Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XIV. Band. Der Reichstag zu Nürnberg 1543 bearbeitet von Silvia Schweinzer-Burian, mit Vorarbeiten von Friedrich Edelmayer
1. Bearbeitungsgrundsätze und Bandgenese
Die Bearbeitung und Darbietung des Aktenmaterials des Nürnberger Reichstags von 1543 basiert auf den unter der Leitung von Heinrich Lutz bis 1986 erarbeiteten Regeln, die in Bd. X der Reichtagsakten Jüngere Reihe erläutert sind1. Dieses Regelwerk wurde unter der Leitung von Eike Wolgast (ab 1989) auf Grund der im Laufe der Editionsarbeit gemachten Erfahrungen modifiziert. Die in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts sprunghaft angestiegenen Aktenmengen machten es unmöglich, den geplanten Umfang der Bände und die vorgesehene Bearbeitungszeit einzuhalten. Deshalb wurde die Zahl der zu besuchenden Archive reduziert, eine Beschränkung bei der Sammlung des Aktenmaterials eingeführt und das Editionskonzept gestrafft2.
Der vorliegende Band hat eine lange Entstehungsgeschichte. Vor der genauen Kenntnis des vorhandenen Quellenmaterials firmierte der Nürnberger Reichstag von 1543 gemeinsam mit den Reichsversammlungen von 1542 in Speyer und Nürnberg als „kleinerer Reichstag“, weshalb Heinrich Lutz 1978 die Bearbeitung der drei Reichstage von 1542/1543 durch eine Bearbeiterin innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens für möglich hielt. Daher erfolgte die Sammlung und Verzeichnung der Quellen im HHStA Wien und in den anderen für die Reichstagsakten relevanten in- und ausländischen Archiven durch mich in den ersten Jahren für alle drei Reichstage gemeinsam nach dem Prinzip möglichster Vollständigkeit. Im Zuge der Recherchen stellte sich heraus, dass vor allem für den Nürnberger Reichstag von 1543 die Bezeichnung „kleinerer Reichstag“ auf Grund der vorhandenen Aktenfülle nicht zutreffend war. Deshalb wurden die Reichstagsakten des Jahres 1542 vorrangig behandelt und das gesammelte Quellenmaterial zu 1543 blieb liegen, bis Friedrich Edelmayer die Arbeit an Band XIV der Jüngeren Reihe der Reichstagsakten als hauptamtlicher Mitarbeiter übernahm. Er führte mehrere Archivreisen durch (u.a. nach Weimar, München, Stettin, Krakau, Warschau, Mühlhausen in Thüringen, London, Florenz, Salzburg), recherchierte in diesen Archiven auch für andere Mitarbeiter der Edition und fertigte auf Basis der gesammelten Unterlagen Transkriptionen und Kollationierungen der Hauptverhandlungsakten, der Protokolle3, der Supplikationen und fast aller Korrespondenzbestände an. Nach dem Ausscheiden Edelmayers ruhte die Arbeit an den von ihm transkribierten Akten zu 1543 bis zur Fertigstellung der von mir bearbeiteten Editionsbände der Reichstage von Speyer und Nürnberg 15424. Deren Abschluss ermöglichte mir die Weiterführung der Arbeit an den Akten des Nürnberger Reichstags von 1543.
Nach Anfertigung von noch ausständigen Transkriptionen, wie des Reichstagsprotokolls Bischof Valentins von Hildesheim (Nr. 80) und des französischsprachigen habsburgischen Briefwechsels zum Reichstag (Kap. XII.A und XII.B)5, galt es, das in seinem Umfang ausgeuferte Aktenmaterial redaktionell in den Griff zu bekommen und den modifizierten Editionsrichtlinien anzupassen, außerdem den Anmerkungsapparat herzustellen. Nicht nur bei den Supplikationen und Korrespondenzen, sondern auch bei den Hauptverhandlungsakten (vor allem in Kap. VI.B: Konflikt mit Herzog Wilhelm von Jülich um Geldern) waren eine rigide Auswahl der Akten und Kürzungen durch Nutzung von Regesten statt Vollabdrucks für eine gestraffte Textdarbietung erforderlich. Das dabei angewandte Vorgehen ist in den kurzen Einleitungen zu den insgesamt dreizehn Kapiteln des Bandes, in der Bandeinleitung und in den Anmerkungen beschrieben.
Da sich die archivalische Sammelarbeit anfänglich nicht nur auf Reichstagsakten „strictissimo sensu“ erstreckte, sondern auch die Vorbereitungsphase und das Umfeld des Reichstags berücksichtigte, kamen diese Informationen dem darstellenden Teil der Einleitung zugute. Die vor Eröffnung des Reichstags (31. Januar 1543) während des Monats Januar in Nürnberg stattfindenden Beratungen der Schmalkaldener über das Reichskammergericht beeinflussten die nachfolgenden Verhandlungen der Protestanten mit König Ferdinand zu Friede und Recht; diese Beratungen fanden ihren editorischen Niederschlag in Kap. VIII.A (Die Schmalkaldener und das Reichskammergericht). Es gilt generell, dass die parallel zum Reichstag stattfindenden Tagungen der Schmalkaldener, der Reichsstädte und der Reichskreise auch Auswirkungen auf die Reichstagsverhandlungen hatten und dass daher die Grenzen zwischen diesen Akten und den Reichstagsakten „strictissimo sensu“ fließend sind.
Um die Ergebnisse der umfangreichen Archivrecherchen den Benutzern zugute kommen zu lassen, wurden im Verzeichnis der Archivalischen Quellen (S. - ) sämtliche besuchte Archive und deren Aktenbestände, die sich im engeren oder weiteren Sinn auf den Reichstag und dessen Umfeld beziehen, aufgelistet, selbst wenn diese Akten im Band nicht ediert oder zitiert werden. Informationen aus den transkribierten Korrespondenzen, die nur zu einem kleinen Teil im Volltext im Band erscheinen, sind in Überblicksform – mit Angaben zu Anzahl und Inhalt der Schreiben – in der Korrespondenzliste (Nr. 403) festgehalten.
Zur Entlastung des Anmerkungsapparats wurde noch mehr als in früheren Bänden mit Kurzhinweisen im laufenden Quellentext gearbeitet, die kursiv in eckige Klammern gesetzt sind. Es betrifft dies Datumsauflösungen, Richtigstellung der Schreibweisen schwer identifizierbarer Personennamen, kurze Erläuterungen heute nicht mehr gebräuchlicher Ausdrücke, Querverweise auf Aktenstücke im vorliegenden Band (Angabe der Nummer des Aktenstücks) und Verweise auf Aktenstücke in anderen Bänden der Reichstagsakten (Angabe der Bandnummer und der Nummer des Aktenstücks: z.B. RTA JR Bd. XI, Nr. 941). Da im vorliegenden Band auf bestimmte Akten früherer Reichstage (meist zu den Themen Friede und Recht) häufig Bezug genommen wird, werden diese in einer Liste häufig zitierter Akten aus anderen Bänden der Reichstagsakten Jüngere Reihe (S. ) mit Angaben zu Titel und Datum des Aktenstücks angeführt. In Anbetracht der genannten Liste sind die in Klammern gesetzten Kurzhinweise ausreichend und es erübrigen sich ausführliche Erläuterungen bei jeder Erwähnung des betreffenden Aktenstücks. Die Tatsache, dass mit Ausnahme von Band IX zum Reichstag in Augsburg 1530 alle Bände der Jüngeren Reihe bereits im Druck erschienen sind, erlaubt es, durch Verweise problemlos Verbindungen zwischen den einzelnen Reichstagen herzustellen und Entwicklungen von „Dauerthemen“ wie Türkenhilfe, Friede und Recht, Fragen der Religion, Folgen der Reformation und Supplikationsangelegenheiten über den gesamten Zeitraum der Regierung Karls V. zu verfolgen.
Bei den textkritischen Anmerkungen wurde Zurückhaltung geübt, d.h. es wurden ausschließlich Varianten von inhaltlicher und entstehungsgeschichtlicher Relevanz berücksichtigt. Die Sachanmerkungen enthalten die für das Textverständnis nötigen Zusatz- und Hintergrundinformationen (z.B. Identifikation von Personen- und Ortsnamen, Erläuterung von Vorgängen). Längere Zitate aus Briefen in den Sachanmerkungen der Hauptverhandlungsakten dienen zur Verdeutlichung der Genese und zum besseren inhaltlichen Verständnis der Akten.
Die weiterführenden Literaturangaben in den Sachanmerkungen sollen helfen, konkrete Sachverhalte zu klären; sie sind punktuell. Auch die Literaturzitate in der Einleitung beziehen sich im Wesentlichen auf den konkreten Reichstag und seine Problemstellung. Es wird keinerlei Vollständigkeit im Sinne eines bibliographischen Überblicks über die stetig wachsende Zahl von Arbeiten zur Reichs- und Reichstagsgeschichte angestrebt. Deshalb enthält auch das Verzeichnis der Gedruckten Quellen und jenes der Darstellungen und Nachschlagewerke im Gegensatz zu der nach möglichster Vollständigkeit strebenden Liste der Archivalischen Quellen im Wesentlichen nur die im Band zitierten Werke.
Wie in den früheren Bänden wurden formelhafte Wendungen am Beginn und am Ende der Aktenstücke (Anrede, Höflichkeits- und Schlussfloskeln) ohne weitere Kennzeichnung weggelassen. Das Datum wird im „Kopf“ der Aktenstücke wiedergegeben, wobei Datierungen nach Festtagen aus den Quellen übernommen wurden. Die heute übliche Datumsform und erschlossene Datierungen stehen in runden Klammern. Nur bei zusätzlichen Informationen der Datumszeile und der Unterschrift werden diese am Ende des Aktenstücks im originalen Wortlaut wiedergegeben. Bei Akten, die zwei Daten tragen, handelt es sich meist um das Abfassungsdatum und um das Datum der Übergabe bzw. Verlesung des Aktenstücks am Reichstag (verlesen, übergeben, actum). Die chronologische Einordnung der Aktenstücke erfolgte nicht nach dem Entstehungsdatum, sondern nach dem Datum der Behandlung am Reichstag.
Die Zahl der im „Kopf“ der Aktenstücke angegebenen Archivfundorte bzw. Überlieferungen wurde in den meisten Fällen auf zwei bis drei beschränkt. Nur bei Vorhandensein eines Konzepts und/oder mehrerer Fassungen ein- und desselben Aktenstücks erhöhte sich diese Zahl. Die endgültige Fassung diente fast immer als Textgrundlage, wobei die Abweichungen vom Konzept oder von einer früheren Fassung des Aktenstücks dem textkritischen Apparat zu entnehmen sind. Die Genese solcher Aktenstücke wurde in einer Vorbemerkung oder in einer Sachanmerkung erläutert.
Die Aktenstücke des Bandes sind durchgehend nummeriert; einige Aktennummern weisen eine Untergliederung auf (a, b, c etc.). Innerhalb der einzelnen Bandkapitel ist die Anordnung chronologisch.
Der Band umfasst dreizehn Kapitel von der Vorbereitung des Reichstags bis zum Reichsabschied und den ihn begleitenden Abschieden jener Versammlungen, die parallel zum Reichstag stattfanden. Die Kapitel sind folgendermaßen aufgebaut:
Kap. I (Vorbereitung, Organisation und Eröffnung des Reichstags) ist in vier Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt (Kap. I.A) behandelt die im Vorfeld des Reichstags stattfindende Kommunikation König Ferdinands mit seinem in Spanien weilenden Bruder Karl V., die sich wegen Hindernissen auf dem Postweg durch Unwetter und Kriegsvorkommnisse schwierig gestaltete und alle Hoffnungen Ferdinands auf persönliche Präsenz des Kaisers am Reichstag zerstörte (Nr. 1, Nr. 5, Nr. 9, Nr. 17). So musste König Ferdinand eigenständige Entscheidungen treffen, wie z.B. die Prorogation des Reichstags vom 14. November auf den 14. Dezember 1542 (Nr. 2–4). Die kaiserlichen Vollmachten und Abfertigungen für den Reichstag wurden auf Grund der widrigen Umstände erst spät an die drei kaiserlichen Reichstagskommissare weitergeleitet (Nr. 16). Wie vor jedem Reichstag erhielten die Reichsfürsten Aufforderungen, persönlich zu erscheinen (Nr. 8), was die meisten von ihnen ablehnten (Nr. 13–14, Nr. 18). Für den König galt es, die Haltung Kursachsens und Hessens zum Konflikt des Kaisers mit Herzog Wilhelm von Jülich zu sondieren, weshalb er seinen Rat Dr. Andreas von Könneritz zwei Mal zu Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und einmal zu Landgraf Philipp von Hessen entsandte (Nr. 6, Nr. 15), die ihr Kommen nach Nürnberg aus mehreren Gründen nicht in Betracht zogen (Nr. 7, Nr. 10–11, Nr. 19), sondern um Geleit für ihre Räte ersuchten (Nr. 12). Die Geleitwünsche der Schmalkaldener und der übrigen evangelischen Stände wurden vom König erfüllt (Nr. 21–22), während die Fürsten den nochmaligen königlichen Aufforderungen zu persönlichem Erscheinen (Nr. 23–25, Nr. 28–29) nicht nachkamen (Nr. 27). Da die Kreiseinnehmer ihre Abrechnungen über die Türkenhilfe 1542 vorlegen sollten, erging ein Ausschreiben des Königs an sie (Nr. 26).
Kap. I.B ist der organisatorischen Durchführung des Reichstags gewidmet, wozu Fragen der Quartierbeschaffung (Nr. 30, Nr. 32), Mandate von Bgm. und Rat von Nürnberg zum Verhalten während des Reichstags (Nr. 31), die Reichstagsordnung (Nr. 34) und der Konflikt um das Recht des Judengeleits zwischen Reichserbmarschall Wolfgang von Pappenheim und dem Rat von Nürnberg gehören (Nr. 35).
In Kap. I.C findet man die Abrechnungen verschiedener Reichsstände und Reichsstädte über die in Zusammenhang mit dem Besuch des Reichstags entstandenen Reise- und Aufenthaltskosten, darunter auch die Ausgaben der Malstatt Nürnberg (Nr. 36–40).
Das Warten auf die sich verzögernde Eröffnung der Reichsversammlung, das langsame Eintreffen der Reichsstände, die geringe Präsenz der Reichsfürsten (Anwesenheitslisten) und die zur Eröffnung des Reichstags am 31. Januar 1543 vorgetragene Proposition König Ferdinands bilden den vierten Abschnitt des Vorbereitungskapitels (Kap. I.D, Nr. 41–43).
In Kap. II ist eine große Anzahl von Vollmachten und Instruktionen der Reichsstände und des Hauses Habsburg zusammengestellt, denen für diesen Reichstag eine besondere Bedeutung zukommt, da nur wenige Kurfürsten, Fürsten und Stände die Reichsversammlung persönlich besuchten. Die Instruktionen bieten Einblick sowohl in die reichs- und religionspolitischen Absichten des Kaisers, Königin Marias und der konfessionell gespaltenen Reichsstände als auch in ihre jeweils partikularen Interessen. Den Gesandten wurde in ihren Anfangsinstruktionen aufgetragen, wie sie sich in den zur Beratung stehenden Fragen verhalten sollten; diese Richtlinien änderten sich in den meisten Fällen im Verlauf des Reichstags kaum, sondern sie wurden höchstens entsprechend dem Gang der Verhandlungen leicht modifiziert oder ergänzt. Da im Korrespondenzkapitel (Kap. XII) nur wenige Weisungen an die Gesandten abgedruckt wurden, geben die anfänglichen Instruktionen über die Haltung der habsburgischen oder reichsständischen Auftraggeber zu den Verhandlungsthemen Aufschluss. Sie wurden daher alle mit einer eigenen Aktennummer versehen und zumeist in extenso abgedruckt, wobei auch Instruktionen für die Versammlungen der Schmalkaldener und der Reichsstädte Berücksichtigung fanden. An erster Stelle finden sich die habsburgischen Weisungen (Nr. 44–45), denen jene der Kurfürsten (Nr. 46–47), der geistlichen und weltlichen Fürsten und Stände (Nr. 48–70) sowie der Reichsstädte (Nr. 71–79) folgen.
Kap. III enthält die während des Reichstags im Auftrag der geistlichen Fürsten Bischof von Hildesheim (Nr. 80), Bischof von Würzburg (Nr. 81), der weltlichen Fürsten Pfalzgraf Ottheinrich von Pfalz-Neuburg (Nr. 82), Herzog Albrecht von Preußen (Nr. 83), Herzog Ulrich von Württemberg (Nr. 84) und der Reichsstädte (Nr. 85–90) verfassten Protokolle. Das Fehlen bzw. der Verlust von Votenprotokollen aus dem Kurfürsten- oder Fürstenrat erschwert es, das Abstimmungsverhalten der einzelnen Fürsten bei den zur Verhandlung kommenden Themen festzustellen. Diese Lücke konnte leider nur zum Teil durch den Abdruck relevanter Korrespondenzen geschlossen werden. Die Protokollanten berichteten nicht nur über die Beratungen des Reichsrates, sondern auch über jene der Schmalkaldener, der Reichsstädte und der Reichskreise. Ihre Aufzeichnungen wurden zumeist in extenso wiedergegeben, außer bei starken Überschneidungen der Protokolle. In einem solchen Fall wurde der Wortlaut des aussagekräftigeren, ausführlicheren Protokolls für den Abdruck ausgewählt.
Kap. IV umfasst die Akten zur Türkenhilfe, deren Beratung von Seiten des Königs und der altgläubigen Reichsstände als Hauptaufgabe des Reichstags betrachtet wurde. Da die Protestanten Verhandlungen über die Türkenhilfe vor den von ihnen geforderten Beratungen über Friede und Recht ablehnten, waren nur die Altgläubigen in die Beratungen mit dem König und den kaiserlichen Kommissaren eingebunden. Ihr Schriftwechsel mit dem König und den Kommissaren und die endgültige Formulierung der Beschlüsse zur Türkenhilfe ist in Kap. IV.A zusammengefasst (Nr. 91–97). Wie schon auf früheren Reichstagen wurde ein Ansuchen der ungarischen Landstände und eines der niederösterreichischen Landstände und der Grafschaft Görz an die Reichsstände übergeben mit der Bitte um Unterstüzung im Kampf gegen die Türken (Kap. IV.B, Nr. 98–99), während die Reichsstände ihrerseits Schreiben an den Dogen von Venedig und an den Papst (Nr. 100–101) verfassten, um sie zur Beteiligung an der Türkenabwehr zu veranlassen. Die Reichsstädte stellten als Bedingung für die Leistung der Türkenhilfe die Ringerung der Anlagen und die Teilnahme an den Beratungen und Beschlüssen der Reichsstände (Kap. IV.C, Nr. 102–103). In Zusammenhang mit der Türkenhilfe wurden verschiedene Gründe für deren Verweigerung vorgebracht, wie Proteste gegen die Veranlagung als Reichsstand, Exemtion von den Reichsanlagen, Kriegsereignisse in Burgund oder in Savoyen (Kap. IV.D, Nr. 104–109) und die bisher unterbliebene Ringerung der Anlagen (Kap. IV.E, Nr. 110–114). Die Reichskreise wurden auf Grund der Beschlüsse des Nürnberger Reichstags von 1542 aufgefordert, die Abrechnungen der Kreiseinnehmer über die Türkenhilfe 1542 vorzulegen. Dieser Aufforderung kamen jedoch nur wenige Kreise nach (Kap. IV.F, Nr. 115–123). Abrechnungen und ausstehende Besoldungen aus den Türkenhilfen 1541 und 1542 beschäftigten die Reichsstände in Form von Supplikationen der Befehlshaber der Türkenzüge 1541 und 1542, Relationen des Rechnungsausschusses oder der Gesandten Kurfürst Joachims II. von Brandenburg über den Türkenzug 1542 (Kap. IV.G und IV.H, Nr. 124–133). Die Bezahlung des Winterlagers der reichsständischen Truppen in Gran 1542/1543 wurde für die Reichsstände einstweilen von König Ferdinand vorgestreckt. Die Türken ließen sich aber durch all diese Maßnahmen vom abermaligen Vorrücken Richtung Ungarn nicht abhalten, wie die Verlesung zahlreicher Kundschafterberichte deutlich machte, welche die Stände zu rascher Bewilligung der Türkenhilfe motivieren sollte (Kap. IV.I, Nr. 134–136). Vorkehrungen zur Organisation der Türkenhilfe 1543 mussten getroffen werden, u.a. Verbote zur Annahme fremden Kriegsdienstes, die Verkündigung des Reichsanschlags zur Türkenhilfe gegenüber den Reichsständen, die Bestellung eines Kriegskommissars (Kap. IV.J, Nr. 137–143). Die auf den vergangenen Reichstagen geführten Verhandlungen König Ferdinands mit den Bischöfen zur Vermeidung der Doppelanlage wurden fortgesetzt (Kap. IV.K, Nr. 144–150).
In Kap. V sind die Verhandlungen mit den Protestanten zu Friede und Recht zusammengefasst. Diese Verhandlungen zwischen König Ferdinand und den kaiserlichen Kommissaren einerseits und den Schmalkaldenern bzw. den evangelischen Reichsständen andererseits betr. Fragen des Reichskammergerichts und dessen Besetzung, des Landfriedens und der freien Religionsausübung begannen bereits vor der Eröffnung des Reichstages, nämlich am 25. Januar 1543, und erstreckten sich bis zum 22. April 1543, dem Vorabend des Reichsabschieds. Die altgläubigen Reichsstände bezogen mehrmals Stellung zu den Eingaben der Protestanten und gaben dem König ihre ablehnende Haltung gegenüber den protestantischen Forderungen zu verstehen. Trotz intensiver Verhandlungen reichte die Kompromissbereitschaft auf habsburgischer, alt- und neugläubiger Seite für eine die verschiedenen Interessen befriedigende Lösung der Probleme nicht aus (Kap. V.A, Nr. 151–185). Mehrere Gesandte der evangelischen Reichsstände berichteten ihren Auftraggebern über den unbefriedigenden Verlauf der Verhandlungen zu Friede und Recht. Die Reaktion der Schmalkaldischen Bundeshauptleute war stets gleichbleibend: Sie forderten alle bündischen Gesandten auf, an der anfangs geforderten Priorität der Fragen zu Friede und Recht vor der Türkenhilfe festzuhalten (Kap. V.B, Nr. 186–196).
Der in Kap. VI dokumentierte Konflikt des Hauses Habsburg mit König Franz I. von Frankreich und Herzog Wilhelm von Jülich dominierte die reichsständischen Verhandlungen mit den burgundischen und jülichschen Gesandten und beherrschte die im Interesse des Kaiserhauses gepflogenen Kontakte im Hintergrund des Reichstags, für die vor allem der kaiserliche Generalorator Nicolas de Granvelle verantwortlich zeichnete. Es wurde aber weder eine Unterstützung der Reichsstände im Krieg gegen Frankreich erreicht noch wurde der von Granvelle unter Vermittlung der Reichsstände mit den jülichschen Gesandten ausgehandelte Waffenstillstand von Herzog Wilhelm von Jülich anerkannt, wie die in Kap. VI. A (Nr. 197–201) und VI.B (Nr. 202–242) edierten Akten zeigen.
Kap. VII beschäftigt sich mit den Folgen des braunschweigischen Feldzugs von 1542, nach welchem eine Regelung für das weitere Vorgehen in dem von den Schmalkaldenern okkupierten Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel gefunden werden musste. Die bayerischen Räte boten sich als Vermittler bei den Verhandlungen an, bei denen die Reichsstände ihre unterschiedlichen Interessen ins Spiel brachten. Eine von Herzog Ulrich von Württemberg, Kursachsen und Hessen favorisierte Lösung zu Gunsten der Kinder Herzog Heinrichs von Braunschweig wurde von den Bayern schließlich zu Fall gebracht, da sie auf einer Rückkehr Herzog Heinrichs in sein Fürstentum bestanden. Die Verhandlungen endeten ergebnislos und wurden bis zur Ankunft des Kaisers im Reich aufgeschoben (Nr. 243–258).
Kap. VIII über die Verhandlungen der Schmalkaldischen Bundesverwandten zeigt, wie stark die Rekusation des Reichskammergerichts und deren Folgen mit der auf dem Reichstag behandelten Thematik von Friede und Recht verflochten war (Kap. VIII.A, Nr. 259–274). Die internen Beschlüsse Kursachsens und Hessens, unter allen Umständen „für einen Mann zu stehen“ und keine Absonderungstendenzen oder partikularen Vereinbarungen der Bündner (z.B. der Reichsstadt Augsburg) mit dem König oder anderen Reichsständen zu dulden, beeinflusste den Ausgang des Reichstags maßgeblich (Kap. VIII.B, Nr. 275–277). Die Schmalkaldener waren bestrebt, den braunschweigischen Feldzug und die Ablehnung des Reichsabschieds von 1543 gegenüber Karl V. zu rechtfertigen, weshalb sie Werbungen beim Kaiser nach seiner Ankunft aus Spanien planten (Kap. XVIII.C, Nr. 278–281). Der letzte Abschnitt von Kap. VIII ist internen Angelegenheiten des Schmalkaldischen Bundes gewidmet und betrifft Aufforderungen zur Beschickung des Schmalkaldischen Bundestages in Nürnberg (Kap. VIII.D.1, Nr. 282–285) und Bemühungen der pommerschen Gesandten, mit Hilfe der Bundesverwandten eine Beilegung des innerschmalkaldischen Konflikts zwischen den Herzögen von Pommern und König Christian III. von Dänemark zu erreichen (Kap. VIII.D.2, Nr. 286–293).
Sessionsstreitigkeiten zwischen den sächsischen Gesandten und jenen von Pfalz-Simmern sowie zwischen den Vertretern der Markgrafen von Brandenburg und jenen Herzog Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel und der urkundlich bestätigte Sessionswechsel zwischen Österreich und Salzburg bilden den Inhalt von Kap. IX (Nr. 294–296).
Supplikationen zu den Betreffen Reichsstandschaft und eximierte Stände (Kap. X.A, Nr. 297–298), zwischenständische Konflikte (Kap. X.B, Nr. 299–301) und Jurisdiktion des Reichskammergerichts (Kap. X.C, Nr. 302–305) sind in Kap. X zusammengefasst.
Kap. XI (Varia) ist ein Exkurs zu den Verhandlungen der bayerischen, kursächsischen und hessischen Gesandten über ein geplantes Bündnis zur Erhaltung „fürstlicher Libertät“, die jedoch ergebnislos verliefen (Nr. 306).
Die in Kap. XII getroffene Auswahl an Korrespondenzen ist untergliedert in Schreiben der Habsburger und ihrer Räte (Kap. XII.A, Nr. 307–315), Berichte der burgundischen Gesandten (Kap. XII.B, Nr. 316–324) und der nach ihrer Konfessionszugehörigkeit unterschiedenen Reichsstände und Reichsstädte (Kap. XII.C bis XII.H, Nr. 325–402). Nähere Informationen zum Inhalt der Korrespondenzen befinden sich in den Einleitungen zu Kap. XII und dessen Unterkapiteln. Die Korrespondenzliste (Kap. XII.I, Nr. 403) bietet einen Gesamtüberblick über die in den besuchten Archiven vorgefundenen Korrespondenzen.
Kap. XIII enthält den Reichsabschied (Kap. XIII.A, Nr. 404–405) und die Protestationen gegen diesen, sowohl durch einzelne Reichsstände und die oberrheinischen Kreisstände als auch durch die Gesamtheit der Reichsstädte und der Augsburger Konfessionsverwandten (Kap. XIII.B, Nr. 406–412). Die Abschiede anderer reichsständischer Versammlungen, die neben dem Reichstag stattfanden (Kap. XIII.C, Nr. 413–418), beschließen den Band.
Das HHStA Wien besitzt mit den Reichstagsaktenserien des Mainzer Erzkanzlerarchivs (MEA RTA 8) und der kaiserlichen bzw. königlichen Reichskanzlei (RK RTA 10 und RTA 11) zwei weitgehend vollständige Überlieferungen der Hauptverhandlungsakten des Nürnberger Reichstags von 1543. Zusätzlich zu diesen beiden Überlieferungen, die aus reichsständischer bzw. aus habsburgischer Provenienz stammen, beherbergt das HHStA Wien als „Schmalkaldische Aktenbeute“ aus dem braunschweigischen Feldzug auch die hessischen Reichstagsakten, die sich im Bestand Reichskanzlei, Reichsakten in genere (RK RA i.g. 13f und 13g) befinden. Die Reichstagsakten aus dem Mainzer Erzkanzlerarchiv1 und aus der Reichskanzlei bilden in fast allen Fällen die Textgrundlage der Hauptverhandlungsakten. Zur Kollationierung dienten Bestände verschiedener anderer reichsständischer Archive, die eine mehr oder weniger komplette Überlieferung besitzen, wie z.B. München (Herzöge von Bayern, verschiedene Pfälzer Linien), Weimar (Kurfürst von Sachsen), Dresden (Herzog von Sachsen), Duisburg (Herzog von Jülich-Kleve-Berg), Hannover (Bischof von Hildesheim, verschiedene Linien der Herzöge von Braunschweig), Stuttgart (Herzog von Württemberg), Nürnberg (Markgrafen von Brandenburg, Reichsstadt Nürnberg) oder Würzburg (Bischof von Würzburg).
Die Tatsache, dass aus mir nicht bekannten Gründen im Mainzer Erzkanzlerarchiv in Wien kein Votenprotokoll aus dem Kurfürstenrat erhalten ist und dass weder die Gesandten der Kurfürsten von Sachsen, Brandenburg, Trier, Köln oder Pfalz, von denen sich manche nur zeitweise in Nürnberg aufhielten, noch jene der Fürsten ein Sitzungsprotokoll (mit Aufzeichnung der Voten) hinterließen, macht es schwierig, Entscheidungsprozesse der oberen Reichsstände im Reichsrat nachzuvollziehen. Einen gewissen Ersatz bieten die Korrespondenzen bzw. die Berichtsprotokolle aus der Provenienz der Bischöfe von Hildesheim und Würzburg, Herzog Ulrichs von Württemberg, Pfalzgraf Ottheinrichs, Herzog Albrechts von Preußen und diverse Protokolle reichsstädtischer Gesandter.
Neben den oben genannten Reichstagsaktenserien befindet sich im HHStA Wien die Überlieferung der habsburgischen Familienkorrespondenz (Belgien Politisches Archiv: Ausfertigungen; Handschriften blau 595 und 597: zeitgenössische Kopien) und ein großer Teil der Berichte der burgundischen Gesandten an Königin Maria. Dieser Briefwechsel gibt Aufschluss über die von den Habsburgern und ihren Räten intendierte Reichstagspolitik, die vor allem von König Ferdinand und vom kaiserlichen Generalorator Nicolas de Granvelle getragen wurde.
Die dichteste Dokumentation schmalkaldisch/evangelischer Reichstagspolitik, die von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen maßgeblich bestimmt wurde, befindet sich im HStA Weimar, im StA Marburg und im HHStA Wien (Schmalkaldische Aktenbeute). Von reichsstädtischer Seite enthalten die städtischen Archive von Frankfurt (ISG), Augsburg (StadtA) und Straßburg (AM) weitgehend komplette Überlieferungen der Hauptverhandlungsakten des Reichstags. Im HStA Weimar, auf dessen Bestände sich die Edition vielfach stützt, befindet sich auch der Briefwechsel zwischen den Bundesobersten Kursachsen und Hessen sowie ihre Korrespondenzen mit den habsburgischen Herrschern und anderen Reichsständen.
Geschlossene Korrespondenzreihen protestantischer Reichsstände beherbergen auch das HStA München (Überlieferung Pfalzgraf Ottheinrichs in Kasten blau 271/4), das StA Stuttgart (Herzog Ulrich von Württemberg) und das StA Nürnberg (Markgrafen von Brandenburg, Bestand Fürstentum Ansbach RTA). Ausführliche reichsstädtische Gesandtenberichte an den städtischen Rat und regelmäßige Weisungen des Rates an die Gesandten liegen im ISG Frankfurt, im StadtA Augsburg und im StadtA Memmingen. Die Korrespondenz des städtepolitisch äußerst aktiven Gesandten von Straßburg, Jakob Sturm, ist in Straßburg (AM) leider nicht erhalten, weshalb auf die Auszüge der Briefe in den Ratsbüchern zurückgegriffen werden muss.
Unter den konfessionsneutralen Reichsständen, die eine vermittelnde Position einnahmen und sich möglichst wenig exponierten, sind vor allem Markgraf Ernst von Baden und die Wetterauer Grafen zu nennen, deren Korrespondenzen im GLA Karlsruhe bzw. im StA Marburg (Bestand Hanau) liegen. Zwischen den radikalen Positionen der Alt- und Neugläubigen bewegte sich auch Herzog Moritz, wie zahlreiche Schreiben der sächsischen Gesandten an den Herzog und seine Weisungen an die Räte im HStA Dresden zeigen, die sein distanziertes Verhältnis zum Schmalkaldischen Bund und seine Nichtanpassung an die von den Schmalkaldischen Bundeshauptleuten vorgegebenen Richtlinien dokumentieren.
Generell gilt, dass über die Verhandlungen des Nürnberger Reichstags durch die evangelischen Gesandten häufiger und ausführlicher berichtet wurde als durch die altgläubigen Stände. Der einflussreichste Rat der katholischen Aktionspartei, Dr. Leonhard von Eck, scheint von den bayerischen Herzögen weitgehend freie Hand für die am Reichstag zu verfolgende Verhandlungslinie erhalten zu haben, denn es gibt keine Hinweise auf eine Reichstagsinstruktion für die bayerischen Gesandten. Es sind nur einige wenige Berichte Ecks vom Reichstag im HStA München auffindbar; die Schreiben sind kurz gehalten und schwer zu entziffern. Die wichtige Rolle Ecks erhellt aus den Berichten anderer Gesandter, die seine Dominanz in den Verhandlungen beschreiben. Den besten Eindruck altgläubigen Agierens in der Vorbereitungsphase des Reichstags vermitteln die im LASA Magdeburg (Bestand A1, Nr. 311) erhaltenen Berichte des Kurmainzer Kanzlers Dr. Jakob Jonas. Mehrere bischöfliche Gesandte berichteten über die Verhandlungen im Reichsrat aus altgläubiger Perspektive, u.a. Dr. Christoph Welsinger an Bischof Erasmus von Straßburg (AD Straßburg), die Würzburger Gesandten an Bischof Konrad (StA Würzburg), Konrad Junge und Dr. Werner Koch an Bischof Philipp von Speyer (AM Straßburg)2.
Von ausländischen Archiven ist vor allem das AP Stettin zu nennen, das sowohl eine dichte Überlieferung der Reichstagsakten und der Schmalkaldischen Bundesakten in Hinblick auf den Konflikt Pommern-Dänemark als auch zahlreiche Berichte der pommerschen Gesandten an die Herzöge von Pommern-Stettin und von Pommern-Wolgast besitzt. In den AG Brüssel befinden sich Teile der Aktenüberlieferung Königin Marias und jene Gesandtenberichte im Original, die nicht im HHStA Wien (Belgien PA) aufbewahrt werden. Die in den AVat Rom (Germania 60) in Kopialüberlieferung liegenden Berichte des päpstlichen Nuntius Verallo und des päpstlichen Gesandten Otto Truchsess von Waldburg sind in der Edition der Nuntiaturberichte gedruckt.
4. Gedruckte Quellen und Darstellungen
Der Nürnberger Reichstag von 1543 beschäftigte die Forschung bisher kaum. Es gibt weder eine nennenswerte Anzahl gedruckter Verhandlungsakten noch ist eine Monographie zum Reichstag aus jüngerer Zeit vorhanden. Allerdings bedienten sich bereits die Zeitgenossen im Rahmen der Austragung des Konflikts zwischen dem Haus Habsburg und Herzog Wilhelm von Jülich nicht nur militärischer Mittel, sondern auch der damaligen Printmedien in Form von Druck- und Flugschriften. Der die habsburgischen Ansprüche bekräftigende Vortrag der burgundischen Gesandten vor den Reichsständen vom 31. Januar 1543 (Nr. 202), die am 12. März 1543 übergebene Verteidigungsschrift (Defensio) Herzog Wilhelms von Jülich gegenüber den in Regensburg 1541 vorgebrachten kaiserlichen Ansprüchen und die Widerlegung (Confutatio) der Ausführungen der jülichschen Räte durch die burgundischen Gesandten am 21. März 1543 (Nr. 210) zirkulierten in Nürnberg während des Reichstags sowohl in deutscher als auch in lateinischer Sprache als Druckschriften.
Auch Texteditionen des 19. und 20. Jahrhunderts nahmen das Thema des Konflikts um Geldern und die damit für Herzog Wilhelm und Königin Maria in ihren jeweiligen Herrschaftsgebieten verbundenen Probleme auf. Es handelt sich dabei um die Editionen von Wilhelm Crecelius1, Georg von Below2 und Günter Ernst Bers3. Der burgundisch-klevische Konflikt ist als Thema auch im Briefwechsel der habsburgischen Geschwister und ihrer Räte omnipräsent, wovon manche der von Karl Lanz4 und von Lothar Groß und Robert von Lacroix5 edierten Schreiben zeugen. Das zwischen den habsburgischen Brüdern Karl und Ferdinand zu Spannungen führende Problem der Türkenabwehr in Ungarn und im Mittelmeer ist aus den von Árpád Károlyi6 edierten Schreiben ersichtlich. Die für den Nürnberger Reichstag relevanten Briefeditionen stammen von Erich Brandenburg für Herzog Moritz von Sachsen7, Otto Winckelmann für die Stadt Straßburg8, Adalbert Bezzenberger9 für den preußischen Gesandten Ahasver von Brandt, Christian Gotthold Neudecker10 und Max Lenz11 für Landgraf Philipp von Hessen und für die bayerisch-kursächsisch-hessischen Bündnispläne.
Die den Auftrag des päpstlichen Nuntius Verallo und des päpstlichen Konzilsbeauftragten Otto Truchsess von Waldburg betr. Akten wurden von Stephan Ehses12 und Ludwig Cardauns13 ediert, die kurzen Berichte der englischen Gesandten sind in den State Papers14 zu finden.
Einzelberichte wie jene des Augsburger Gesandten Dr. Claudius Pius Peutinger und des Wetterauer Gesandten Gregor von Nallingen finden sich in den unten angegebenen Editionen15.
Zwei Darstellungen beschäftigen sich explizit mit dem Nürnberger Reichstag von 1543. Für die Schilderung der Verhandlungszusammenhänge und den Verlauf des gesamten Reichstags ist nach wie vor die Abhandlung von Paul Heidrich über die Reichstage der Jahre 1541–1543 heranzuziehen16. Die zweite Darstellung ist ein Aufsatz von Friedrich Edelmayer17, in welchem er die Gründe für das Scheitern der Verhandlungen auf Basis der kursächsischen und hessischen Korrespondenzen analysiert und die Ziele der schmalkaldischen Reichstagspolitik in den Mittelpunkt rückt, die sich mit den altgläubigen und den kaiserlich/königlichen Intentionen trotz mühevoller Verhandlungen nicht vereinbaren ließen.
Der Nürnberger Reichstag wird auch mehr oder weniger ausführlich im Rahmen der Biographien jener Fürsten behandelt, die, vertreten durch ihre Räte, Protagonisten der Reichsversammlung waren, wie Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen18, Herzog Moritz von Sachsen19, Landgraf Philipp von Hessen20, die Herzöge von Bayern bzw. ihr wichtigster Ratgeber Dr. Leonhard von Eck21. Auch in reichsstädtischen Monographien, wie z.B. über Augsburg22, Frankfurt23 oder Memmingen24 und in den Arbeiten von Georg Schmidt über die Reichsstädte25 ist dem Reichstag von Nürnberg ein Abschnitt gewidmet. Allgemeine Abhandlungen über Verfahren und formalen Ablauf der Reichstage unter Karl V. nehmen u.a. auch Bezug zum Reichstag von 154326.
Zu einzelnen Aspekten der Nürnberger Verhandlungen sind Literaturangaben im betreffenden Bandkapitel zu finden. Es handelt sich dabei um folgende Themenkomplexe: die Modalitäten der künftigen Türkenhilfe; Abrechnungen der vergangenen Türkenzüge; Fragen der Rekusation, Reform, Visitation oder Neubesetzung des Reichskammergerichts; Forderungen der Reichsstädte nach Session, Stimme und Vergleich der Anschläge; die Rolle der Reichskreise bei Einhebung und Abrechnung der Türkenhilfe; der Konflikt um Geldern und die Bemühungen um einen Waffenstillstand; der innerschmalkaldische Konflikt zwischen Pommern und Dänemark; Regelung der Verhältnisse im eroberten Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel.
5. Vom Nürnberger Reichstag 1542 zumNürnberger Reichstag 1543
5.1 Schmalkaldische Politik im Vorfeld des Reichstags
Der Abschied des Nürnberger Reichstags vom 26. August 1542 (RTA JR Bd. XIII, Nr. 198) legte die Verhandlungsthemen der nächsten, für 14. November 1542 geplanten Reichsversammlung fest: am 1. Dezember 1542 Vorlage der Abrechnungen der Kreiseinnehmer über die Ein- und Ausgaben der zu Speyer 1542 beschlossenen Türkenhilfe (Gemeiner Pfennig), Vergleich der Anlagen zwischen den Kreisen, Ringerung der Anschläge, Vollziehung der Mandate zum Verbot fremden Kriegsdiensts, Winterlager in Ungarn, Münz- und Polizeifragen, möglichst rasche Durchführung der 1542 suspendierten Visitation und Reformation des Reichskammergerichts. Wie so oft verzögerte sich auch in diesem Fall der Beginn des Reichstags, den König Ferdinand wegen Abhaltung des ungarischen Landtags auf 14. Dezember prorogierte (Nr. 2–3). Doch auch dieser Termin war nicht zu halten, wie die schließlich erst am 31. Januar 1543 stattfindende Eröffnung der Reichsversammlung zeigte.
Zu Ende des Nürnberger Reichstags von 1542 waren wesentliche Ereignisse noch nicht absehbar, die den Verlauf der künftigen Versammlung beeinflussen sollten: 1. Die Belagerung von Pest durch die Truppen des Reichsheeres missglückte und der Sturm auf die Stadt schlug fehl. So wurde die Offensive gegen die Türken am 7. Oktober 1542 abgebrochen; die Reste des Reichsheeres zogen sich ungeordnet aus Ungarn zurück. 2. Die Folgen des braunschweigischen Feldzugs vom Sommer 1542 waren für die Schmalkaldener gravierend, da Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel eine Zitation seiner Gegner zum 17. November 1542 vor das Reichskammergericht erwirkt hatte, wo ihnen wegen Landfriedensbruchs und Einmischung in die Hoheitsrechte des Herzogs (Einführung der Reformation im Herzogtum) das höchstmögliche Strafmaß, die Reichsacht, drohte. Diese für die Mitglieder des Bundes bedrohliche Entwicklung war Thema ihrer zwischen den beiden Nürnberger Reichsversammlungen stattfindenden Zusammenkünfte, bei denen sie u.a. auch über die Verhandlungstaktik auf dem künftigen Reichstag berieten1.
Drei Tagungen sind besonders hervorzuheben: 1. Der Schmalkaldische Bundestag in Braunschweig diente in erster Linie der nachträglichen Anerkennung des von den Bundeshauptleuten initiierten braunschweigischen Feldzugs als Bundessache; die meisten Bündner mussten erst von der Notwendigkeit des kriegerischen Vorgehens der Hauptleute überzeugt werden, um den Schutz des Bundes zuzusagen und die religiöse Ursache der Auseinandersetzung anzuerkennen. Kursachsen und Hessen erklärten sich bereit, sich einer rechtlichen Erörterung des Kriegs gegen den Herzog vor unabhängigen Richtern – nicht vor dem Reichskammergericht – zu stellen. Außerdem wurde eine Gesandtschaft an Kaiser und König beschlossen, die das Vorgehen gegen Herzog Heinrich von Braunschweig rechtfertigen sollte. Auch die Verwaltung des eroberten Landes, die Aufteilung der Kosten des Feldzuges und die Schleifung der Festungsanlagen waren Beratungsgegenstand2.
2. Der oberländische Städtetag in Ulm sollte die auf dem Braunschweiger Bundestag offen gebliebenen Fragen klären und die Position der Städte auf dem für 3. November 1542 nach Schweinfurt ausgeschriebenen nächsten Bundestag ausloten. Es wurde abermals über die Behandlung des eroberten Herzogtums und dessen Verwaltung beraten, auch über die Schleifung der Festungen und die auf die Mitglieder zukommende Bezahlung der Kriegskosten3.
3. Der Schmalkaldische Bundestag von Schweinfurt war vor allem mit der Frage befasst, wie auf die Zitation der Schmalkaldener vor das Reichskammergericht zu reagieren sei. Eine Rekusation des Gerichts in allen weltlichen und geistlichen Angelegenheiten war innerhalb des Bundes umstritten. Jene Stände, die als Kläger Prozesse am Reichskammergericht anhängig hatten, wollten sich den Rechtsweg nicht versperren. Die Städte betrachteten das Kammergericht als das Verfassungsorgan, das neben dem Kaiser der wichtigste Garant ihrer Freiheiten gegenüber landesherrlicher Willkür war. Angesichts der von den Bundeshauptleuten vom Zaun gebrochenen „braunschweigischen Defension“4 standen mehrere Bündner vor der Entscheidung, ob sie sich an einem über die religiösen Belange hinausgehenden Bündnis beteiligen wollten oder nicht. Die Städte zeigten ihre Bedenken zwar an, konnten sich aber gegen die fürstlichen Räte nicht durchsetzen. Es wurde der Beschluss gefasst, alle Kammergerichtspersonen in allen geistlichen und weltlichen Angelegenheiten zu rekusieren, mit der Begründung, dass die mehrfach verschobene Visitation und Reformation des Gerichts gemäß der kaiserlichen Geheimdeklaration von Regensburg5 bisher nicht stattgefunden habe. Nähere Beratungen über die Art der Rekusation und die Verabschiedung weiterer Punkte wurde wegen eines Pestausbruchs in Schweinfurt auf die künftige Versammlung in Nürnberg verschoben6. Am 13. November 1542 fertigte die Bundesversammlung von Schweinfurt aus eine Gesandtschaft zum Reichskammergericht nach Speyer ab, die am 4. Dezember 1542 das von Kursachsen und Hessen ausgearbeitete Rekusationslibell7 übergab. Am 13. Dezember 1542 wurde der Antrag der Gesandtschaft wegen nicht ausreichender Vollmacht und Verweigerung des Eids mit Anrufung der Heiligen vom Gericht als unstatthaft abgelehnt.
Das war der Stand der schmalkaldischen Angelegenheiten zum nominellen Beginn des von König Ferdinand auf 14. Dezember 1542 verschobenen Reichstags. In Schweinfurt war vereinbart worden, dass sich die Bündner zu diesem Datum für eine Fortsetzung der Beratungen in Nürnberg treffen sollten. Da man keine Nachrichten über den Aufenthaltsort des Königs und sein voraussichtliches Ankunftsdatum hatte, ließen sich die Schmalkaldener ebenso wie alle anderen Reichstagsteilnehmer mit ihrem Erscheinen in Nürnberg Zeit.
5.2 Das lange Warten auf die Eröffnung des Reichstags
In der Korrespondenz zwischen den habsburgischen Brüdern finden sich Überlegungen zur Vorbereitung des Reichstags von 1543 bereits im Anschluss an den Nürnberger Reichsabschied vom 26. August 1542. Angesichts der Tatsache, dass die nächste Reichsversammlung bereits elf Wochen später eröffnet werden sollte, drängte Ferdinand den Bruder, so wie bei den beiden vorangegangenen Reichstagen von Speyer und Nürnberg 1542, persönlich zu erscheinen oder sich zumindest in Italien aufzuhalten, um von dort der Erledigung der deutschen Angelegenheiten mit seiner Autorität Nachdruck zu verleihen. Sollte das nicht möglich sein, so wären geeignete Persönlichkeiten als kaiserliche Kommissare mit weitreichenden und klaren Vollmachten und Instruktionen auszustatten1. Wie der König seinem Bruder am 27. September 1542 schrieb (Nr. 1), hoffte er auf das Engagement Karls im Reich, da die von den Altgläubigen nicht anerkannte kaiserliche Regensburger Geheimdeklaration für die Protestanten (RTA JR Bd. XI, Nr. 949) und der braunschweigische Feldzug neue, bisher nicht gelöste Probleme auf dem Gebiet von Religion, Friede und Recht geschaffen hatten. Die mit 9. Oktober 1542 datierte Kredenz, die Vollmacht und die Abfertigung für die Kommissare wurden vom Kaiser in zwei Varianten an seinen Bruder übersandt, sowohl für fünf als auch für drei Kommissare (Bischof Christoph von Augsburg, Pfalzgraf Friedrich und Dr. Johann von Naves) (Nr. 44a–c)2. Diese Aktenstücke erhielt König Ferdinand erst am 25. Dezember 1542 in Wien und leitete sie umgehend an die Adressaten weiter (Nr. 16), verzichtete aber auf deren Instruktion, die der Kaiser vorgeschlagen hatte.
Die Kommunikation zwischen Karl und Ferdinand gestaltete sich im Vorfeld des Nürnberger Reichstags von 1543 besonders schwierig, da Stürme im Mittelmeer und der Krieg gegen Frankreich den Posttransport erheblich verzögerten und die beiden Brüder länger als zwei Monate keine Nachrichten voneinander erhielten, was Ferdinand in seinem Schreiben an Karl vom 18. November 1542 beklagte (Nr. 9)3. Granvelle, der sich am 7. Dezember 1542 wegen des Schlechtwetters, das seine Überfahrt nach Italien verzögerte, noch in Spanien aufhielt, äußerte dem Kaiser gegenüber sogar die Befürchtung, dass alle für den Reichstag vorbereiteten Aktenstücke erst nach Ende der Reichsversammlung in Nürnberg ankommen würden (Nr. 44f, Anm. 3). Diese Gegebenheiten verschafften dem König einen großen Handlungsspielraum bei der Vorbereitung des Reichstags4, den er nur teilweise nützte, da er die Ankunft des kaiserlichen Generalorators Granvelle abwarten wollte.
Die von Ferdinand gewünschte persönliche Teilnahme Karls am Reichstag, die Leitung des für Frühjahr 1543 neuerlich geplanten Türkenzugs oder die Entsendung von Reitern und Fußknechten nach Ungarn kamen für den Kaiser wegen des Krieges mit Frankreich nicht in Betracht5. Allerdings erforderten die Vorbereitung des Konzils, die Sammlung kaiserlicher Truppen gegen Frankreich und die schwierige Situation im Reich, dass Karl V. seinen premier ministre Nicolas de Granvelle mit einer Generalvollmacht nach Italien und Deutschland entsandte6, wo dieser nach der Überfahrt von Spanien und nach seiner Reise durch Italien erst am 26. Januar 1543 in Nürnberg ankam. Er sollte den Reichsständen die Intentionen Karls V. klar machen und gemeinsam mit dem König den Reichstag abhalten. Als Nachfolger des Großkanzlers Mercurino di Gattinara hatte er in seiner Funktion als führender Minister Karls V. zwischen 1530 und 1550 großen Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Kaiserhofes, da ihm die Leitung der Geschäfte in den Niederlanden, im Reich, in Frankreich, England und den nordeuropäischen Staaten unterstand. Sein Einfluss auf den Gang der Verhandlungen des Nürnberger Reichstags von 1543 ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. In seiner Rede vor den Reichsständen zu Anfang des Reichstags (Nr. 197) und in zahlreichen Sonderverhandlungen mit vielen alt- und neugläubigen Reichsständen war er mit Verlockungen, Drohungen und taktischem Geschick bestrebt, die kaiserlichen Interessen durchzusetzen, pragmatisch zwischen den Konfessionsparteien zu vermitteln und die partikularen Interessen mächtiger Reichsstände (Kursachsen, Hessen, Bayern, Braunschweig-Wolfenbüttel) im Sinne habsburgischer Machterweiterung zu nützen. Sein umfangreicher Briefwechsel mit dem Kaiser und Königin Maria, (Kap. XII.A) gibt Einblick in sein einflussreiches Wirken als wichtigster Protagonist habsburgischer Reichstagspolitik neben dem König7.
Ferdinand war bestrebt, möglichst viele Fürsten zum Besuch des Reichstags zu motivieren. Ein besonderes Anliegen war ihm das persönliche Erscheinen des Kurfürsten von Sachsen und des Landgrafen von Hessen, nicht nur wegen der Finanzierung des Winterlagers und wegen ihrer Beiträge zur Türkenhilfe, sondern auch um die Haltung der Bundeshauptleute im Konflikt mit dem König von Frankreich und dem Herzog von Jülich zu sondieren. Deshalb instruierte er seinen Rat Dr. Andreas von Könneritz am 8. November 1542 für eine Werbung bei Kursachsen und Hessen (Nr. 6). Auch am Erscheinen Herzog Moritz’ von Sachsen in Nürnberg zeigte der König großes Interesse, wie er dem sächsischen Rat Georg von Carlowitz schrieb (Nr. 8). Aber alle Bemühungen des Königs um persönliche Präsenz der Fürsten, u.a. des Bischofs von Würzburg (Nr. 14), blieben vergeblich. Selbst eine zweite Werbung des Rates Dr. Könneritz bei Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen (Nr. 15) und eine am 20. Januar 1543 datierte nochmalige königliche Aufforderung an verschiedene Reichsfürsten (Nr. 23), darunter auch Landgraf Philipp von Hessen (Nr. 24), den Reichstag zu besuchen, brachten nicht das gewünschte Ergebnis. Die schmalkaldischen Bundeshäupter zögerten offenbar, in einer für sie unsicheren Situation, bedroht vom Achtspruch des Reichskammergerichts und einem Vergeltungsschlag Herzog Heinrichs, ihr Territorium zu verlassen und nach Nürnberg zu reisen.
Im Dezember kam nur ein kleiner Teil der reichsständischen Gesandten in Nürnberg an, allen voran am 1. Dezember 1542 der kaiserliche Vizekanzler und Reichstagskommissar Dr. Johann von Naves8 gemeinsam mit den burgundischen Räten. Sie hatten auf dem Weg nach Nürnberg Kurfürst Ludwig von der Pfalz in Heidelberg aufgesucht, um sich seiner Unterstützung gegen Frankreich und Kleve zu versichern und ihn um persönliches Erscheinen oder eine geeignete Vertretung am Reichstag zu bitten9. Das langsame Ankommen der Reichsstände setzte sich im Januar 1543 fort, wie den verschiedenen Anwesenheitslisten (Nr. 42a–d) und den vor Eröffnung des Reichstags verfassten Berichten aus Nürnberg zu entnehmen ist (Nr. 41, Nr. 316, Nr. 325, Nr. 383). Im Januar 1543 war Valentin von Tetleben, Bischof von Hildesheim, der einzige persönlich anwesende geistliche Reichsfürst vor Ort. Die Anwesenheit des kaiserlichen Kommissars Pfalzgraf Friedrich ist für die zweite Januarhälfte bezeugt10, der dritte Kommissar, Bischof Christoph von Augsburg, musste von König Ferdinand am 3. Februar nochmals aufgefordert werden, endlich in Nürnberg zu erscheinen (Nr. 28).
Von den Schmalkaldenern kamen als erste ab Mitte Dezember 1542 die Gesandten Kursachsens, Hessens und Frankfurts in Nürnberg an, es folgten im Laufe des Monats Januar die oberländischen Städte Straßburg, Schwäbisch Hall, Augsburg, Esslingen, Ulm und Heilbronn, da sie die in Schweinfurt begonnenen Beratungen fortsetzen wollten. Sie nutzten die lange Zeit bis zum Beginn des Reichstags und danach, um sich mit den Problemen, welche die Rekusation des Reichskammergerichts geschaffen hatte, auseinanderzusetzen11.
Auch die Altgläubigen, allen voran der Führer der katholischen Aktionspartei, der bayerische Rat Dr. Leonhard von Eck, waren bis zur Eröffnung des Reichstags nicht untätig. Die führende Rolle Ecks im Lager der Altgläubigen während des Reichstags ist ähnlich hoch einzuschätzen wie jene des Generalorators Nicolas de Granvelle als Proponent habsburgischer Interessen. Obwohl Eck einfacher Rat in Diensten Herzog Wilhelms IV. und nicht Kanzler war und seinen Ratskollegen formal nicht übergeordnet, spielte er ihnen gegenüber gerne seine Überlegenheit aus, indem er sich über ihre Meinung hinwegsetzte und dabei auch die Politik der Herzöge nach seinem Gutdünken in die ihm genehme Richtung lenkte. Er hatte einen beispiellosen Einfluss auf alle Entscheidungen und war in seiner Eigenmächtigkeit als Minister in der bayerischen Politik des 16. Jahrhunderts einzigartig12. In zahlreichen Berichten von Reichstagsgesandten aller politischen Lager und Kurien werden seine Überheblichkeit und die taktischen Winkelzüge seiner Verhandlungsführung am Reichstag geschildert und kritisiert.
Eck plante, am 15. Januar nach Nürnberg aufzubrechen und kam am 21. Januar 1543 an der Malstatt an13. Seine Gefühle in Hinblick auf den kommenden Reichstag waren ambivalent bis skeptisch, besonders was die Person des kaiserlichen Generalorators Granvelle betraf, den er äußerst kritisch beurteilte14. Am 24. Januar 1543 beriet sich Eck mit dem Mainzer Kanzler Dr. Jakob Jonas15 über die Situation im Reich, vor allem über das Vordringen der Reformation im Erzstift Köln und die Lage in Braunschweig, wobei Eck ein militärisches Eingreifen zu Gunsten Herzog Heinrichs ablehnte und die geplante Vermittlerrolle Bayerns ansprach. Das Misstrauen gegenüber Granvelle betonten sowohl der bayerische Rat als auch der Mainzer Kanzler16. Eck pflegte in dieser Vorphase des Reichstags auch Kontakt mit den hessischen Räten, mit denen es in Anschluss an das Gespräch mit Dr. Jonas zu einer ersten Unterredung kam. Die hessischen Gesandten legten ihm die bei der Eroberung Wolfenbüttels erbeuteten Akten aus der Kanzlei Herzog Heinrichs vor, welche die kriegerischen Absichten Herzog Ludwigs von Bayern, seines Rates Weissenfelder und des Kaisers gegen die Schmalkaldener enthüllten. Das konterkarierte die Pläne Ecks, der sich ungeachtet aller religiösen Differenzen um ein Bündnis mit Kursachsen und Hessen bemühte, um fürstliche Machtansprüche gegenüber Habsburg durchzusetzen17.
Die zu Weihnachten 1542 bestehende Unsicherheit über das Ankunftsdatum des Königs (Nr. 41), die mehrmalige Verschiebung seiner Ankunft18, die vom Türkenfeldzug 1542 in Ungarn mit ansteckenden Krankheiten in die oberländischen Städte heimkehrenden Soldaten, über welche die Frankfurter Gesandten in alarmierender Weise berichteten (Nr. 383), und Gerüchte über Rüstungen, von denen man nicht wusste, wem sie zugute kommen sollten19, ließen die meisten Reichsstände mit der Abfertigung ihrer Gesandten zuwarten.
König Ferdinand brach am 2. Januar 1543 von Wien in Richtung Nürnberg auf. Auf der Reise traf er laut einem Bericht der kursächsischen Gesandten20 mit den Herzögen von Bayern und einigen Bischöfen in Schärding zusammen, wahrscheinlich um über Angelegenheiten des Nürnberger Bundes und das Vorgehen auf dem künftigen Reichstag zu beraten und die Herzöge zum Besuch des Reichstags aufzufordern. Es dauerte bis zum 17. Januar 1543, bis er mit seinen beiden Söhnen, den Erzherzögen Maximilian und Ferdinand, feierlich in Nürnberg einzog (Nr. 81, Nr. 84). Die ersten Tage in der Reichstagsstadt verbrachte der König damit, partikulare Verhandlungen mit einzelnen Reichsständen und den Kommissaren zu führen. Die Schmalkaldener wollten mit ihren Klagen über die Verfolgung durch das Reichskammergericht die Eröffnung des Reichstags nicht abwarten und machten bereits am 25. Januar 1543 eine Eingabe bei König Ferdinand und den kaiserlichen Kommissaren wegen Suspension der Prozesse des Reichskammergerichts (Nr. 151). Nachdem sich Ferdinand mit Granvelle, der am 26. Januar 1543 mit seinem Sohn Antoine, Bischof von Arras, in Nürnberg eingetroffen war, über die anstehenden Probleme und die kaiserlichen Direktiven beraten hatte (Nr. 309), ließ er am 31. Januar 1543 den Reichstag mit Verlesung der königlichen Proposition eröffnen.
6.1 Proposition König Ferdinands und Vortrag des Generalorators Nicolas de Granvelle
Die Hoffnungen der Protestanten1, dass der König auf die ihm vorgetragenen Bitten (Nr. 151) in der Proposition eingehen werde, erfüllten sich in keiner Weise. König Ferdinand widmete sich ausschließlich dem Thema der Türkenhilfe und berührte die offenen Fragen zu Religion, Friede und Recht überhaupt nicht. Er ersuchte die Reichsstände, mit der Zahlung der in Speyer 1542 bewilligten beharrlichen Türkenhilfe fortzufahren und, da „das vergangen jar vast die halb hilf zu roß und fueß abgangen, auch die hilf an ir selbst uber das halb jar nit gelaist worden, das demnach sy, die stende, in bedengkhung desselben die continuation der turggenhilf auf diss jar umb so vil mer ansechlicher und statlicher in das werckh richten“ (Nr. 43). Die Kreiseinnehmer, die er für 12. Februar zum Erscheinen in Nürnberg aufgefordert hatte (Nr. 26), sollten ihre Abrechnungen vorlegen und den finanziellen Ausgleich unter den Reichskreisen durchführen. Ferdinand erklärte sich bereit, die Bestallung und Finanzierung des von den Reichsständen bewilligten Winterlagers der Truppen in Ungarn (Nr. 134) einstweilen zu übernehmen und sich mit seinen Erblanden an der Türkenhilfe zu beteiligen. Angesichts des für Frühjahr erwarteten Vorrückens des Sultans nach Ungarn beschloss er die Proposition mit einem Appell an die Hilfsbereitschaft der Reichsstände.
Der völlig anders gelagerte Schwerpunkt kaiserlicher Politik kam in der lateinischen Rede Granvelles vor den Reichsständen am 5. Februar 1543 (Nr. 197) zum Ausdruck. Ähnlich wie der Kaiser in den Briefen an seinen Bruder Ferdinand erklärte und entschuldigte der kaiserliche Minister das fehlende Engagement seines Herrn bei der kontinentalen Türkenabwehr damit, dass Karl V. durch das Parieren der Angriffe des französischen Königs, der mit dem Sultan und dem klevischen Herzog im Bunde stehe, okkupiert sei. Er legte den Reichsständen die Unterstützung des Hauses Habsburg im Krieg gegen Frankreich und Kleve als vordringlich ans Herz, da diese indirekt auch der Türkenabwehr diene. Seine Rede im Namen des Kaisers hatte keine Erfolgsaussichten bei den Reichsfürsten, die sich nicht zu Gunsten habsburgischer Machtvergrößerung gegen ihren Standesgenossen, den Herzog von Jülich, wenden wollten. Die Reichsstädte ihrerseits befürchteten von militärischer Hilfe gegen Frankreich eine Schädigung ihrer Handelsinteressen. Die Protestanten waren an einer Stärkung des Kaisers nicht interessiert, sie wollten im Gegenteil die habsburgische Bedrängnis an allen Fronten für die Durchsetzung ihrer Forderungen zu Friede und Recht nutzen2. Der Machtpolitiker Granvelle war sich dieser schwierigen Situation durchaus bewusst und wollte durch die Reaktion der Reichsstände auf seine Werbung Aufschluss über vorhandene Parteiungen und die im Reich vorherrschende Stimmung erhalten.
6.2 Reichsständische Instruktionen
In den reichsständischen Instruktionen sind neben den partikularen Anliegen der verschiedenen Stände jene Konfliktfelder vorgezeichnet, welche den Verlauf des Reichstags bestimmten und den von habsburgischer und altgläubiger Seite formulierten Zielen zuwiderliefen. Für die Schmalkaldener war die Behandlung der Problematik von Religion, Friede und Recht eine conditio sine qua non für Beratungen über die Türkenhilfe1, während die Altgläubigen, allen voran die Hgg. von Bayern, die Hauptaufgabe der Reichsversammlung in der Organisation einer möglichst effektiven Türkenabwehr und in der Aufrechterhaltung ihrer fürstlichen Prärogativen sahen2. Vorausgesetzt die Erfüllung ihrer Forderungen, waren die Neugläubigen bereit, Türkenhilfe zu leisten und setzten sich in ihren Instruktionen in ähnlicher Weise wie die anderen Reichsstände mit der auf dem Speyerer Reichstag 1542 auf Basis des Gemeinen Pfennigs beschlossenen beharrlichen Türkenhilfe auseinander. Die altgläubigen Stände wiesen auf ihre bisher erbrachten Leistungen für die Türkenhilfe hin, sie äußerten Kritik, brachten Verbesserungsvorschläge ein und stellten Bedingungen für die vom König in der Proposition verlangte Fortsetzung der Hilfe. Unabhängig von der konfessionellen Zugehörigkeit finden sich folgende Forderungen: Vergleich der Reichskreise nach Vorliegen der Abrechnungen über die eingehobenen Anlagen, danach Ringerung der Anschläge auf Basis dieses Vergleichs; Heranziehen der ungehorsamen Stände zur Zahlung der ausstehenden Beiträge; Klagen über die Exemtion von Reichsständen, vor allem durch Österreich; Bezahlung des Kriegsvolks aus dem in den Kreistruhen vorhandenen Geldern des Gemeinen Pfennigs statt Aufbringung einer neuerlichen Türkensteuer auf Grundlage der Matrikel3; Ablehnung des vom König geforderten Zuzugs der von den Türken am meisten bedrohten fünf Reichskreise4.
Landgraf Philipp von Hessen (Nr. 57a) und Herzog Ulrich von Württemberg (Nr. 69b) argumentierten, dass die Auseinandersetzung zwischen dem Haus Habsburg und dessen Feinden im Reich und in Europa Reichsstände wie Burgund, Jülich oder Utrecht hindere, Kriegsvolk gegen die Türken zu senden. Deshalb sei das Zustandekommen eines allgemeinen Friedens die Voraussetzung für eine wirksame Türkenhilfe. Diese Auffassung wurde von einem großen Teil der Reichsstände geteilt, die auf die vorherige Erledigung von Friede und Recht drängten und lediglich bereit waren, für die Befestigung der Grenzen und Pässe gegen die Türken aufzukommen. Nicht zuletzt wurde von Philipp von Hessen5 und Pfalzgraf Ottheinrich6 im Falle eines nochmaligen Beschlusses zur Einhebung des Gemeinen Pfennigs vor Aufständen und Unruhen der Untertanen gewarnt. Vermögende Reichsstädte wie Straßburg sprachen sich eindeutig für eine Veranlagung auf Basis des Gemeinen Pfennigs und gegen die Matrikularanschläge der Reichsstände aus, da sie sich wie die meisten Reichsstädte im Vergleich zu anderen Reichsständen als zu hoch angeschlagen beurteilten. Für das Jahr 1543 waren sie bereit, zu einer einfachen Türkenhilfe beizutragen; bei Beschluss einer Verdoppelung der Hilfe wollten sich die Städteboten auf Befehlsmangel berufen (Nr. 79a).
Für die Reichsstädte waren Session und Stimme im Reichsrat7, der finanzielle Ausgleich unter den Kreisen, die Beseitigung der bestehenden Mängel bei der Einhebung der Anlagen und eine in Relation zu den anderen Ständen gerechte städtische Besteuerung samt Ringerung der Anlagen die zentralen Anliegen.
In den Fragen von Religion, Friede und Recht beriefen sich die altgläubigen Reichsstände auf die Bestimmungen des Speyerer Reichsabschieds von 1542 und waren nicht bereit, darüber hinaus Zugeständnisse zu machen. Die Schmalkaldischen Bundesstände pochten in ihren Instruktionen auf die Gültigkeit der Regensburger Deklaration des Kaisers (RTA JR Bd. XI, Nr. 949) und wiesen die parteiische Rechtsprechung des Reichskammergerichts zurück, das von den Bundeshauptleuten in allen weltlichen und geistlichen Angelegenheiten rekusiert worden war. Die rigide Haltung Kursachsens und Hessens gegenüber dem Reichskammergericht bewirkte unterschiedliche Stellungnahmen der Bundesgenossen in dieser Frage. Die Möglichkeiten reichten vom Drängen auf rasche Durchführung der mehrfach verschobenen Visitation und Reform des Reichskammergerichts bis zur Forderung nach Abberufung des Gerichts und Neubesetzung mit „unparteiischen Richtern“, eine Lösung, die von Kursachsen und Hessen befürwortet wurde. Hessen schlug vor, dass sich die Schmalkaldener „unterdes, da die verordnung eines neuen, unpartheyischen chammergerichts nicht so baldt ervolgte“, bei Konflikten innerhalb der Bundesgenossen vor gemeinsam ausgewählten Vertrauenspersonen rechtlich verantworten sollten, während Rechtsstreitigkeiten mit allen anderen Ständen vor kaiserlichen Kommissaren auszutragen wären (Nr. 57b, Punkt 6). Speziell die Reichsstädte hatten Bedenken wegen der Rekusation in weltlichen Angelegenheiten und wegen der Neubesetzung des Gerichts, da sie durch den Wegfall einer konfliktregelnden Ordnungsinstanz einen für sie bedrohlichen rechtlosen Zustand im Reich befürchteten8.
Die Haltung der Reichsstände zum Konflikt des Hauses Habsburg mit dem König von Frankreich und dem Herzog von Jülich war von der Forderung nach einem allgemeinen beständigen Frieden im Reich gekennzeichnet. Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen schlug in seiner Instruktion (Nr. 47c) die Entsendung einer schmalkaldischen Gesandtschaft zu Karl V. und König Franz I. von Frankreich zur Friedensvermittlung vor. Das änderte aber nichts daran, dass sich der Kurfürst immer wieder mit Vorwürfen von habsburgischer und altgläubiger Seite konfrontiert sah, in diesem Konflikt Partei zu sein und seinen Schwager Herzog Wilhelm von Jülich militärisch zu unterstützen, während Landgraf Philipp von Hessen sich wegen seines mit Karl V. in Regensburg am 13. Juni 1541 abgeschlossenen Vertrags (RTA JR Bd. XI, Nr. 400) an den Kaiser gebunden fühlte und eine neutrale Haltung an den Tag legte (Nr. 57a, Punkt 8). Eine aktive Unterstützung des Hauses Habsburg in der militärischen Auseinandersetzung mit Frankreich und Jülich wird in den meisten reichsständischen Instruktionen nicht in Betracht gezogen; das Thema wird nur insofern berührt, als diese Kriege als Hinderungsgrund für die Leistung der Türkenhilfe durch die Reichsstände betrachtet werden. Herzog Moritz von Sachsen wollte die Lösung der Konflikte in Braunschweig-Wolfenbüttel, Jülich und Dänemark nicht mit der Bewilligung der Türkenhilfe junktimiert sehen. In seinen Augen sollten sich die Evangelischen mit einem Religionsfrieden oder mit dem Speyerer Friedstand von 1542 begnügen und sich bei Beschlüssen zur Türkenhilfe der Mehrheit anschließen (Nr. 65b, Punkt 2).
Was die Reaktion auf das von Granvelle vorgebrachte kaiserliche Hilfeersuchen betrifft, empfahl lediglich Markgraf Ernst von Baden in seiner erst Mitte März 1543 ausgestellten Instruktion (Nr. 53b) seinem Gesandten explizit, einem Beschluss des ungeteilten Reichsrates zur Unterstützung des Kaisers gegen Frankreich mit einer einfachen Reichshilfe zuzustimmen, falls nicht ein türkischer Einfall drohe. Der Rat von Augsburg instruierte seine Gesandten, sich in der habsburgischen Auseinandersetzung mit dem Herzog von Jülich „gut kayserisch“ zu verhalten (Nr. 71a, Punkt 3). Andere Reichsstände waren nicht bereit, in machtpolitischen Konflikten des Hauses Habsburg oder anderer Reichsfürsten Stellung zu beziehen bzw. einzugreifen. So lehnte Erzbischof Ernst von Salzburg eine Positionierung seiner Gesandten in den Auseinandersetzungen rund um den Braunschweiger und den Jülicher Herzog ab und wollte diese Fälle an den Kaiser oder das Reichskammergericht delegiert sehen9. Bischof Konrad von Würzburg instruierte seine Räte, im Falle eines kaiserlichen Ersuchens um Reichshilfe gegen Frankreich und Jülich diese Hilfe abzulehnen, da es sich um eine das Reich nicht betreffende Angelegenheit handle, in welcher die Reichsstände niemals gefragt noch einbezogen worden seien (Nr. 52b).
Die Verwaltung des von Kursachsen und Hessen okkupierten Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel, die Aufteilung der Kosten für den braunschweigischen Feldzug sowie zukünftige Lösungen für das Herzogtum finden naturgemäß in den Instruktionen der Schmalkaldischen Bundeshauptleute breiten Raum. In allen Fällen geht es darum, dass die Schmalkaldener nicht bereit waren, Herzog Heinrich nach der Vertreibung im Zuge des braunschweigischen Feldzugs wieder in seinem Herzogtum zu restituieren, während sie sich eine Übergabe des Landes an die Kinder des Herzogs unter bestimmten Bedingungen vorstellen konnten10. Die bayerischen Gesandten, die sich als Vermittler in dieser Frage anboten, favorisierten jedoch – entgegen anderen Erwartungen der Schmalkaldener – die Rückkehr Herzog Heinrichs11.
Bei der kompromisslosen Haltung beider Konfessionsparteien in den Fragen von Friede und Recht war bereits vor Reichstagsbeginn abzusehen, dass es kaum zu gemeinsamen Beratungen der Reichsstände in den gemischt-konfessionellen Kurien und im Reichsrat kommen würde. Einzelne Reichsstände, die als konfessionsneutral oder nicht eindeutig der Reformation anhängig zu betrachten sind, instruierten ihre Gesandten, nur an Verhandlungen im „unzertrennten Rat“ aller Reichsstände teilzunehmen; von den nach Konfessionen getrennten Beratungen sollten sie sich fernhalten, keine Beschlüsse fassen, sich der Parteinahme enthalten und auf weitere Weisungen ihrer Herren warten12.
Von den Zielsetzungen der kursächsisch-hessischen Reichstagspolitik (Religion, Friede und Recht)1, die sich in der Supplikation der Augsburger Konfessionsverwandten vom 2. Februar 1543 (Nr. 152) ausdrückten, wurden Fragen der Religion2 (Nr. 152, Art. 14 und 15) vom König auf das Trienter Generalkonzil verwiesen (Nr. 153, Art. 2). Das Thema „Religion“ kam während des Reichstags nur mehr in Verbindung mit der Kritik der Evangelischen am Konzilsbegriff der Altgläubigen zur Sprache. Hingegen beschäftigte der Themenkomplex „Friede und Recht“ die Konfessionsparteien und den zwischen ihnen vermittelnden König und die habsburgischen Räte vom Anfang bis zum Ende der Reichsversammlung und führte schließlich auch zu deren Scheitern.
Die Verhandlungen fanden auf drei verschiedenen Ebenen statt3:
1. Schriftwechsel und mündlicher Austausch König Ferdinands und der kaiserlichen Kommissare mit Vertretern der Schmalkaldener bzw. der evangelischen Reichsstände.
2. Sonderverhandlungen von habsburgischer Seite (König Ferdinand, Nicolas de Granvelle, Dr. Johann von Naves, Pfalzgraf Friedrich) mit Gesandten der führenden schmalkaldischen Fürsten (Kursachsen, Hessen, Württemberg)4 oder der Reichsstädte (Nürnberg, Augsburg etc.)5.
3. Verhandlungen im Reichsrat zwischen den Konfessionsparteien6.
Ad 1: Bereits vor Eröffnung des Reichstags, nämlich am 25. Januar 1543, verlangten die Schmalkaldener in einer an König Ferdinand und die kaiserlichen Kommissare gerichteten Eingabe (Nr. 151) die Einstellung der Prozesse am Reichskammergericht. Ihre Forderung nach unparteiischer Rechtsprechung sowie Visitation und Reform des Gerichts auf Basis der Regensburger Deklaration (RTA JR Bd. XI, Nr. 949) wurde in ihrer von der Gesamtheit der Augsburger Konfessionsverwandten befürworteten ersten Supplikation (Nr. 152) mit Verweis auf die Zusicherungen vorangegangener Reichstage näher ausgeführt und mit dem Verlangen nach einem beständigen Frieden verknüpft. Als Druckmittel zur Durchsetzung ihrer Ziele diente den Protestanten die Junktimierung ihrer Forderungen mit der Türkenhilfe, welche vor einer befriedigenden Erledigung der Probleme von Friede und Recht nicht in Angriff genommen werden sollte. In seiner am 16. Februar 1543 erfolgten schriftlichen Antwort (Nr. 155) orientierte sich der König im Wesentlichen an der in der Zwischenzeit eingeholten Stellungnahme der Altgläubigen (Nr. 154), die keinerlei Entgegenkommen gegenüber den Andersgläubigen an den Tag legten. In Hinblick auf den Frieden wollte er nicht über die Friedstandsregelungen der vergangenen Reichstage hinausgehen; der braunschweigische Feldzug wurde den Schmalkaldenern als Landfriedensbruch zur Last gelegt, die Reform oder Neubesetzung des Gerichts im protestantischen Sinn abgelehnt; sein Entgegenkommen bestand lediglich in einer Bestätigung der in Speyer zugesagten Suspension der Kammergerichtsprozesse (RTA JR Bd. XII, Nr. 285, § 130).
Die mangelnde Kompromissbereitschaft von königlich/kaiserlicher und altkirchlicher Seite förderte den Zusammenhalt im Lager der Augsburger Konfessionsverwandten, zu denen die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes7 als führende Teilgruppe zählten, welche die politische Taktik am Reichstag vorgab und für den Zusammenhalt der Konfessionspartei sorgte. Auf Grund unterschiedlicher Partikularinteressen war es für einige protestantische Reichsstände (z.B. Herzog Moritz von Sachsen, die Markgrafen von Brandenburg, die Reichsstädte Nürnberg, Regensburg und Augsburg) mitunter nicht leicht bzw. unmöglich, sich auf eine gemeinsame Linie zu verständigen8. Umso wichtiger waren die Appelle der Bundesobersten, „für einen Mann zu stehen“ und sich ohne Zugeständnisse in den Fragen von Friede und Recht nicht für die Leistung der Türkenhilfe vergattern zu lassen9. Als die Protestanten in ihrer Antwort vom 26. Februar 1543 (Nr. 157) die Argumente der Supplikation gegenüber König Ferdinand in etwas veränderter Form wiederholten, fügten sie die Bitte hinzu, einen von beiden Konfessionsparteien gleichermaßen beschickten Ausschuss zur Beratung der strittigen Fragen einzusetzen10. Das Ersuchen nach einem Ausschuss wurde ihnen in der königlichen Antwort vom 3. März (Nr. 158, Art. 3) als zu zeitraubend abgeschlagen; mit der Verlängerung des Friedens verwies Ferdinand auf das baldige Kommen des Kaisers ins Reich; die Absetzung des Kammerrichters und der Beisitzer lehnte der König kategorisch ab; die Regensburger Deklaration des Kaisers erwähnte er mit keinem Wort. Da den Protestanten damit nicht gedient war, verhärteten sich die Fronten zusehends11. Dazu kam eine immer näher rückende Bedrohung durch die Türken, wie die Kundschafterberichte (Nr. 135) den Reichsständen deutlich vor Augen führten. Unter diesen Umständen kündigte der König an, mit den im Reichsrat erscheinenden Ständen die Verhandlungen über die Türkenhilfe beginnen zu wollen (Nr. 158, Art. 8). Es folgte ein weiterer ergebnisloser Schriftwechsel in Form von Triplik und Quadruplik (Nr. 159–160), wobei Ferdinand anbot, die Bestimmungen zu Friede und Recht nicht nur auf Basis der bisherigen Reichsabschiede, sondern auch gemäß der kaiserlichen Deklaration von 1541 (RTA JR Bd. XI, Nr. 949) zu deuten. Das königliche Angebot rief die von den Bundeshauptleuten gefürchtete Spaltung unter den Schmalkaldenern nicht hervor, wie sich aus dem hessischen Votenprotokoll vom 9. März 1543 (Nr. 161) ergibt. Nicht nur die Schmalkaldischen Bündner, sondern auch die meisten anderen Reichsstände der Augsburger Konfession blieben bei ihrer Ablehnung der königlichen Vorschläge (Nr. 162, Anm. 1). Nur die Gesandten Herzog Moritz’ von Sachsen, des Markgrafen Georg von Brandenburg, des Markgrafen Hans von Brandenburg-Küstrin und der Städte Nürnberg und Regensburg stimmten der Forderung nach völliger Neubesetzung des Kammergerichts nicht zu und wollten sich mit der Visitation auf Grund der Deklaration begnügen12.
Der König gab den Protestanten darauf am 10. März in einer mündlichen Antwort zu verstehen, dass er keine weiteren Zugeständnisse machen könne; er lehnte die Absetzung des Kammergerichtspersonals ohne vorherige Anhörung ab (Nr. 163, Art. 3), verwies abermals auf die baldige Ankunft des Kaisers im Reich und forderte die Evangelischen auf, gemeinsam mit den anderen Ständen die Beratungen über die Türkenhilfe zu beginnen (Nr. 163, Art. 4). In ihrer kurzen Erwiderung beharrten die Augsburger Konfessionsverwandten auf ihren mehrmals vorgebrachten Forderungen, ohne deren Erfüllung sie – den Befehlen ihrer Auftraggeber entsprechend – zu keinen Verhandlungen über die Türkenhilfe befugt wären. Die daraus entstehende Blockade der Verhandlungen beendete zunächst die Verständigungsversuche zwischen den Konfessionsparteien, die auf anderer Ebene weitergeführt wurden (siehe unten ad 2 und ad 3).
Erst am 2. April nahm der König die direkte Kommunikation mit den Neugläubigen wieder auf, nachdem die Sonderverhandlungen der kaiserlichen Räte und die gemeinsamen Beratungen der Konfessionsparteien im Reichsrat gescheitert waren und die Altgläubigen alleine über die Türkenhilfe verhandelten. Sie hatten Ende März in ihrem ersten Gutachten zur Türkenhilfe (Nr. 92) den König ersucht, nochmals die Vermittlerrolle zu übernehmen und die Evangelischen zur Teilnahme an den Beratungen zu überreden. Da Ferdinand den Protestanten außer der raschen Festsetzung eines Visitationstermins und der Schlichtung eventueller Streitigkeiten durch den Kaiser nichts substanziell Neues anzubieten hatte (Nr. 170), forderten diese die explizite Erwähnung der Regensburger Deklaration (RTA JR Bd. XI, Nr. 949) im Reichsabschied, um auf dieser Basis zu einer Übereinkunft über Friede und Recht zu kommen. Die Regelung der braunschweigischen Angelegenheit sollte erst nach der Ankunft des Kaisers stattfinden und die Kammergerichtsprozesse sollten bis zum Ende der Visitation suspendiert werden (Nr. 171). Jener Teil der Schmalkaldener, die unbeirrbar an der Neubesetzung des Kammergerichts festhielten, veranlasste nach Übergabe des Aktenstücks offenbar die Nachreichung eines „Zettels“, auf welchem die Absetzung der von ihnen nicht akzeptierten Kammergerichtspersonen verlangt wurde13. All diese Forderungen wurden von den Altkirchlichen in ihrer Stellungnahme (Nr. 172) dezidiert abgelehnt: Sie gestanden lediglich eine Suspension der Kammergerichtsprozesse für vier Monate zu. Auf eine vom König angebotene Nebenversicherung zum Reichsabschied (Nr. 173) wollten sich die Augsburger Konfessionsverwandten erst recht nicht einlassen, da die Erfahrungen in Regensburg 1541 und in Speyer 1542 gezeigt hatten, dass eine solche Deklaration ohne Anerkennung durch alle Reichsstände wertlos war (Nr. 174).
Trotz der verfahrenen Situation gab der König seine Vermittlungsversuche nicht auf. Da die Protestanten auf der Aufnahme der kaiserlichen Deklaration von 1541 in den Reichsabschied bestanden, ließ Ferdinand den altgläubigen Ständen durch Naves am 14. April 1543 ein Gutachten für die Formulierung der Artikel zu Friede und Recht im Reichsabschied übergeben (Nr. 175), in welchem das Bemühen spürbar wird, die Protestanten nicht völlig vor den Kopf zu stoßen. In dem Entwurf wird die Deklaration zwar nicht erwähnt, sie konnte aber – so die Befürchtungen der Altgläubigen – unter dem unscharfen Begriff „reichsabschied und handlungen“ von den Protestanten darunter verstanden werden. Nach Beratungen der Altgläubigen über den königlichen Entwurf und ihrer anschließenden kritischen Stellungnahme (Nr. 176–177) kam es zu einigen Ergänzungen und Korrekturen der umstrittenen Artikel durch den König und Naves (Nr. 178), was am 18. April schließlich zur Einigung der Altgläubigen mit König Ferdinand über die Artikel zu Friede und Recht führte (Nr. 179). Diese Artikel übergab der König gemeinsam mit den Beschlüssen über die Türkenhilfe (Nr. 94) den Protestanten und forderte sie auf, sich angesichts der Notlage des Reichs an der Türkenhilfe zu beteiligen (Nr. 180). Dabei wies er darauf hin, dass durch seine Vermittlungsbemühungen die Altgläubigen einer Regelung von Friede und Recht zugestimmt hätten, die „aller erbarkeyt und pilligkeyt nit ungemeß“ sei; außerdem bot er abermals eine königliche Nebenversicherung zum Reichsabschied an. Doch allen Überredungskünsten Ferdinands zum Trotz fiel das Gutachten des Ausschusses der Augsburger Konfessionsverwandten zu den vom König übergebenen Artikel (Nr. 94, Nr. 179) vernichtend aus. Die evangelischen Reichsstände folgten dem Ausschussgutachten (Nr. 181) und lehnten sowohl die Türkenhilfe als auch die Bestimmungen zu Friede und Recht ab (Nr. 182–183).
Am 22. April machte Ferdinand einen letzten Versuch, mit den Protestanten zu einer Einigung zu gelangen. Er schilderte ihnen nochmals seine Bemühungen, die Differenzen zwischen den Parteien beizulegen, die sich vor allem um die Anerkennung der kaiserlichen Deklaration von Regensburg drehten, und forderte sie auf, die Beschlüsse der anderen Reichsstände mitzutragen (Nr. 184). Doch an ein Einlenken war nicht mehr zu denken. Die Augsburger Konfessionsverwandten lehnten den königlichen Vorschlag noch am selben Tag ab, worauf Ferdinand das Scheitern seiner Bemühungen eingestehen, „mit gedult annemen und di sachen diser zeit bei dem jetzigen ersuchen beruhen“ ließ. Ein gemeinsamer Beschluss aller Reichsstände zur Türkenhilfe war nicht zu erreichen, und dem König blieb nur die Hoffnung auf die christliche Hilfsbereitschaft der protestantischen Reichsfürsten in Form eine partikularen Hilfszusage in der Not (Nr. 185).
Ad 2: Den Reigen der Sonderverhandlungen mit den Evangelischen eröffnete der kaiserliche Generalbevollmächtigte Nicolas de Granvelle bereits am 3. Februar 1543. Während der Monate Februar/März fanden mehrere Unterredungen der hessischen Räte mit Granvelle bzw. dem kaiserlichen Sekretär und Begleiter Granvelles in Nürnberg, Gerhard Veltwyk, statt, die um eventuelle Angriffspläne Herzog Heinrichs von Braunschweig und die in Wolfenbüttel gefundene Aktenbeute, ferner um den Konflikt zwischen Königin Maria und Herzog Wilhelm von Jülich und nicht zuletzt auch um die Problematik von Friede und Recht kreisten. Dabei machte Granvelle keinerlei Zugeständnisse, vor allem was die öffentliche Anerkennung der kaiserlichen Deklaration betraf, sondern verschob die Lösung aller Probleme auf das Kommen des Kaisers ins Reich14. In der Unterredung vom 2. März wurden die Einschüchterungsversuche des kaiserlichen Ministers massiver. Er beschuldigte die hessischen Räte, den anderen Schmalkaldenern mit schlechtem Beispiel voranzugehen und es an Kompromissbereitschaft und gutem Willen fehlen zu lassen, denn ihr Herr, Landgraf Philipp von Hessen, hätte die Bündner in der Hand, wenn er nur wolle (Nr. 342).
Parallel zu den Gesprächen Granvelles mit den hessischen Räten liefen die Bemühungen des Königs, die Reichsstädte vom kompromisslosen Festhalten am schmalkaldischen Forderungskatalog abzubringen. Er berief am 3. März die Losunger der Stadt Nürnberg15 zu sich, um sie zum Einlenken zu bewegen, und ersuchte sie, auch die Gesandten von Straßburg, Augsburg und Ulm entsprechend zu informieren. Manche Städtegesandte waren durch die königlichen Vorhaltungen verunsichert, da sie ohnedies nicht überzeugt waren, dass alle Forderungen der Schmalkaldischen Bundeshauptleute (z.B. nach Auflösung und Neubesetzung des Reichskammergerichts) dem Interesse der Städte entsprächen16.
Nach einem weiteren Monat erfolgloser Verhandlungen äußerte der König in einer Unterredung mit dem Vertreter Augsburgs, Dr. Claudius Pius Peutinger, am 2. April deutlich seine Missbilligung über die Haltung der Städte, aber Peutinger blieb trotz der Vorwürfe des Königs bei der von den Schmalkaldenern vorgegebenen Taktik der Verweigerung der Türkenhilfe (Nr. 396), wobei er Rückendeckung vom Rat der Stadt Augsburg erhielt (Nr. 397)17.
Eine neue Reihe von Sonderverhandlungen wurde von kaiserlich/königlicher Seite nach dem Scheitern der Beratungen zwischen dem König und den Protestanten vom 10. bis zum 12. März aufgenommen. Diesmal wurden nicht nur die hessischen (Nr. 189), sondern auch die kursächsischen (Nr. 188) und die württembergischen Gesandten (Nr. 360) in langen Gesprächen von Ferdinand und von Granvelle zu beeinflussen gesucht, um sie von der Forderung nach Neubesetzung des Reichskammergerichts und nach Erwähnung der kaiserlichen Deklaration im Reichsabschied abzubringen18. Das Hauptziel dieser neuerlichen Initiative war es, die Verhandlungen über die Türkenhilfe in Gang zu bringen.
Die Reichsratssitzung am 12. März zeigte jedoch, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Der Aufforderung der drei kaiserlichen Kommissare, die Trennung der Stände zu beenden und gemeinsam im Reichsrat über den Vollzug der Hilfe zu beraten, wurde von den Schmalkaldenern nicht Folge geleistet, während die Katholiken ihre Verhandlungsbereitschaft erklärten (Nr. 188, Nr. 190–191). Naves gab den hessischen Räten nach der Reichsratssitzung zu verstehen, dass sie nicht auf der Bildung eines gemeinsamen Ausschusses der Stände zu Friede und Recht bestehen sollten, da der König ihnen ohnehin schon zugesagt habe, die Visitation des Kammergerichts auf Basis der kaiserlichen Deklaration durchführen zu lassen19.
Die weiterhin fortbestehende Blockade der Verhandlungen über die Türkenhilfe wollte Ferdinand durchbrechen, indem er die altgläubigen Reichsstände am 15. März ersuchte, seine gesamten bisher mit den Protestanten geführten Verhandlungen, unter denen sich auch sein Vorschlag vom 9. März zur Visitation auf Basis der kaiserlichen Deklaration befand (Nr. 160, Art. 3), urkundlich zu billigen. Damit wollte er das Misstrauen der Evangelischen gegenüber den Altgläubigen zerstreuen, die zu Recht verdächtigt wurden, die Zusicherungen des Königs nicht zu akzeptieren. Außerdem schlug Ferdinand den Altkirchlichen vor, gemeinsam mit ihm und den kaiserlichen Kommissaren ein Schreiben an das Reichskammergericht zu adressieren wegen der Suspension der Prozesse in allen weltlichen und Religionsangelegenheiten. Die katholische Aktionspartei war aber nicht gewillt, die königlichen Vorschläge zu akzeptieren und weigerte sich, die königlichen Verhandlungsergebnisse betr. die Gültigkeit der kaiserlichen Deklaration von 1541 anzuerkennen20.
Das kurze Intermezzo von gemeinsamen Verhandlungen der Alt- und Neugläubigen im Reichsrat zwischen 20. und 29. März 1543 (siehe unten ad 3) wurde von weiteren Sonderverhandlungen der hessischen Räte mit Granvelle (Nr. 346–347) und Naves (Nr. 349) begleitet. Um die Schmalkaldener für die Leistung der Türkenhilfe zu gewinnen, verstieg sich der Generalorator sogar zu der Aussage, dass der König gemeinsam mit ihm und den kaiserlichen Kommissaren bereit wäre, die Absetzung der den Protestanten missliebigen Beisitzer des Reichskammergerichts, eine Regelung des Landfriedens und die Reform des Gerichts auf Basis der kaiserlichen Deklaration von 1541 zuzusichern, allerdings unter der Bedingung der einstweiligen Geheimhaltung, um Schwierigkeiten mit den Altgläubigen zu vermeiden (Nr. 346, Anm. 1). Dass es sich bei diesem Versprechen lediglich um einen taktischen Schachzug des gewandten Politikers Granvelle handelte, sahen die hessischen Räte spätestens, als sie Granvelle um eine schriftliche Beurkundung der geheimen Deklaration baten und dieser unwirsch ablehnte und lediglich eine mündliche eidesstattliche Zusicherung einräumte (Nr. 347). Mit einer solchen mündlichen Versicherung wollte sich der Landgraf, der sich des Widerstands der katholischen Aktionspartei, vor allem Dr. Ecks, durchaus bewusst war21, nicht zufrieden geben. In einer Weisung an seine Räte vom 30. März (Nr. 350) ließ er sie wissen, dass die Deklaration nicht nur von königlich/kaiserlicher Seite, sondern auf jeden Fall auch von den Kurfürsten Köln, Pfalz und Brandenburg, wenn möglich auch von Trier, sowie von den Reichsfürsten Herzog Moritz von Sachsen, Pfalzgraf Friedrich und von einigen geistlichen Fürsten (Münster und Augsburg) bestätigt werden sollte.
In den Verhandlungen zwischen dem hessischen Rat Dr. Johann Fischer, gen. Walter, und dem kaiserlichen Vizekanzler am 29. März 154322 äußerte sich Naves ausgesprochen optimistisch in Hinblick auf die Erfolgschancen der protestantischen Forderungen: Pfalz und Köln würden der Aufnahme der kaiserlichen Deklaration von 1541 in den Reichsabschied zustimmen, von den anderen Reichsständen, selbst von Mainz, sei keine Anfechtung zu erwarten, vor allem der Kaiser stehe auf Seiten der Protestanten und habe sich durch die Regensburger Deklaration viele Feinde im altgläubigen Lager zugezogen. Die von Naves tendenziös geschilderte Situation veranlasste Dr. Fischer – vorausgesetzt eine befriedigende Lösung von Friede und Recht –, eine einfache Türkenhilfe des Landgrafen in Form einer Geldsumme in Aussicht zu stellen; außerdem würde Philipp die anderen Bündner zur Hilfeleistung motivieren (Nr. 349). Die im April stattfindenden Verhandlungen zwischen dem König und den Protestanten (siehe oben ad 1) verliefen dann aber ganz anders als von den kompromissbereiten Vertretern aller Parteien erhofft.
Ad 3: Da weder der Schriftwechsel zwischen König und Protestanten noch die Sonderverhandlungen mit einzelnen Reichsfürsten und Reichsstädten über Friede und Recht bis Mitte März 1543 zu einem positiven Ergebnis geführt hatten, waren die Chancen auf gemeinsame Beratungen aller Reichsstände über die Türkenhilfe im Reichsrat äußerst gering. Erst das während des ganzen Reichstags präsente Thema des jülichschen Kriegs brachte Bewegung in die festgefahrenen Fronten. Die Räte Herzog Wilhelms von Jülich ersuchten sowohl die gesamte Reichsversammlung als auch die Schmalkaldener im Besonderen am 17. bzw. 18. März um Beistand und Vermittlung in diesem Konflikt (Nr. 208). Nach kontroversen Beratungen23 entschied der Ausschuss der Augsburger Konfessionsverwandten am 19. März, dass ohne Beilegung des Jülicher Konflikts, zu der sie beitragen wollten, keine Türkenhilfe möglich sei. Die Evangelischen sollten daher an der vom Reichserbmarschall für 20. März 1543 einberufenen Sitzung des Reichsrates24 in ihrer jeweiligen Kurie teilnehmen, ihre altbekannte Position zur Priorität von Friede und Recht vertreten und gleichzeitig die Bereitschaft kundtun, sich in der Jülicher Angelegenheit zu engagieren (Nr. 209). Die protestantischen Reichsstände setzten diesen Beschluss des Ausschusses am 20. März in die Tat um und erschienen – überraschend für alle anderen – im Reichsrat, wo die Altgläubigen über die Türkenhilfe zu verhandeln beginnen wollten25. Wegen der protestantischen Präsenz ergaben die Umfragen in allen drei Kurien (Kurfürsten-, Fürsten- und Städterat) durch das Votum mehrerer „gutherziger Stände“26 einen Mehrheitsbeschluss27 im Sinne der Evangelischen, d.h. für die Priorität der Behandlung von Friede und Recht vor der Türkenhilfe. Die Jülicher Frage sollte als Bestandteil der Friedensfrage vor der Türkenhilfe erörtert werden, wobei die Protestanten gemeinsam mit den anderen Reichsständen beim König und den kaiserlichen Räten am 22. März um Vermittlung in diesem Konflikt ansuchen wollten (Nr. 212)28. König Ferdinand unterstrich erneut die Dringlichkeit einer gemeinsamen Hilfe aller Reichsstände gegen die Türken, da bei Verlust Ungarns an die Türken Österreich, Bayern und Schwaben höchst gefährdet seien29. Trotz dieser Appelle blieb es beim Mehrheitsbeschluss aller Kurien, den jülich-klevischen Konflikt prioritär vor der Türkenhilfe zu behandeln, die während andauernder Kriegshandlungen ohnedies nicht geleistet werden könne. Neben der klevischen Vermittlung sollte auch über Friede und Recht im Allgemeinen beraten werden30.
Diese Entwicklung konterkarierte die Absichten der katholischen Aktionspartei, die nun alles daransetzte, den gegen ihren Willen durchgesetzten Mehrheitsbeschluss zu durchkreuzen. Bischof Valentin von Tetleben berichtete von einer Versammlung der altgläubigen Vertreter der Kurfürsten und Fürsten am 23. März, in welcher über den am Vortag gefassten Mehrheitsbeschluss der Kurfürsten beraten wurde. Der Vertreter Österreichs im Fürstenrat, Hans Gaudenz von Madruzzo, erklärte, dass im Fürstenrat der Beschluss zur sofortigen Fortsetzung der Türkenhilfeverhandlungen gefallen sei31, was nicht der Wahrheit entsprach und einem simplen Ignorieren der Mehrheitsinteressen zur Durchsetzung der eigenen Ziele gleichkam32.
Der Kampf mit unlauteren Mitteln wurde von Dr. Eck am 24. März fortgesetzt, indem er die altgläubigen Stände des Fürstenrates ohne Wissen der Protestanten einberief. In gesonderten Beratungen der Altgläubigen kam es zu einem Beschluss in der Frage der Türkenhilfe, demgemäß dem König nach einem Vergleich der Anschläge für dieses Jahr die geforderte Hilfe bewilligt werden sollte33. In den Fragen von Friede und Recht blieb die Haltung der Altgläubigen intransigent wie seit Anfang des Reichstags; von einer vorherigen Erledigung der von den Protestanten geforderten Punkte und einer Befolgung der Mehrheitsbeschlüsse im Kurfürsten- und Fürstenrat war keine Rede. Das Vorgehen Ecks kam einer Überrumpelung gleich, die in der für den 26. März einberufenen Reichsratssitzung jedoch geschickt verschleiert wurde, damit die Schuld für die gescheiterten Verhandlungen nicht den Altgläubigen angelastet werden konnte. In einem mündlichen Vortrag im Namen der altgläubigen Reichsstände (Nr. 166) anerkannte der Mainzer Erzkanzler formal den Mehrheitsbeschluss von Kurfürsten- und Fürstenrat für die Priorität von Friede und Recht und übermittelte den Schmalkaldenern infolgedessen all jene altgläubigen Vorschläge zu Friede und Recht, die für sie bekanntlich unannehmbar waren34. Da mit einer Akzeptanz der Vorschläge durch die Evangelischen von altgläubiger Seite offenbar gar nicht gerechnet wurde, beendete Dr. Jakob Jonas seinen Vortrag mit der Ankündigung, dass die Reichsstände in einem solchen Fall die Beratungen über die Hilfe ohne die Protestanten fortsetzen würden.
Da auch die Konfessionsverwandten die Schuld des Scheiterns der gemeinsamen Beratungen nicht auf sich sitzen lassen wollten, berieten sie im Ausschuss über eine Reaktion auf die Rede des Mainzer Kanzlers (Nr. 167)35. Das Karussell altbekannter Argumente mit der kaiserlichen Deklaration von 1541 als größtem Stolperstein begann sich wieder zu drehen. Die Sitzung des Reichsrates vom 29. März stellte mit den Wechselreden zwischen den Evangelischen und dem Mainzer Kanzler (Nr. 168–169) die letzten gemeinsamen Verhandlungen der Konfessionsparteien dar und endete mit der Ankündigung der Altgläubigen, die Beratungen über die Türkenhilfe am nächsten Tag alleine fortzusetzen, was von der Gegenpartei zur Kenntnis genommen wurde.
Somit wurde auf keiner der drei geschilderten Kommunikationsebenen ein erfolgreicher Kompromiss erzielt, weder in den Verhandlungen König Ferdinands und der kaiserlichen Kommissare mit den Protestanten noch in den Sonderverhandlungen der habsburgischen Protagonisten mit einzelnen Reichsständen noch in den gemeinsamen Beratungen der Konfessionsparteien im Reichsrat. Die Verbindlichkeit von Mehrheitsentscheidungen wurde nicht nur von den Protestanten unter dem Aspekt der freien religiösen Gewissensentscheidung in Frage gestellt (seit 1529), sie wurde im Fall des Reichstags von 1543 auch von den Altgläubigen aus pragmatischen, machtpolitischen Gründen nicht anerkannt. Außerdem verringerte die wachsende Polarisierung zwischen Alt- und Neugläubigen die Erfolgsaussichten der Vermittlungstätigkeit des Königs und der kaiserlichen Räte und beeinträchtigte die Funktionsfähigkeit der Reichsordnung36.
7.2 Verhandlungen der altgläubigen Reichsstände mit König Ferdinand über die Türkenhilfe
Im Vergleich zu den Fragen von Friede und Recht, um deren Lösung zwischen den Konfessionsparteien und den Habsburgern während des ganzen Reichstags gerungen wurde, nahmen die eigentlichen Verhandlungen zur Türkenhilfe (Kap. IV.A) nur wenig Zeit in Anspruch. Sie wurden im Kurfürsten- und im Fürstenrat von den altgläubigen Ständen geführt, manchmal auch in Anwesenheit der Konfessionsneutralen und einzelner protestantischer Stände, die den Beratungen folgten, aber nicht an der Beschlussfassung beteiligt waren. Obwohl der König in der Proposition vom 31. Januar 1543 (Nr. 43) die Reichsstände ersucht hatte, für die Realisierung der 1542 beschlossenen beharrlichen Türkenhilfe „erschießliche mittel und weg“ zu bewilligen, verzögerte sich durch die kontroversiell diskutierte Friedens- und Rechtsproblematik der Beginn der Beratungen über die Türkenhilfe um sieben Wochen. Erst in der vom König einberufenen Reichsratssitzung vom 22. März wurde die Türkenhilfe von den Altgläubigen langsam in Angriff genommen, ohne Teilnahme der Protestanten1. Erste schriftliche Vorschläge zum Thema Türkenhilfe wurden Ende März 1543 fertiggestellt und am 30. März vor den altgläubigen Reichsstädten verlesen, die an diesem Beschluss nicht mitgewirkt hatten (Nr. 92, Nr. 102–103). Es stellte sich heraus, dass die Reichsstände nicht bereit waren, dem König als Kompensation für die zum Teil noch immer ausstehenden Zahlungen der Türkenhilfe von 1542 beträchtliche Mittel zur Abwehr der Türken zur Verfügung zu stellen. Sie wollten lediglich eine Defensivhilfe bewilligen unter der Bedingung eines vorherigen finanziellen Ausgleichs unter den Reichskreisen und der Ringerung der Anschläge. König Ferdinand und die kaiserlichen Kommissare lieferten ein Verzeichnis der zu befestigenden Orte entlang der Donau und an der Militärgrenze (Nr. 93). Im Zuge längerer Beratungen durch einen altgläubig besetzten Ausschuss zur Türkenhilfe unter der Führung Dr. Ecks entstanden in den beiden ersten Aprilwochen zwei Fassungen eines Gutachtens (Nr. 94), welches in seiner sukzessive erarbeiteten Form größtenteils mit den entsprechenden Paragraphen des Reichsabschieds identisch ist. Die Reichsstände beschränkten sich demnach auf eine Geldhilfe in der Größe der Romzugshilfe für sechs Monate, die König Ferdinand für defensive Aufgaben (Besatzung zum Schutz der Grenzen und Pässe, Sicherung der Befestigungen) zugesagt wurde2. An der Aufbringung der Hilfe wurden die Kreise – im Gegensatz zu 1542 – nicht mehr beteiligt. Man griff wieder auf das Matrikularsystem zurück, wobei die von den Reichsständen dringend geforderte Moderation der Matrikel den Kreisen übertragen wurde3. Auf den Gemeinen Pfennig, dessen wiederholte Erhebung 1542 beschlossen, aber nicht durchgeführt worden war, stützte sich der Beschluss zur Türkenhilfe nur insofern, als den Ständen die Möglichkeit eingeräumt wurde, durch Erhebung des Gemeinen Pfennigs die Untertanen einen Teil der Anlage zahlen zu lassen (Nr. 404, § 24)4. Die Gesandten der Bischöfe von Bamberg, Würzburg und Eichstätt nahmen die Beschlüsse zur Türkenhilfe nur unter dem Vorbehalt des Hintersichbringens an (Nr. 95). Der König fügte in seiner Antwort dem Gutachten noch einige Ergänzungen hinzu und bedauerte das Ausbleiben einer Offensivhilfe (Nr. 96). Die altgläubigen Reichsstände ergänzten in ihrer letzten Antwort an König Ferdinand vom 16. April noch einige Details zur Türkenhilfe (Nr. 97).
Von einem Sonderproblem der reichsständischen Veranlagung zur Türkenhilfe, das schon mehrere Reichsversammlungen beschäftigt hatte, war König Ferdinand als Landesherr betroffen. Es handelte sich dabei um die Beschwerden des Erzbischofs von Salzburg und der Bischöfe von Freising, Bamberg, Regensburg und Passau über die Doppelveranlagung zur Türkenhilfe im Reich und in den österreichischen Erblanden. Trotz einer in Speyer 1542 ausgestellten königlichen Urkunde (RTA JR Bd. XII, Nr. 59) und weiteren Bemühungen um eine vertragliche Regelung in Nürnberg 1542 (RTA JR Bd. XIII, Nr. 98) rissen die Klagen über die Doppelveranlagung nicht ab und die Suche nach einer befriedigenden Lösung war Thema der Verhandlungen zwischen König Ferdinand und den betroffenen Bischöfen (Nr. 146–150).
Zu weiteren Themen, die sich unter den Oberbegriff der Türkenhilfe subsumieren lassen und die Reichsversammlung beschäftigten, zählen: Ansuchen um Unterstützung im Kampf gegen die Türken; Rechnungslegung der Reichskreise über die vergangenen Türkenhilfen (Einleitung Punkt 7.3); Verweigerung der Türkenhilfe durch die Reichsstädte (Einleitung Punkt 7.4), Berichte und Abrechnungen über die Türkenhilfen 1541/1542; finanzielle Forderungen der Hauptleute der Türkenkriege 1541/1542 wegen ausstehender Besoldung; Supplikationen wegen Ringerung der Anlagen; Winterlager der Truppen in Ungarn 1542/1543; Kundschafterberichte; Mandate und Aktenstücke zur Organisation der Türkenhilfe 1543.
7.3 Versammlungen der Reichskreise
Eines der erklärten Ziele des Reichstags wurde bereits im Nürnberger Reichsabschied von 1542 (RTA JR Bd. XIII, Nr. 198, § 36) und in der Proposition König Ferdinands (Nr. 43) formuliert: Die Einnehmer der Reichskreise sollten die Abrechnungen über die auf Basis des Gemeinen Pfennigs erhobene Türkenhilfe des Jahres 1542 vorlegen, um den finanziellen Ausgleich unter den Kreisen zu ermöglichen. Das an die Kreiseinnehmer adressierte Ausschreiben König Ferdinands, am 12. Februar 1543 in Nürnberg zu erscheinen und die Abrechnungen vorzulegen (Nr. 26), war aber nur mäßig erfolgreich. Lediglich die Einnehmer des Bayerischen, des Oberrheinischen, des Fränkischen und des Schwäbischen Reichskreises hatten sich auf ihre Aufgabe rechtzeitig vorbereitet, während die anderen Kreise in Nürnberg nichts vorlegten. Deshalb wurde die allgemeine Verrechnung der Kosten für den Türkenkrieg 1542 und der verabredete Finanzausgleich zwischen allen Reichskreisen nicht in Angriff genommen. Die Reichsstände verwiesen die zur Rechnungslegung bereiten Steuereinnehmer an das Forum ihres jeweiligen Kreises. Dort wurden die von den Kreiseinnehmern und dem Kreiszahlmeister vorgelegten Aufzeichnungen kontrolliert, Belege geprüft, der Inhalt der Kreistruhen endgültig abgerechnet und um Entlastung der Amtsträger ersucht. Die schwäbischen Kreisvertreter weigerten sich, ihre Amtsträger zu entlasten und beriefen sich dabei auf fehlende Bevollmächtigung durch ihre Auftraggeber und auf die große Zahl nicht anwesender Kreisstände1.
Bei den Versammlungen des Oberrheinischen Kreises stellte sich bei Vorlage der Abrechnungen der Kreiseinnehmer heraus, dass die Einnahmen aus dem Gemeinen Pfennig bei weitem nicht ausreichten, um die Besoldungsrückstände zu decken. So wurden die ungehorsamen Reichsstände aufgefordert, die fehlenden Beträge einzuzahlen (Nr. 120); aus den noch vorhandenen Restmitteln des Gemeinen Pfennigs sollten die Reiter aus dem Türkenzug 1542 bezahlt werden (Nr. 122). Landgraf Philipp von Hessen instruierte seine Räte, wie auf Geldforderungen der oberrheinischen Kreisvertreter an Hessen zu reagieren sei (Nr. 121), und wandte sich deshalb auch direkt an die oberrheinische Kreisversammlung (Nr. 123). Die finanzielle Misere des Kreises lag in der nicht durchgeführten Moderation der Matrikel begründet. Die Rückkehr zur Matrikelbesteuerung anstelle des Gemeinen Pfennigs, der im Reichsabschied beschlossene Zuzug2 von fünf Reichskreisen und die dadurch befürchteten zusätzlichen Kosten für alle Reichsstände veranlassten die oberrheinischen Kreisvertreter, gegen den Reichsabschied zu protestieren (Nr. 410)3.
Auch andere Kreisstände hatten ihre Probleme mit dem Reichsabschied, weil dieser durch eine große Zahl von Reichsständen abgelehnt wurde und zahlreiche Protestationen vorlagen. Deshalb weigerten sich die weltlichen fränkischen Kreisstände, die zur Durchführung der Nürnberger Beschlüsse angesetzten fränkischen Kreisversammlungen zu besuchen4. Bei den bayerischen Kreisständen gab es – mit Ausnahme der bayerischen Herzöge – Bedenken gegen den Zuzug der Reichskreise, da die geistlichen Stände zum Teil noch mit der Türkensteuer des Vorjahres im Rückstand waren, außerdem bestanden zwischen Bayern und Salzburg Meinungsverschiedenheit, wie die Kreishilfe zu leisten sei. Dazu kamen die Forderungen der geistlichen und der meisten kleinen weltlichen Stände nach Verringerung der Matrikularschläge und die Beschwerden gegen die nicht beseitigte Doppelanlage5.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Reichsstände zu Ende des Reichstags – trotz einiger Versammlungen der Kreisstände und der kreisinternen Vorlage und Prüfung der Abrechnungen von vier Reichskreisen – vom geplanten finanziellen Ausgleich aller Reichskreise und der Ringerung der Anschläge genauso weit entfernt waren wie am Anfang.
7.4 Verhalten des Städtecorpus
Der Nürnberger Reichstag von 1543 war für die Reichsstädte in zweifacher Hinsicht bedeutsam1:
1. Sechs Ratschläge von fünf Städten (Ulm, Frankfurt, Nürnberg, Straßburg, Augsburg: zwei Ratschläge) zu Stand, Stimme und Session, über deren Ausarbeitung man sich bereits 1542 geeinigt hatte, lagen vor. Diese Ratschläge wurden von den städtischen Juristen Dr. Hieronymus zum Lamb (Frankfurt) und Dr. Ludwig Gremp (Straßburg) in Zusammenarbeit mit einem städtischen Ausschuss2 zu einem umfangreichen Gutachten zusammengefasst und dem Städterat am 21. April 1543 übergeben. Die wesentliche Aussage, mit ausführlicher historischer Argumentation untermauert, bestand darin, dass sich die Reichsstädte als gleichrangigen Verhandlungspartner der anderen Reichsstände betrachteten, dem Sitz und Mitberatung im Reichsrat zustand. Die ausführliche Diskussion des Gutachtens, das in einer Auflage von 100 Exemplaren gedruckt werden sollte, blieb einem künftigen Städtetag vorbehalten3.
2. Die religiöse Spaltung innerhalb der Städtekurie wurde durch das gemeinsame Bemühen um Session und Stimme und die städtischen Forderungen in Zusammenhang mit der Türkenhilfe in den Hintergrund gedrängt. In solidarischer Einigkeit wandten sich die Städte gegen die Bevormundung und Nichtbeachtung durch die oberen Kurien. Die altgläubigen Reichsstädte ließen sich von ihren Glaubensgenossen unter den Reichsfürsten nicht vereinnahmen, sondern unterstützten die Forderung der evangelischen Städte nach Priorität der Beratungen zu Friede und Recht vor der Türkenhilfe. Auch Bemühungen des Königs und der kaiserlichen Räte, mit einzelnen Reichsstädten partikulare Abmachungen zu treffen (siehe Kap. 7.1 ad 2) und sie aus der Phalanx des Schmalkaldischen Bundes herauszubrechen, scheiterten. Aspekte konfessioneller Zugehörigkeit zählten für die altgläubigen Mitglieder des Städtecorpus weniger als ihre so oft vorgebrachten Beschwerden über die als ungerecht empfundene Höhe der Veranlagung zur Türkenhilfe und über ihren Ausschluss von den Beratungen. Bereits am 13. Februar 1543 wurden nur die Mitglieder der altgläubigen Kommunen zur allgemeinen Ständeversammlung geladen, um ihnen die Beschlüsse der Fürsten mitzuteilen. Das wiederholte sich am 20. März, als bei der angekündigten Reichsratssitzung zur Beratung über die königliche Proposition und über den Vortrag Granvelles die städtischen Delegierten nicht zugelassen wurden. Auch am 30. März wurde den altgläubigen Reichsstädten erst nach langer Wartezeit ein erster Entwurf zur Türkenhilfe (Nr. 92) mitgeteilt; ihrer Bitte um Abschrift des Aktenstücks wurde nicht stattgegeben4. Auf Grund all dieser Erfahrungen erstaunt es nicht, dass die altkirchlichen Reichsstädte gemeinsam mit den evangelischen gegen den Reichsabschied protestierten (Nr. 408) und in diesem Protest – ähnlich wie in ihrer Protestation vom 1. April (Nr. 102) und in ihrer Supplikation vom 14. April (Nr. 103) – noch einmal ihre Kritik und die Bedingungen für die Türkenhilfe formulierten: Forderung nach Sitz und Stimme im Reichsrat, nach Ringerung der Anlagen und nach einem finanziellen Ausgleich unter den Kreisen; Kritik an den zu hohen Kosten für den geplanten Zuzug einzelner Reichskreise und an der Höhe der neu beschlossenen Türkenhilfe, die von den Städten aus den Einnahmen des Gemeinen Pfennig nicht gedeckt werden könne; Ablehnung der für die Städte ungünstigen Matrikelbesteuerung; Kritik an der Ablieferung der Steueranlagen der Domkapitel an die Bischöfe statt an die Städte; Forderung nach ausreichenden Versicherungen zu Friede und Recht.
Sowohl Königin Maria von Ungarn, die Statthalterin der Niederlande, als auch Herzog Wilhelm nützten das Forum des Reichstags, um den Reichsständen ihre Sicht der Dinge auf den militärischen Konflikt darzulegen, der im Juli 1542 zwischen der Königin und dem mit Frankreich verbündeten Herzog von Jülich um Geldern ausgebrochen war1. In langen, polemischen Vorträgen und Supplikationen vor den Reichsständen, die zum Teil auch als Druckschriften verbreitet wurden (Nr. 202, Nr. 204–206, Nr. 210–211), rechtfertigten beide Seiten im Dienste der Kriegspropaganda ihr Vorgehen mit historischen und rechtlichen Argumenten. Parallel zu den Auftritten der burgundischen und jülichschen Räte in Nürnberg fanden im Januar und Februar 1543 in Aachen und Maastricht unter Vermittlung der vier rheinischen Kurfürsten und des Landgrafen von Hessen Unterhandlungen zwischen den burgundischen und jülichschen Räten statt, die jedoch auf Grund der unvereinbaren Forderungen beider Parteien scheiterten. Die Reichsstände und die Schmalkaldischen Bündner wurden von den jülichschen Gesandten in Nürnberg vom Misserfolg dieser Unterhandlungen am 17./18. März informiert und um ihre Unterstützung gebeten (Nr. 208). Das löste die Blockade in den festgefahrenen Reichstagsverhandlungen, da die Protestanten wegen der Jülicher Friedensfrage ihre Verweigerungstaktik aufgaben, wieder im Reichsrat erschienen (siehe Kap. 7.1 ad 3) und gemeinsam mit den anderen Reichsständen bei König Ferdinand und Granvelle am 22. März wegen einer Friedenslösung für Jülich intervenierten (Nr. 212). Diese Initiative war der Beginn der gemeinsamen Verhandlungen zur Lösung des Geldernkonflikts, an welchen die Reichsstände, der König, die kaiserlichen Kommissare, Granvelle und die Gesandten der beiden Kriegsparteien teilnahmen. Die am 28. März erfolgte Stellungnahme Granvelles und der burgundischen Räte (Nr. 214) ließ keinerlei Entgegenkommen gegenüber dem Herzog erkennen, da von ihm die Abtretung Gelderns und Zütphens an den Kaiser gefordert wurde, was dieser vehement ablehnte. Auch ein Vorschlag zur einstweiligen Sequestration Gelderns durch die Reichsstände oder die Aufgabe der beiden Länder für die Dauer der rechtlichen Verhandlungen über die Streitfrage kamen für Herzog Wilhelm nicht in Frage2. Eindringlich machten sowohl die Reichsstände als auch die kurfürstlichen Räte dem König, den Kommissaren und Granvelle die Dringlichkeit eines Waffenstillstands klar (Nr. 220–221), doch die kaiserlich/königliche Seite beharrte auf ihrer ursprünglichen Position: Übergabe Gelderns und Zütphens an den Kaiser (Nr. 222). Auch der Vorschlag der Reichsstände, Wilhelm solle Geldern und Zütphen vom Kaiser zu Afterlehen annehmen (Nr. 225), und weitere Vorschläge des Ausschusses vom 20. April (Nr. 228) führten zu keiner Einigung3. An diesem Punkt drohten die Verhandlungen zu scheitern, als sie durch den Druck der militärischen Ereignisse wieder in Gang gebracht wurden.
Die Niederlage der Truppen Königin Marias gegen die Soldaten Herzog Wilhelms in der Schlacht von Sittard am 24. März 1543 setzte die burgundische Seite unter Zugzwang und ließ einen kurzen Waffenstillstand als dringend geboten erscheinen. Der von den Reichsständen übergebene Vorschlag für einen Waffenstillstand vom 24. April (Nr. 230) wurde von Seiten der Jülicher abgelehnt, da sie nicht bereit waren, Sittard den Burgundern als Pfand für die Dauer der Waffenruhe zu übergeben. Die kompromisslose Haltung Granvelles und die Abreise einiger Mitglieder des Geldernausschusses aus Nürnberg führte zum Abbruch der Verhandlungen, wie die Ausschussmitglieder dem Jülicher Herzog am 26. April berichteten (Nr. 232). Die wenigen in Nürnberg verbliebenen Vertreter des Geldernausschusses ließen jedoch nicht locker und einigten sich mit Granvelle auf einen Anstand, den die Räte Herzog Wilhelms, zermürbt durch lange Überredungsversuche des Ausschusses, wider besseres Wissen und entgegen den Instruktionen ihres Herrn akzeptierten4. Die zwischen dem kaiserlichen Minister und den jülichschen Räten abgeschlossene Vereinbarung über eine Waffenruhe (Nr. 235) sollte am 10. Mai 1543 beginnen und ab der Ankunft des Kaisers in Trient zwei Monate Gültigkeit haben; währenddessen war Sittard an Königin Maria zu übergeben und die reichsständischen Vertreter des Geldernausschusses und Jülichs sollten sich beim Kaiser um eine friedliche Verständigung oder die Verlängerung des Anstands bemühen (Nr. 237). Wie zu befürchten, tadelte Herzog Wilhelm seine Gesandten, die ihre Vollmachten bereits bei früheren Verhandlungen überschritten hatten, für ihr eigenmächtiges Vorgehen (Nr. 239). Er verweigerte seine Zustimmung zu dem von seinen Räten ausgehandelten Waffenstillstand5. Damit steuerte der Konflikt um Geldern einer endgültigen gewaltsamen Entscheidung zu, die mit dem Kommen des Kaisers ins Reich verknüpft war.
7.6 Verhandlungen über die Causa Braunschweig
Die Folgen der Eroberung des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel durch die Schmalkaldener wirkten sich direkt und indirekt auf die Verhandlungen in Nürnberg aus:
1. Zwischen 21. Februar und 10. März 1543 führte ein Ausschuss der Schmalkaldener mit den als Vermittler fungierenden bayerischen Räten Gespräche über eine künftige Lösung für das Herzogtum (Kap. VII)1. Die Verhandlungen scheiterten an der Frage der von Bayern geforderten Restitution Herzog Heinrichs im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel und endeten mit der Verschiebung der Angelegenheit bis zur Ankunft des Kaisers2.
2. Die wegen des braunschweigischen Feldzugs am Reichskammergericht gegen die Schmalkaldener angestrengten Prozesse und die darauf folgende Rekusation des Gerichts waren nicht nur Hauptthemen der schmalkaldischen Beratungen in Nürnberg (Kap. VIII.A), sondern sie kamen auch in den Verhandlungen der Reichsstände und des Königs zu Friede und Recht immer wieder zur Sprache, sei es nun in Form der Auseinandersetzungen über die Reform und Visitation bzw. Neubesetzung des Gerichts oder in der Forderung nach Suspension der Prozesse und nach einem beständigen Frieden (Kap. V.A).
7.7 Verhandlungen der Schmalkaldener
Die Tatsache, dass das hauptsächlich altkirchlich besetzte Reichskammergericht im Zuge der härter werdenden konfessionellen Auseinandersetzung zu Ungunsten der Neugläubigen agierte, stand bei den Schmalkaldenern und den Protestanten außer Streit. Wie auf diese rechtliche Benachteiligung und die Bedrohung mit der Reichsacht zu reagieren sei, wurde innerhalb des protestantischen Lagers allerdings kontrovers diskutiert. Es hing von der Stellung innerhalb der ständischen Hierarchie, vom politischen Einfluss und von den wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Reichsstände ab, wie sie sich zu der von den Bundeshauptleuten im Namen der gesamten Einung ausgesprochenen Generalrekusation in weltlichen und geistlichen Angelegenheiten stellten1. Daraus ergaben sich Fragen der Form, der Gültigkeit oder der Zustimmung zur Rekusation für jeden einzelnen evangelischen Reichsstand, städtische Obrigkeiten, Stadtgemeinden, Privatbürger, Befehlshaber des braunschweigischen Feldzugs oder die Untertanen. All diese durch die Generalrekusation entstandenen ungelösten Probleme wurden im Rahmen der Schmalkaldischen Bundessitzungen im Januar und Februar 1543 in Nürnberg beraten und wirkten ihrerseits auf die reichsständischen Verhandlungen über Friede und Recht zurück2.
Eng verknüpft mit den reichsständischen Verhandlungen zu Friede und Recht war auch die von Kursachsen und Hessen von Beginn des Reichstags an ausgegebene taktische Vorgabe an alle Bündner, in diesen Fragen „für einen Mann zu stehen“ und sich vor deren Erledigung nicht in die Türkenhilfe einzulassen (Kap. VIII.B). Immer wieder begegnen in den Korrespondenzen entsprechende Ermahnungen der Bundeshauptleute und Zusicherungen der Bündner, sich an die vorgegebene Linie zu halten. Als Fazit des gescheiterten Kompromisses mit dem König und den Altgläubigen wird am Ende des Reichstags in einem endgültigen Beschluss der Schmalkaldener noch einmal die einmütige Haltung aller Mitglieder des Bundes beschworen (Nr. 275) und jeglichen partikularen Abmachungen und Sondervereinbarungen mit dem König, die man im Falle Augsburgs befürchtete, eine Absage erteilt (Nr. 276–277).
Es galt für die Schmalkaldener aber auch, sich gegenüber dem Kaiser von dem Vorwurf des Landfriedensbruchs im braunschweigischen Feldzug und von der Verantwortung für die Nichtbewilligung der Türkenhilfe rein zu waschen. Die zu diesem Zweck verfassten Schreiben (Nr. 280–281) wurden nach längerer Suche nach einem geeigneten Überbringer dem Kaiser durch den Straßburger Rechtsgelehrten Dr. Kopp nach seiner Ankunft in Italien im Juni übergeben (siehe Kap. VIII.C).
Weitere Beratungen der Schmalkaldener betrafen vor allem interne Angelegenheiten des Bundes (Kap. VIII.D). Deren Ergebnisse sind im Schmalkaldischen Abschied vom 28. April 1543 zusammengefasst (Nr. 418). Außer den oben erwähnten Themen handelt es sich um folgende Fragen: Termin und Ort des nächsten Schmalkaldischen Bundestages; Abrechnungen über die ordentlichen und außerordentlichen Bundesanlagen und Erlegung ausstehender Beiträge; Abrechnungen des braunschweigischen Feldzugs; Hilfeersuchen des Bundesmitglieds König Christian III. von Dänemark an den Bund im Konflikt mit Burgund; Gesuche um Aufnahme in den Bund (König von Schweden, Pfalzgraf Ottheinrich, Bischof Franz von Münster, Graf Ludwig von Oettingen d. J.); Maßnahmen gegen befürchtete Truppenwerbungen Herzog Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel; Supplikationen an den Bund3. Viele dieser Fragen blieben ungelöst und wurden auf den nächsten Bundestag oder das Kommen des Kaisers ins Reich verschoben.
Besondere Wichtigkeit kam dem innerschmalkaldischen Konflikt zwischen den Herzögen von Pommern und König Christian III. von Dänemark um Besitzrechte an geistlichen Gütern des Bischofs von Roeskilde auf Rügen zu4. Dieser seit Jahren ungelöste Streit ließ die pommerschen Räte, die eine eindeutige Stellungnahme der Schmalkaldener zu ihren Gunsten erwarteten, auf Distanz zu den Bündnern gehen und gemäß ihren Instruktionen deren Sitzungen anfänglich meiden. Trotz aller Bemühungen, diese Differenzen innerhalb des Bundes für ihre Interessen zu nützen, gelang es den Altgläubigen nicht, die Pommern zur Teilnahme an den Reichsratssitzungen und zu den Beratungen über die Türkenhilfe zu bewegen.
7.8 Sessionsstreitigkeiten, Supplikationen, Varia
Sessionsstreitigkeiten (Herzog von Sachsen mit Pfalz-Simmern, Markgrafen von Brandenburg mit Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, Erzbischof von Salzburg mit Österreich) nahmen in Nürnberg 1543 keinen breiten Raum ein (Nr. 294–296). Sie wurden in Abhängigkeit vom Einzelfall durch Wechsel in der Session zwischen den Streitparteien, durch Nichtteilnahme an den Reichsratssitzungen oder „gesellige“ Session gelöst, immer in dem Bemühen, kein Präjudiz zu schaffen. Endgültige Entscheidungen wurden auf den künftigen Reichstag verschoben1.
Was die Supplikationen betrifft, so handelt es sich dabei um Themen wie Reichsstandschaft und eximierte Stände, Konflikte zwischen den Ständen, Jurisdiktion des Reichskammergerichts, Verweigerung der Türkenhilfe durch einzelne Reichsstände, Proteste gegen die Veranlagung als Reichsstand oder Bitten um Ringerung der Anlagen. Die Supplikationen sind nicht nur im einschlägigen Kapitel X zu finden, sondern in Abhängigkeit von ihrem Gegenstand auch in anderen Kapiteln des Bandes (siehe die Einleitung zu Kap. X). Viele der Supplikanten sind von früheren Reichstagen bekannt, wo eine Erledigung ihrer Anliegen aus verschiedenen Gründen nicht stattgefunden hatte. Auch auf dem Nürnberger Reichstag von 1543 erging es ihnen nicht anders, denn die Existenz eines Supplikationsausschusses ist nicht dokumentiert; reichsständische und königliche Bescheide zu den Supplikationen blieben aus bzw. wurden bis zur Ankunft des Kaisers im Reich oder bis zum nächsten Reichstag aufgeschoben. Die Liste der Supplikationen, die bereits auf früheren Reichstagen mit ähnlichen Argumenten vorgetragenen wurden, ist lang: 1. Bischof Julius Pflug von Naumburg gegen Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen wegen Inbesitznahme des Hochstifts Naumburg (Nr. 300). 2. Hoch- und Deutschmeister Walther von Cronberg gegen Herzog Albrecht von Preußen wegen Suspension der preußischen Acht (Nr. 301). 3. Bischof Valentin Tetleben von Hildesheim wegen Restitution der Güter des Stifts, Klagen über die Einführung der Reformation in Hildesheim (Nr. 248). 4. Der braunschweigische Kanzler Dr. Stopler wegen Restitution Herzog Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel (Nr. 247). 5. Die Causa Vrentz, Königin Maria und der Streit um das Appellationsrecht der Stadt Maastricht an das Reichskammergericht (Nr. 302). 6. Eximierung von Stift Comburg durch den Bischof von Würzburg (Nr. 297). 7. Eximierung des Bischofs von Cammin durch die Herzöge von Pommern (Nr. 298).
Unter „Varia“ (Kap. XI) finden sich Beratungen im Hintergrund der offiziellen Reichstagsverhandlungen, die bereits auf dem Speyerer Reichstag von 1542 ihren Anfang nahmen. Es handelt sich um die Bündnispläne zwischen Bayern, Hessen und Kursachsen zur Wahrung ihrer machtpolitischen Interessen gegenüber dem Haus Habsburg über konfessionelle Grenzen hinweg (Nr. 306). Neben Fragen der freien Religionsausübung, der Bewahrung der „fürstlichen Libertät“, dem Verhalten im Konflikt mit dem Herzog von Jülich und der Dringlichkeit der Türkenhilfe ging es vor allem um eine Regelung der Verhältnisse im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel und den zukünftigen Verbleib Herzog Heinrichs von Braunschweig und seiner Kinder (siehe Kap. VII).
Unter den Partikularangelegenheiten einzelner Reichsstände, welche diese in Verhandlungen mit dem König in ihrem Sinne zu betreiben hofften, ist die Frage der Anerkennung der Königswahl Ferdinands durch Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen zu erwähnen. Wie schon auf früheren Reichstagen wurden bei den Verhandlungen keine Ergebnisse erzielt2.
8. Reichsabschied, Protestationen und Ergebnisse des Reichstags
Als alle Bemühungen des Königs, eine Einigung zwischen den Religionsparteien zu erzielen und die Zustimmung der Protestanten zur Türkenhilfe zu erreichen, nichts fruchteten, blieb ihm nichts anderes übrig, als am Nachmittag des 23. April den Reichsabschied (Nr. 404) in der Reichsversammlung ohne die Zustimmung der Protestanten verlesen zu lassen. Der Straßburger Gesandte Jakob Sturm machte in seiner Schlussrelation interessante Beobachtungen rund um die Verlesung des Reichsabschieds1. Er berichtete, dass der König die Versammlung rasch verlassen habe, um die Rede und Protestation des kursächsischen Kanzlers nicht anhören zu müssen; vielmehr riet er ihm zur schriftlichen Übergabe des Aktenstücks. Nach dem Abgang des Königs wurden dem Mainzer Kanzler Dr. Jonas die Protestationen der Augsburger Konfessionsverwandten (Nr. 408), aller alt- und neugläubigen Reichsstädte (Nr. 407), der oberrheinischen Kreisstände (Nr. 409) und einiger anderer Reichsstände überreicht. Bemerkenswert ist, dass sich die Namen mehrerer Reichsstände, die den Abschied nicht bewilligt und dagegen protestiert hatten, unter dem Reichsabschied finden. Laut dem Bericht Sturms legten die Gesandten Nürnbergs und Ulms gegen dieses Vorgehen Beschwerde beim Mainzer Kanzler ein. Dieser gab ihnen die Auskunft, dass er die Namen aller in der Mainzer Kanzlei akkredidierten Reichsstände unter den Reichsabschied gesetzt habe2. Auf die Frage Sturms an den Kanzler, warum er die Namen von Ständen bzw. Gesandten in den Reichsabschied aufnehmen würde, die diesen ablehnten, antwortete Dr. Jonas, man könne nicht wissen, wann die Stände wieder gehorsam würden. Darauf merkte Sturm an, dass ein „unpillich, ungleich“ Reichsabschied, der früheren Abschieden widerspreche, von den Protestanten nicht angenommen werden könne und nicht verbindlich sei, weshalb die Nichtannahme eines solchen Abschieds keinen Ungehorsam darstelle.
Aus dem Bericht Sturms geht deutlich hervor, wie weit der durch die Reformation in Gang gesetzte Prozess der konfessionellen Spaltung das tradierte Verständnis von Recht, Ordnung und Billigkeit verändert und zu einer anderen Rechtsauslegung geführt hatte, wodurch die Rechts- und Friedensordnung des Reiches in Frage gestellt wurde. Die namentliche Nennung der Reichsstände und ihrer Gesandten zu Ende des Reichsabschieds ist im Falle des Reichstags von 1543 nicht gleichbedeutend mit der Zustimmung zum Reichsabschied, da sich mehrere Protestierende unter den Subskribenten befinden. Vermutlich in dem Bestreben, eine größere Akzeptanz des Reichsabschieds vorzutäuschen, ließ der Mainzer Kanzler die Namen der in der Mainzer Kanzlei Akkreditierten in den Abschied setzen, unabhängig davon, ob sie diesem zugestimmt hatten oder nicht. Eine einheitliche Linie bei der Auswahl der im Abschied angeführten Reichsstände ist nicht zu erkennen. So scheint Jakob Sturm trotz seines Protests im Nürnberger Reichsabschied von 1542 auf, während sein Name 1543 fehlt. Die Oberhäupter des Schmalkaldischen Bundes, die den Protest gegen den Reichsabschied anführten, sowie einige andere Bündner fehlen hingegen unter dem Abschied.
Eine weitere Besonderheit des Reichsabschieds von 1543 ist, dass wegen der geschlossenen Ablehnung durch die Protestanten und durch alle Reichsstädte kein offizieller zeitgenössischer Druck dieses Dokuments vorhanden ist, wie in der Städteregistratur festgehalten3.
Der Reichsabschied war nicht nur für die Protestanten, sondern vor allem auch für König Ferdinand eine Enttäuschung. Die erwartete Offensivhilfe zur Aufstellung eines Heereszuges gegen die Türken hatte er von den altgläubigen Reichsständen nicht erhalten. Die bewilligte Defensivhilfe von 20 000 Mann zu Fuß und 4000 Reitern sollte zur Befestigung der Grenzen und Pässe dienen. Im Notfall war der weitere Zuzug von fünf Reichskreisen geplant, über dessen Finanzierung durch Vertreter derr Reichskreise und der ferdinandeischen Erbländer und Königreiche auf einer Versammlung in Passau am 15. Juni beraten werden sollte. Der Papst sollte von den Reichsständen um eine Unterstützung in Form der Entsendung von 5000 Soldaten gebeten werden (Nr. 101). Der König selbst sagte eine entsprechende Hilfe seiner Erblande zu. Da die Ringerung der Anschläge und der finanzielle Ausgleich unter den Reichskreisen in Nürnberg wieder nicht zustande gekommen war, sollten die Reichskreise bis spätestens 15. Juli Versammlungen abhalten und danach den Reichsständen Bericht erstatten. Von jedem Reichsstand sollten ab 15. Mai drei Raten von jeweils zwei Römermonaten in den Legstätten erlegt werden. Damit die Reichsstände die Türkenhilfe nicht aus den Erträgen ihrer Kammergüter bestreiten mussten, waren sie befugt, ihre Untertanen auf Basis des Gemeinen Pfennigs zu besteuern. Nach weiteren Bestimmungen über die Leistung der Türkenhilfe folgen in den §§ 32–38 des Reichsabschieds geringfügig modifiziert die Artikel zu Friede und Recht und zur Causa Braunschweig, auf die sich der König mit den Altgläubigen am 18. April geeinigt hatte (Nr. 179).
Betrachtet man die Ergebnisse zusammenfassend, so kann der Reichstag als gescheitert betrachtet werden. Ein Kompromiss zwischen Alt- und Neugläubigen erwies sich trotz mehrfacher Vermittlungsversuche des Königs und der kaiserlichen Räte wegen der zunehmenden Radikalisierung und Starrheit der Konfessionsparteien als unmöglich. Der in Regensburg 1541 und in Speyer 1542 beschrittene Weg der geheimen Nebenversicherung zum Reichsabschied war für die Protestanten nicht mehr gangbar, da sie auf der Aufnahme der Regensburger Deklaration in den Reichsabschied bestanden. Die altgläubigen Reichsstädte fühlten sich in ihren Beschwerden über die Türkenhilfe, in ihren wirtschaftlichen Interessen und in ihrem Kampf um Session und Stimme weitaus mehr den evangelischen Städten verbunden als der konfessionellen Solidarität mit den altgläubigen Reichsfürsten; sie trugen daher den Protest gegen den Reichsabschied mit. Probleme wie der Konflikt um Geldern oder die Causa Braunschweig blieben ungelöst und wurden bis zur Ankunft Kaiser Karls V. vertagt. Die Protestanten waren mit ihrer Taktik absoluter Geschlossenheit zwar erfolgreich, erreichten aber trotzdem nicht die gewünschten Konzessionen im Bereich von Friede und Recht. Die kompromisslose Haltung beider Religionsparteien trug dadurch weiter zur Spaltung und Polarisierung im Reich bei, die bald darauf nicht nur zum Krieg in Jülich führte, sondern in weiterer Folge auch den Weg für den Religionskrieg Karls V. gegen die Protestanten ebnete.