Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 10. Der Reichstag zu Worms 1509 bearbeitet von Dietmar Heil
Worms hatte seit dem ersten Ausschreiben vom 31. Mai 1508 als Tagungsort festgestanden. Alternativen wurden ungeachtet der wechselnden kaiserlichen Planungen gegen Frankreich, Geldern und Venedig nicht ernsthaft erörtert. Obwohl mit 7000 Einwohnern nur eine Reichsstadt mittlerer Größe37, zählte Worms seit 1495 zum festen Kreis der Reichstagsorte. Für die Stadt sprachen die verkehrsgünstige Lage am Rhein, die gute Quartiersituation und die zur Verfügung stehenden Freiflächen mit der Möglichkeit, kurzfristig eine große Zahl von Gästen provisorisch unterzubringen.38 Offenbar blieben 1509 aufgrund deren vergleichsweise geringen Zahl – der Kaiser hielt sich mit seinem Gefolge von 1000 Pferden nur drei Tage lang in der Stadt auf, die persönlich anwesenden Reichsfürsten, sogar Kurfürst Friedrich von Sachsen, kamen nur mit kleinem Gefolge39 – auch die Lebensmittelpreise auf niedrigem Niveau stabil.40 Ob der im Umgang mit Großveranstaltungen routinierte Wormser Magistrat regulierend eingegriffen hat, lässt sich mangels Quellen nur vermuten. Sehr wohl aber unterstützte er die kaiserlichen und ständischen Furiere bei der Quartierbeschaffung (Nrr. 206, 212, 214, 216)41 und bemühte sich auch um eine Verbesserung des äußeren Erscheinungsbilds der Stadt (Nr. 215).
Zweck des Wormser Reichstages war nach den Ankündigungen des unter erheblichem Zeitdruck stehenden Kaisers – gemäß dem Vertrag von Cambrai sollte er binnen vierzig Tagen nach der für den 1. April vorgesehenen, tatsächlich Mitte April erfolgten Eröffnung des Feldzugs durch seine Verbündeten die Kampfhandlungen aufnehmen – die angesichts seiner desolaten finanziellen Situation eigentlich dringend benötigte Reichshilfe für den Krieg gegen Venedig. Sein fortbestehendes Misstrauen gegen Frankreich und Angelegenheiten der Niederlande hatten den Kaiser länger als geplant dort aufgehalten. Gleichzeitig war der außenpolitische Systemwechsel von Cambrai den Reichsständen kaum kommuniziert worden.42 Noch auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 und weit bis in das Jahr 1508 hinein hatte die habsburgische Propaganda gegen Frankreich als den natürlichen Erbfeind des Reiches polemisiert (z. B. Nr. 27, Anm. 2; 36, Pkt. 2; 44, Pkt. 1; 46). Verschiedentlich wird die Skepsis der Stände hinsichtlich der Folgen des Venezianerkriegs angesichts des militärischen Ungleichgewichts zwischen König Ludwig von Frankreich und Kaiser Maximilian erkennbar, wenn etwa Bischof Wilhelm von Straßburg die ersten französischen Siegesmeldungen zu der Einsicht veranlassten, dass „der Kg. von Frankrich triumphirt und wir armen Duetschen ganz und gar verloschen syn“ (Nr. 427, Pkt. 2).43 Anders als vor dem Konstanzer Reichstag von 1507 hatte Maximilian auch darauf verzichtet, die Positionen der Reichsstände zu sondieren und den Antagonismus zwischen seinem rein kriegsorientierten Regierungskonzept44 und der außenpolitisch defensiven bis passiven Ausrichtung der meisten Reichsstände aufzuweichen.45 Offenbar maß er angesichts der aus seiner Perspektive ohnehin ungenügenden Reichshilfen – wie zuletzt auf dem Konstanzer Reichstag kritisiert46 – einem Reichshilfebeschluss keine entscheidende Bedeutung zu. Nach seinem eigenen Bekunden hatte es Priorität, in Tirol persönlich die Kriegsvorbereitungen zu treffen und anschließend weiter nach Oberitalien zu ziehen. Der Kaiser verließ Worms nach nur dreitägigem Aufenthalt. Es ist müßig zu spekulieren, ob er länger geblieben wäre, hätten die anwesenden Stände nicht den hinhaltenden Bescheid erteilt, vor Eintritt in die Beratungen das Eintreffen weiterer Teilnehmer abwarten zu müssen (Nr. 260, Pkt. 4). Maximilian hatte schon vor seiner Ankunft einen nur kurzen Aufenthalt in Worms angekündigt (Nrr. 60, Pkt. 2; 219f.; 228; 229, Pkt. 1).47 Ungeachtet des Drängens seiner Verbündeten reiste der Kaiser indessen nur langsam weiter in Richtung Kriegsschauplatz. Erst am 29. Mai erreichte er Innsbruck, am 13. Juni Trient. Für die europa- und reichspolitisch bedeutungslosen Unterredungen mit Herzog Wilhelm von Bayern in Kaufbeuren (Nrr. 146–149, 395f., 433f.) hatte der Kaiser während seiner Reise ungleich mehr Zeit erübrigt als für den Reichstag.
Offenkundig spielte dieser in den Planungen der Reichsregierung im Frühjahr 1509 keine entscheidende Rolle mehr. Die Verhandlungen mit den in Worms versammelten Reichsständen sollten einige bevollmächtigte Räte übernehmen, obwohl hinsichtlich der geringen Erfolgsaussichten einer Reichsversammlung absente imperatore nach den schlechten Erfahrungen von Lindau (1496/97), Worms (1497) und – bis zur monatelang verzögerten Ankunft des Reichsoberhaupts – auch Freiburg (1497/98)48 eigentlich kein Zweifel bestanden haben dürfte. Tatsächlich kalkulierte Maximilian selbst ein Scheitern des Reichstages durchaus ein (Nr. 61, App. g). So setzte er unabhängig vom Reichstagsgeschehen, dabei überaus erfolgreich, seine Bemühungen um die Erschließung ertragreicherer Geldquellen fort. Diese betrafen die Verbündeten49, befreundete Monarchen50, die Generalstaaten der
Niederlande51, die österreichischen Landstände52, die schwäbische Hochfinanz53 und als zufällig sich ergebende Gelegenheit das Erbe des Anfang März 1509 als einem der reichsten Männer Europas54 in Rom verstorbenen Kardinalbischofs von Brixen, Melchior von Meckau.55
Die Frage drängt sich auf, warum der Kaiser überhaupt die Blamage eines gescheiterten Reichstages riskierte. Abgesehen von der Hoffnung, ungeachtet aller schlechten Vorzeichen doch wenigstens eine kleine Reichshilfe herauszuschlagen, scheint der Reichstag nicht zuletzt als Kulisse für die Verhandlungen mit den Landständen, vermutlich auch mit den Verbündeten und anderen Geldgebern des Kaisers gedient zu haben. Die von Maximilian genährte Aussicht auf die Beteiligung des Reiches am Venezianerkrieg mochte deren Investitionsbereitschaft noch steigern. Und jedenfalls die niederösterreichische Ländergruppe erklärte den Beistand des Reiches ohnehin zur Voraussetzung für ein eigenes Engagement in dem von den Landständen eigentlich abgelehnten Angriffskrieg gegen Venedig (Nrr. 135; 137, Pkt. 1).
Die untergeordnete Bedeutung des Wormser Reichstages in den Planungen der Reichsregierung erklärt auch die Auswahl der kaiserlichen Reichstagskommissare. War kurzzeitig mit Graf Eitelfriedrich von Hohenzollern wenigstens ein Rat aus dem engeren Umfeld des Kaisers dafür vorgesehen (Nr. 381), so trifft dies auf die dann tatsächlich eingesetzten Vertreter nicht zu. Auch zählten die Kommissare mit Ausnahme Erasmus Toplers56 nicht einmal zu den ständigen Angehörigen des Kaiserhofes. Für den bedingungslos kaisertreuen Markgrafen Kasimir von Brandenburg sprach trotz seiner Jugend seine wiederholte Bewährung als Diplomat und Militär in Diensten Maximilians I.57 Die erneute Nominierung des bereits 1496/97 in Lindau, 1497 in Worms, 1497/98 in Freiburg und 1499 sowie 1508 in Mainz eingesetzten Grafen Adolf von Nassau-Wiesbaden stand vermutlich im Zusammenhang mit der vom Kaiser betriebenen Verlegung des Reichskammergerichts von Regensburg nach Worms. Nassau, bereits 1500/01 Kammerrichter, übernahm dieses Amt unmittelbar im Anschluss an den Reichstag erneut. Er konnte auf einen langen Cursus honorum im Dienst der Habsburger zurückblicken, unter anderem als Generalstatthalter in Geldern und als Hofmeister Maximilians. Was Nassau zudem für das Reichstagskommissariat qualifizierte, war sein hohes Ansehen bei den Reichsfürsten.58 Als Angehörige des Hochadels konnten er und Markgraf Kasimir wenigstens bis zu einem gewissen Grad auch den Ansprüchen an die Herrschaftsrepräsentation des Reichsoberhauptes Genüge leisten. So setzte sich der Markgraf bei den Verhandlungen, nachdem die Stände ihre Plätze eingenommen hatten, im Wortsinne an die Stelle des Kaisers, Nassau und Sigmund von Fraunberg platzierten sich ihm gegenüber (Nr. 260, Pkt. 7). Die übrigen Kommissare waren vor allem als Fachleute gefragt: Der frühere Marschall Herzog Georgs von Niederbayern und nach dem Landshuter Erbfolgekrieg in kaiserliche Dienste getretene Fraunberg empfahl sich aufgrund seiner langjährigen Reichstagserfahrung und als bewährter Diplomat.59 Der nachträglich hinzugezogene Nürnberger Erasmus Topler gehörte bereits auf dem Mainzer Tag zur kaiserlichen Delegation. Der vielfach im Auftrag Maximilians als Vermittler erprobte Stuttgarter Propst Ludwig Vergenhans qualifizierte sich außerdem wegen seiner Reichstagskompetenz und als Experte für den Schwäbischen Bund60, der als Sammelbecken der habsburgischen Klientel Südwestdeutschlands für die Reichspolitik Maximilians eine zentrale Rolle spielte. Der kaiserliche Rat Ernst von Welden und der – dringend erwartete (Nrr. 401, Pkt. 1; 406, Pkt. 3) – Protonotar Johann Storch wurden nach Beginn des Reichstages von Maximilian mit Spezialaufträgen nach Worms geschickt. Welden war anscheinend ausschließlich mit Verhandlungen über das Jubelablassgeld betraut61, Storch reiste mit den für die Ausfertigung der zu erstellenden Dokumente durch den Reichserzkanzler Erzbischof Uriel von Mainz benötigten kaiserlichen Siegeln (Nrr. 271, Pkt. 4; 342), als Ablösung oder Entlastung des Sekretärs der Kommissare, Andreas Christian, und zu Verhandlungen vor allem über Streitsachen, aber auch für weitere Instruktionen an die Kommissare (Nrr. 271; 406, Pkt. 3) nach Worms.62 Gleichwohl deuteten die Kommissare in ihren Berichten verschiedentlich sowohl ihre Arbeitsüberlastung (Nrr. 397, Pkt. 2; 402) wie auch ihre Unterfinanzierung an (Nrr. 397, Pkt. 3; 415; 420, Pkt. 7). Dabei handelte es sich jedenfalls um Risikofaktoren hinsichtlich des reibungslosen Ablaufs der Verhandlungen. Zu diesen ist auch die Außenkommunikation des Reichstages zu zählen.
Die Kommissare waren bei den Verhandlungen an die Vorgaben ihrer Instruktionen und Weisungen – „daraus uns zu geen nit gepurt“ (Nr. 409) – gebunden und verfügten somit kaum über einen eigenen Spielraum. Mussten sie sich nach der Abreise des Kaisers am 24. April drei Wochen lang gedulden, bis endlich am 14. Mai ihre Reichstags-Instruktionen eintrafen (Nrr. 389, 392, 397) und zwei Tage darauf die Verhandlungen des Reichstages fortgesetzt werden konnten, sahen sie sich auch in dessen weiteren Verlauf wiederholt genötigt, auf Stellungnahmen des Kaisers zu warten (Nrr. 400, Pkt. 3; 401, Pkt. 1; 406, Pkt. 2; 408, Pkt. 2; 414, Pkt. 2; 416, Pkt. 2; 417, Pkt. 3; 418, Pkt. 5). Diese Verzögerungen mögen auch der Unausgeglichenheit und Entschlussschwäche des zusehends alternden Kaisers63 sowie Reibungen zwischen den führenden kaiserlichen Räten Matthäus Lang, einem der Architekten des Vertragswerks von Cambrai, Zyprian von Serntein und dem einem Krieg gegen Venedig eher abgeneigten Paul von Liechtenstein64 geschuldet gewesen sein. Die ohnehin schon bestehende Ineffizienz einer überlasteten und nach heutigen Maßstäben systemisch korrupten Reichsregierung65 wurde dadurch noch vergrößert. Wenngleich sich der Kaiser immer weiter vom Tagungsort entfernte66 – seine letzte Weisung, die den Reichstag noch rechtzeitig erreichte, datierte aus Innsbruck vom 3. Juni (Nr. 411) –, stieg dank der von ihm verfügten Verdopplung der Postreiter (Nrr. 276, Pkt. 2; 421, Pkt. 8) wenigstens der Zeitaufwand für die Übermittlung der Weisungen, Berichte und Verhandlungsakten nicht entscheidend an.67 Die ständischen Gesandten hingegen begleitete das Problem einer möglichst zeitnahen Abstimmung ihres Vorgehens mit ihren Obrigkeiten zu Hause auf jedem Reichstag. Als grundsätzliches Handicap von Kommissar-Reichstagen gesellte sich noch hinzu, dass die kaiserlichen Vertreter viel weniger als das Reichsoberhaupt selbst den eingespielten Do-ut-des-Mechanismus zwischen der Betreuung der partikularen Anliegen der Stände und ihrem Entgegenkommen bei den Reichshilfeforderungen des Kaisers bedienen konnten.68 Zwar sollten diese Defizite durch die den Kommissaren aufgetragene intensive Schiedstätigkeit (Nr. 271) kompensiert werden, doch zeitigte diese zusätzliche Kompetenz keine entscheidende reichstagspolitische Wirkung. Denn die Konstellation auf ständischer Seite stand für die kaiserliche Reichstagspolitik ungünstig.
Immerhin konnte das Verhältnis des Kaisers zu den geistlichen Kurfürsten insgesamt als gut bezeichnet werden. Der 1508 gewählte Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen galt als ergebener Anhänger Maximilians.69 Die anstehende, bei seinem Vorgänger Jakob von Liebenstein wegen der von Maximilian reklamierten Reichsunmittelbarkeit der Stadt Mainz noch problematische Reichsbelehnung legte überdies Wohlverhalten mit Hinblick auf die kaiserlichen Ziele für den Wormser Reichstag nahe.70 Durch die rasche Belehnung bereits bei der Eröffnung des Reichstages angesichts seiner bevorstehenden Abreise begab sich Maximilian allerdings dieses Druckmittels. Tatsächlich ist ein eigenständiges Profil Erzbischof Uriels bei den Verhandlungen kaum erkennbar. Gegen die Unterstützung der kaiserlichen Reichshilfeforderung sprach jedenfalls die angespannte finanzielle Situation des Erzstifts und mehr noch des Erzbischofs selbst.71 Die vom Kaiser erbetene und auch bewilligte Stellung von fünfzig Reitern für den Venezianerkrieg (Nr. 420, Pkt. 2) war mit keiner finanziellen Belastung verbunden, da Maximilian die Besoldung dieser Truppe übernahm (Nr. 339). Die als Kompensation für die entgangene Wormser Reichshilfe im Spätsommer 1509 geforderten Anleihe konnte der Erzbischof hingegen nur zum Teil aufbringen.72 Zwar ist das Bemühen um das kaiserliche Wohlwollen erkennbar, es stieß aber rasch an objektive Grenzen. Immerhin wird man Uriel als früherem Assessor am Reichskammergericht ein gewisses Interesse an den Reichstagsverhandlungen über Frieden und Recht unterstellen dürfen. Dem Mainzer Kurfürsten oblag außerdem auf ständischer Seite unangefochten die Geschäftsführung. Bei ihm akkreditierten sich die kaiserlichen Kommissare ebenso wie die ständischen Gesandtschaften (Nrr. 260, Pkt. 7; 261, Pkt. 8). Die kaiserlichen Vertreter reklamierten allerdings ihrerseits ebenfalls das Recht zur Prüfung der ständischen Vollmachten (Nrr. 259, Pkt. 8; 261, Pkt. 7; 363; 398, Pkt. 2, 4). Das Reichstagsschriftgut wurde zur Abschrift durch die Stände in die Mainzer Kanzlei gegeben (Nrr. 260, Pkt. 11; 261, Pkt. 7; 263, Pkt. 9, 19; 475, Pkt. 3).73 Bekanntlich übersandte Kaiser Maximilian dem Mainzer Erzbischof das große und kleine Siegel zur Ausfertigung des auf dem Reichstag anfallenden Schriftguts.74 Diese exklusiven Kompetenzen reichten aber nicht annähernd aus, um das reichspolitische Übergewicht Kursachsens auszugleichen.
Der hochgebildete Erzbischof Jakob von Trier darf grundsätzlich ebenfalls dem kaisernahen Lager zugeordnet werden75, doch hatte er es auf den Reichstagen in Köln und Konstanz weitgehend vermieden, sich gegenüber seinen Mitkurfürsten zu exponieren. Gleiches gilt für den Mainzer Tag, wo er zwar vorsichtig für einen Beitrag zum Venezianerkrieg eintrat (Nr. 21, Pkt. 5), aber auch eine gewisse Verärgerung in Bezug auf den Kaiser andeutete (Nr. 32, Pkt. 3). Auch der erst im November 1508 zum Erzbischof von Köln gewählte Philipp von Daun sollte sich als dem Kaiser „treu ergebener Reichsfürst“ erweisen76, der an den in seine Regierungszeit fallenden Reichstagen von 1509, 1510 und 1512 persönlich teilnahm und zwar nicht die im Spätsommer 1509 erbetene Anleihe gewähren konnte, dafür aber die in Augsburg und Köln/Trier bewilligte Reichshilfe gegen Venedig leistete.77
Unter den weltlichen Kurfürsten stand der 1508 seinem Vater nachgefolgte Ludwig von der Pfalz in einem von Maximilian I. gezielt aufrechterhaltenen Abhängigkeitsverhältnis.78 Die Nichteinladung des neuen Kurfürsten zum Mainzer Tag war auch als Signal an diesen gedacht, dass die 1504 über Kurfürst Philipp verhängte Acht nach kaiserlicher Auffassung auch nach dessen Tod fortbestand.79 Der junge Kurfürst, der von Beginn seiner Regierung an „eine pragmatisch orientierte Friedens- und Ordnungspolitik“80 verfolgte, war seinerseits um Annäherung an den Kaiser bemüht. Gemeinsam mit seinem Bruder Pfalzgraf Friedrich gehörte er beim Einzug in Worms zu dessen Begleitern (Nrr. 259, Pkt. 1; 260, Pkt. 1; 261, Pkt. 1; 438, Pkt. 3; 473, Pkt. 2). Zentrale Anliegen waren die anstehende Reichsbelehnung und eine Verständigung über die im Landshuter Erbfolgekrieg erlittenen territorialen Verluste (Nr. 97). Von Kurpfalz stand also trotz drückender finanzieller Probleme jedenfalls kein offener Widerstand gegen die kaiserliche Reichshilfeforderung zu erwarten.
Ganz anders als mit den rheinischen Kurfürsten verhielt es sich mit Kursachsen und Kurbrandenburg. Für letzteres ist nach 1505 wohl ein mehrjähriger Tiefpunkt der Beziehungen zu Kaiser und Reich zu konstatieren. Joachim I. blieb von 1507 bis 1517 allen Reichstagen fern und markierte damit „die längste Phase der Abwesenheit eines brandenburgischen Kurfürsten vom Reichstag“81. Dieses Manko konnte auch die Vertretung durch den in Sachen Reich und Reichstag erfahrenen Eitelwolf von Stein nicht ausgleichen. Der Kurfürst hatte zwar noch eine Reitertruppe für den geplanten kaiserlichen Romzug gestellt, aber bereits seinen Anteil an der auf dem Konstanzer Reichstag 1507 bewilligten Bargeldhilfe ungeachtet wiederholter Aufforderungen durch den Kaiser wohl nicht mehr geleistet.82 Ebenso verweigerte Joachim die fälligen Beiträge für die Finanzierung des primär als Bedrohung seiner kurfürstlichen Prärogative wahrgenommenen Reichskammergerichts.83 Im Zentrum seines Interesses standen ausschließlich partikulare Angelegenheiten (Nrr. 104–112, 425). So beklagte Stein in einem Bericht an seinen Kurfürsten: „Brandenburg, als ich glaub, in achtzig jarn nit cleyner gewicht im Reich gehabt hat“ (Nr. 425, Pkt. 3).
Für Kursachsen traf das genaue Gegenteil zu: Kurfürst Friedrich hatte sich nach zunächst engen Beziehungen seit 1498 immer mehr vom Reichsoberhaupt distanziert. Nach dem Tod des Mainzer Kurfürsten Berthold von Henneberg im Dezember 1504 ging die Führungsrolle unter den Reichsständen beinahe automatisch auf ihn über.84 Dabei war Friedrich anders als Berthold kein Reformer. Dessen Plänen für eine Umgestaltung der Reichsverfassung war er skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden.85 Wichtiger als die ständische Teilhabe an der Regierungsgewalt im Reich erschien ihm die Unabhängigkeit von jeglichen Kontrollinstanzen, etwa durch die gegen die Reichsgerichtsbarkeit betriebene Sicherung seiner kurfürstlichen Gerichtsfreiheit. Konsequent beschränkte er sich deshalb anfänglich auf eine Reichspolitik „des passiven Widerstands“.86 Auf dem Kölner Reichstag von 1505 war die Reforminitiative deshalb wieder an das Reichsoberhaupt zurückgefallen. 1507 in Konstanz hatte sich der im folgenden Jahr verstorbene Mainzer Kurfürst Jakob von Liebenstein ohne umfassende Reformkonzeption lediglich für die Reaktivierung des Reichskammergerichts eingesetzt, während Friedrich einen eher destruktiven Part übernahm87, sich aber immerhin mit der Ernennung zum Reichsstatthalter einverstanden erklärte. Auf dem Mainzer Kurfürsten- und Fürstentag von 1508 nutzte er seine unbestrittene Führungsrolle, um die kaiserlichen Bemühungen um eine Kriegshilfe gegen Venedig auszuhebeln (Nrr. 13, 21, 25). Nachdem das von den Reichsständen großzügig unterstützte Romzugsunternehmen in einem militärischen Fiasko geendet hatte, stellte sich anscheinend nur Kurtrier gegen die Position Kursachsens. Trotz der offenkundigen Verstimmung gegen Friedrich am Kaiserhof, die auch durch plumpe Vertraulichkeiten (Nr. 47, Pkt. 3) nicht zu überdecken war, stand für Worms kein Kurswechsel zu erwarten. Schon seine beinahe demonstrativ langsame Anreise zum Reichstag ungeachtet der kaiserlichen Aufforderungen (Nrr. 61f., 219, 228, 233, 242f., 253), während gleichzeitig die bereits versammelten Stände die Eröffnung der Verhandlungen ohne den Ernestiner ablehnten, bremste die Reichstags-Regie Maximilians buchstäblich aus. Die Möglichkeit zur persönlichen Einflussnahme auf Friedrich oder zur Steuerung der Reichshilfe-Verhandlungen durch die schiere kaiserliche Präsenz wenigstens zu Beginn des Reichstages war damit ausgeschaltet. Auch Bemühungen, Friedrich durch das Angebot der Reichshauptmannschaft oder erneut des Reichsstatthalteramts für die kaiserlichen Ziele einzuspannen, hatten lediglich die Vorführung der ungenügend vorbereiteten kaiserlichen Gesandten in Worms zur Folge (Nrr. 391; 424, Pkt. 4). Unmittelbar danach erklärte das ständische Plenum die Einsetzung eines Statthalters für unnötig (Nr. 275, Pkt. 5). Tatsächlich betrieb Friedrich in Worms erfolgreich die vollständige Destruktion der kaiserlichen Ziele. Er verhinderte die beantragte Kriegshilfe gegen Venedig und unterband auch den Versuch, sich der noch im Reich verbliebenen Jubelablassgelder zu bemächtigen (Nrr. 269f., 284, 287, 362). Seine Maßgabe schien zu lauten, dem Kaiser nicht das Geringste an Hilfsmitteln zukommen zu lassen. Sogar die Lieferung von Salpeter für die kaiserliche Artillerie lehnte der Kurfürst unter fadenscheinigen Gründen ab (Nr. 362, Pkt. 2).
Diese Konstellation im Kurfürstenrat wog um so schwerer, als die zweite Kurie wegen des überproportional hohen Anteils lediglich durch Gesandte repräsentierter Fürsten geringeres Gewicht als auf früheren Reichstagen besaß. Den regelmäßigen Reichstagsteilnehmern und zuverlässigen Reichssteuerzahlern88 Bischof Georg von Bamberg und Bischof Lorenz von Würzburg darf grundsätzlich kaiser- und reichstreue Politik unterstellt werden. Über ihre konkrete Haltung in Bezug auf den geplanten Venezianerkrieg geben die Quellen allerdings keinen Aufschluss. Der Hochmeister des Deutschen Ordens, Friedrich von Sachsen, kam mit dem Anliegen nach Worms, die Unterstützung von Kaiser und Reich in seinem Konflikt mit König Sigismund von Polen um die Anerkennung des zweiten Thorner Friedens (1466) einzufordern (Nrr. 124–134). Von sofortiger militärischer Hilfe war noch nicht die Rede, dennoch stand sein Bemühen, die Aufmerksamkeit der Reichsversammlung auf einen zweiten außenpolitischen Brennpunkt zu lenken, im Widerspruch zu den Interessen des Kaisers. Persönlich angereist war auch Pfalzgraf Friedrich. Er befand sich in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Kaiser wie sein Bruder Kurfürst Ludwig.89 Pfalzgraf Johann von Simmern hielt sich zwar kurzzeitig in Worms auf, doch überließ der reichspolitisch kaum profilierte Fürst die Verhandlungen seinem Hofmeister Johann von Eltz (Nr. 477, Anm. 7). Der kaiserliche Reichshauptmann Herzog Erich von Braunschweig hielt sich gegen Ende Mai nur drei Tage lang auf dem Reichstag auf. Für die Verhandlungen spielte er demzufolge ebenfalls keine Rolle. Eigentlich hätte er laut den kaiserlichen Planungen bis zum Ende des Reichstages in Worms bleiben sollen, um die Reichstruppen geordnet auf den Weg zu bringen (Nr. 391, Pkt. 3). Herzog Heinrich I. von Braunschweig-Wolfenbüttel, ein weiterer dem Kaiser nahestehender Fürst, traf erst in Worms ein, als mit der Resolution vom 29. Mai die ständische Blockadehaltung gegenüber einer Reichshilfe bereits festgeschrieben war. Seine vorzeitige Abreise am 9. Juni (Nr. 477, Anm. 8), also vor den Schlussverhandlungen über die Reichshilfe, könnte als Indiz für seine Distanzierung von der Marschroute der ständischen Mehrheit gelten. Der bedingungslos kaisertreue Markgraf Friedrich von Brandenburg-Ansbach hielt sich nur bis zum Einzug des Kaisers in Worms auf und ließ sich in der Folge durch Gesandte vertreten. Herzog Ulrich von Württemberg war als Partner der kaiserlichen Reichs- und Reichstagspolitik, trotz seiner Einbindung in den erweiterten habsburgischen Familienverband über die 1498 geschlossene Verlobung mit der kaiserlichen Nichte Sabine von Bayern, mittlerweile verloren. Hatte dieser ebenso selbstbewusste wie gewalttätige Fürst schon auf dem Kölner Reichstag von 1505 Neigungen zum Ausscheren aus dem habsburgischen Klientelverband des Schwäbischen Bundes erkennen lassen90, so knüpfte er während des Wormser Reichstages erfolgreich weiter an seinem eigenen Beziehungsnetz. In Worms wurde die Erneuerung der Einung mit Kurmainz und Brandenburg-Ansbach in Angriff genommen (Nrr. 335–339). Und ihm gelang – gegen den erklärten Willen des Kaisers – die vorzeitige Verlängerung der Einung mit den Eidgenossen (Nrr. 161; 403, Pkt. 3). Die Nichterfüllung des Auftrags, für den Feldzug gegen Venedig auf Rechnung des Kaisers fünfzig Reiter anzuwerben, entschuldigte er wenig glaubwürdig mit Erfolglosigkeit ungeachtet aller Bemühungen (Nrr. 373; 403, Pkt. 2), während er noch 1508 bereit gewesen war, unter enormen Kosten persönlich am Romzug Maximilians teilzunehmen.91 Nur bei wenigen Fürsten im Reich wird die Enttäuschung über das klägliche Scheitern des Unternehmens größer gewesen sein.
Österreich war nicht im Fürstenrat vertreten. Dieses weitere Handicap der kaiserlichen Reichstagspolitik war vermutlich weniger der Rücksicht auf den Sessionsstreit mit Magdeburg und Salzburg geschuldet (Nr. 410) als vielmehr der dünnen Personaldecke der kaiserlichen Vertretung. Anstatt der vorgesehenen acht kaiserlichen Räte92 hatten sich lediglich fünf Vertreter eingefunden. Ebenfalls nachteilig aus der Perspektive der Reichsregierung war der Umstand, dass zuverlässige Parteigänger der Habsburger wie Herzog Georg von Sachsen, Landgraf Wilhelm von Hessen und Herzog Wilhelm von Jülich93 nur durch Gesandte vertreten waren. Für Sachsen standen außerdem eigene Anliegen wie die Verteidigung der Exemtionen gegen die Reichsbesteuerung im Vordergrund (Nrr. 154f., 359). Die gemeinsamen politischen Interessen Wilhelms von Jülich mit den Habsburgern kulminierten in der Geldernfrage, die kaiserliche Italienpolitik dürfte er eher als gefährliche Aufspaltung der Kräfte bewertet haben. Auch für Wilhelm war mit der kaiserlichen Verfügung über das weibliche Erbfolgerecht im vereinten Herzogtum Jülich-Berg und in der Grafschaft Ravensberg am 4. Mai94 sein vorrangiges Anliegen erfüllt. Erneut hatte der Kaiser leichtfertig ein reichstagspolitisch nutzbares Druckmittel preisgegeben.
Erzbischof Leonhard von Salzburg war einmal mehr auf die Konfliktfelder mit Österreich fixiert. Im Übrigen war seine Haltung in Bezug auf die Reichstagsverhandlungen durch die Abwehr jeglicher Belastung seitens Kaiser und Reich gekennzeichnet (Nr. 426).95 Veranschaulicht wird das Desinteresse seiner Delegation durch die Tatsache, dass der Salzburger Schreiber sogar auf die vollständige Anfertigung der Reichshandlung verzichtete, sondern unvermittelt mit den Worten schloss: „Da hueben wir uns davon und zum tor aus“ (Nr. 292, Textkopf). Eher ablehnend gegenüber einer Reichshilfe dürfte sich der erzbischöflich Magdeburger Gesandte geäußert haben. Erzbischof Ernst hatte wahrscheinlich weder die Ungarnhilfe von 1505 noch die Romzughilfe von 1507 bezahlt.96 Seine regelmäßige persönliche Teilnahme an den Reichstagen zwischen 1500 und 151297 war nicht so sehr seinem Interesse an reichspolitischen Themen, sondern dem Vorrangstreit mit Salzburg und Österreich geschuldet. Bischof Wilhelm von Straßburg wies seinen Gesandten Johannes Sigrist an, gegen die Bewilligung einer Reichshilfe zu stimmen (Nr. 427, Pkt. 2).98 Ansonsten nutzte er den Reichstag als Plattform für Verhandlungen in Angelegenheiten seines Hochstifts vor allem mit Kurpfalz (Nrr. 427, Pkt. 1; 428). Bischof Heinrich von Augsburg zählte grundsätzlich zu den Parteigängern des Kaisers99, was er mit einer peniblen Erfüllung der Reichshilfebeschlüsse von 1505 und 1507 unterstrichen hatte.100 Er gehörte wohl zu den ersten Reichsfürsten, die dem Kaiser nach dem Wormser Reichstag einen freiwilligen Beitrag für den Venezianerkrieg anboten (Nr. 484), sodass auch von einer positiven Haltung gegenüber der zuvor geforderten Reichshilfe auszugehen ist. Allerdings stehen hinsichtlich der von seinen Gesandten wie auch von den Vertretern Worms’, Speyers101, Konstanz’, Eichstätts, Freisings, Fuldas und des Deutschmeisters eingenommenen Positionen auf dem Reichstag keine Quellen zur Verfügung. Hinsichtlich der Haltung des von Jülich vertretenen reichsfernen Lüttich werden sich die kaiserlichen Vertreter wohl keine Illusionen gemacht haben.
Die Reichsstädte standen vermutlich geschlossen gegen die vom Kaiser geforderte Kriegshilfe. Die nach der erneuten Verschiebung nicht mehr geänderte Instruktion der Schwäbischen Bundesstädte für den im November 1508 einberufenen Wormser Reichstag ließ grundsätzliche Einwände gegen die zu Recht als überhöht angesehenen Reichshilfen erkennen. Ihre Gesandten sollten deshalb gegen eine neue Bewilligung möglichst lange Widerstand leisten und vor allem auf Berücksichtigung ihrer Beschwerden über die auf den letzten Reichstagen erfahrene Benachteiligung drängen (Nr. 80). Verschärft wurde die Opposition gegen die kaiserlichen Pläne noch durch das Interesse führender Städte, voran Augsburgs und Nürnbergs – Letzterem wurde nach dem Reichstag die Hauptverantwortung für die Verweigerung der Städte angelastet (Nrr. 485, Pkt. 1; 493f.; 495, Pkt. 2; 500)102 –, an der Aufrechterhaltung ihrer Handelsbeziehungen zu Venedig. Die Bemühungen der oberdeutschen Reichsstädte um die Abwendung der drohenden Reichsacht gegen den Dogen im Vorfeld des Reichstages (Nrr. 66–77) konnten hinsichtlich ihrer Haltung gegenüber den kaiserlichen Kriegsplänen keinen Zweifel lassen. Auch Venedig, darin bestärkt durch die Einschätzung seiner Korrespondenten, betrachtete die Reichsstädte insgesamt als natürliche Verbündete bei seinen Friedensbemühungen.103 Dass die Gesandten der wichtigsten Städte erst nach der Abreise Maximilians aus Worms dort eintrafen (Nr. 438, Pkt. 1/4), kann kaum zufällig genannt werden. Die Abweichung von der eingeübten Beflissenheit gegenüber dem Reichsoberhaupt war augenfällig. Allerdings verzichteten die Reichsstädte vor dem Reichstag darauf, sich über eine gemeinsame Strategie zu verständigen. Daran änderte auch ihr verbindendes Interesse an der Verbesserung der Situation hinsichtlich Landfrieden und Reichsgerichtsbarkeit (Nrr. 80, Pkt. 1; 90; 170–172) nichts. Auf die gemäß dem Speyerer Städteabschied vom September 1507 vorgesehene Einberufung eines Städtetags wurde deshalb verzichtet (Nrr. 84–88). Dieses Versäumnis markiert den Beginn einer die Regierungszeit Maximilians I. überdauernden Krise dieser Institution.104 Erst 1522 kam wieder ein Städtetag zustande.