Romischen Reich, unnserm geliebten vatterlanndt, den churfurstlichen, furstlichen unnd gräflichen heusern, auch gemeiner ritterschafft, zuvorderst aber Gottes deß allmechtigen ehr unnd vieler menschen ewiges heil unnd wolfarth gelegen, fur dieser zeit erledigt unnd diesem beschwerlichen handel abgeholffen worden sein. Dieweil aber solichs bißdaher eingestelt unnd verblieben, nichts destoweniger unnser gewissen, auch unnsere unnd unnserer nachkhommen wolfarth, fur welche wir christliche sorgfeltigkeit zutragen schuldig, unns ermahnet unnd tringet, dieses werck nit ersitzen zulaßen, sonnder mitt hilff unnd zuthun e.kfl.Gnn. als deß Heiligen Romischena Reichs vornembsten seulen, auch annderer christlichen fursten, dasselbig, sovil unns menschen muglich zu treiben unnd zu urgiren biß der allmechtige guttige Gott, der aller menschen hertzen in seinen hannden hatt unnd sonnderlich /97'/ die grossen heupter regieret, dessen hanndt auch noch nit erkhurtzet ist, einmahl gnad unnd segen verleihet (wie wir zu seiner allmacht verhoffen), das solich werckh, so vornemblich zu seinen ehren dhienet, gepflantzt unnd vortgesetzt werde, so haben wir bey itzo der romischenn ksl.Mt., unnsers allergnedigsten herrn, unnd e.kfl.Gnn. sambt dero mittchurfursten, unnserer gnedisten herrn, versamblung nicht umbgehn sollen noch mögen, deßwegen abermals unnderthenigste anmahnung zuthun, ob vielleicht beneben anndern hochwichtigen deß Heiligen Reichs sachen unnd anligen dieser punct, darauff in warheitt nit der geringste theil deß Heiligen Reichs wolfarth stehet unnd beruhet, auch in beratschlagung gezogen, mit der itzigen ksl.Mt., auch dem erwölendem unnd kunfftigem haupt deß Heiligen Reichs darvon gehanndlet werden möchte.

Unnd anfenglichs erachten wir fur unnöttig, e.kfl.Gnn. mit weittlaufftiger erholung unnd erinnerung deßjhenigen, was ann diesem werckh gelegen, auch wie heilsam, nutzlich unnd nottwendig es seye, zubemühen, inn betrachtung, das soliches e.kfl.Gnn. nicht allein auß christlichem, hocherleuchtem, beiwohnendem verstanndt bekhandt unnd offenbar, sonndern auch die acta, handlungen unnd berathschlagungen dieser sachen wegen durch e.kfl.Gnn. unnd anndere unnserer wahren religion der augspurgischen confession verwanndte stende gehalten unnd gepflogen, dasselbig gnugsam bezeugen unnd mit sich bringen. Allein mögen e.kfl.Gnn. wir mit der kurtze nitt /98/ pergen, das unnserm grewlichen als gleichwol dem geringern stanndt im Heiligen Reich, zugeschweigen den chur- unnd furstlichen heusern, denen villeicht soliches beschwerlicher felt dann unns, durch dieses werckh, dab es lenger differirt oder gar abgeschlagen werden solt, ein offenbarer unndergang der furnembsten uralten gräflichen heuser getrowet würdet unnd fur augen schwebet.

Dann nachdem die iuramenta, pflicht unnd stattuten auf den hohen stifften also geschaffen, auch von tag zu tag dermaßen unnd besonnders seither deß concilii tridentini gescherpfft werden, das wir, wie auch die fursten und die vom adel, so der augspurgischen confession verwandt unnd zugethan, unnsere kinder, freundt unnd verwandten mit guetem gewissen auf die stifft nit thun oder bringen mögen, so spuren unnd erfahren wir täglich, das der jungen grafen unnd herrn anzahl durch Gottes segen sich dermaßen mehret unnd zunimpt, das, wo sie alle weltlich blieben unnd mit ihren brudern in gleichem theil in den erbschafften ghen solten, die uralte grafliche heuser zerrissen unnd annders nichts in kurtzen jaren dann ein endtlicher unndergang deß gräflichen standts, welchen unnsere voreltern mit darsetzung leibs, guts unnd bludts bei dem Heiligen Reich erworben, ervolgen würde. Solte es nun daselbst hin gelangen, so wer es nit allein /98'/ dem Heiligen Reich verkleinerlich unnd nachtheilig, sonndern es möchten auch unnsere kinder unnd nachkhommen die sachen ettwas ernstlicher unnd hitziger zugemuth furen, auch sich erinnern, das demnach ihre löbliche voreltern zu der ehren Gottes, auch auffpflantzung unnd erhaltung der gräflichen heuserc, viel stattlicher ansehenlicher gueter unnd grosser reichthumb zu den stifften gegeben, deren sie billich vehig unnd zugenießen unnd viel lieber das eusserst würden vorsuchen dann sich unnd ihre gantze posteritet von solichen beneficien unnd was denselben anhangt, allein umb deßwillen, das sie demd bapstumb nit anhengig, vertringen unnd entsetzen zulassen. Zu was beschwerlichkeit aber dasselbig gereichen würdet (welches doch der almechtig Gott, die röm.ksl.Mt., e.kfl.Gnn. unnd anndere stände deß Heiligen Reichs gnediglich geruhen abzuwenden), das hatt menniglich reines verstanndts zuermessen unnd abzunemmen, dann es nit allein, wie zubesorgen, bei dem gräfenlichen stanndt bleiben, sonder es würde zu anndern beschwerlichen weitterungen, dardurch die uralte löbliche stiffte in höchste beschwerungen gerathen würden, ursach geben.

Unnd ist je frembt zu hören, vielmehr aber mit beschwerden zuvernemmen unnd bei den nachkhommen ubel zuverantwortten, das im Heiligen Reich teutscher nation alle stenndt, sie seien der römischen religion oder augspurgischen /99/ confession zugethan, eines allgemeinen fridens sich mit einannder gebrauchen, in Reichs gemeinen unnd particular versamlungen bei einannder sitzen, gleiche stimmen haben, in administration der justitien am ksl. cammergericht beider religions verwandten angenommen, deßgleichen in verrichtung annderer deß Heiligen Reichs geschefften der religion halben kheiner dem anndern furgezogen noch jemanden von wegen der religion durch den anndern geschmehet, verkleinert, vernachtheiligt oder beschwerdt werden solle, darzu auch alle gemeine beschwerden unnd Reichs anlagen als steuer, raiß, volg, contributiones, cammergerichts underhaltung unnd dergleichen, neben den andern tragen unnd leisten mußen, unnd dahero unbillich, das sie von den geistlichen beneficien unnd stifften allerdings außgeschlossen unnd deren die anndern allein vehig sein unnd geniessen solten. Dessen aber unangesehen die jhenigen stende, so sich zu der augspurgischen confession bekhennen, vom anndern theil, so sich catholisch nennene, also von stifften außgeschlossen unnd dergestalt angesehen werden, das man sie auch nit wirdig achtet, auff di stifft unnd ertzstifft zunemmen noch ihrerf loblichen voreltern fundationen unnd benefitien sie wil laßen genießen, sie machen sich dann dem pabst zu Rhom beipflichtig, dardurch sie dann an ihrer höchsten wolfarth der seelen heil unnd seligkeit zum eussersten beschwerdt unnd vernachtheiligt, da doch zu bestenndiger erhaltung ruhe unnd fridens im Heiligen Reich bei diesem puncten weniger nit dann in allen anndern sachen unnd handlungen unnder den stenden ein durch- /99'/ gehende gleicheit billich gehalten unnd observirt werden solte. Auß welcher ungleicheit dann der nießung der geistlichen guter unnd beneficien hochlich zubesorgen, das in di harr annders nichts dann ein grossere verbitterung der gemüeter unnd mißtrawen zwischen den stenden, auch letzlich eine endtliche zerrüttung alles friedtlichen wesens im Teutschlanndt würdt entstehen unnd erwachssen.

Wiewol wir nun wissen, das sich die romischen catholische stende wider diesen articul der freistellung auf den stifften hefftig legen unnd diese zwei argumenta furnemblich furwenden, als ob man dardurch ihre religion gar außtilligen, auch underm schein der religion nach den geistlichen gutern greiffen unnd sie an sich ziehen wolleg, so haben sie sich doch unnsers ermessens dieser beider puncten halben wenig, ja gar nichts zubefahren. Dann sovil das erste belangt, da solle es billich eine freistellung heissen und bleiben und niemandt zu der religion gezwungen oder genöttiget werden, sondern unbetracht was religion einer ist zu den beneficien gelassen unnd auff die stifft angenommen werden. Unnd wie man dasselbig am ksl. cammergericht der gestalt ubet, also hette man es auf den stifften viel besser unnd leichter zu observirn, auch zwischen denen personen, die ohne das mehrertheils einander mit blutfreundtschafft zugethan unnd garnichts zuvermuten, das ein furst, ein graf oder einer vom adell der augspurgischen confession einem anndern, der ihme ver- /100/ wanndt, ob er schon nicht seiner religion, wurde unnderstehn außzuschließen oder zuruckhzustellen, dann do es einer thete, so must er hinwiderumb besorgen, das seinen freunden unnd verwandten mit gleicher maß gemessen wurde. Zu dem wo jemandt solichs begegnete, so hette er sich dessen bei der ksl.Mt. unnd gemeinen stenden zubeclagen unnd umb geburende hulff anzusuchen, inmaßen dan beschehen ist unnd zweiffels ohne noch geschehe, da sich ein gleicher fall mit annemmung eines beisitzers, advocaten unnd procurators am ksl. cammergericht zugetragen oder noch zutruge, unnd diesem were durch ein Reichs constitution unnd satzung leichtlichen zubegegnen unnd furzukhommen.

Sovil dann das annder arg[u]ment betrifft, da mogen wir fur unnsere personen bei hochster warheit wol betheuern, das unnsere meinung unnd gemüet kheins wegs dahin stehet, unns der geistlichen gueter zuernehren noch sie unns einzuheimschen, khonnen auch nit glauben, das andere stende dasselbig suchen, wie auch soliches kheinem zugestatten, dann dardurch unnserer posteritet wenig gedhienet; sonndern wir halten es gewißlich darfur, do jemandt, er were furst, grave, herr oder vom adel, sich dessen anmaßen, es wurden die uberige stende als interessenten mit ernst darwider sein unnd es kheinen gut heißhen noch ihren posteris diese heilsame stifftungen entziehen lassen.

Unnd were diesem unnsers ermessens auch wol ein weg zufinden, dann es würden unnsere religionsverwandten unbeschwerdt sein, in auffnemmungen der beneficien /100'/ einen leiblichen eidt zu prestieren, das sie die geistliche guter, wie sie auf sie kommen, bei den stifften laßen und kheine verenderung darunder suchen oder furnemmen noch von anndern zubeschehen gestatten wolten. Unnd im fall die römischen stende damit nit zufriden sein, sonndern noch ferner mißtrawen in unns setzen wolten, da wir doch darfur achten, das sie unns fur redtliche geborne teutsche graven unnd herrn etc., die ihren pflichten unnd eiden nachzusetzen gemeint, halten werden, so seindt wir zum uberfluß dessen erbuttig, wan es ann deme, dz unnserer kinder unnd verwandten einer auf di stifft angenommen oder hernacher zu höhern beneficien unnd digniteten gelangen solten, jedesmaln gnugsame caution unnd sicherheit fur soliche pfrunden zu leisten, das sie von den stifften nicht hinweg gerissen werden solten, auch dieser caution wegen, wo vonnötten, unpartheische erkhanndtnuß zu leiden oder aber unnsere sohne unnd verwanndten, da wir ein soliches nit prestiren konnen, von den stifften abzuhalten. Uber das, so hetten auch die ksl.Mt. unnd gemeine stende eine besonndere reichssatzung aufzurichten und soliche alienation, verenderung unnd einziehung der beneficien bei peen der acht in bester form zuverkhomen, auch die execution darmit deß Heiligen Reichs camergerichts ordnung darunder zubevelhen. Wann nun soliche drei wege, oder so scharpff man es immer furkhommen mag, ann di handt genommen, so wurdt ge- /101/ wißlich kheiner, er were was stanndts er wolt, so frefel, unbesonnen unnd unbedacht, das er sich unnderstehn würde, demselben zuwider zuhandlen oder, do er es thete, ist man im Heiligen Reich so mechtig unnd starck, das man einem solichen ubertretter wehren und begegnen kondte.

Es halten aber ettliche noch fur unmüglich, also starck ist das mißtrawen bei ihnen eingewurtzelt, das soliches einziehen der güeter unnderpleiben würde, dieweil zweifels ohne, wo die religion auf den stifften freigestelt, viel geistliche personen sich in ehestanndt begeben, deren kinder darnach di beneficia nit verlaßen, sonndern bei ihren freunden unnd verwandten hilff unnd beistanndt suchen, darauß dann ein endtliche zerrüttung unnd unndergang der stifft ervolgen würde. Diesem aber ist leichtlich zuantwortten, im fall man sich der obgesetzten mittel gebrauchte, so hette man sich dergleichen nit zubefahren. Es wurdt auch in eines jeden gelegenheit nit sein, zur ehe zugreiffen, sonndern sich viel, unnd vielleicht der gröste theil, beneben der beneficien inn der ksl.Mt., der chur- unnd fursten, auch annderer potentaten diensten in fridens- und krigens zeitten gebrauchen unnd in ehrlichen und ritterlichen dingen uben. Dessen hatt man auch gnugsame exempel nit allein bei ettlichen reformirten stifften in Teutschlandt, sonndern auch in anndern königreichen, als sonnderlich in Hispania, da vielerlei geistliche orden gefunden werden, welchen /101'/ doch der eheliche stanndt mit nichten verbotten ist, auch die gueter bei den stifften ruwig bleiben.

Ob nun der romische theil sich weitter befahren wolte, wan der augspurgischen confessions verwandter einer zu der ertzbischoffenlichen oder bischoffenlichen digniteten erhaben, so wurde er also baldt di meß sambt dem gantzen babstumb abschaffen unnd dardurch ihr religion gar zu boden gehn, welches inen unleidenlich unnd untreglich, darauf sagen wir erstlich, das unnserm theil der augspurgischen confession eben so hoch bedencklich unnd beschwerlich, unnserer religion, di wir auß Gottes wort wissen zuvertheidigen, ihren lauff unnd vortpflantzung Gottes deß allmechtigen ehr unnd vieler menschen heil unnd ewiger wolfarth zuentgegen also hinderstellen zulaßen. Neben deme, so kundte di fursehung geschehen, das auf obgesetzten fall beide religionen geduldet unnd angerichtet würden (inmaßen dann ann ettlichen ortten, auch unnder geistlichen stenden beide religionen offentlich geubet werden unnd im schwanckh ghen[)] biß sich das capittel einer allgemeinen reformation im gantzen stifft miteinannder vereinigte. Woferr4 auch in der administration unnd verwaltung geistlicher oder weltlicher sachen bei den stifften unnd capitulis streit furfallen würde, so hette man sich der exempel deß /102/ keiserlichen cammergerichts gemeß zuverhalten unnd von jeder religion in gleicher anzahl zuverrichtung solcher sachen zuverordnen, auch wo vonnötten ettlicher sonderbarer ordnung unnd satzungen sich mit einannder zuvereinigen.

Nachdem aber, wie hieoben zum eingang vermeldet, unnserm theil der augspurgischen confessionsverwandten stenden nit höhers im wege ligt noch beschwerlicher furfelt dann die gewonliche ordinationes oder weihungen unnd iuramenta, welche wir gewissens halben nit approbiren noch unnser kinder, freundt unnd verwandte damit obligiren oder verknüpffen mögen, sintemal dieselbige dahin gerichtet, das die canonici auf alle unnd jede babstische statuten, consuetudines novas et antiquas, sonnderlich di seithero gehaltenem concilio zu Trient gemacht unnd eingefurth worden, juriren unnd schweren mussen, unnder welchen statuten unnd ordnungen viel seindt, di unnserer religion stracks zuwider, auch derselbigen noch ettliche aufgerichtt unnd gemacht werden möchte[n]; insonderheit aber ist das iuramentum, so bischoff unnd prelaten dem bapst unnd sonnsten zuerhaltung ihrer confirmation unnd stanndts, welches professio fidei genant, leisten mußen, also geschaffen unnd gewanndt, das es nit allein durch niemandt unnserer religion one verletzung seines gewissens praestirt werden khan, sonndern auch besorglich, das es zu erhaltung friedtliches wesens /102'/ wenig fürtreglich sein wurde unnd deßwegen deß Heiligen Reichs stenden in vielweg hochbedencklich, auch denselbigen allerhanndt gantz beschwerliche clausulae unnd verpflichtungen einverleibt sein, so daß mehrertheils dahin furnemblich gerichtet sein, wie die eingerissene mißbreuch unnd abschewliche irthumb erhalten unnd dargegen unnsere wahre religion der augspurgischen confession unndergetruckt und mit der zeit gar außgerottet werden möchte:

So bitten unnd begeren wir nit mehr, dann das solche iuramenta unnd beschwerliche ceremonien dergestalt gemiltert, das sie unnserer religion der augspurgischen confession nicht zuwider unnd durch desselben verwandten mit gutem gewissen geleistet und gehalten werden mögen, als nemblich, dz alle und jede stiffts personen, sie seien hohes oder niders standts, nur zu den politischen unnd weltlichen sachen verbunden seien, darbei dann auch di ertzbischoff unnd bischoff der röm.ksl.Mt. als dem obersten haupt in dem Reich unnd di uberige ordines ihrem ertzbischoff undh bischoff in weltlichen sachen zugehorsamen unnd sonsten die statuten unnd ordnungen eines jeden orts in obgemelten politischen sachen zuobservirn schuldig sein sollten. Man möchte auch menniglichen freistellen, entweder die alte gewonliche oder di newe reformirte formulas /103/ iuramenti zu prestiren unnd zuerstatten, allein muß man dasjhenig in den iuramentis statutis oder durch ein gemeine reichssatzung furkhommen unnd caviren, das beide religionen nit allein unnder den stiffts verwanndten geduldet unnd [v]erstattet werden, welches dann leichtlich geschehen konndt, wo man das iuramentum nur auff politischen sachen regulirte, inmaßen dann die keiserlich Mt. beide religionen im Heiligen Reich nach außweißung deß religion fridens geduldet unnd sonnst menniglich bei recht unnd billigkeit gehanndthabt.

Ann vorgedachter reformation der stifften unnd der juramenten mögen die geistlichen, sonnderlich aber die ertzbischoff unnd bischoff, di zuvorgeleiste pflicht unnd eidt nit hindern, dann sie fur ihre personen mögen dem bapstumb anhengig pleiben, und begerdt sie niemandts mit gewalt davon zutringen; das sie aber wolten unnderstehen, ein soliche reformation, diei dem Heiligen Reich zu wolfarth unnd zuerhaltung friedt unnd einigkeit reichet, zuverhindern oder der ksl.Mt. unnd den stenden deß Reichs ordnung unnd maß darinn zugeben, dahin erstreckhen sich ihre pflichten nicht, es were auch ungereumpt vonn ihnen zuvernemmen. Unnd wo man sich ein soliches hiebevor in auffrichtung /103'/ deß religion fridens hetten wollen irren unnd hindern lassen, so were man nimmer zur einigkeit unnd vergleichung im Heiligen Reich kommen, sonndern hette ein theil den anndern gar vertilgen mussen, welches zuvil bluts wurdt gecostet haben unnd Teutschlanndt daruber zuscheittern gangen sein.

Zu dem so seindt die beneficia unnd geistliche gueter nit in deß bapsts territorio oder unnder seiner jurisdiction gelegen; er hatt siej auch nit fundirt noch ettwas darzu contribuirt, derowegen man sich vor seinem bann unnd gewalt nichts mehr zubefahren hatt, dann so er gleich einen oder mehr excommunicirn wurde, so hette die ksl.Mt. unnd die stende den oder dieselbige bei deß Reichs constitutionen unnd satzungen hanndtzuhaben. Es solten auch die prelaten unnd geistlichen ihnen diese reformation unnd ordnung nicht zu hoch zuwider sein lassen, in betrachtung, das sie ihnen selbst unnd ihren freunden zu gutem gereichen mögen. Dann wir sehen unnd erfahren, wie wunderbarlich der allmechtig Gott hanndlet unnd wie er ettwan der grossen herrn unnd annderer furnemmer personen hertzen unnd gemüeter rüret unnd sie zu der wahren erkhanndtnuß seines gottlichen worts bringet. Solte nun der izig oder zukhunfftige ertzbischoff oder bischoff einer durch verleihung gottlicher gnaden zu /104/ der augspurgischen confession tretten, so wurde ime jhe beschwerlich fallen, das er darumb seiner dignitet must entsetzt werden, wie ertzbischoff Hermans zu Coln5 exempel außweiset.

Deßgleichen den fall zusetzen, das ein bischoff oder canonicus izunder eitel bapisten unnder seinen freunden unnd verwanndten hette, welche zu den beneficien gelassen werden, da sich dann in khunfftigem zutruge, das dieselbige gar oder zum theil sich der augspurgischen confession anhengig möchten, so solten dannocht die anndere nicht so unmilt unnd hart gegen ihnen sein, dz sie dieselbigen wolten von den beneficiis außschließen unnd dardurch dem unnderganng ihrer aigenen heuser ursach geben, sonndern sie solten vielmehr dasselbige unnd die nahe blutsfreundtschafft betrachten unnd bei ihnen gelten lassen unnd also ihrer selbsten, ihres gebluts, auch ihres stammens unnd nahmens darunder verschonen, angesehen, wie sich ihre[r] freundt einer heut vom bapstumb abwendet, das er morgen einem anndern, welcher zuerhaltung stammens unnd nahmens sich uf ein stifft zubegeben gemeint, ja ann ihm ein bischoff oder canonicus selbsten sein möchte, das er nur darumb vonn dem stifft abgehalten oder seiner dignitet unnd pfrunden in mangl stehen muste, das wurde ihme freilich hochbeschwerlich fallen; er muste ihme aber selbsten die schult zu- /104'/ messen, das er durch verhinderung obgedachter reformation seinen eigenen unnd seinen freundt nachtheil unnd schimpff verursacht hette. Das aber der römische theil villeicht vermeint, sie wollen durch die starckhen unnd steiffe observantz der juramenten unnd niessung der geistlichen pfründen, auch erlanngung der hohen chur- unnd furstlichen digniteten die fursten, graven, herrn unnd den adel mit gewalt beim bapstumb erhalten oder die abgewichene wider darzu bringen, darinnen werden sie sich, ob Gott will, weit betrogen finden, dann man sihet nit viel furstlicher oder greflicher geschlechter, di der augspurgischen confession zugethan unnd di ire kinder umb deß bauchs unnd zeitlicher ehr willen auff die stifft verordnen. Zubesorgen ist es aber, wie obgemelt, das unnsere religionsverwanndte, als der mehertheils der fursten, graven unnd herrn im Teutschlanndt, inen in die harre ihre altvätterliche stifftungen nit gar werden entziehen noch sich vonn den bapstischen vertringen lassen.

Soliches alles, wie obgemelt, haben wir ettwas weitleufftiger außführen wollen, gar nicht der meinung, e.kfl.Gnn., vielweniger der ksl.Mt. oder andern stenden deß Reichs furzugreiffen noch denselbigen einiche maß oder ordnung zugeben, wie oder welcher gestallt das werck anzugreiffen unnd furzunemmen, /105/ sonnder allein auß gutem eifferigem gemüeth dem hanndel ferner nachzudenckhen unnd unnserer unvermeidenlicher nothurfft nach, auch gemeinem vatterlanndt teutscher nation zu ruhe unnd wolfarth.

Dieweil dann dieses werck so heilsam unnd notwendig, wie e.kfl.Gnn. selbst unverborgen, auch unnsers ermessens durch die obangedeutte wege unnd anndere mittel, welche zweiffels ohne die fernere berathschlagung mit sich bringen wurdt, fuglich und wol, ohn einigen tumult unnd zerrüttung gemeines fridens oder zerstörung der furstlichen, grefenlichen unnd adenlichen stifften furgenommen unnd angestellt werden mag, unnd wir nicht zweifflen, da e.kfl.Gnn., daruff alle anndere stende ein auffsehens haben, denen auch, als den furnembsten seulen deß Heiligen Reichs, notturfft unnd wolfarth zubedenckhen unnd zubefurdern obligt unnd di fur anndernn dem allmechtigen darumb rechenschafft thun mussen, diese sachen mit ernst angreiffen, es werde der allmechtig seinen gnadenreichen segen darzu verleihen unnd mittheilen, so gelanngt ann e.kfl.Gnn. unnser underthenigsts bitten unnd flehen, e.kfl.Gnn. wöllen nit lenger damit verziehen, sonndern di hochste notturfft deß hanndels betrachten unnd di gnedigste befurderung erzaigen, damit unns uff die deß 66. jars uber- /105'/ gebene, auch diese izig supplication einmaln gnedigster bescheidt ervolgen, auch die sache zu lanng verhofftem unnd gewunschtem gluckseligem ende gelanngen möge. Soliches würd der allmechtig, dene die sachen mitbetrifft, umb e.kfl.Gnn. zweiffels ohne reichlich vergelten. So seindt wir es auch umb e.kfl.Gnn. unndertheniglichen zuverdhienen urbietig, willig unnd bereit etc.

E. kfl.Gnn. unnderthenig, gehorsame unnd willige die rheinische, frenckische, duringische, hartzgravische, wetterawische unnd anndere der augspurgischen confession verwanndte graven unnd herrn.

Beilage A:  Supplikation protestantischer Gff. an den Kaiser: Freistellung der Geistlichen, Augsburg 1566.

Stillstand der Religionsverhandlungen, deshalb Vorbringen ihrer Anliegen. Funktion geistlicher Stifte, besonders Kölns und Straßburgs, als Versorgungsanstalten fürstlicher und adliger Häuser. Ausschaltung protestantischer Kandidaten auf Kapitelplätze und Stiftsämter. Konsequenzen: Mangel qualifizierter Kandidaten, Niedergang fürstlicher und adliger Geschlechter, Störung des Reichsfriedens, Aufteilung der reichsunmittelbaren Territorien, Konflikte zwischen geistlichen und weltlichen Personen. Bitte um Befreiung protestantischer Kandidaten für geistliche Ämter von Vorschriften, die mit ihrem Gewissen unvereinbar sind. Bekenntnis zu allen Verpflichtungen auf Erhaltung der Stifte und angemessenen Lebenswandel. Geringe Hoffnung auf die Beilegung des Problems durch einen Religionsvergleich. Zusammenfassung der petitio.6

Dem Ks. am 11.5.1566 übergeben.

HStA München, K. blau 110/5, fol. 93–96 (Kop.Dorsv.: Copi der supplication, so anno 66 ubergeben). Ebd., fol. 230–233' (Kop.Aufschr.: Copia supplicationis von graven unnd herrn anno 66 zu Augspurg ubergeben. Dorsv.: Copi der supplication, so anno 66 ubergeben worden durch die graffen etc. die freystellung betreffent). Druck: Lanzinner/Heil , RTARV 1566, Nr. 298 S. 1216–1221; Supplicationes (1576), 30–35; Erstenberger , De Avtonomia I (1586), fol. 68'–72; Senckenberg , Sammlung I, 306–313.

Anmerkungen

1
Laut Diarium Sayn-Wittgenstein (nach Schneidt, Geschichte, 508). Zur Vorgeschichte des seit Ende 1574 angestrebten und maßgeblich von Sayn-Wittgenstein vorangetriebenen Projekts der Wetterauer Gff., ihre Freistellungsforderung von 1566 zu erneuern und eine Supplikation an die Kff. zu richten, vgl. ausführlich Moritz, Wahl, 125–136. In Regensburg wurden die Interessen der Gff. von Lic. Johann Antrecht (1544–1607; Hessische Biografie <http://www.lagis-hessen.de/pnd/119607859> [Stand: 28.5.2015]) aus Marburg vertreten; vgl. ebd., 136, 180. – Die Supplikation der protestantischen Gff. und Hh. und ihre Supplikation von 1566 sind die Beilagen 1 und 2 zur Interzessionsschrift der weltlichen Kff. (Nr. 43), die dem Ks. am 2.11.1575 präsentiert wurde.
2
Wahrscheinlich fand die Übergabe am 21.10.1575 statt. Zur Präsentation der vom Pfalz-Zweibrückener Rat Lic. Heinrich Schwebel in Zusammenarbeit mit Gf. Ludwig von Sayn-Wittgenstein und Frh. Philipp II. von Winnenberg verfassten und in Regensburg überarbeiteten Supplikation der Wetterauer Gff. vgl. Moritz, Wahl, 180–184; Westphal, Kampf, 22 f., 183–187; Schmidt, Grafenverein, 291–293; Heil, Reichspolitik, 529, 533. Sayn-Wittgenstein vermerkt in seinem Diarium (nach Schneidt, Geschichte, 513): Item seynd ohngefehr 18 oder 20 Grafen beysammen gewesen, und kayserl. Majest. eine Supplication die Freystellung belangend, übergeben. Caesar ad singula clementer respondit, ita tamen ut inspectis literis se amplius deliberaturum promiserit. Anders als angekündigt, reagierte der Ks. weder auf die Supplikation der Gff. noch auf die ihm am 2.11.1575 übergebene Interzessionsschrift der weltlichen Kff. (Nr. 43). In einer Erwiderung der protestantischen Gff. an die weltlichen Kff. (HStA München, K. blau 110/5, fol. 106 f., undatierte Kop.) heißt es: Wir kommen in erfarung, welcher gestalt uf unser der röm.ksl.Mt., unserm aller gnedigsten hern, sowoll als e.kfl.Gnn. selbst jungst alhier ubergebene supplication die freistellung belangendt vor dißmahll keine antwort erfolgen, sonder bis zu kunfftiger gemeyner reichsversamlung verschoben werden soll, dabei wir es dan auch, dweill es dißmahl weiter nicht zu pringen, mußen lassen bewenden. Sein aber dero trostlichen zuversicht, e.kfl.Gnn. werde obberurt unser hochnotwendigs suchen nit ersitzen, sonder zu ernstlicher beforderung ihr in gnaden befohlen sein lassen. Und langt demnach an e.kfl.Gnn. unser underthenigst bitten, sie wollen zu nehistkunfftiger reichsversamlung vor sich selbst diß hochnotwendig, gemein christlich unnd billich werck entweder vor sich selbsten, unserm underthenigsten verhoffen unnd suchen nach, gnedigst erledigen oder uf dero auspleibenn iren vortrefflichen räthen unnd abgesandten zu abhelfung dieser sachen volnkommenen gewalt unnd befelch mittheilen, darzu auch solches bey andern unnd gemeynen stendten bestes fleis dahin befordern, damit es einmahll zu lengst gewunschtem end gepracht und also den vorstehenden undergang der graf- und adlichen uhraltten geschlechter in zeit begegnet worden moge. Vgl. Moritz, Wahl, 183.
3
Beilage A.
a
 Romischen] Fehlt in B. C wie Textvorlage.
b
 da] Korr. nach B und C. In der Textvorlage: das.
c
 heuser] Korr. nach B und C. In der Textvorlage: heussern.
d
 dem] Korr. nach B und C. In der Textvorlage: den.
e
 nennen] Korr. nach B und C. In der Textvorlage: nemmen.
f
 ihrer] Korr. nach B und C. In der Textvorlage: ihren.
g
 wolle] In der Textvorlage: wollen.
4
= sofern; falls.
h
 und] Korr. nach B und C. In der Textvorlage: oder.
i
 die] Korr. nach B. In der Textvorlage und in C: bei.
j
 sie] Korr. nach B. In der Textvorlage und in C: sich.
5
Hermann V. von Wied, 1515–1547 Kf. und Ebf. von Köln († 1552; Gatz, Bischöfe, 755–758), hatte vergeblich versucht, im Erzstift Köln die Reformation einzuführen.
6
Regest aus Lanzinner/Heil, RTARV 1566, Nr. 298 S. 1216.