Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 12. Die Reichstage zu Worms 1513 und Mainz 1517 bearbeitet von Reinhard Seyboth

Während Maximilians Hauptinteresse spätestens seit seiner Abreise aus Frankfurt der Auseinandersetzung mit Ulrich von Württemberg galt, beschäftigte sich die von ihm im Stich gelassene Mainzer Reichsversammlung mit einer ganzen Reihe wichtiger Themen. Dazu gehörte in erster Linie die Frage, wie etliche gravierende Missstände im Reich abgestellt werden konnten und sich der von vielen als desolat empfundene Gesamtzustand des Reiches verbessern ließ. Am 23. Juli wurde ein Ausschuss eingerichtet (Nr.759 [18.]), der bereits wenig später feststellte, aus den akuten Problemen um Herzog Ulrich von Württemberg und Franz von Sickingen, dem Konflikt zwischen dem Bischof und der Stadt Worms, verschiedenen an den Reichstag gerichteten Supplikationen und anderen Vorkommnissen sei ersichtlich, dass „solich und andere clagen, beschwerung und erlitens gewalts, im hl. Reich schwebend, alle von einer oder zweien namhaftigen mengeln ursprunglich herefliessen, sich mehren und also inwurzeln.“ Wenn die versammelten Reichsstände sich dieser Probleme nicht annähmen, sei zu befürchten, dass sie „sich noch weiter denen und dermassen usbreiten, das nichts guts volgen, sondern röm. ksl. Mt., dem hl. röm. Reich und allen stenden desselben merglicher unrate, unüberwindlicher nachteil und schaden derhalben entsten und zuwachsen“ (Nr.762). Daraufhin beschloss die Reichsversammlung am 28. Juli, einen „tapfern usschoß zu orden, zu betrachten die mengel und beswerung, so allenthalben im Reych sich ereygen, wie solichs zu verkomen, frid, recht, gut ordenong auf[zu]richten und zu machen sey“ (Nr.764 [1.]). Über die personelle Zusammensetzung des Ausschusses ist nur bekannt, dass ihm Dr. Matthäus Neithart aus Ulm als Vertreter der oberdeutschen und schwäbischen Städte sowie der Frankfurter Gesandte Philipp Fürstenberger für die rheinischen Städte angehörte (Nr.983 [2.]). Um für seine Arbeit göttlichen Beistand zu erbitten, wurde im Dom eine Messe zum Heiligen Geist gefeiert (Nr.988 [4.]).

Der Ratschlag, den der Ausschuss am 1. August vorlegte, kann als das wichtigste Ergebnis des Mainzer Reichstags von 1517 gelten. Als Hauptursachen aller gegenwärtigen Probleme im Reich wurde die „geprechlichkeyt des rechten und landfriedens, das die baide nit volzogen, gehalten noch gehanthabt, sonder zerrüt, versmehet, verachtet lange weil gewest sein und noch werden“, benannt. Im Mittelpunkt der Kritik stand das Reichskammergericht, das nach Meinung des Ausschusses nicht weniger als siebzehn einzeln aufgelistete Defizite aufwies. Sie reichten von unzureichender Qualifikation des Gerichtspersonals, überlanger Dauer von Verfahren, mangelhafter Exekution von Urteilen bis hin zu ungenügender Wirksamkeit der Reichsacht. Die Missstände im Gerichtswesen hätten gravierende negative Folgen für den Frieden, die innere Sicherheit sowie die Tätigkeit der Handel- und Gewerbetreibenden und vieler anderer Personen. Das Reich leide Not, sei „schwach und krank, schreyt und ruft umb hilf und rate zu Got, zu irem heupt und H., ksl. Mt., zu Kff., Ff. und ander stende und gliedern“. Werde ihm nicht geholfen, so drohe ihm derselbe Untergang wie vielen großen Reichen in der Vergangenheit. Da die Mitwirkung des Kaisers an den Rettungsmaßnahmen unverzichtbar sei, sollte ihm dieser Ratschlag zugesandt und seine Unterstützung erbeten werden. Zwischenzeitlich könnten die in Mainz anwesenden Reichsstände bereits ihrerseits Verbesserungsvorschläge ausarbeiten. Am 7. August übermittelte der Reichstag den Mängelkatalog in modifizierter Form an Maximilian (Nr.765/II). Zu den bereits angesprochenen Problemen waren drei weitere hinzugefügt worden, darunter der Hinweis auf die negativen Folgen von Vermögenstransfers ins Ausland und auf notwendige Maßnahmen gegen heimkehrende Kriegsknechte. Die zugespitzte Behauptung, der aktuelle Zustand der Deutschen Nation lasse für diese ein ähnliches Schicksal befürchten, wie es frühere Reiche erlitten hatten, war wohl aus Rücksicht auf den Kaiser unterblieben, da dieser sie womöglich als provokante Kritik an seiner bisherigen Regierungsführung aufgefasst und jegliche Mitwirkung an Reformmaßnahmen verweigert hätte. Stattdessen verwiesen die Reichsstände auf die Maximilian zur Verfügung stehenden Machtmittel, die er so rasch wie möglich einsetzen solle. Wenn er nicht am Mainzer Reichstag teilnehmen könne, möge er zumindest Räte schicken. Die Reichsstände seien zur Kooperation mit ihnen bereit.

Wenig später griffen auch die Reichsstädte das Thema der allgemeinen Gewalttätigkeit und Friedlosigkeit im Reich auf. In einer Supplikation beklagten sie, der Mainzer Reichstag sei nicht zuletzt wegen der „landkundigen, offenbaren, ungepurlichen ingrieff und beschedigung halb, so gar noch allenthalben im röm. Reich und besunderlich den stetten widerfaren,“ einberufen worden. Gehe er nun auseinander, ohne in dieser Sache etwas unternommen zu haben, gereiche dies zu „verderplichem unrat, nachteil, geverlicheit und zerrütung des hl. Reichs und gemeynen nutzes.“ Die Reichsstände sollten darüber nachdenken und entsprechend handeln (Nr.898). Die dergestalt in die Pflicht genommenen Versammlungsteilnehmer sahen allerdings keine Möglichkeit, sich in Abwesenheit des Kaisers noch eingehender mit der Problematik zu beschäftigten. Sie wandten sich deshalb kurz vor Tagungsende brieflich an Maximilian und verwiesen ebenfalls auf die zahllosen „ingriffe, plackerey und beschedigong, […] so sich allenthalben ereugen, der keyn aufhören und teglichs mern.“ Werde ihnen nicht Einhalt geboten, so entstünde daraus „beswerlichheit, nachteyl und schaden nit allein den hantirer, kaufs- und gewerbsleuten, stetten und andern, so die straßen brauchen, sonder euer ksl. Mt. zuvor, allen stenden und oberkeyten.“ Maximilian möge hier geeignete Abhilfe schaffen (Nr.769).

Hatten die in Mainz versammelten Reichsstände unter dem Eindruck der Taten Franz von Sickingens die drängenden Probleme bei der obersten Gerichtsbarkeit im Reich, der Gewaltprävention und beim Friedensschutz immerhin deutlich angesprochen und aufgezeigt, dass das herkömmliche Instrumentarium der Landfriedensgesetzgebung zu ihrer Lösung nicht ausreichte, so konnten diese Themen doch wegen des Endes des Reichstags und der aktuell andersartigen Ausrichtung der kaiserlichen Interessen in den nächsten Monaten nicht mehr weiter erörtert werden. Erst der Reichstag zu Augsburg 1518 griff sie wieder auf und diskutierte sie auf der Grundlage der in Mainz vorgetragenen ständischen Überlegungen erneut.1

Anmerkungen

1
 Vgl. Janssen, Frankfurts Reichscorrespondenz, Nr. 1193, 1194, 1198. Das vollständige Quellenmaterial zu dem Reformprojekt wird der in Vorbereitung befindliche Band zum Augsburger Reichstag enthalten.