Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 12. Die Reichstage zu Worms 1513 und Mainz 1517 bearbeitet von Reinhard Seyboth

Franz von Sickingen nutzte diese mühsamen Vorbereitungen, um weiter bedenkenlos zu agieren. Am 25. März überfiel er mit fünfhundert Helfern bei Weisenau nahe Mainz einen Warenzug von Kaufleuten aus Augsburg, Straßburg, Ravensburg, Nürnberg und anderen Reichsstädten, die sich auf dem Weg zur Frühjahrsmesse nach Frankfurt a. M. befanden (Nr.882). Es war offenkundig diese weitere Gewalttat, die Kaiser Maximilian bewog, das Vorgehen gegen den Friedbrecher auf eine neue, breitere Grundlage zu stellen. In einem Schreiben an die Reichsstände aus Antwerpen vom 23. April umriss er die Notwendigkeit, Sickingen energischer als bisher entgegenzutreten. Zu diesem Zweck habe er selbst mit dem französischen König Frieden geschlossen, noch heute werde er zur Verabschiedung seines Enkels Karl nach Seeland reisen, anschließend nach Worms aufbrechen und sich ab dem 15. Juni persönlich am Feldzug gegen Sickingen beteiligen. Die Reichsstände sollten daher ebenfalls unverzüglich ihre Truppenkontingente in Marsch setzen. Außerdem wies er sie an, zu diesem Termin persönlich oder durch eine Gesandtschaft in Mainz zu erscheinen, um „in unsern und des hl. Reichs, teutscher nation und gemainer cristenhait sachen zu ratslagen“ (Nr.721). Nähere Angaben, worüber in Mainz verhandelt werden sollte, machte er einmal mehr nicht, auch ist in dem Ladungsschreiben bemerkenswerter Weise nicht explizit von einem Reichstag die Rede. Ständischerseits wurde die geplante Zusammenkunft dennoch so verstanden.

Die Entscheidung für Mainz als Reichstagsort war zweifellos ungewöhnlich, hatte doch hier seit dem Hoftag von 1184 nie mehr eine große politische Versammlung in der Kurmainzer Land- und Residenzstadt stattgefunden. An ihrer Stelle wäre wohl eher das nicht weit entfernte Frankfurt a. M. zu erwarten gewesen, das eine lange Tradition als Austragungsort von Reichsversammlungen und viel Erfahrung mit der Organisation derartiger Großveranstaltungen aufzuweisen hatte. Doch Maximilian hatte in der Vergangenheit schon mehrfach eher ungewöhnliche Schauplätze für einen Reichstag ausgesucht, die jeweils seinen aktuellen Interessen entsprachen, z. B. 1497 Lindau, 1498 Freiburg im Breisgau und 1512 Trier. Für seine Wahl von 1517 nannte er keine Begründung, doch darf vermutet werden, dass die Lage von Mainz am Rhein, dem Anreiseweg des Kaisers aus den Niederlanden, und die relative Nähe der Stadt zu Worms, dem von ihm benannten Sammelplatz der reichsständischen Truppenkontingente für den Feldzug gegen Sickingen, eine Rolle gespielt haben dürften. Möglicherweise wollte der Monarch auch den Mainzer Kurfürsten Albrecht von Brandenburg für die geplanten Sondierungsgespräche über die Wahl eines römischen Königs günstig stimmen, indem er ihm die ehrenvolle Rolle als Gastgeber eines Reichstags übertrug. Von Seiten der Reichsstände ist im Übrigen keine einzige erstaunte oder gar kritische Äußerung über den ungewöhnlichen Reichstagsort bekannt.

Obwohl Mainz über keinerlei Erfahrungen bei der Vorbereitung und Durchführung eines Reichstags verfügte, hatte es damit augenscheinlich keinerlei Probleme. Im Vorfeld wurden vom Domkapitel, dem Klerus und den Bürgern ausreichend Quartiere und Stallungen für die zahlreich erwarteten Gäste und ihre Pferde bereitgestellt und deren Verteilung schriftlich exakt festgehalten (Nr.1018, 1019). Dabei dürfte es von Vorteil gewesen sein, dass am Reichstag 1517 bei weitem nicht so viele Fürsten und keinerlei ausländische Delegationen teilnahmen wie an den meisten anderen Reichsversammlungen der Maximilianszeit. Dies lag sicherlich vor allem an der Abwesenheit des Reichsoberhaupts. Während die Kurfürsten Albrecht von Mainz, Richard von Trier, Hermann von Köln, Ludwig von der Pfalz und Joachim von Brandenburg zumindest zeitweilig selbst anwesend waren, hielt sich Friedrich von Sachsen, wie schon 1512 in Trier/Köln und 1513 in Worms, erneut fern und entsandte Graf Philipp von Solms, der Friedrichs Bruder Johann mit vertrat (Nr.1022). Von den geistlichen Fürsten erschienen nur die Bischöfe Reinhard von Worms und Georg von Speyer persönlich, während Christoph von Augsburg, Erich von Münster, Philipp von Freising, Lorenz von Würzburg, Georg von Bamberg, Wilhelm von Straßburg, der Deutschmeister Dietrich von Cleen und der Deutschordenshochmeister Albrecht von Brandenburg Gesandte schickten. Zwar kam kein einziger weltlicher Fürst selbst zum Reichstag, doch immerhin entsandten Pfalzgraf Johann II. von Pfalz-Simmern, Herzog Wilhelm von Bayern, Markgraf Kasimir von Ansbach-Kulmbach, Markgraf Philipp von Baden, Herzog Johann III. von Jülich-Kleve, Herzog Georg von Sachsen, Herzog Anton von Lothringen und Landgräfin Anna d. J. von Hessen Vertreter. Nach Mainz kamen auch mehrere Grafen, zum Teil mit Vollmachten weiterer Standesgenossen, sowie die Bevollmächtigten etlicher Prälaten und Äbte. Von den Reichsstädten hatten etwa ein Dutzend, darunter die großen Kommunen Nürnberg, Augsburg, Ulm, Frankfurt a. M., Straßburg, Köln und Lübeck, ebenfalls Abgesandte geschickt, die zum Teil mit Vollmachten kleinerer Städte ausgestattet waren. Die zwei erfahrenen Frankfurter Ratsmitglieder Philipp Fürstenberger und Klaus von Rückingen hielten sich praktisch vom Anfang bis zum Ende des Reichstags in Mainz auf, weshalb ihre regelmäßigen Berichte eine besonders wichtige und aussagekräftige Quelle darstellen.

Das Mainzer Domkapitel kümmerte sich nicht nur um die Unterbringung der Tagungsteilnehmer, sondern auch um die innere Sicherheit in der Stadt während des Reichstags (Nr.1020). Was auf dem Reichstag 1517 völlig fehlte, waren die von manch anderen Versammlungen der Maximilianszeit her bekannten Festlichkeiten, Turniere, Wettschießen, musikalischen Darbietungen und anderen Zerstreuungen, die den Teilnehmern stets eine willkommene Abwechslung zu den monatelangen anstrengenden Beratungen boten. Grund dafür war wohl auch hier das Fehlen Kaiser Maximilians, der gern selbst an solchen Aktivitäten teilnahm und dessen Hof einen attraktiven gesellschaftlichen Mittelpunkt bildete. Aber auch die anwesenden Fürsten hatten immer wieder zu geselligen Veranstaltungen eingeladen. Den Gesandtschaften war dies nicht möglich, sodass der Mainzer Reichstag weitgehend durch eine eher nüchterne Arbeitsatmosphäre geprägt war.

Im Vorfeld des für den 15. Juni terminierten Reichstags zeigte sich einmal mehr die Unberechenbarkeit Kaiser Maximilians. Forderte er die Reichsstände noch Ende Mai erneut nachdrücklich auf, unbedingt nach Mainz zu kommen, wohin er sich auch selbst begeben werde (Nr.732), so gab es Mitte Juni erste Mutmaßungen seitens der Reichsstände, der Reichstag werde wohl nicht in Mainz, sondern in Frankfurt oder andernorts stattfinden (Nr.740, 744). Der einflussreiche kaiserliche Kanzler Zyprian von Serntein überlegte sogar bereits, „ob man weg möchte vinden, das der reichstag von Mainz gen Augspurg möchte verruckt werden.“ (Nr.731 [2.]) Tatsächlich wurde während eines Aufenthalts Maximilians in Lahnstein am 9. Juni bekannt, dass er sich nicht nach Mainz, sondern nach Frankfurt begeben werde ([Nr.932 [2.]). Dort traf er am 13. Juni in Begleitung seines Neffen Herzog Wilhelm von Bayern sowie Markgraf Kasimirs von Ansbach-Kulmbach, eines der kaisertreuesten Reichsfürsten überhaupt, ein. In den folgenden Tagen kamen auch Erzbischof Albrecht von Mainz und dessen Bruder Kurfürst Joachim von Brandenburg an. Die Frankfurter Stadtregierung besaß genug organisatorische Erfahrung und Flexibilität, um sich rasch auf die kurzfristig veränderten Pläne des Monarchen einzustellen und die üblichen Vorbereitungen für seinen Besuch zu treffen (Nr.743, Anm. 1).

Während seines gut einwöchigen Aufenthalts in Frankfurt führte Maximilian mit einigen ihm nahe stehenden Fürsten vertrauliche Gespräche. Über ihren Inhalt gibt es nur wenige und zudem nicht völlig eindeutige Hinweise. Dass eines der zentralen Themen die Wahl eines römischen Königs war, geht aus den Berichten des kursächsischen Gesandten Hans von Berlepsch hervor, der zusammen mit dem Vertreter Herzog Georgs von Sachsen, Dietrich von Werthern, schon seit Jahresbeginn dem kaiserlichen Hof gefolgt war und auch Maximilians Reise aus den Niederlanden bis nach Frankfurt mitgemacht hatte. Mit Schreiben aus Bonn vom 7. Juni informierte Berlepsch Kurfürst Friedrich von Sachsen unter Berufung auf Erzbischof Hermann von Köln, dass auf dem Mainzer Reichstag „etwas gros gehandelt werden sült“ (Nr.931 [4.]). Um was es dabei ging, teilte er am 20. Juni aus Frankfurt mit. Kaiser Maximilian selbst habe ihm gesagt, dass der Reichstag auf alle Fälle stattfinden werde und er die Kurfürsten Richard von Trier und Ludwig von der Pfalz erneut dazu geladen habe. Wie es nun weitergehe, wisse er allerdings nicht, es sei denn, „das dy zwen Kff. [Albrecht von] Menz und [Joachim von] Brandemburg in dem ansuchn, ainen röm. Kg. betreffend, etwas gewilligt hetten, dan es hat ksl. Mt. itzt etlich tag in aigner person, auch durch etlich unterhendler, Mgf. Casimirus und andere, ganz frolich mit iren kftl. Gn. gehandelt und handeln lassen“ (Nr.934 [1.]). Die offensichtlich in entspannter Atmosphäre geführten Sondierungsgespräche Maximilians mit dem hohenzollerischen Brüderpaar Albrecht von Mainz und Joachim von Brandenburg über eine Königswahl konnten jedoch in Frankfurt allein schon deshalb noch nicht zum Erfolg führen, weil mit Hermann von Köln, Richard von Trier und Ludwig von der Pfalz drei weitere Königswähler nicht anwesend waren. Das eigentliche Problem stellte aber Kurfürst Friedrich von Sachsen dar, dem Berlepsch schrieb: „Man get myt sachen itzt umb, darby man euer kftl. Gn. durch fürcht eyner verhynderung nycht hat haben wellen, nemlich eyn röm. Kg. zu machen, und darin wüllen ander leut auch nycht geheln und haltens darvor, sye sullen selbst byllich den cranz haben.“ (Nr.935 [2.]) Hintergrund des von Maximilian befürchteten Widerstands Friedrichs gegen eine Königswahl war ihr seit langem stark getrübtes persönliches Verhältnis. Berlepsch musste erfahren, dass der Kaiser es dem Sachsen noch immer sehr verübelte, dass dieser auf dem Wormser Reichstag 1509 die Bewilligung der dringend benötigten Hilfe für den Venezianerkrieg verhindert hatte. Bei einer persönlichen Unterredung auf der gemeinsamen Reise zum Mainzer Reichstag sagte Maximilian zu Berlepsch: „Dyn H. hat myr myn begern abgeschlagen, wilches ich mych in kayn wek versehen het. […] Ich hab myn blut und gut zu dem man wollen setzen und wyderfert myr nu das.“ (Nr.931 [2.]) Andererseits grollte auch der Kurfürst dem Kaiser, weil dieser die Belehnung der sächsischen Herzöge mit Jülich-Berg immer wieder abgelehnt und sich auch in der Auseinandersetzung mit Kurmainz um Erfurt nicht auf seine Seite gestellt hatte. Zum Zeichen seiner Verärgerung weigerte er sich Jahre lang, seinen vom Reichstag festgesetzten Beitrag zum Unterhalt des Reichskammergerichts zu bezahlen (Nr.466 [14c.], 585–587).1

Mit Maximilians Abreise aus Frankfurt endeten vorläufig seine Versuche, die Kurfürsten für die Wahlsache zu gewinnen. Drei Jahre später behauptete der an den Gesprächen beteiligte Kurfürst Joachim von Brandenburg, der Kaiser habe als römischen König Heinrich VIII. von England oder Ludwig von Ungarn und Böhmen vorgeschlagen – obwohl letzterer zu diesem Zeitpunkt erst elf Jahre alt war. Einen Kandidaten aus seinem eigenen Hause habe der Habsburger abgelehnt, sogar seinen durch die Kurfürsten von Mainz und Brandenburg ins Spiel gebrachten Enkel Karl von Spanien (Nr.934, Anm. 2). Die Behauptung erscheint ungewöhnlich, ist aber nicht völlig von der Hand zu weisen.2

Anmerkungen

1
 Hingegen vertritt Armin Kohnle die Auffassung,, es sei „unzutreffend, eine Distanz oder gar Opposition Friedrichs zu Maximilian allzu sehr zu betonen.“ Sein Versuch, „Loyalität zum König mit Wahrung reichsständischer und eigener Interessen zu verbinden“, sei „offensichtlich gut gelungen, denn das Verhältnis zu Maximilian I. blieb freundlich.“Kohnle, Friedrich der Weise, S. 19.
2
 Dietmar Heil geht davon aus, dass die Wahlwerbung Maximilians für Heinrich VIII. „bei einigen vermeintlich Frankreich zuneigenden Kurfürsten im Sommer und Herbst 1517 […] nur taktischer Natur“ gewesen sei. Er habe damit Druck auf König Karl ausüben wollen, „der bei einem Treffen in Lier zu Beginn des Jahres 1517 eine erneute direkte Regierung der Niederlande durch Maximilian brüsk abgelehnt und sich auch in der Wahlfrage zögerlich gezeigt hatte.“Heil, Scheitern Kaiser Maximilians, S. 654f.