Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb
1.1 Beratungsschwerpunkte und Ergebnisse
Der Reichstag zu Regensburg 1556 hätte laut der Einberufung im Reichsabschied 1555 am 1. März zusammentreten sollen, doch verzögerte sich bereits die Eröffnung bis zum 13. Juli1. Anschließend zogen sich die Beratungen bis 16. März 1557 hin, der Reichstag dauerte also über den Winter hinweg 35 Wochen, länger als jede andere Reichsversammlung des 16. Jahrhunderts mit Ausnahme des Reichstags 1547/482. Die lange Dauer war 1556/57 nicht der problematischen Programmatik geschuldet, sondern sie war das Resultat wiederholter Aufschübe der Verhandlungen, die im Grunde erst mit der Ankunft König Ferdinands am 7. Dezember begannen, also 21 Wochen nach der Eröffnung. Bis dahin hatte aufgrund der Verhandlungshindernisse im Kurfürstenrat3 weitgehend Stillstand geherrscht. In zwei zwischenzeitlichen Beratungsphasen von Mitte September bis Mitte Oktober und sodann vom 19. November bis zur Ankunft des Königs beschäftigte sich der Reichstag nicht mit den Artikeln der Proposition, sondern mit Fragen der Geschäftsordnung im Zusammenhang mit der Debatte um den Geistlichen Vorbehalt. Dagegen wurden die Kernthemen anschließend seit Anfang Dezember 1556 relativ zügig in 14 Wochen bis 16. März 1557 abgehandelt.
Inhaltlich bezog die Versammlung 1556/57 ihre Agenda aus dem Reichsabschied 1555, der zwar mit dem Religionsfrieden das konfessionelle und mit der Exekutionsordnung das institutionelle Friedenswerk zu Ende führte und damit zur künftigen „Grundlage der Reichsverfassung machte“4, den Religionsvergleich und daneben den Vollzug der Reichsmünzordnung aber nicht mehr erledigte, sondern einem künftigen Reichstag auftrug. Aus dieser Perspektive erscheint das Resultat von 1556/57 als der pflichtgemäße, wenig engagierte Vollzug dieser Vorgabe, um die beiden vertagten Artikel im Reichsabschied neuerlich an anderweitige Gremien, das Religionsgespräch und den Reichsmünztag, zu verweisen. Stand der Reichstag 1556/57 also lediglich im Schatten der epochalen Tagung von 1555, war er nur ein „appendix unnd execution der vorigen, zu Augspurg gehaltenen versamblung“, wie ein kursächsischer Gesandter formulierte5?
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass König Ferdinand das Programm des Reichstags um weitere Artikel ergänzte und damit das Themenspektrum gegenüber der Prorogation 1555 erweiterte: Hinzu kamen die Türkenhilfe, die in der Intention des Königs eindeutig in den Vordergrund rückte, und die Landfriedensproblematik als Hauptartikel der Proposition sowie später Nebenthemen wie die Livlandfrage und Einzelaspekte des Reichsjustizwesens als weiterer Hauptpunkt. Zum anderen ist die Frage nach der Bilanz des Reichstags zu stellen, um seinen Stellenwert gegenüber Augsburg 1555 und im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Reichspolitik zu bestimmen.
1) Religionsvergleich: Hauptverhandlungen zur Behebung der Glaubensspaltung, wie der Reichsabschied 1555 sie vorsah, wurden in Regensburg nicht geführt, obwohl Ferdinand sie zeitweilig anstrebte6, um mit der theologischen Wiedervereinigung eines seiner zentralen Anliegen7 zu realisieren. Da dies am Reichstag nicht möglich schien, verständigten sich der König, die weltlichen katholischen und die CA-Stände gegen den Widerstand der geistlichen Stände, die das Generalkonzil forderten, auf die Anberaumung eines Kolloquiums. Dessen Einberufung mit der Festlegung des Vergleichsforums und seiner Modalitäten stellte den vorerst letzten Versuch dar, die Glaubenseinheit durch einen theologischen Ausgleich auf Reichsebene herzustellen. Verfolgte Ferdinand diese Zielsetzung mit ernsthaftem Interesse, so belegen Aussagen der wortführenden Protestanten, dass es ihnen dabei nicht mehr um die Sache selbst, die Beilegung der Glaubensspaltung, ging, sondern darum, vordergründig ihren guten Willen zum Ausdruck zu bringen8 und das Kolloquium als Forum für die Propagierung ihrer Glaubensgrundsätze zu nutzen. Abstriche an der CA kamen nicht infrage, vielmehr wurde die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit einer Vergleichung außerhalb der CA bestritten9. Die geistlichen Stände verwehrten sich im Hinblick auf Generalkonzil und Kurie anfänglich grundsätzlich gegen ein Kolloquium als nationale Lösung. Die widerwillige Zustimmung erfolgte nur, um dem Wunsch des Königs zu entsprechen, und verknüpft mit Bedingungen, die die Autorität von Papst und Konzil sichern sollten10. Eine tiefere Bereitschaft zur konfessionellen Wiedervereinigung ist auch hier nicht erkennbar11.
Bedeutsamer als die taktisch geprägte Entscheidung für den Religionsvergleich war als eines der zentralen Resultate des Reichstags in der künftigen Wirkung die Bestätigung und Bekräftigung des Religionsfriedens12, der gegenüber der Fassung von 1555 erweiterte Rechtssicherheit bot, indem im Reichsabschied festgehalten wurde, dass er in Verbindung mit dem Landfrieden unabhängig von künftigen Religionsverhandlungen „alles seines jnhalts bestendig inn seinen krefften bleiben vnd jmmerwerendt gehalten“ werden solle13. Schon zuvor hatten die Reichsstände als Bedingung für das Kolloquium vorausgesetzt, „dz auf unnd in allen fellen der aufgericht jungst zu Augspurg unnd beschlossen religion- unnd prophan friede (die vergleichung der religion erfolge durch disen fursteenden oder annderen weeg jetzt unnd khunfftig oder nit) nicht desto weniger ewig imerwerendt bleibe unnd bestenndig gelassen werde“14. Der Reichstag 1556/57 leistete mit dieser unbefristeten Bestätigung einen wichtigen Beitrag dafür, dass sich die 1555 limitierte und mit Zugeständnissen verbundene Lösung „unerwartet rasch [...] zur Grundlage der Reichspolitik“15 entwickeln konnte.
2) Türkenhilfe: Der König stellte den türkischen Vorstoß in Ungarn sowie die Aufstände dort und in Siebenbürgen in der Proposition prononciert an die erste Stelle noch vor die Religionsfrage und kam am Ende nochmals als Hauptartikel darauf zurück, um in seinem Kernanliegen beim Reichstag, das ohne Beeinträchtigung durch andere Themen möglichst rasch erledigt werden sollte, eine Reichshilfe von 16 Römermonaten zu fordern. Trotz der Störungen in der Anfangsphase des Reichstags konnte Ferdinand als großen Erfolg verbuchen, dass seine Bitte ohne Abstriche bewilligt und lediglich die spätere Zusatzforderung16 abgelehnt wurde. Die Fürstenkurie hatte sich sehr bald für 16 Römermonate ausgesprochen17, während der Kurfürstenrat mehrheitlich lange Zeit auf 12 Römermonaten beharrte und erst Ende Februar 1557 die Gesamtforderung zusagte, wobei Kurmainz und Kurpfalz bis zuletzt dissentierten18. Die größte Unterstützung erhielt der König im Kurfürstenrat von Kursachsen, das nicht nur die 16 Römermonate, sondern eine wesentlich höhere beharrliche Hilfe empfahl19. Doch stellten selbst die beschlossenen 16 Römermonate die bis dahin höchste Steuerbewilligung dar. Erst beim Reichstag 1566 erreichte die Türkenhilfe mit 48 Römermonaten eine neue Dimension20.
3) Im dritten Hauptartikel bestätigte der Reichstag die Exekutionsordnung und mahnte ihren Vollzug in den Reichskreisen an. Dies war möglich, weil die Exekutionsordnung 1555 die Landfriedenssicherung auf die Kreisebene verlagert hatte.
4) Das Thema Reichsjustiz wurde nicht vom König proponiert, sondern kam erst auf die Initiative des Kurfürstenrats hin in Verbindung mit der Aktenvorlage der außerordentlichen Reichskammergerichtsvisitation 1556 zur Sprache. Die Beschlussfassung beschränkte sich auf Maßgaben zur Besetzung vakanter Assessorenstellen, während alle übrigen Probleme, die bei der Visitation zutage getreten waren, an einen Reichsjustiztag in Form eines außerordentlichen Reichsdeputationstags nach Speyer verwiesen wurden.
5) Auch die weiteren Verhandlungen zum Vollzug der Reichsmünzordnung 1551 stellte der Reichstag nach nur knappen Beratungen in der Schlussphase einem künftigen Reichsmünztag in Speyer ebenfalls in Form eines außerordentlichen Reichsdeputationstags anheim. Der Reichstag leitete mit der Anberaumung der jeweils kleineren, mit Sachverständigen zu besetzenden Gremien, die bei diesen Materien mehr Erfolg versprachen als das große Forum der tagenden Versammlung, die nachfolgenden konstruktiven Beschlussfassungen ein, die im Fall des Reichsjustiztags rechtsverbindlich waren21, während die Verabschiedung des Reichsmünztags ein nachfolgender Reichstag ratifizieren musste22.
Nicht im Reichsabschied enthalten sind die Maßnahmen, die König und Reichsstände zur Beilegung der Koadjutorfehde in Livland einleiteten. Die in Regensburg beschlossene Vermittlungsgesandtschaft23 trug wesentlich zur Beendigung des Konflikts in den Verträgen von Pozwol zwischen den livländischen Ständen und Polen-Litauen im September 1557 bei und ist damit als sehr positives Ergebnis des Reichstags 1556/57 zu werten24.
Die greifbare Bilanz des Reichstags 1556/57 besteht demnach in der Bestätigung und Verankerung des Augsburger Friedenswerks, der Einberufung des Kolloquiums als Forum für die Herstellung der Glaubenseinheit sowie des Reichsjustiz- und des Reichsmünztags, in der Verabschiedung einer beträchtlichen Türkensteuer, die der anfänglichen Forderung des Königs25 in vollem Umfang entsprach, und im vermittelnden Engagement in Livland.
Die zwangsläufig knappe Beschreibung des Reichstags in neueren Überblicksdarstellungen beschränkt sich überwiegend auf die beiden Hauptthemen Türkenhilfe und Religionsvergleich. Als dritter Aspekt fließt in die Beurteilung zu Recht die Debatte um den Geistlichen Vorbehalt mit ein26, dessen Aufhebung Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz im Junktim mit der Verweigerung der Hauptverhandlungen initiieren wollte. Doch konnte Kurpfalz weder innerhalb der eigenen Reihen das Junktim namentlich mit der Türkenhilfe durchsetzen noch gelang es den CA-Ständen insgesamt, dem König ein Zugeständnis abzuringen: Die Steuerzusage beim 2. Hauptartikel erfolgte, ohne dass der Geistliche Vorbehalt auch nur modifiziert worden wäre. Die Diskussion darum27 vollzog sich zunächst im Herbst 1556 im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte in den Kurien des Reichstags, anschließend nach der Ankunft Ferdinands außerhalb der Kurien in der direkten Auseinandersetzung zwischen dem König und den CA-Ständen. Von entscheidender Bedeutung dafür und damit für den Verlauf des Reichstags insgesamt war die Position Kurfürst Augusts von Sachsen, dessen Gesandte in den innerprotestantischen Beratungen bereits im ersten Stadium die Kurpfälzer Initiative für eine umfassende Freistellung auf die Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts beschränken konnten und die Forderung stets mit der Bedingung verknüpften, dass dadurch weder der Religionsfrieden zur Disposition gestellt noch die Türkenhilfe gefährdet würde. Den von Kurpfalz intendierten Verhandlungsboykott konnten sie aufbrechen, indem die Hauptberatungen aufgenommen wurden und erst die definitive Beschlussfassung von der Klärung des Geistlichen Vorbehalts abhängen sollte. Später wurde diese Vorgabe nicht mehr realisiert, da Kursachsen mit der Unterstützung anderer namhafter CA-Stände bis zum Ende des Reichstags seine Prämisse der Wahrung des Religionsfriedens und der Sicherung der Türkenhilfe auch auf Kosten des Geistlichen Vorbehalts gegen Kurpfalz verfocht und sich damit gegen das Junktim durchsetzen konnte. Es blieb lediglich bei einem Protest der CA-Stände28, der für die Gewährung der Türkenhilfe ohne Folgen blieb.
Die Politik Kurfürst Augusts von Sachsen, die bereits 1556 „eine ausgewogene Balance zwischen konfessioneller Bindung und reichspolitischer Verantwortung suchte“29, erwies sich als Gegenpol zur aggressiven Konfessionspolitik Ottheinrichs von der Pfalz in zweifacher Hinsicht als prägend für den Verlauf des Reichstags: Er war es, der unablässig darauf insistierte, dass der Wahrung des Religionsfriedens oberste Priorität einzuräumen sei, und vorrangig seinem Engagement hatte König Ferdinand es zu verdanken, dass er die Türkenhilfe, an der Kursachsen aufgrund der geografischen Lage ein genuin eigenes Interesse hatte, in der gewünschten Höhe ohne konfessionspolitische Zugeständnisse erhielt. Damit wurde im Anschluss an den Regierungsantritt Kurfürst Ottheinrichs beim Reichstag 1556/57 die innerprotestantische Konstellation sichtbar, wie sie die künftige Politik ganz wesentlich beeinflussen sollte: Der Gegensatz zwischen Kursachsen als einer der Garantiemächte des Religionsfriedens sowie Kooperationspartner des habsburgischen Kaiserhauses und der „militant revisionistisch“ angelegten, antihabsburgischen Kurpfälzer Religions- und Reichspolitik30. Die Politik Kurfürst Augusts bildete 1556/57 wie in den folgenden Jahren einen entscheidenden Faktor für die nach 1555 eingeleitete Phase der Stabilität und Integration im Reich, die er in enger Abstimmung mit dem Reichsoberhaupt prägend mitgestaltete und damit großen Anteil „am funktionierenden System des Augsburger Religionsfriedens“ erlangte31.
Der Reichstag 1556/57 gewinnt auf dem Hintergrund dieser Ergebnisse seinen eigenständigen Stellenwert über die erwähnten Resultate im Reichsabschied hinaus mittelbar aus der hier sichtbar werdenden Vorprägung des künftigen Bildes der Reichspolitik: 1) Die mehr oder minder offen ausgedrückte Akzeptanz der Glaubensspaltung, die sich nach 1557 im Verzicht auf weitere Einigungsbemühungen manifestierte; das sich künftig wiederholende, erfolglose Insistieren auf der Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts durch die protestantischen Stände, das aber für die Bewilligung einer Türkenhilfe letztlich folgenlos blieb und bleiben würde; die Bestätigung des Augsburger Friedenswerks als Grundlage der künftigen Reichspolitik. 2) Die Festlegung der politischen Allianzen, welche die folgenden Jahre bestimmen sollten32: Auf der einen Seite die Intensivierung der Kooperation Kurfürst Augusts von Sachsen mit Ferdinand I. und nachfolgend mit Maximilian II., in die neben Kurbrandenburg auch Bayern und später Kurmainz einbezogen wurden, während sich Ferdinand 1556/57 endgültig von der Kurpfalz als reichspolitischem Partner abwandte, nachdem Kurfürst Ottheinrich dort einen rigiden antihabsburgischen Kurswechsel eingeleitet hatte. Auf der anderen Seite die erwähnte Bildung der innerprotestantischen Fronten mit Kursachsen und der Kurpfalz als Antipoden und dem Erfolg der kursächsischen Konzeption. Nicht zuletzt dieser war es zu verdanken, dass der Reichstag 1556/57 ein ganz wesentliches Element für „die Festigung des Religionsfriedens“33 ausmachen und damit im Zusammenwirken mit dem Augsburger Gesetzgebungswerk von 1555 einen wichtigen Beitrag zur Einleitung der künftigen Stabilitäts- und Friedensperiode im Reich leisten konnte.
1.2 Überlieferung und Forschungsstand. Verhandlungen neben dem Reichstag
Die Editionsgrundlagen für vorliegenden Band orientieren sich in allen Bereichen an den Vorgaben, wie sie für die Reihe der „Reichsversammlungen“ programmatisch entworfen wurden. Dies betrifft neben der Präsentationsform von Protokollen, Hauptakten und Supplikationen, der selektiven Auswertung der Reichstagskorrespondenz im Kommentar und den Transkriptionsregeln auch die Recherchen zur ungedruckten Überlieferung, die sich demgemäß auf ausgewählte Archive und Aktengruppen34 beschränken. Das Grundgerüst der Dokumentation bilden sowohl bei den Protokollen wie bei den Verhandlungsakten die Überlieferungen der königlichen und der Kurmainzer Kanzlei. In der königlichen Kanzlei finden sich in der Reichstagsaktenreihe für 1556/57 fünf Bände35, die weitgehend chronologisch geordnet die Korrespondenz des Königs zur Vorbereitung, seine Reichstagswerbungen, den Schriftwechsel mit den Kommissaren in Regensburg bis zur eigenen Ankunft, die meisten Hauptakten von der Proposition bis zum Reichsabschied, einen Großteil der Supplikationen und das österreichische Fürstenratsprotokoll beinhalten. Allerdings fehlt ein Protokoll des Geheimen Rates, das die internen Entscheidungsvorgänge am Hof Ferdinands erhellen würde. Das Mainzer Erzkanzlerarchiv verwahrt ebenfalls fünf Bände, die zwar die Verhandlungsakten nicht vollständig und die Supplikationen nur zu einem kleinen Teil erfassen, aber den Verlauf des Reichstags mit den umfangreichen Berichten der Gesandten und den Weisungen des Kurfürsten36 sowie in erster Linie anhand der Protokollierungen für den Kurfürstenrat, den Religionsausschuss, die Versammlungen der katholischen Stände und teils für den Supplikationsrat gut wiedergeben.
Von den weltlichen Kurfürsten bieten Kursachsen und Kurpfalz geschlossene Überlieferungen mit Korrespondenzen zur Vorbereitung, der Instruktion, der Reichstagskorrespondenz, jeweiligen Protokollen für den Kurfürstenrat und den Religionsausschuss, einem Großteil der Verhandlungsakten, ausgewählten Supplikationen und dem Reichsabschied. Kurpfalz überliefert daneben das beste Protokoll für die Sitzungen der CA-Stände. Für Kurbrandenburg ist zwar kein Protokoll erhalten, doch liegen die weiteren Aktengruppen ebenfalls weitgehend geschlossen vor. Die Kurkölner Akten reichen nur bis zum Tod Kurfürst Adolfs III. am 20. 9. 1556, während die Kurtrierer Unterlagen verloren gingen. Aus der Fürstenkurie beinhalten die Bestände Speyers, Würzburgs, Hessens, Württembergs und mit Abstrichen Sachsens (nur für die Anfangsphase des Reichstags) das meiste singuläre Schriftgut (Instruktionen, Reichstagskorrespondenz, Protokolle). Von den Mitgliedern des Städterats gilt dies für Augsburg und Nürnberg.
Die ersten gedruckten Veröffentlichungen im 16. und 17. Jahrhundert konzentrierten sich neben dem Reichsabschied auf die Akten zur Freistellungsforderung37. Die Beschreibung des Reichstags bei Häberlin (1776) stützt sich mit diesen Drucken zur Freistellung und der von Sattler edierten Württemberger Reichstagskorrespondenz auf eine nur schmale Quellenbasis, die um ein Referat des gesamten Reichsabschieds ergänzt wird38. Eine bedeutende Erweiterung der Quellengrundlage brachte erst die Edition von Viktor Ernst insbesondere für die innerprotestantische Debatte vor und beim Reichstag39. Bei den Darstellungen im 19. Jahrhundert liegt der Schwerpunkt ebenfalls weit überwiegend auf der Religionsfrage, so auch bei Gustav Wolf40, hier allerdings in wesentlich umfassenderer Form und ergänzt um einen umfangreichen Quellenanhang. Die am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Gesamtdarstellungen der Epoche ignorieren den Reichstag 1556/57 entweder41 oder sie konzentrieren sich ebenfalls auf den Religionsaspekt42. Dieser steht ebenso in der neueren Literatur im Vordergrund, die je nach Themenstellung die Freistellung43 oder den Religionsvergleich44 betrachtet. Die Verhandlungen im Religionsausschuss zu letzterem Problem analysieren die Studien von Rolf Decot45, während Benno von Bundschuh dafür ein sehr breites Spektrum von der Vorbereitung des Reichstags über dessen Verhandlungen bis hin zu theologischen Gutachten detailreich im Rückgriff vorrangig auf die königliche und Kurmainzer Aktenüberlieferung darlegt und damit die Religionsfrage unter dem Aspekt der Anberaumung des Religionsgesprächs umfassend erörtert46. Einen Ausschnitt daraus – die Ansätze einer gemeinsamen Konfessionspolitik der CA-Stände auf dem Reichstag in der Vorbereitung des Religionsgesprächs – beleuchtet die aktuelle Studie von Björn Slenczka47. Bereits zuvor hat Ernst Laubach in seiner Untersuchung zu Ferdinand I. als Kaiser48 eine in thematisch erweiterter Form annähernd geschlossene Darstellung des Reichstags 1556/57 unter Einbeziehung auch der Türkenhilfe, der Livlandfrage und der Bestrebungen zur Übertragung des Kaisertums auf der Basis der Primärquellen vorgelegt. Die anderweitige biografisch angelegte Literatur analysiert den Reichstag unter dem territorialpolitischen Blickwinkel oder im Hinblick auf die Politik des jeweiligen Herrschers am Reichstag49.
Die Grundkonzeption für die Editionsreihe der „Reichsversammlungen“ sieht eine Dokumentation des Reichstags „in seiner Kernfunktion als Ständeversammlung“ von der Proposition bis zum Abschied vor50, also die Bereitstellung der Quellen zu den Verhandlungen des Königs mit den Reichsständen, zu den Beratungen in den Kurien, der drei Kurien untereinander, im Religionsausschuss sowie in den Versammlungen der katholischen und protestantischen Stände. Nicht berücksichtigt werden demnach Sonderverhandlungen des Königs mit einzelnen Ständen und einzelner Stände oder Ständegruppen sowie anderweitige Ereignisse außerhalb der eigentlichen Reichstagsprogrammatik. Beim Reichstag 1556/57 betrifft dies in erster Linie zwei Komplexe: 1) Die Gründung des Landsberger Bundes. 2) Den Vergleichstag im Markgrafenkrieg, der in Regensburg zunächst vor und sodann neben dem Reichstag veranstaltet wurde.
1) Die Initiative Bayerns (W. Hundt) in Kooperation mit Johann Ulrich Zasius seit dem Frühjahr 1556 für die Gründung eines Landfriedensbundes verlief zum Teil parallel mit der Reichstagsvorbereitung. Nach der Konstituierung des Landsberger Bundes51 mit den Mitgliedern König Ferdinand, Herzog Albrecht von Bayern, Erzbischof Michael von Salzburg und der Reichsstadt Augsburg am 1. 7. 1556 setzten sich die Gespräche und Korrespondenzen während des Reichstags vorrangig wegen der Aufnahme der fränkischen Einungsstände fort, auch fanden in Regensburg im März 1557 Bundesversammlungen statt. In den Verhandlungen um den Vollzug der Exekutionsordnung (3. Hauptartikel) fand der Bund keine Erwähnung.
2) In engerer lokaler und terminlicher Verbindung zum Reichstag stand der Vergleichstag zwischen Markgraf Albrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach und den Ständen der Fränkischen Einung (Vergleichstag im Markgrafenkrieg52). Dennoch wird auf eine Dokumentation verzichtet, da es sich beim Vergleichstag um ein eigenständig konstituiertes Gremium (Vermittlungskommission) handelte, das nicht beim, sondern neben dem Reichstag agierte. Die Trennung beider Veranstaltungen wird formal auch daran deutlich, dass die Teilnehmer am Vergleichstag über eigene Vollmachten verfügten, die für den Reichstag nicht galten. Deshalb wird die Thematik im Rahmen der Dokumentation nur in der Spätphase berücksichtigt, als sie in Form von Supplikationen an das Forum des Reichstags gebracht wurde. Der Vergleichstag 1556 beruhte auf dem Augsburger Abschied vom 26. 9. 1555, der ihn zum 1. 3. 1556 nach Regensburg einberief53. Der Vermittlungskommission gehörten neben den Kommissaren Ferdinands I. an: Die vier rheinischen Kurfürsten, Salzburg, Konstanz, Bayern, Jülich, die Reichsprälaten, die Wetterauer Grafen sowie die Städte Straßburg und Regensburg. Deren Verhandlungen zwischen den beiden Parteien verliefen zunächst wegen des Streits um Geleitfragen und die Übernahme der Markgrafschaft Kulmbach durch einen kaiserlichen Sequester ergebnislos54, doch wurde die Hauptvermittlung auch nach dessen Verordnung durch den König Mitte Mai 1556 nicht aufgenommen, da die Fränkische Einung die Einbeziehung der vom Markgraf eroberten, so genannten bambergischen Vertragsämter in die Verwaltung ablehnte und der Gegenseite Verstöße gegen das Geleit und den Augsburger Abschied vorwarf. Im Oktober 1556 wurden die Verhandlungen abgebrochen. Dies veranlasste Albrecht Alkibiades, sich im Dezember gegen die Verweigerung der Einung in einer Supplikation an die Reichsstände zu wenden55, die jedoch infolge seines Todes am 8. 1. 1557 nicht mehr beschieden wurde. Die folgenden Beratungen hatten aufgrund der veränderten Situation die Übergabe der Markgrafschaft Kulmbach an Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach56 zum Gegenstand. In deren Rahmen ordnete König Ferdinand am 25./27. 2. 1557 den gütlichen Vergleich des Gesamthauses Brandenburg mit der Fränkischen Einung an57, den er anschließend selbst übernahm und im Wiener Vertrag vom 6. 10. 1558 erfolgreich zum Abschluss brachte58.