Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XIV. Band. Der Reichstag zu Nürnberg 1543 bearbeitet von Silvia Schweinzer-Burian, mit Vorarbeiten von Friedrich Edelmayer
In den reichsständischen Instruktionen sind neben den partikularen Anliegen der verschiedenen Stände jene Konfliktfelder vorgezeichnet, welche den Verlauf des Reichstags bestimmten und den von habsburgischer und altgläubiger Seite formulierten Zielen zuwiderliefen. Für die Schmalkaldener war die Behandlung der Problematik von Religion, Friede und Recht eine conditio sine qua non für Beratungen über die Türkenhilfe1, während die Altgläubigen, allen voran die Hgg. von Bayern, die Hauptaufgabe der Reichsversammlung in der Organisation einer möglichst effektiven Türkenabwehr und in der Aufrechterhaltung ihrer fürstlichen Prärogativen sahen2. Vorausgesetzt die Erfüllung ihrer Forderungen, waren die Neugläubigen bereit, Türkenhilfe zu leisten und setzten sich in ihren Instruktionen in ähnlicher Weise wie die anderen Reichsstände mit der auf dem Speyerer Reichstag 1542 auf Basis des Gemeinen Pfennigs beschlossenen beharrlichen Türkenhilfe auseinander. Die altgläubigen Stände wiesen auf ihre bisher erbrachten Leistungen für die Türkenhilfe hin, sie äußerten Kritik, brachten Verbesserungsvorschläge ein und stellten Bedingungen für die vom König in der Proposition verlangte Fortsetzung der Hilfe. Unabhängig von der konfessionellen Zugehörigkeit finden sich folgende Forderungen: Vergleich der Reichskreise nach Vorliegen der Abrechnungen über die eingehobenen Anlagen, danach Ringerung der Anschläge auf Basis dieses Vergleichs; Heranziehen der ungehorsamen Stände zur Zahlung der ausstehenden Beiträge; Klagen über die Exemtion von Reichsständen, vor allem durch Österreich; Bezahlung des Kriegsvolks aus dem in den Kreistruhen vorhandenen Geldern des Gemeinen Pfennigs statt Aufbringung einer neuerlichen Türkensteuer auf Grundlage der Matrikel3; Ablehnung des vom König geforderten Zuzugs der von den Türken am meisten bedrohten fünf Reichskreise4.
Landgraf Philipp von Hessen (Nr. 57a) und Herzog Ulrich von Württemberg (Nr. 69b) argumentierten, dass die Auseinandersetzung zwischen dem Haus Habsburg und dessen Feinden im Reich und in Europa Reichsstände wie Burgund, Jülich oder Utrecht hindere, Kriegsvolk gegen die Türken zu senden. Deshalb sei das Zustandekommen eines allgemeinen Friedens die Voraussetzung für eine wirksame Türkenhilfe. Diese Auffassung wurde von einem großen Teil der Reichsstände geteilt, die auf die vorherige Erledigung von Friede und Recht drängten und lediglich bereit waren, für die Befestigung der Grenzen und Pässe gegen die Türken aufzukommen. Nicht zuletzt wurde von Philipp von Hessen5 und Pfalzgraf Ottheinrich6 im Falle eines nochmaligen Beschlusses zur Einhebung des Gemeinen Pfennigs vor Aufständen und Unruhen der Untertanen gewarnt. Vermögende Reichsstädte wie Straßburg sprachen sich eindeutig für eine Veranlagung auf Basis des Gemeinen Pfennigs und gegen die Matrikularanschläge der Reichsstände aus, da sie sich wie die meisten Reichsstädte im Vergleich zu anderen Reichsständen als zu hoch angeschlagen beurteilten. Für das Jahr 1543 waren sie bereit, zu einer einfachen Türkenhilfe beizutragen; bei Beschluss einer Verdoppelung der Hilfe wollten sich die Städteboten auf Befehlsmangel berufen (Nr. 79a).
Für die Reichsstädte waren Session und Stimme im Reichsrat7, der finanzielle Ausgleich unter den Kreisen, die Beseitigung der bestehenden Mängel bei der Einhebung der Anlagen und eine in Relation zu den anderen Ständen gerechte städtische Besteuerung samt Ringerung der Anlagen die zentralen Anliegen.
In den Fragen von Religion, Friede und Recht beriefen sich die altgläubigen Reichsstände auf die Bestimmungen des Speyerer Reichsabschieds von 1542 und waren nicht bereit, darüber hinaus Zugeständnisse zu machen. Die Schmalkaldischen Bundesstände pochten in ihren Instruktionen auf die Gültigkeit der Regensburger Deklaration des Kaisers (RTA JR Bd. XI, Nr. 949) und wiesen die parteiische Rechtsprechung des Reichskammergerichts zurück, das von den Bundeshauptleuten in allen weltlichen und geistlichen Angelegenheiten rekusiert worden war. Die rigide Haltung Kursachsens und Hessens gegenüber dem Reichskammergericht bewirkte unterschiedliche Stellungnahmen der Bundesgenossen in dieser Frage. Die Möglichkeiten reichten vom Drängen auf rasche Durchführung der mehrfach verschobenen Visitation und Reform des Reichskammergerichts bis zur Forderung nach Abberufung des Gerichts und Neubesetzung mit „unparteiischen Richtern“, eine Lösung, die von Kursachsen und Hessen befürwortet wurde. Hessen schlug vor, dass sich die Schmalkaldener „unterdes, da die verordnung eines neuen, unpartheyischen chammergerichts nicht so baldt ervolgte“, bei Konflikten innerhalb der Bundesgenossen vor gemeinsam ausgewählten Vertrauenspersonen rechtlich verantworten sollten, während Rechtsstreitigkeiten mit allen anderen Ständen vor kaiserlichen Kommissaren auszutragen wären (Nr. 57b, Punkt 6). Speziell die Reichsstädte hatten Bedenken wegen der Rekusation in weltlichen Angelegenheiten und wegen der Neubesetzung des Gerichts, da sie durch den Wegfall einer konfliktregelnden Ordnungsinstanz einen für sie bedrohlichen rechtlosen Zustand im Reich befürchteten8.
Die Haltung der Reichsstände zum Konflikt des Hauses Habsburg mit dem König von Frankreich und dem Herzog von Jülich war von der Forderung nach einem allgemeinen beständigen Frieden im Reich gekennzeichnet. Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen schlug in seiner Instruktion (Nr. 47c) die Entsendung einer schmalkaldischen Gesandtschaft zu Karl V. und König Franz I. von Frankreich zur Friedensvermittlung vor. Das änderte aber nichts daran, dass sich der Kurfürst immer wieder mit Vorwürfen von habsburgischer und altgläubiger Seite konfrontiert sah, in diesem Konflikt Partei zu sein und seinen Schwager Herzog Wilhelm von Jülich militärisch zu unterstützen, während Landgraf Philipp von Hessen sich wegen seines mit Karl V. in Regensburg am 13. Juni 1541 abgeschlossenen Vertrags (RTA JR Bd. XI, Nr. 400) an den Kaiser gebunden fühlte und eine neutrale Haltung an den Tag legte (Nr. 57a, Punkt 8). Eine aktive Unterstützung des Hauses Habsburg in der militärischen Auseinandersetzung mit Frankreich und Jülich wird in den meisten reichsständischen Instruktionen nicht in Betracht gezogen; das Thema wird nur insofern berührt, als diese Kriege als Hinderungsgrund für die Leistung der Türkenhilfe durch die Reichsstände betrachtet werden. Herzog Moritz von Sachsen wollte die Lösung der Konflikte in Braunschweig-Wolfenbüttel, Jülich und Dänemark nicht mit der Bewilligung der Türkenhilfe junktimiert sehen. In seinen Augen sollten sich die Evangelischen mit einem Religionsfrieden oder mit dem Speyerer Friedstand von 1542 begnügen und sich bei Beschlüssen zur Türkenhilfe der Mehrheit anschließen (Nr. 65b, Punkt 2).
Was die Reaktion auf das von Granvelle vorgebrachte kaiserliche Hilfeersuchen betrifft, empfahl lediglich Markgraf Ernst von Baden in seiner erst Mitte März 1543 ausgestellten Instruktion (Nr. 53b) seinem Gesandten explizit, einem Beschluss des ungeteilten Reichsrates zur Unterstützung des Kaisers gegen Frankreich mit einer einfachen Reichshilfe zuzustimmen, falls nicht ein türkischer Einfall drohe. Der Rat von Augsburg instruierte seine Gesandten, sich in der habsburgischen Auseinandersetzung mit dem Herzog von Jülich „gut kayserisch“ zu verhalten (Nr. 71a, Punkt 3). Andere Reichsstände waren nicht bereit, in machtpolitischen Konflikten des Hauses Habsburg oder anderer Reichsfürsten Stellung zu beziehen bzw. einzugreifen. So lehnte Erzbischof Ernst von Salzburg eine Positionierung seiner Gesandten in den Auseinandersetzungen rund um den Braunschweiger und den Jülicher Herzog ab und wollte diese Fälle an den Kaiser oder das Reichskammergericht delegiert sehen9. Bischof Konrad von Würzburg instruierte seine Räte, im Falle eines kaiserlichen Ersuchens um Reichshilfe gegen Frankreich und Jülich diese Hilfe abzulehnen, da es sich um eine das Reich nicht betreffende Angelegenheit handle, in welcher die Reichsstände niemals gefragt noch einbezogen worden seien (Nr. 52b).
Die Verwaltung des von Kursachsen und Hessen okkupierten Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel, die Aufteilung der Kosten für den braunschweigischen Feldzug sowie zukünftige Lösungen für das Herzogtum finden naturgemäß in den Instruktionen der Schmalkaldischen Bundeshauptleute breiten Raum. In allen Fällen geht es darum, dass die Schmalkaldener nicht bereit waren, Herzog Heinrich nach der Vertreibung im Zuge des braunschweigischen Feldzugs wieder in seinem Herzogtum zu restituieren, während sie sich eine Übergabe des Landes an die Kinder des Herzogs unter bestimmten Bedingungen vorstellen konnten10. Die bayerischen Gesandten, die sich als Vermittler in dieser Frage anboten, favorisierten jedoch – entgegen anderen Erwartungen der Schmalkaldener – die Rückkehr Herzog Heinrichs11.
Bei der kompromisslosen Haltung beider Konfessionsparteien in den Fragen von Friede und Recht war bereits vor Reichstagsbeginn abzusehen, dass es kaum zu gemeinsamen Beratungen der Reichsstände in den gemischt-konfessionellen Kurien und im Reichsrat kommen würde. Einzelne Reichsstände, die als konfessionsneutral oder nicht eindeutig der Reformation anhängig zu betrachten sind, instruierten ihre Gesandten, nur an Verhandlungen im „unzertrennten Rat“ aller Reichsstände teilzunehmen; von den nach Konfessionen getrennten Beratungen sollten sie sich fernhalten, keine Beschlüsse fassen, sich der Parteinahme enthalten und auf weitere Weisungen ihrer Herren warten12.