Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XIV. Band. Der Reichstag zu Nürnberg 1543 bearbeitet von Silvia Schweinzer-Burian, mit Vorarbeiten von Friedrich Edelmayer

A Wien HHStA, MEA RTA 8/Konv. 1, (Kop.)1; DV: Der kraißfursten schreiben des nidersächsischen kraiß. Lectum in consilio imperiali die 2. Aprilis.

B Magdeburg StA, Rep A 1, Nr. 267, fol. 79r–82v (Kop.); AS fol. 79r: An die reichsstände zu Nörnbergh anno 1542. H. Johann Albrechts, ertzstiftischen coadiutoris, und Hg. Ernsten von Braunschweig und Lüneburg schreiben der turckensteur halben, so sich etliche ansehestede zu geben geweigert.

Versammlung der niedersächsischen Kreisstände am 2. Nov. 1542 in Halberstadt2, um über die Mängel bei der Ausführung der Türkenhilfe zu beraten. Und haben nhun under anderm, wie auch uff zuvor gehaltem kreißtage3 befunden, das etliche furnemliche sehe- und ansehestette in disem nidersechssischen kreise sich bißher geweigert haben, ire hilf und gemeinen pfennig, wie zu Speir bewilligt und verabschidt ist worden, zu diser christlichen expedicion wider den Turcken zu geben und noch vil weniger in irer landsfursten- und furstenthumben, dere sie underthanen und glider sein, gemeine kisten zu uberantworten und also in die kreiß oberkisten komen zu lassen4. Und zu behelf und schein irer ungepurlichen weigerunge thun sie eine commission, die von röm. kgl. Mt., unserm allergnedigsten herrn, solle ausgegangen sein, furwenden, wie die beiliegende Abschrift zeigt5. Dieweil aber die kreißstende vermerckt, das solchs nicht wenig beschwerlich, haben sie unß ufferlegt, solche beschwerungen an euer Ll. und euch gelangen zu lassen, wie euer Ll. und ihr auß beiligendem artickel6 zu vernehmen haben.

Nachdem dan die kgl. commission in gemein uff alle sehe- und ansestette, allein Coln und Dorttmunde ausgeschlossen, gestalt ist, so vermeinen sich nhun alle sehe- und ansehestette damit zu behelfen und wider des Reichs abschide und irer landsfursten gepott, das sie ire hilf leisten sollen, uffzuhalten und sonderlicher handlung zu gewarten, so doch zu Speir verabschidet ist worden, das allein mit denen stetten solle gehandelt werden, die nicht one mittel dem Reich oder chur- und fursten underworfen sein.

Und ist den fursten, so sehe- oder ansehestette haben, zum hochsten beschwerlich und unleidlich, das ire stette sich understehen, auß der kgl. commission freiheit, als solten sie von des Reichs hilfen exempt und entfreyet sein, zu schepfen, so sie doch iren landsfursten als underthanen in reichsanlagen zu hilf zu komen schuldig sein. Gleicher gestalt ist inen auch beschwerlich, das sie aus dem, waß ire landsfursten uff reichstagen bewilligen solten, getzogen und erst sonderliche handlung derwegen mit inen gepflogen und sie also irer landsfursten obrigkeit, gepott und underwerfung entzogen und sonderlich auch ire hilf und steur gein Normberg zu libern gefordert werden, welchs nicht allein den fursten, welche dere stette haben, sonder auch dem gantzen kreiß nachteilig und abtreglich were.

Dem allem nach ist unser freuntlich bitt, gunstig und gnedig gesinnen, euer Ll. und ir wollet bey hochstgemelter röm. kgl. Mt., unserm allergnedigsten herrn, die underthenigste bitt und furwendung thun, das ire kgl. Mt. wolle die vilberurte commission revocirn und den sehe- und ansehestetten ernstlich und bei peen, im reichsabschide verleibet, gepieten, sich des speirischen reichsabschides gehorsamlich zu halten und iren und der iren [= ihrer Untertanen] gemeinen pfennig vermoge desselbigen abschids uffzupringen und in irer landsfursten- und furstenthumben, der[en] underthanen und glidder sie sein, oder des kreises oberkisten nach einer iden verwandtnuß zu uberanthworten und eintzupringen, damit also obbemelte ontregliche beschwerungen und unrichtigkeit dises christlichen wergks abgewendet und verhutt werde. Dan wurde solchs nicht gescheen, wie sich doch die stende dises kreises anderst verhoffen, so were gentzlich zu besorgen, das diser kreiße sein ufferlegt volck nicht schicken, vil weniger underhalten kondte, wie dan solchs auch bisher nicht geringe verhinderung gewesen, zudem es zwischen den fursten und iren underthanen, den sehe- und ansehestetten, grossen widerwillen und weitterunge geperen wurde. Derhalben wollen wir freuntlich gepetten und gunstig und gnediglich gesonnen haben, euer Ll. und ir wollen sich hirinne freuntlich und gutwillig ertzeigen und die sache zu obgepettenen wegen im besten richten. Das wirdet disem gemeinen christlichen werck furderlich sein und zu erhaltung eins iden ober- und gerechtigkeit gereichen, und wir sein es umb euer L. und euch freuntlich zu verdinen und gunstiglich zu beschulden willig und geneigt.

Anmerkungen

1
Das Aktenstück liegt lose dem gebundenen Konv. 1 bei.
2
Niedersächsischer Kreisabschied, Halberstadt, 1542 Nov. 6. in: Stade StadtA, Rep. 6, Fach 1, Nr. 1, fol. 43r-50v (Kop.).
3
Niedersächsischer Kreistag in Helmstedt; Abschied: 1542 Juni 2, gedr. bei: A. Neukirch, Der niedersächsische Kreis, S. 215–224.
4
Der Konflikt zwischen den Hansestädten und den Kreisfürsten im niedersächsischen Kreis lag in den Bestimmungen von § 57 des Speyerer RAb 1542 (RTA JR Bd. XII, Nr. 285, S. 1183f.) begründet. Dort wurde nicht nur die Exemtion der Reichritterschaft von den Reichsanlagen hervorgehoben, sondern auch die Sonderstellung jener Hansestädte, die keiner fürstlichen oder anderen Obrigkeit unterstanden und in den Reichsanlagen nicht begriffen waren. Allerdings galt die Steuerbefreiung für den Gemeinen Pfennig nicht. Kg. Ferdinand bot an, mit den Hansestädten angesichts der drohenden Türkengefahr durch Kommissare gesondert, d.h. unter Umgehung der Kreisfürsten, über die Ablieferung des Gemeinen Pfennigs in die Kreiskisten verhandeln zu lassen. Das widersprach der Rechtsauffassung der niedersächsischen Kreisfürsten, die vorbrachten, dass alle in ihrem Kreis gelegenen Hansestädte fürstlichen oder anderen Obrigkeiten unterworfen und damit steuerpflichtig seien. Der Konflikt um die mediate oder immediate Stellung der niedersächsischen Hansestädte verstärkte sich im Laufe des Jahres 1542 und kam in dem nur für die Fürsten bestimmten „Nebenabschied“ des niedersächsischen Kreistages von Helmstedt (1542 Juni 2) deutlich zum Ausdruck: gedr. bei A. Neukirch, Der niedersächsische Kreis, S. 223f.
5
Der Widerstand gegen die Ablieferung des Gemeinen Pfennigs an die Kreisfürsten ging anfänglich von der Hansestadt Lübeck aus. Auf dem Helmstedter Kreistag im Juni 1542 beriefen sich die Lübecker Gesandten auf eine „commission“ (= Auftrag) Kg. Ferdinands, welche Lübeck als oberste Hansestadt dazu bestimmte, mit den anderen Hansestädten wegen der Kontribution zur Türkenhilfe zu verhandeln. Im Laufe des Sommers 1542 verlagerte sich das Zentrum der Opposition gegen die Kreisfürsten auf die Hansestadt Lüneburg. Die niedersächsischen Kreisfürsten ersuchten den König in individuellen Schreiben um Rücknahme seiner Kommission und um sein Einschreiten gegen die Hansestädte. Als sie keine Antwort erhielten, beschloss der Kreistag, sich mit Umgehung des Königs an den in Kürze in Nürnberg zusammentretenden Reichstag, d.h. an die Reichsstände, zu wenden (siehe die obige Eingabe). Siehe dazu: A. Neukirch, Der niedersächsische Kreis, S. 156, S. 165ff., S. 188f.
6
„Nebenabschied“ zum Helmstedter Kreisabschied: siehe oben Anm. 4.