Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 10. Der Reichstag zu Worms 1509 bearbeitet von Dietmar Heil
Der unmittelbar nach der Kaiserdeklaration Maximilians I. im Februar 1508 eröffnete Feldzug gegen Venedig endete sehr bald in einem militärischen Desaster. Der Kaiser sah sich zur Rückkehr in das Reich veranlasst, zum einen wegen der Gefährdung der burgundischen Erblande durch den von Frankreich unterstützten Herzog Karl von Geldern, zum anderen wollte er sich um weitere Hilfen aus dem Reich für die Fortsetzung des Krieges nicht nur gegen Venedig, sondern für einen umfassenden Rachefeldzug gegen alle für das Scheitern des Romzugs und somit für die improvisierte Kaisererhebung in Trient verantwortlich gemachten Feinde des Hauses Habsburg bemühen.17 Immer neue Planungsansätze hierfür korrespondierten mit kurzfristig aufeinander folgenden Ladungen an Reichsstände nach Ulm, Oberwesel, Speyer, Frankfurt und schließlich Mainz (Nrr. 1, 3, 4, 6, 9; 10, Pkt. 1). Der Ende März/Anfang April 1508 in Ulm abgehaltene Schwäbische Bundestag sollte nach den Plänen Maximilians durch Nichtmitglieder wie Kursachsen, Pfalz oder Eichstätt zu einer alternativen Versammlungsform erweitert werden (Nr. 25, Anm. 1). Letztlich verweigerten die Bundesstände die Kooperation und verwiesen auf die Zuständigkeit der Institution Reichstag (Nrr. 2, 5; 10, Anm. 8). Ohne den allerdings absehbaren Ausgang der Verhandlungen abzuwarten, beschied der Kaiser eine Reihe von Ständen nach Mainz.
Der Mainzer Tag wurde sowohl von Zeitgenossen als auch Historikern mitunter als Reichstag18, häufiger jedoch als Kurfürstentag klassifiziert und der Vorgang demzufolge als letztlich misslungener Versuch des Reichsoberhaupts bewertet, vier Jahre nach dem Tod Bertholds von Henneberg die Kurfürsten unter Umgehung der ständischen Gesamtheit exklusiv für seine (außen-)politischen Ziele einzuspannen.19 Natürlich bildeten die persönlich anwesenden Kurfürsten von Mainz, Trier und Sachsen zusammen mit dem Kurbrandenburger Gesandten Eitelwolf vom Stein den Kern der Versammlung. Ein Vertreter Erzbischof Hermanns von Köln traf wenigstens rechtzeitig zur Schlussphase der Verhandlungen ein.20 Sogar der Kaiser sah sich verpflichtet, in seiner ersten Instruktion vom 30. April die Vertretung Kurfürst Joachims durch einen Gesandten mit der großen räumlichen Distanz und die Nichtberücksichtigung Böhmens, „der sich gegen dem Reich keiner gehorsam bekennet“, sowie der Kurpfalz, „nachdem die in irsal steet“, gegenüber den anwesenden Kurfürsten zu rechtfertigen (Nr. 10, Pkt. 4). Von Anfang an war indessen die Einbeziehung nichtkurfürstlicher Stände vorgesehen. An den Beratungen nahmen Bischof Lorenz von Würzburg sowie Gesandte Herzog Wilhelms von Jülich und Landgraf Wilhelms von Hessen teil. Ihre Mitverantwortlichkeit für getroffene Beschlüsse fand jedenfalls in einigen Resolutionen an den Kaiser ihren Niederschlag in Wendungen wie: „Curfursten, fursten und die potschaften, so auf ksl. Mt. beschreiben ytzo zu Menz sein“ (z. B. Nr. 23, Pkt. 1). Gesandte der bayerischen Vormundschaftsregierung wie auch der Stadt Köln und wahrscheinlich Frankfurts waren zumindest als geladene Beobachter und zur Wahrnehmung eigener Interessen in Mainz anwesend. Man ist deshalb geneigt, der Bewertung dieser Versammlung als einem „irregulären, ständisch gemischten Konvent“21 zuzustimmen.
Jülich und Hessen waren als neben den Hansestädten (womit wohl die Einladung an Köln erklärt ist) vorrangig von der projektierten Zwangsanleihe betroffene Stände, aber eben auch zur Teilnahme an den Beratungen der Kurfürsten hinzugeladen worden. Dieser Schritt hatte wie so oft bei Maximilian pragmatische und verhandlungstaktische Gründe. Da in Jülich und Hessen problematische Regierungswechsel anstanden, war hier am ehesten auf einen Erfolg der Anleihe zu rechnen. Gleichzeitig stand zu vermuten, dass diese Stände in Mainz für eine Reichshilfe eintreten würden, um sich eine solche Sonderbelastung zu ersparen. Doch hatte die von keinem Geringeren als dem führenden kaiserlichen Rat Matthäus Lang angeführte Delegation auf dem Mainzer Tag keine Chance, die von Kurfürst Friedrich von Sachsen angeführte Opposition zu überwinden. Dabei waren die anwesenden Stände noch nicht einmal über die bereits angelaufenen Waffenstillstandsverhandlungen mit Venedig informiert worden.
Der Kaiser sah sich genötigt einzulenken. Er berief mit Ausschreiben vom 31. Mai den in Mainz und auf dem Schwäbischen Bundestag in Ulm als notwendige Voraussetzung für die Bewilligung einer Reichshilfe geforderten Reichstag nach Worms ein. Als Zielsetzung definierte Maximilian eine Kriegshilfe gegen Frankreich und Venedig (Nr. 36). Doch noch bevor das gedruckte Ausschreiben ausgehen konnte, kam am 6. Juni unter dem Eindruck einer Serie von Misserfolgen der kaiserlichen Truppen der dreijährige Waffenstillstand von Arco zustande. Maximilian gedachte den Krieg gegen Venedig zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Zuerst sollte Geldern unterworfen werden.22 Offensichtlich beabsichtigte er nicht, dafür die Unterstützung des Reiches heranzuziehen. Deshalb verlegte er den Reichstag vom 16. Juli auf den 10. August (Nrr. 36 [Pkt. 4]; 40). Am 26. Juni sagte der Kaiser auch den Ersatztermin ab (Nr. 42). Doch gut zwei Wochen später, am 14. Juli, wurde ein zweites Reichstagsausschreiben für den 1. November erstellt. Maximilian machte kein Hehl daraus, dass der Waffenstillstand mit Venedig allein der militärischen Notlage geschuldet war, schob aber die Verantwortung für dessen absehbaren Bruch vorsorglich der Gegenseite zu. Für diesen Fall sollten die Stände über die Behauptung der Reichsrechte in Italien, insbesondere der Kaiserwürde, und die militärische Sicherung der Erblande beraten. Maximilian kündigte an, bis zum Reichstag das aufständische Geldern zu unterwerfen. Noch ehe dieses zweite gedruckte Ausschreiben ausging, sah sich der Kaiser angesichts der massiven französischen Unterstützung für Herzog Karl von Geldern und der Verweigerung der niederländischen Stände bei völlig unzureichenden eigenen Mitteln erneut in die Defensive gedrängt (Nrr. 44f.). Dies gab wohl den Ausschlag dafür, dass er am 23. Juli gegenüber Erzherzogin Margarethe seine Einwilligung zu Waffenstillstandsverhandlungen mit Frankreich erklärte und damit seine Eroberungspläne gegen Geldern preisgab.23 Da er ungeachtet dieser neuen politischen Entwicklung den Termin für den Reichstag weiterhin bestätigte (Nrr. 185f.; 473, Pkt. 1), stellten sich die Reichsstände auf dessen Abhaltung ein und begannen mit ihren Vorbereitungen. Erste Teilnehmer trafen bereits in Worms ein. Gut informierte Fürsten wie Erzbischof Jakob von Trier blieben allerdings zu Hause, um dort die weitere Entwicklung abzuwarten (Nr. 201).
Denn inzwischen hatte die kaiserliche Außenpolitik eine weitere Wendung erfahren. Bald nach dem Waffenstillstand von Arco zeichnete sich das Eintreten eines vorrangigen außenpolitischen Ziels der kaiserlichen Regierung ab: die Trennung der Verbündeten Frankreich und Venedig. Bereits Mitte Oktober konnte Erzherzogin Margarethe einen sechswöchigen Waffenstillstand mit Frankreich unter Einbeziehung Herzog Karls von Geldern vermitteln.24 Auf dem Kongress in Cambrai mündete der Waffenstillstand am 10. Dezember in einen Friedensvertrag. Die Verhandlungsführer vereinbarten außerdem ein gegen Venedig gerichtetes Bündnis zwischen Papst Julius, Kaiser Maximilian, König Ludwig von Frankreich und König Ferdinand von Spanien. Maximilian ratifizierte am 26. Dezember als erster Vertragspartner das Abkommen. Am gleichen Tag entschuldigte er in einem Ausschreiben an die Reichsstände seinen langen Aufenthalt in den Niederlanden und sein Fernbleiben vom Reichstag mit den bis dahin offiziell nicht mitgeteilten Friedensverhandlungen mit Frankreich und informierte sie über deren erfolgreichen Abschluss, jedoch nicht über das antivenezianische Bündnis. Nun endlich wurde der nach Worms einberufene Reichstag auf den 21. Februar verschoben. Dort sollte über die Angelegenheiten des Reiches, der deutschen Nation und der Christenheit beraten werden (Nr. 50), womit der Kaiser die Stände über seine Zielsetzung für den Reichstag vollständig im Unklaren beließ. Diese Unterlassung lag vorderhand in der notwendigen Geheimhaltung des bevorstehenden Angriffs auf Venedig, aber auch im fortgesetzten Misstrauen gegen die französischen Absichten begründet. Treibende Kräfte für den Ausgleich auf habsburgischer Seite waren Erzherzogin Margarethe und Matthäus Lang, aus der Warte Maximilians mochten die Verhandlungen eher taktisch begründet gewesen sein25. Zugleich wird man eine gewisse Rücksichtnahme auf reichsständische Interessen einkalkulieren.
Die aufgrund eines Antrags der Herren von der Leiter drohende Achterklärung gegen Venedig durch das Reichskammergericht rief die oberdeutschen Handelsstädte, voran Augsburg und Nürnberg, auf den Plan, die unter Einschaltung der Innsbrucker Regierung beim Kaiser und auch beim Reichskammergericht gegen einen solchen Schritt intervenierten (Nrr. 66–74). Wenn Maximilian daraufhin tatsächlich die Sistierung des Verfahrens verfügte (Nr. 75), so verhielt er sich eigentlich konträr zu seiner außenpolitischen Zielsetzung, begab er sich doch eines rechtlichen Instruments gegen die Serenissima. Doch handelte der Kaiser auch in diesem Fall rein taktisch. Bereits Anfang Januar hatte er einige ausgewählte Reichsfürsten, nicht jedoch die Reichsstädte, vertraulich über den bevorstehenden Krieg gegen Venedig informiert (Nr. 52).26 Tatsächlich wird er seine Kommissare auf dem Wormser Reichstag anweisen, entweder eine Achterklärung des Reichskammergerichts oder der Reichsversammlung zu erwirken bzw. diese notfalls selbst zu erlassen (Nr. 271, Pkt. 21).
Trotz des offenkundigen Misstrauens Maximilians gegen Frankreich – noch Ende März 1509 erschien ihm ein Einsatz der französischen Truppen gegen ihn oder den Papst anstatt gegen Venedig durchaus möglich27 und auch das Konkurrieren um die militärischen Ressourcen der Eidgenossen hielt an28 – ließ er sich anders als Papst Julius, der als letzter Vertragspartner erst am 23. März das Bündnis ratifizierte29, auf keine Ausgleichsverhandlungen mit Venedig mehr ein. Der venezianische Gesandte Giovanni Pietro Stella bemühte sich vergeblich um eine Audienz.30 Ebenso misslang die ab Februar versuchte Einschaltung König Heinrichs VII. von England als Vermittler wegen dessen tödlicher Erkrankung.31 Der kaiserliche Rat Luca de Renaldis, über den Venedig ein Geldangebot für die Rückeroberung Mailands lancieren wollte, wurde auf Befehl Maximilians sogar kurzzeitig verhaftet.32 Paul von Liechtenstein äußerte sich gegenüber dem nach Innsbruck entsandten Zaccaria Contarini zwar entgegenkommend, verwies aber entsprechend einer kaiserlichen Anweisung auf die Ergebnisse der bevorstehenden Verhandlungen mit den Reichsständen.33 Es bedurfte nicht erst dieses Hinweises, um die Aufmerksamkeit der Serenissima auf den Reichstag zu lenken. Seit Monaten ließ man sich von verschiedenen Gewährsleuten – nicht immer zuverlässig – über die Anläufe zu dessen Einberufung und die wiederholte Verschiebung des Eröffnungstermins unterrichten.34 Gleichzeitig versuchte der Doge, im Friedenssinne insbesondere auf die vom Venedighandel profitierenden Reichsstände einzuwirken.35
Schon aufgrund dieser außenpolitischen Dynamik erwiesen sich die mit Hinblick auf den 21. Februar angelaufenen, ohnehin bald von Gerüchten über eine erneute Verschiebung begleiteten Vorbereitungen der Stände für den Reichstag einmal mehr als vergebens. Mit Schreiben vom 15. März setzte Maximilian I. viel zu kurzfristig für den 25. März einen weiteren Termin an (Nrr. 219f.). Eine nochmalige förmliche Vertagung folgte allerdings nicht mehr.36 Anfang April informierte der Kaiser die Stände, dass er auf dem Weg nach Worms befindlich sei, und forderte sie zum Erscheinen auf dem Reichstag auf (Nrr. 227–229, 236). Maximilian selbst traf am 21. April dort ein und eröffnete die Reichsversammlung am folgenden Tag.