Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Textvorlage: Österreich B, fol. 430–4341.

Anschluss der katholischen Stände an die Replik der kgl. Kommissare zur Antwort auf die Proposition. Forderung der CA-Stände an die katholischen Gesandten, Weisungen zur Freistellung beizubringen. Strikte Ablehnung durch die Gesandten der geistlichen Stände.

/430/ (Vormittag) fürstenrat. Salzburg proponiert: Replik der kgl. Kommissare zur Antwort auf die Proposition2.

Umfrage. Einhelliges Votum der katholischen Stände: Da die kgl. Kommissare sich den geistlichen Kff. und der Mehrheit des FR dahingehend anschließen, daß zu dem religion- unnd andern /430’/ proponierten puncten mitt fürderlicher handlung gegriffen unnd mitt consultation derselben fürgeschritten werden solltt etc., bittet man die CA-Stände, dies nunmehr zu bewilligen und die Verhandlungen nicht länger zu verzögern.

Die CA-Stände3  betonen4 , es sei ir mainung auch nicht, die sachen gefärlich auffzuhallttena. Aber ee sy sich vernerer hanndlungen halb resolvieren und vernemen lassen möchten, so wer ir nothurfft, 2 puncten zuvor zuerledigen: /431/ Erstlich, dieweill inn der commissarien antwurt bey narration ires5 bedennckhens der freystellung halb die wortt: „unnd andere stennd“ nicht hinzugesetzt unnd also die stett nicht darunnder begriffen, so solltten die commissarien, ob sy inn dem ettwas zweifel hetten, das derselb zweiffel auffgehaben unnd damitt sy die kgl. Mt. auch desto stattlicher zu berichten, fürderlich erinnereth werden, das die gesanndten von stetten bey disem bedennckhen der freystellunng halb sich auch mitt inen conformiert und verglichen hetten6. /431 f./ Zum anderen hat man noch nicht vernommen, dass die Gesandten der katholischen Stände von ihren Herrschaften Weisungen zur Freistellung angefordert hätten. Bitten, dies zu tun, damit man die Verhandlungen mit dem Kg. aufnehmen kann. Da /431’/ es auff allen reichstägen also herkhomen unnd noch disen reichstag inn mehr vählen also gehalltten worden, das inn vil geringschätziger sachen von auch vil gerinngeren stenden und privat personen, alls iere gnedigste unnd gnedige herrschafften weren, auß aygner bewögnuß unnd ungebetten die gethonen fürbringen zuruckh zu gelanngen und sich beschaids zuerholen, erbotten unnd bewilligtt worden, so solltte dises so hochwichtigen vahls unnd an deme iren gnedigsten unnd gnedigen herrschafften irer conscientzen unnd gewüssen halb, auch von weegen befürderung der eer Gottes unnd /432/ auffpflantzung alles gutten vertrauens im Reich sovil unnd so hoch gelegen, pillich khain abschlag unnd also die unerhörte neuerung, hievor gegen niemandt gebraucht, mitt nichten ervolgen.

2. Umfrage. Salzburg und Österreich: Votieren ganntz indifferent, ihre Instruktionen prüfen zu müssen und sich nicht von der Mehrheit abzusondern.

Bamberg, Würzburg, Speyerb : Lehnen die Anforderung von Weisungen ab7.

Eichstätt: Votiert indifferent.

Straßburg (Welsinger): Lehnt die Anforderung von Weisung ab: Es ist von unnötten, solch zuruckh gelangen zu thuen, alls nemblich inn bedacht, daß sy all gewallts gnueg auff dise hannd- /432’/ lunng hettenn, weill er nitt annders wüßte, dann sy all wären auff den passauischen vertrag und die khünigliche alhieige proposition abgeferttigt und also mitt gnugsamen gewalltt zum religion tractat versehen. Wenn es dann nun zum selben tractatt gelanngtte, so wurd dise erregte difficultet mitt der freystellung und den strittigen wesennlichen stuckhen unnd haubbtt puncten, so inn vergleichlichec hanndlung [zu] ziehen, nitt der leste sein. Wann man dann inn suo ordine darauff khäm, so wurde man darvon disserieren unnd, waß darunnder zuthuen oder zulassen nottwenndig, reden, verhoffennlich auch mitt Gottes verleihung verglaichen. So das beschech, bedörffte es vernerer hanndlung nitt. Wo nicht, allßdann waarlich müeßte weitter von sachen geredt werden, wie ettwa ain weeg zu finden, daß die hessigen spallttungen inn dogmatibus und ritibus ecclesiae sovil müglich abgestelltt unnd deßt mehr fridleebens stabiliert werden möchtte. /433/ Wann dann dises der recht ordo naturae et pietatis, darzue unvernainlich wer, daß bei der haubbttspaltung die religio per se daß genus, diser jetzo einfallennde stritt8 aber allain speties wer, unnd darzu in tertio gradu, weill erstlich de dogmatibus et ministeriis verbi dei, volgennts aber de sacramentis, cultu divino et ceremonialibus geredt, tractiert unnd verglichen werden müeßte, ee mann die dritte staffell unnd gradum erreichte unnd de bonis ecclesiasticorum, wie es darmitt zu halltten, reden möchte, so wäre es, so man anders denn karren nitt für die roß spannen wolltt, deß urgierens schier gnueg, auch an im selbst pillich, daß der kgl. Mt. und der herrschafften ires panckhs verschoneth unnd zum zweckh gegriffen wurde; mitt ettwas vernerer unnd weitterer, auch mehr hitziger ausfierung, alls Osterreich unnd andere catholischen wellttlichen etc. gern gehört; gleichwol mitt der angehenngten protestation, daß er dardurch niemant lediert, taxiert, sonnder es also vertreulicher collation weiß unnd vermittelst seines freyen voto vermeldt /433’/ unnd ye zuletßt ainmall runnd an tag begeben haben wolltt, weß mainung er im grund von seins herren weegen hierinn. Unnd daß sein mainung nicht wer, die erreggt difficultet nicht zuhanndlen, doch daß es suo loco beschech et cum observatione debiti ordinis.

Freising (Tatius9 ): Entsprechend Straßburg, ebenfalls mit ausführlicher, doch ettwas mehr logischer argumentation etc.

Da die CA-Stände über diese Voten sehr verbittert sind und ein offener Streit droht, vereinbart Salzburg als Präsident dieses Tages mit Österreich, keine weitere Umfrage durchzuführen, insbesondere weil die CA-Stände expresse vermeldt, nitt umb ain haar weitter zu hanndlen und von khainer handlung hören zu reden, solch zurugkhgelangen10 wurde dann clärlich bewilligtd.

/434/ Österreich bittet anschließend Welsinger (Straßburg) außerhalb des Rates, die Anforderung von Weisungen zu bewilligen, weil damit einerseits nichts zugestanden, andererseits aber der Fortgang der Hauptverhandlungen gefördert werde. Die Zusage könne mit der Bedingung verknüpft werden, dass die CA-Stände dafür die Verhandlungen fortsetzen.

Welsinger will dies mit den Gesandten anderer geistlicher Stände bis morgen beraten. Und seindt die catholischen welttlichen froo geweßt, daß man deßmalls von ainannder khombben.

Anmerkungen

1
 Abschrift des Protokolls für diesen und den folgenden Tag: HStA München, KÄA 3176, fol. 136–141’ (Reinschr.). Der Protokollauszug wurde von Zasius mit Bericht vom 22. 10. 1556 an Hg. Albrecht von Bayern überschickt (ebd., fol. 125–126’, 135. Eigenhd. Or.; präs. o. O., 24. 10.). Es handelt sich um kein bayerisches Protokoll (vgl. Heil, Reichspolitik, 148, Anm. 36).
2
 Nr. 425. Vgl. zu obiger Sitzung auch Bundschuh, Religionsgespräch, 159 f.
3
 Gemäß Bericht der hessischen Gesandten von der Tann und Lersner an Lgf. Philipp vom 20. 10. 1556 waren in dieser Sitzung vertreten: Brandenburg-Küstrin, Württemberg, Hessen, Pommern (auch in Vertretung Sachsens) (StA Marburg, Best. 3 Nr. 1245, fol. 112–115’, hier 113. Or.; präs. Fulda, 26. 10.). Der sächsische Gesandte Schneidewein hatte bei seiner Abreise am 15. 10. das Votum für Sachsen und jenes für Henneberg, das er bis dahin vertreten hatte, bis zur Ankunft neuer Verordneter an den pommerischen Deputierten Otto übertragen (Bericht an die Hgg. vom 15. 10.: HStA Weimar, Reg. E Nr. 180, fol. 181–185a’, hier 181 f. Or.).
4
 Von den CA-Ständen des FR hatten am 14. 10. Sachsen [Schneidewein, inzwischen abgereist], Württemberg und Pommern mit Kursachsen (Lindemann) in einer privaten Unterredung ihr künftiges Votum dahingehend abgestimmt, auf der Anforderung von Weisungen der katholischen Gesandten zur Freistellung zu beharren und nur unter dieser Voraussetzung die Verhandlungen zur Religionsfrage und Türkenhilfe fortzusetzen, /189/ doch unvorgreifflich, unnd da darinnenn nicht resolution erlannget, das inn einem wie dem anndernn nichts schließlichs solte gehanndeltet noch vor geschlossenn geachtet werdenn etc. ( Sachsen, fol. 188’ f. Vgl. Wolf, Geschichte, 35; Luttenberger, Kurfürsten, 270).
a
 auffzuhalltten] Würzburg (fol. 70’) zusätzlich: Akzeptieren das Erbieten der kgl. Kommissare, die Freistellungsfrage dem Kg. um Resolution vorzubringen.
5
 = der CA-Stände.
6
 Die kgl. Kommissare von Helfenstein und Zasius interpretierten im Bericht an Ferdinand I. vom 16. 10. 1556 den Einwand der CA-Stände nur als Versuch, damit die Verhandlungen weiterhin zu verzögern. Obwohl sie, die Kommissare, die Worte gezielt ausgelassen hätten, empfahlen sie dem Kg., sie in seine Erklärung zu inserieren, um den CA-Ständen keinen Vorwand für weitere Verzögerungen zu geben (HHStA Wien, RK RTA 37, fol. 255–258’, hier 257 f. Or.).
b
 Speyer] Württemberg (unfol.) zusätzlich: Der Speyerer Gesandte wiederholt seinen Vorbehalt im Sessionsstreit mit Eichstätt [vgl. Anm. b und 2 bei Nr. 126]: Der Vorrang des Eichstätter Deputierten wurde zu Beginn des RT auf dessen Forderung hin nur freiwillig und unter Vorbehalt der Rechte Speyers zugestanden. Dies wird nochmals bekräftigt.
7
 Der Speyerer Gesandte Arzt war auf seine Berichte hin von Bf. Rudolf schon am 14. 10. 1556 angewiesen worden, die Freistellung abzulehnen: /143/ Darin wißen wir denen pflichten nach, damit wir der kirchen verwant und zugethan, auch in erwegen unnd bedenckhen, das solches zu dilgung und entlichen verderben und undergangk gaistlichs standts und vieler stiefftungen, darzu mercklicher beschwerungen hoher und niederer stendt gelangen und dienen wurdt, nicht einzuwilligen (GLA Karlsruhe, Abt. 78 Nr. 2222, fol. 142–143’, hier 143. Konz.). Auch der Würzburger Gesandte Moß hatte die entsprechende Weisung Bf. Melchiors (7. 10. 1556) am 12. 10. erhalten: Erwartet nicht, dass /381/ andere catholische stende inn solches unzimlichs begeren bewilligen werden. Darumb wir dann auch unsers thails darein auch nit consentiren oder bewilligen können, sonder achten, das es dißfals billich bei obgemeltem augßpurgischen Reichs abschiedt gelaßen werde (StA Würzburg, WRTA 39, fol. 381, 381’. Or.; präs. 12. 10. Vgl. Bundschuh, Religionsgespräch, 155, Anm. 111).
c
 vergleichliche] Übernommen aus Österreich A (fol. 355). In der Textvorlage verschrieben: vergebennliche.
8
 = um die Freistellung.
9
 In der Textvorlage der Hinweis, dass Tatius, künftiger Freisinger Kanzler, bisher am RKG tätig, an diesem Tag erstmals am FR teilnahm.
10
 Gemeint: Die Anforderungen von Weisungen zur Freistellung durch die katholischen Gesandten.
d
 bewilligt] Würzburg (fol. 71) zusätzlich und deutlicher zum vorläufigen Beratungsergebnis: Die katholische Mehrheit billigt den Einwand wegen der Erwähnung der Reichsstädte bei der Freistellung, lehnt die Anforderung von Weisungen aber ab. Zunächst soll der Beschluss des KR zur Replik der kgl. Kommissare angehört werden, damit man verner so vil sicherer sich einzulassen hette und nit so leichtlich wiederumb extra terminos consultationis zur freystellung kheme. /71’/ Replik der CA-Stände: Falls die katholischen Stände die Anforderung von Weisungen zur Freistellung zusagen, werden sie ihrerseits sofort darlegen, ob sie in mittls auf die puncten der proposition principaliter auch vorfarn wolten und waß ir bevelch. Also wurde und kuntte alles mit ainander nachvolgent den churfursten referirt werden. Dazu keine Einigung, sondern Vertagung.