Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XIV. Band. Der Reichstag zu Nürnberg 1543 bearbeitet von Silvia Schweinzer-Burian, mit Vorarbeiten von Friedrich Edelmayer

Sowohl Königin Maria von Ungarn, die Statthalterin der Niederlande, als auch Herzog Wilhelm nützten das Forum des Reichstags, um den Reichsständen ihre Sicht der Dinge auf den militärischen Konflikt darzulegen, der im Juli 1542 zwischen der Königin und dem mit Frankreich verbündeten Herzog von Jülich um Geldern ausgebrochen war1. In langen, polemischen Vorträgen und Supplikationen vor den Reichsständen, die zum Teil auch als Druckschriften verbreitet wurden (Nr. 202, Nr. 204–206, Nr. 210–211), rechtfertigten beide Seiten im Dienste der Kriegspropaganda ihr Vorgehen mit historischen und rechtlichen Argumenten. Parallel zu den Auftritten der burgundischen und jülichschen Räte in Nürnberg fanden im Januar und Februar 1543 in Aachen und Maastricht unter Vermittlung der vier rheinischen Kurfürsten und des Landgrafen von Hessen Unterhandlungen zwischen den burgundischen und jülichschen Räten statt, die jedoch auf Grund der unvereinbaren Forderungen beider Parteien scheiterten. Die Reichsstände und die Schmalkaldischen Bündner wurden von den jülichschen Gesandten in Nürnberg vom Misserfolg dieser Unterhandlungen am 17./18. März informiert und um ihre Unterstützung gebeten (Nr. 208). Das löste die Blockade in den festgefahrenen Reichstagsverhandlungen, da die Protestanten wegen der Jülicher Friedensfrage ihre Verweigerungstaktik aufgaben, wieder im Reichsrat erschienen (siehe Kap. 7.1 ad 3) und gemeinsam mit den anderen Reichsständen bei König Ferdinand und Granvelle am 22. März wegen einer Friedenslösung für Jülich intervenierten (Nr. 212). Diese Initiative war der Beginn der gemeinsamen Verhandlungen zur Lösung des Geldernkonflikts, an welchen die Reichsstände, der König, die kaiserlichen Kommissare, Granvelle und die Gesandten der beiden Kriegsparteien teilnahmen. Die am 28. März erfolgte Stellungnahme Granvelles und der burgundischen Räte (Nr. 214) ließ keinerlei Entgegenkommen gegenüber dem Herzog erkennen, da von ihm die Abtretung Gelderns und Zütphens an den Kaiser gefordert wurde, was dieser vehement ablehnte. Auch ein Vorschlag zur einstweiligen Sequestration Gelderns durch die Reichsstände oder die Aufgabe der beiden Länder für die Dauer der rechtlichen Verhandlungen über die Streitfrage kamen für Herzog Wilhelm nicht in Frage2. Eindringlich machten sowohl die Reichsstände als auch die kurfürstlichen Räte dem König, den Kommissaren und Granvelle die Dringlichkeit eines Waffenstillstands klar (Nr. 220–221), doch die kaiserlich/königliche Seite beharrte auf ihrer ursprünglichen Position: Übergabe Gelderns und Zütphens an den Kaiser (Nr. 222). Auch der Vorschlag der Reichsstände, Wilhelm solle Geldern und Zütphen vom Kaiser zu Afterlehen annehmen (Nr. 225), und weitere Vorschläge des Ausschusses vom 20. April (Nr. 228) führten zu keiner Einigung3. An diesem Punkt drohten die Verhandlungen zu scheitern, als sie durch den Druck der militärischen Ereignisse wieder in Gang gebracht wurden.

Die Niederlage der Truppen Königin Marias gegen die Soldaten Herzog Wilhelms in der Schlacht von Sittard am 24. März 1543 setzte die burgundische Seite unter Zugzwang und ließ einen kurzen Waffenstillstand als dringend geboten erscheinen. Der von den Reichsständen übergebene Vorschlag für einen Waffenstillstand vom 24. April (Nr. 230) wurde von Seiten der Jülicher abgelehnt, da sie nicht bereit waren, Sittard den Burgundern als Pfand für die Dauer der Waffenruhe zu übergeben. Die kompromisslose Haltung Granvelles und die Abreise einiger Mitglieder des Geldernausschusses aus Nürnberg führte zum Abbruch der Verhandlungen, wie die Ausschussmitglieder dem Jülicher Herzog am 26. April berichteten (Nr. 232). Die wenigen in Nürnberg verbliebenen Vertreter des Geldernausschusses ließen jedoch nicht locker und einigten sich mit Granvelle auf einen Anstand, den die Räte Herzog Wilhelms, zermürbt durch lange Überredungsversuche des Ausschusses, wider besseres Wissen und entgegen den Instruktionen ihres Herrn akzeptierten4. Die zwischen dem kaiserlichen Minister und den jülichschen Räten abgeschlossene Vereinbarung über eine Waffenruhe (Nr. 235) sollte am 10. Mai 1543 beginnen und ab der Ankunft des Kaisers in Trient zwei Monate Gültigkeit haben; währenddessen war Sittard an Königin Maria zu übergeben und die reichsständischen Vertreter des Geldernausschusses und Jülichs sollten sich beim Kaiser um eine friedliche Verständigung oder die Verlängerung des Anstands bemühen (Nr. 237). Wie zu befürchten, tadelte Herzog Wilhelm seine Gesandten, die ihre Vollmachten bereits bei früheren Verhandlungen überschritten hatten, für ihr eigenmächtiges Vorgehen (Nr. 239). Er verweigerte seine Zustimmung zu dem von seinen Räten ausgehandelten Waffenstillstand5. Damit steuerte der Konflikt um Geldern einer endgültigen gewaltsamen Entscheidung zu, die mit dem Kommen des Kaisers ins Reich verknüpft war.

Anmerkungen

1
Zu Vorgeschichte und Verlauf des Konflikts siehe: P. Heidrich, Der geldrische Erbfolgestreit 1537–1543; G. E. Bers, Die Allianz Frankreich-Kleve; W. Crecelius, Der Geldrische Erbfolgestreit; R. G. Jahn, Geldern und Frankreich, S. 132f.
2
Berichte der jülichschen Räte vom 24. März bis zum 5. April an Hg. Wilhelm über die Verhandlungen in der Geldernfrage (Nr. 213, Nr. 215–217) und die Instruktion Hg. Wilhelms für weitere Verhandlungen seiner Räte vom 7. April (Nr. 219).
3
Bericht der jülichschen Räte vom 23. April: Nr. 229.
4
Berichte der jülichschen Räte über die letzte Phase der Verhandlungen mit dem Ausschuss zwischen dem 26. und 28. April: Nr. 233–234.
5
Darüber berichteten die jülichschen Räte an Kgn. Maria bei ihrer Mission an den burgundischen Hof am 8. Mai 1543: Nr. 241.