Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Textvorlage: Kurpfalz C, fol. 164–165’.

Vertagung des Gesamtrates. Supplikation der Stadt Straßburg gegen den Städteartikel im Religionsfrieden.

/164/ (Nachmittag). Die Kurpfälzer Gesandten berufen folgende Stände für die Versammlung der CA-Stände in ihre Herberge: Kursachsen, Kurbrandenburg, Pfalz-Zweibrücken, Sachsen, Brandenburg-Küstrin, Brandenburg-Ansbach, Württemberg, Pommern, Mecklenburg, Hessen, Wetterauer Gff., Städte Straßburg und Regensburg. Da sich die Gesandten von Kursachsen, Kurbrandenburg und Brandenburg-Küstrin entschuldigen lassen, das sie ditzmals aus andern ehafften nit erscheinen noch bei dieser convocation sein mögen, wird die Sitzung bis auf Weiteres vertagt.

/164’ f./ Nach dem Abtritt der Gesandten bittet der Straßburger Verordnete Jakob Hermann um Audienz bei den Kurpfälzer und Württemberger Deputierten und bringt nur diesen vor: Wissen, dass auf dem RT 1555 den Reichsstädten [im Religionsfrieden] auferlegt worden ist, die alte Religion neben der CA zu dulden1 . Der Straßburger Rat ließ dagegen noch auf dem RT protestieren2  und hat jetzt eine entsprechende Supplikation3  an die Reichsstände formuliert. Hat die Supplikation vorab an Kf. Ottheinrich von der Pfalz und Hg. Christoph von Württemberg, als zu denen sie ir vertrauen haben, gereicht und um deren Stellungnahme gebeten. Da diese zugesagt haben, ihre RT-Gesandten entsprechend anzuweisen4 , wendet er, Hermann, sich mit der Supplikation zunächst an sie, die Kurpfälzer und Württemberger Räte, mit der Bitte um Rat und Gutachten.

/165 f./ Nach kurzer Unterredung lassen die Kurpfälzer und Württemberger Verordneten vom Großhofmeister [E. von der Tann] antworten: Die Kurpfälzer Gesandten sind generell beauftragt, beim RT dafür einzutreten, den Städteartikel des Religionsfriedens möglichst zu guter, christlicher vergleichung zu bringen. Haben speziell zur Straßburger Supplikation noch keine Weisung5 . Die Württemberger Deputierten sind beauftragt, für eine Audienz der Straßburger vor den Reichsständen zur Vorlage der Supplikation einzutreten. Empfehlung an Hermann, zunächst den Verhandlungsverlauf im Religionsausschuss abzuwarten und die Supplikation zu gegebener Zeit an die Reichsstände zu richten. Sagen zu, sie zu unterstützen.

/165’/ Erwiderung Hermanns: Geht trotz der noch ausstehenden Kurpfälzer Weisung aufgrund der Zusage Kf. Ottheinrichs an den Straßburger Gesandten, der die Supplikation [in Heidelberg] vorgelegt hat, von deren Unterstützung aus. Will die Supplikation gemäß obiger Empfehlung an die Reichsstände richten, wird sie aber zuvor ihnen, den Kurpfälzer und Württemberger Deputierten, mit der Bitte um etwaige Verbesserungsvorschläge vertraulich mitteilen6.

Anmerkungen

1
 Städteartikel (Art. 14) des Religionsfriedens im RAb 1555, § 27 ( Aulinger/Eltz/Machoczek, RTA JR XX, Nr. 390 S. 3112 f.). Vgl. auch die Straßburger Initiative im SR: Augsburg, fol. 5’–7 [Nr. 222].
2
 Zum Widerstand Straßburgs auf dem RT 1555 gegen den Städteartikel vgl.  Aulinger/Eltz/Machoczek, RTA JR XX, Nr. 220 S. 2070 mit Anm. 2. Der Protest Straßburgs wurde nur im SR eingereicht: Friedensburg, Protokoll, 79 (Verhandlungen: 68–71, 75 f.). Supplikation Straßburgs vom 14. 9. 1555 an Kg. Ferdinand:  Friedensburg, Correspondenz V, Nr. 510 S. 635–637. Vgl. Pfeiffer, Religionsfrieden, 260–278, bes. 268–271; Weyrauch, Krise, 180–182; Gotthard, Religionsfrieden, 137–143, 252–257, 279. Zur Entstehung des Artikels: Hoffmann, Reichsstädte, 298–305.
3
 Da die Bittschrift dem RT nicht übergeben wurde, wird sie im Abschnitt „Supplikationen“ nicht berücksichtigt. Supplikation, wie sie am 4. 11. 1556 dem Kurpfälzer Hof in Heidelberg zur Begutachtung vorlag (HStA München, K. blau 107/3a, unfol. Referat: Weyrauch, Krise, 193 f. Vgl. das inhaltlich entsprechende Bittgesuch Straßburgs an Kg. Ferdinand vom 21. 12. 1556: Friedensburg, Correspondenz V, 654–656): Straßburg wird gemäß Städteartikel des Religionsfriedens zur Duldung der katholischen Religion gezwungen, obwohl sich der Rat und fast die gesamte Bürgerschaft mit Ausnahme weniger, dem Klerus verpflichteter Personen zur CA bekennen. Die Duldung der katholischen Religion einer Minderheit gefährdet den innerstädtischen Frieden. Bitten ohne Vorgabe für andere Städte nur für sich, bei ihren Untertanen als städtische Obrigkeit die katholische Religionsausübung der ihnen unterstehenden Bürger untersagen zu können. Wollen damit weder Residenzberechtigung und Einkünfte des Klerus noch die Rechte des Bf. von Straßburg in dessen Hst. antasten.
4
  L. Gremp (Straßburg) bat Hg. Christoph von Württemberg am 27. 10. in Stuttgart um Unterstützung der Supplikation. Der Hg. wies seine Gesandten am 28. 10. an, dies zu tun ( Ernst IV, Nr. 173 S. 204, Anm. 2). Kf. Ottheinrich ließ die Supplikation geringfügig korrigieren und beauftragte ebenfalls ihre Unterstützung (Heidelberg, 24. 11. 1556: HStA München, K. blau 107/3a, unfol. Or.; präs. 8. 12.).
5
 Vgl. dagegen die Weisung Kf. Ottheinrichs an Heyles und Hegner bereits vom 12. 9. 1556 (Amberg): Sollen die Bestrebungen Straßburgs um den Erhalt des ius reformandi unterstützen, /52’/ damit dise unnd andere stätt [...] nicht von der religion abwenndig gemacht, sonnder mehr dabey erhallten werden (HStA München, K. blau 106/3, fol. 51–55’, hier 52’. Or.; präs. 19. 9.). Weisung vom 24. 11. vgl. Anm. 4.
6
 Trotz der Zusage ihrer Unterstützung hatten die Kurpfälzer und Württemberger Gesandten grundsätzliche Bedenken, da die Supplikation dem Religionsfrieden widerspreche. Später widerrieten sie einer Übergabe ganz entschieden: Da aufgrund der Mehrheitsverhältnisse am RT die Ablehnung feststehe, würden künftige Straßburger Maßnahmen gegen die Katholiken nicht nur gegen den Religionsfrieden, sondern auch gegen das negative Dekret der Reichsstände verstoßen. Die Württemberger rieten vertraulich, faktisch gegen den Katholizismus vorzugehen und mit den Argumenten der Supplikation /128’/ nach der thatt umb dispensation oder commission anzusuchen. Am 9. 2. 1557 empfahlen auch die Straßburger Gesandten dem Rat, die Supplikation nicht zu übergeben (Straßburger Berichte von 11. 12., 18. 12. 1556, 5. 1., 9. 2. 1557: AVCU Strasbourg, AA 622, fol. 97–99’, 100–104’, 110–114’, hier 111’ f., 127–135’, hier 125–131. Orr.). Die Vorlage beim RT unterblieb. Vgl. Weyrauch, Krise, 190, 194–197.