Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XIV. Band. Der Reichstag zu Nürnberg 1543 bearbeitet von Silvia Schweinzer-Burian, mit Vorarbeiten von Friedrich Edelmayer

St. Gallen StadtA, Tr. VII, Nr. 8.9, unfol. (Kop.); DV: Coppy ainer missiven an die röm. ksl. Mt., mit dem cammerprocuratorfiscaln ze verschaffen, von den processen wider der eidtgnossischen stett und prelaten der anlagen halb still ze ston und by altem herkhommen beliben, ouch in kain acht declarieren lassen oder man mußt sechen, wie man ainandren darby handthaben wurde, anno 1543. AV am Ende des Schreibens: Gliche meinung ist ouch röm. kgl. Mt., ouch Kff., Ff. und gemeinen stenden des Hl. Röm. Rychs und dem camerrichter und bysitzern zu Spyr zugschriben worden.

Uff disem tag [Baden im Aargau: 1543 Febr.] sind vor uns erschinen der hochwurdigen fürsten, erwirdigen und geistlichen herren, H. Lucius Bf. zu Chur, H. Diethelmen, apte des gotzhus St. Gallen, herren apt von Dissitis, ouch der edlen, strengen, fromen, fursichtigen, weisen, unserer in sunders guten frunden und getruwen, lieben Eidtgnossen von Basel, Schaffhusen von wegen ir und ires gotzhus zu Schaffhusen, ouch St. Gallen, Mülhusen treffenlich anwälten und ratsbottschaften und angetzeigt, wie das verschiner tagen iren gnedigen herren und oberen von röm. ksl. Mt. camerprocuratorfiscal zu Spyer mandaten3 zukomen, dass sie wegen der Nichtbezahlung der Türkenhilfe und der Kammerzieler von der Reichsacht und dem Verlust aller Privilegien bedroht seien. Diese Mandate lösten Missfallen bei den Eidgenossen aus; ihr Schriftwechsel mit Kaiser, König, Reichsständen und dem Reichskammergericht beweise nämlich, dass die von den Mandaten betroffenen Stände von den Reichsabgaben befreit seien, weshalb sie mit Zahlungsaufforderungen an das Reich in Ruhe zu lassen seien.

Und achten, das genannter unser ksl. Mt. fiscal sollichs in registern und büchern finden wird, das mit unserm wissen und willen weder die genanten unser Eidtgnossen nach die vilgemelten prelaten, siderhar si ordter unser Eidtgnoschaft und inen verwandt sind worden, derglichen hilfen nach stüren nie nützit [= niemals] geben nach bezalt haben.

Darumb wir die kgl. Mt. ernstlich gepetten, sy wolle by gedachtem herren fiscal gnedigklich verschaffen, das er sines furgenommen handels gegen den unsern abstande, auch si und uns all deßhalb ruwig und by unsern alten langen harkomen unangefochten pliben lassen etc. Schreiben des Königs und des Kaisers, welche die Befreiung der Eidgenossen und ihrer Zugewandten von den Reichsanlagen bezeugen, liegen in Kopie bei. Söllicher gnedigen antwurten unsere herren und oberen sich getröst und dero gehalten und vermeint, das wir und unser Eidtgnoschaft verwandten und zugehörrigen werent daby pliben und nit wyter angefochten noch geunruwiget worden, diewyl wir, wie ghört, vor allen frembden ußlendischen grichten und in sunderheit fur gemelt ksl. camergrichtprocessen und handlungen von röm. keysern und kunigen hochloblichen gefrygt [= befreit], ouch dero von alter und bißhar vertragen pliben. By demselben wir ouch getruwen zu pliben und mit der hilf Gottes einanderen daby handthaben, schutzen und schirmen und uns gar nit davon trengen und in frömbde ußlendische gricht ynfuren lassen. Deßhalb wir ouch obgemelt unser lieb Eidtgnossen von den vier ordten4, ouch gedachtem herren Bf. zu Chur und ernempten prelaten5 befolhen, solliche ufflag keinsweg zu bezalen nach vor dem ksl. cammergricht zu erschinen und sy [= sich] keinswegs da ynzelassen, diewyl wir von alter har und je welten daselbs nie erschinen.

Darumb so ist an euer ksl. Mt. unser gar undertehnig und hochgeflißen pitt, sy wölle gnedigklich darob sin, das wir by euer röm. ksl. und kgl. Mtt gschriftlich antwurten pliben mogent und by gedachtem fiscal verschaffen, das er siner furgenomnen meinung gegen den obgenanten unseren lieben Eidtgnossen, ouch herren Bf. zu Cur und allen anderen prelaten und gotzhuseren, so uns mit pundten, schutz und schirme verwandt, abstande und sy und uns all deßhalb ruwig und by unseren alten, langen harkomen unangefochten pliben laßent und sy vor den aachte verhuten und darin nit thun, sunder si uns by der röm. ksl. und kgl. Mtt. gnedigen antwurten und unseren fryheiten pliben lassen. Wo aber den unsern darüber etwas schadens zugfugt wurde, deß wir uns doch nit versehen, wurden unser aller herren und oberen verursachet, der sachen wyter nachgedencken, wie si vor söllichem schaden sin möchten.

Das wolle euer röm. ksl. Mt. von uns unserer grossen notturft nach gnedigklichen vernemen und sich nach unserm hochen vertruwen bewysen, wie dann euer ksl. Mt. wir des ouch aller gnaden und eeren sunders wol getruwen. Das begeren umb euer ksl. Mt. unser herren und oberen alltzit gantz willig zu verdienen, derselben euer röm. ksl. Mt. geschriben gnedig antwurt, uns darnach wyter wussen zu richten, by disem unserm darum gesandten botten begerende.

Datum und mit deß fromen, erenvesten, unsers getruwen, lieben landtvogts zu Baden in Ergöw, Jacoben Aapro, des rats zu Ury insigel in namen unser aller verschlossen, uff den 14. tag Februarij anno etc. 1543.

Euer ksl. Mt. underthenig von stett und landen der dryzechen ordten gemeiner unser Eidtgnoschaft ratsbotten, diser zeit zu Baden in Ergöw versampt.

Es folgen die Namen der Gesandten der Dreizehn Orte der Eidgenossenschaft.

Anmerkungen

1
Das Schreiben der Dreizehn Orte erging mutatis mutandis auch an Kg. Ferdinand, an die Reichsstände und an das RKG in Speyer (siehe AV am Ende des Schreibens).
2
In mehreren Protokollen (Pfalz-Neuburg Nr. 82, Heilbronn Nr. 88, RT-Protokoll Lambs Nr. 86a) wird der 6. März 1543 als Datum der Verlesung des eidgenössischen Schreibens vor den Reichsständen angegeben.
3
RKG-Mandate an den Bf. von Chur, die Äbte von St. Gallen und Disentis sowie an Bgm. und Rat der Städte Basel, Schaffhausen (samt Gotteshaus), St. Gallen und Mülhausen im Elsass, Speyer, 1543 Jan. 15, in: St. Gallen StadtA, Tr. VII, Nr. 7.32 (Druck mit Siegel an Abt Diethelm von St. Gallen). Die meisten Adressaten der Mandate waren zugewandte Orte der Eidgenossenschaft, die sich seit dem 15. Jhdt. kontinuierlich vom Reich entfernt hatten, ohne auf die Legitimation ihrer Herrschaft durch das Reich verzichten zu wollen. Der Ablösungsprozess der einzelnen Orte und Äbte vom Reich war äußerst unterschiedlich, wobei St. Gallen am längsten den Kontakt zum Reich und seinen Institutionen hielt. Bis 1542 war St. Gallen – im Gegensatz zu Basel, Schaffhausen oder Mülhausen – bereit, zum Unterhalt des RKG beizutragen, lehnte die Reichstürkenhilfe wegen seines militärischen Engagements für die Eidgenossen jedoch wie die anderen Zugewandten ab. Weil sich das Reich in der Frage der Türkenhilfe unnachgiebig zeigte, suchte St. Gallen gemeinsam mit den anderen oben genannten Orten und Äbten Hilfe bei den Eidgenossen. Diese argumentierten in der obigen Supplikation vor allem juristisch und betonten die Exemtion der Städte und Äbte von der Reichsgerichtsbarkeit und die Befreiung von den Reichssteuern seit ihrer Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft, weshalb die Prozesse des ksl. Fiskals einzustellen seien. Exemplarisch zur schwierigen Stellung der zugewandten Orte zwischen Reich und Eidgenossenschaft: B. Braun/W. Dobras, St. Gallen: eine Stadtrepublik zwischen Reich und Eidgenossenschaft, S. 397–416.
4
Basel, Mülhausen, St. Gallen und Schaffhausen.
5
Äbte von St. Gallen und Disentis.